VfB Stuttgart

Aus Hamburg geht man niemals ganz

Nun ist er also weg. Gestern gab die Fußball-AG des HSV bekannt, dass Dietmar Beiersdorfer als Vorstandsvorsitzender der AG abgelöst und zeitnah durch Heribert Bruchhagen ersetzt wird. Zugleich wird Beiersdorfer auch das zuletzt von ihm ebenfalls übernommene Amt des Sportdirektors abgeben, denn Bruchhagen soll dem Vernehmen nach auch einen neuen Sportdirektor mitbringen.

In meinen Augen ist die Freistellung Beiersdorfer unzweifelhaft richtig, kommt jedoch zum falschen Zeitpunkt, da viel zu spät. Spätestens nachdem der Vorsitzende des Aufsichtsrates der Hamburger Fußball-AG und Kühne-Intimus, Karl Gernandt, Beiersdorfer öffentlich in einer Weise angezählt hatte, wie man es selten erlebt, war klar, dass Beiersdorfer Tage als leitender Angestellter der AG gezählt waren.

Der Aufsichtsrat, so Gernandt seinerzeit sinngemäß, berate den Vorstand intensivst dabei, die Verpflichtung des vom Vorstand zu suchenden neuen Sportdirektors professioneller zu gestalten. Wer sich die Aussage Gernandts  auf der Zunge zergehen ließ, der schmeckte vermutlich sofort das hier öffentlich verspritzte Gift. Denn hinter der hier vorgeblichen Hilfestellung durch den AR verbarg sich nichts anders als eine vernichtende Wertung. Dem hochbezahlten Profi Beiersdorfer wurde hier nämlich im Subtext öffentlich zweierlei attestiert:

  1. dass man ihm alleine nicht länger vertraute und daher „Beratungsbedarf“ sah;
  2. dass er (mindestens) bei der Bewältigung einer seiner Kernaufgaben nach Ansicht des Aufsichtsrates eben nicht mit der gebotenen Professionalität vorgegangen ist.

In der Tat wirkte die von Beiersdorfer zu verantwortende Suche des HSV nach einem neuen Sportdirektor zunehmend grotesk und peinlich. Gefühlt ein halbes Dutzend Kandidaten wurde letztlich ergebnislos kontaktiert, auch wenn Beiersdorfer fast schon trotzig betonte, es habe nur in einem Fall, nämlich mit Christian Hochstätter und dem VfL Bochum, tatsächlich konkrete Verhandlungen gegeben, die letztlich an der Höhe der Ablöseforderung Bochums gescheitert seien. Das mag so stimmen, dennoch war der öffentliche Eindruck, den Beiersdorfers (nennen wir es) „Sondierungen“ hinterließen, verheerend. Praktisch jeder kontaktierte Kandidat behauptete nachträglich öffentlich, er habe den Hamburgern abgesagt, während Beiersdorfer Mal um Mal ebenfalls öffentlich dementierte und seinerseits wahlweise behauptete, man habe lediglich gesprochen aber nie konkret verhandelt, oder es sei der HSV gewesen, der seinerseits dem Kandidaten abgesagt habe.

Wie es sich tatsächlich verhalten hat, dies wissen nur die jeweils Beteiligten. Aber nicht nur hier wurde eine große Schwäche Beiersdorfers zum wiederholten Male augenfällig:

Kommunikation gehört nun einmal nicht zu seinen ausgewiesenen Stärken. In Einzel- oder Kleingruppengesprächen wirkt seine etwas unbeholfene, linkische Art durchaus sympathisch und gewinnend, als Vorstandsvorsitzender eines Bundesligaunternehmens, das sich Woche für Woche im grellen Licht medialer Dauerbeobachtung behaupten muss, wirkte er schon kurz nach seinem von vielen Vorschusslorbeeren begleiteten Amtsantritt aus der Zeit gefallen und deplatziert.

Man mag ihm wie jedem anderen Menschen auch zubilligen, dass es bei Gesprächen auch zu Missverständnissen kommen kann. Wenn sich aber nach praktisch jeder Kontaktaufnahme der kontaktierte Kandidat irritiert zeigt, wenn jedes Mal am Ende öffentlich Aussage gegen Aussage steht, dann spricht vieles dafür, dass es erhebliche kommunikative Defizite auf Seiten des (einen) Senders und eben nicht auf den Seiten der Empfänger gibt.

Bereits zu seinem Amtsantritt, nach dem damaligen Votum der Mitglieder für die Ausgliederung und für die Ziele der Initiative HSVPlus, irritierte der Vorstandsvorsitzende, indem er öffentlich kundtat, er sei „wohl zu naiv“ gewesen, um sich vorstellen zu können, dass ein Treffen der neu gewählten Funktionsträger ausgerechnet im Hamburger Firmensitz von Kühne & Nagel derartiges Aufsehen erregen könnte. Bereits damals fragte ich mich, auf welchem offenbar weit entfernten Planeten er seinen Urlaub verbracht haben mochte, denn auch wenn letztlich die überwältigende Mehrheit der Mitgliederschaft auch für Anteilsverkäufe votiert hatte, so hätte ihm klar sein müssen, welch fatales Signal hier mindestens an jenen Teil der Mitglieder gesendet wurde, der sich ernsthaft um die Selbstbestimmung des HSV mit Blick auf den unterstellten Einfluss insbesondere Klaus-Michael Kühnes sorgte. Zwar wurde Beiersdorfer seinerzeit nicht müde zu wiederholen, dass auch zukünftig alle Entscheidungen ausschließlich  und allein vom HSV und durch ihn getroffen würden, aber den Vorwurf, ohne jede Not ohnehin vorhandene Ängste der Mitglieder aufgrund mangelnder Umsicht befeuert zu haben, den musste er sich bereits damals gefallen lassen.

Als nach längerer Vorlaufzeit Peter Knäbel auf einer PK des HSV als dessen neuer Sportdirektor vorgestellt wurde, antworte Beiersdorfer auf die Frage, warum sich diese Verpflichtung verzögert habe, Knäbel sei eben noch mit der Erstellung einer  s.g. Weltstandsanalyse zum Fußball für den Schweizer Verband beschäftigt gewesen, die er erst habe abschließen wollen. Und dann offenbarte er erstaunliches: er persönlich, so Beiersdorfer, habe gar nicht gewusst, dass es so etwas gäbe und dass man derartiges machen könne. Man mag diese Offenheit und Ehrlichkeit schätzen, zugleich aber waren spätestens ab diesem Zeitpunkt auch Zweifel an seiner sportlichen Expertise angebracht. Im Klartext: die Möglichkeit einer methodisch-systematischen Analyse dessen, was sich in dem von ihm zu verantwortenden Kerngeschäft, dem Fußball, in der Welt entwickelt, war ihm vorher unbekannt. Derartige Wissenslücken darf man vermutlich nur im Fußball offenbaren. In jeder anderen leistungsorientierten Sportart dürfte dies bei Bewerbungsgesprächen für leitende Funktionen den sofortigen Abbruch der Gespräche zur Folge haben.

Vor diesem Hintergrund kann es kaum noch verwundern, dass er als Nachfolger des für dominanten und ballbesitzorientierten Fußball stehenden Trainers Fink (Cardoso und van Marwijk sind hier aus diversen Gründen zu vernachlässigen) mit Slomka einen Trainer holte, der als ausgewiesener Anhänger eines ganz anderen Ansatzes nämlich des Konterfußballs galt. Diesem wiederum folgte mit dem relativ unerfahrenen  Joe Zinnbauer ein Trainer, der wieder mehr zur offensiv-dominanten Spielweise tendierte. Schon damals schien mir die Frage berechtigt, ob der HSV unter Leitung Beiersdorfers je eine schlüssige Vorstellung von dem Fußball würde entwickeln können, den man perspektivisch in Hamburg spielen lassen wollte.

Zu diesen fachlich-inhaltlichen Schwächen gesellte sich Beiersdorfers fatale Neigung zum zögern und zaudern. Zur Kernaufgabe von Vorständen, von CEOs, gehört es nun einmal, Entscheidungen zu treffen. Auch und gerade unter Druck. Aber Beiersdorfer verpasste sowohl bei Slomka als auch bei Labbadia jeweils den richtigen Zeitpunkt, um sich von einem Trainer zu trennen, in dessen Arbeit er offensichtlich längst das Vertrauen verloren hatte. Stattdessen nahm er billigend in Kauf, dass der jeweilige Nachfolger ohne gemeinsame Vorbereitung mit der Mannschaft ins Rennen geschickt wurde.

Dass er es vor der Saison und offenbar trotz ausdrücklich durch Labbadia angemeldetem Bedarf versäumt hat, den Kader im äußerst dünn besetzten Defensivbereich zu verstärken, ist ebenfalls ihm anzulasten. Dies wirkt auf mich besonders ärgerlich, denn u.a. das Beispiel VfB Stuttgart hätte ausreichen müssen, um vor einer Überbetonung des Offensivpersonals zulasten der Verpflichtung defensiver Spielern ausreichend gewarnt zu sein.Verletzungen und Sperren sind im Laufe einer Saison nicht zu vermeiden. Dies ist bei einer Kaderzusammenstellung im Vorfeld auch immer zu berücksichtigen. Auch daran lässt sich umsichtige Planung erkennen. Dass bereits der Ausfall von zwei, drei Spielern Trainer Markus Gisdol zu personellen Experimenten mit ungewissem Ausgang förmlich nötigte, legt die eklatanten konzeptionellen Versäumnisse Beiersdorfers  vor der aktuellen Saison ebenfalls schonungslos offen.

Es gibt daher eine Vielzahl an Gründen, welche die nun erfolgte Abberufung Beiersdorfers  geboten erscheinen lassen.

Und dennoch.

Beiersdorfers Name wird untrennbar mit der erfolgreichsten Periode der jüngeren HSV-Historie verbunden bleiben. Seinerzeit im Gespann mit Bernd Hoffmann und Katja Kraus arbeitend hat er überwiegend gute, z.T sehr gute Transfers getätigt, auch wenn bereits auch damals nicht alles Gold war, was zu glänzen schien.

Das Scheitern Beiersdorfers als Vorstandsvorsitzender habe ich von Anfang an erwartet. Genugtuung oder gar Freude über seine Ablösung vermag ich jedoch nicht zu empfinden. Die Trennung erscheint mir schmerzlich, da ich ihm das Herzblut abnehme, mit dem er sich stets zum HSV bekannt hat. Sie erscheint mit zugleich aber auch als eine notwendige Korrektur im Dienste des HSV. Hätte sich Beiersdorfer allein und mit ganzer Kraft auf das Amt des Sportdirektors konzentrieren und beschränken können und wollen – wer weiß, ob die Geschichte nicht einen anderen Ausgang gehabt hätte. So bleibt mir nur an dieser Stelle zu schreiben: Danke für alles, Herr Beiersdorfer!

Dem Aufsichtsrat der AG  ist in diesem Zusammenhang anzulasten, dass man einen verdienten und loyalen Mitarbeiter über Wochen in einem unerträglichen Schwebezustand hängen ließ, nachdem man ihn bereits öffentlich (s.o.) längst demontiert hatte. Ganz nebenbei hat man zum wiederholten Male zugelassen, dass dem HSV praktisch das Heft des Handelns aus der Hand genommen wurde, da sich wichtige Personalentscheidungen gerade in dieser stark medial beachteten Branche niemals über Wochen unter Verschluss halten lassen.

Abschließend einige Sätze zum bevorstehenden Amtsantritt Heribert Bruchhagens.

Ich habe Verständnis für die verbreitete Skepsis, die diese Personalie begleitet. Er stünde für eine der schlimmsten Perioden der HSV-Geschichte, las ich. Übersehen wird hier m.E., dass er ’92-’95 als Manager mit operativ-sportlichen Aufgaben und bei schon damals knappen Kassen beim HSV arbeitete und eben nicht als Vorstandsvorsitzender.

Seine Erfahrung und seine gute Vernetzung in Richtung DFL könnten zu einem Gewinn für den HSV werden. Im finanziellen Bereich dürfte seine bereits in Hamburg und nachfolgend jahrelang in Frankfurt nachgewiesene Solidität dafür bürgen, dass zukünftig sparsamer beim HSV gewirtschaftet werden wird, was ich nur begrüßen könnte.

Auch wenn ihm manche die vier Abstiege der Eintracht während seiner Frankfurter Zeit anlasten wollen, so lässt sich m.E. nicht bestreiten, dass er aus dem einstigen Skandal-Verein, der launischen Diva vom Main, einen seriösen Club geformt hat. Und der HSV ist leider bis auf Weiteres, wenn wir vielleicht von den Münchener Löwen absehen, der Club mit dem unverändert höchsten Skandal-Potenzial der Liga.

Niemals geht man so ganz, sagt man in Hamburg. Das galt (und gilt?) für Beiersdorfer, das gilt eben jetzt für Bruchhagen.

Nachsatz: ich habe den Einstieg dieses Blogs nachträglich korrigiert, da der Eindruck entstehen konnte, der personelle Wechsel sei noch nicht fix.

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Noch tickt die Uhr im Volkspark. Noch. VfB-HSV 2:1 (2:1)

Auch fast zwei Tage nach der Niederlage gegen den VfB Stuttgart bin ich noch einigermaßen fassungslos angesichts dessen, was der HSV am vorletzten Spieltag dieser Saison abgeliefert hat. Dabei ist es nicht so sehr die Niederlage an sich, auch wenn die Hamburger dringend ein Erfolgserlebnis gebraucht hätten, vielmehr ist es die Art und Weise, wie sie zustande gekommen ist.

Dabei standen die Vorzeichen vor dem Auftritt im Schwabenland so günstig, wie man es sich vor Wochen aus Sicht des HSV kaum noch zu erhoffen wagte. Sieben Punkte aus drei Spielen unter Trainer Bruno Labbadia genügten, und der HSV hätte eine ganze, verkorkste Saison doch noch zu einem halbwegs versöhnlichen Abschluss bringen können. Da gelingt ausgerechnet dem längst abgeschriebenen und mehrfach aussortierten Gojko Kacar sogar ein früher Führungstreffer, das Tor zum Klassenerhalt steht plötzlich sperrangelweit offen, doch dann liefert der HSV diese wirklich erschütternde Minusleistung. Die mühsam erkämpfte tabellarische Ausgangslage, den sich aus der Führung ergebenden taktischen Vorteil – alles verschenkt. Wenn man sich als Hamburger einer Sache inzwischen sicher sein kann, dann der, dass der HSV allen regelmäßigen gegenteiligen Beteuerungen aus Vereins- und Mannschaftskreisen zum trotz schon lange keine wirklich funktionierende Mannschaft besitzt. Keine Struktur, keine funktioniernde Hierarchie, kein wirklicher Plan. Das, was da seit Jahren die Hamburger Farben vertritt, ist längst nur noch ein Trümmerhaufen. Solisten, die mit beängstigender Regelmäßigkeit versagen, die sich z.T. feige verstecken, die regelmäßig Alibi-Fußball abliefern und dabei eklatante technische, taktische und mentale Defizite offenbaren, aber eben keine Mannschaft, in der tatsächlich jeder für den anderen arbeitet. Wie auch immer diese Saison enden mag – wenn es noch eines weiteren Beweises bedurft hätte, dass dieser über Jahre von diversen wechselnden Verantwortlichen zusammengestückelte Hamburger Kader dringend einer Generalüberholung bedarf, dann lieferten den die letzten beiden desaströsen Auftritte der Hamburger (gegen den SC Freiburg und nun das Spiel gegen die Stuttgarter).

Labbadia hatte sich im Vergleich zur Vorwoche für eine taktische Änderung entschieden. Statt in einem 4-2-3-1 ließ er den HSV in einem modifizierten 4-4-2 auflaufen.

Aufstellung: Adler – Westermann, Djourou (90. Holtby), Rajkovic, Ostrzolek – Ilicevic, van der Vaart, Kacar, Jansen (64. Stieber) – Olic – Lasogga (59. Rudnevs)

Offenbar wollte der Hamburger Trainer, der  durch Jansen (LM) und Ilicevic (RM) die Außenbahnen doppelt besetzte, die Breite des Feldes in diesem Auswärtsspiel besser absichern. Eine taktische Lösung, die ich grundsätzlich bei Lesen der Aufstellung nachvollziehbar fand, bei der aber im Verlauf des Spiels schnell offensichtlich wurde, dass sie nicht funktionierte.

Zu Beginn schien es noch so, als könne der HSV das Spiel zumindest offen gestalten. Nach einer Freistoß-Flanke van der Vaarts brachte Kacar einen Kopfball auf das Tor der Stuttgarter, der nicht gänzlich unhaltbar erschien, den Ulreich im Tor jedoch dennoch nicht abwehren konnte (12.).

Mit einem Treffer auswärts in Führung – besser hätte sich das Spiel aus Sicht der Hamburger prinzipiell gar nicht entwickeln können. Dennoch übernahmen nach einer Viertelstunde die keineswegs geschockt wirkenden Gastgeber mehr und mehr das Kommando und stürzten den HSV von einer Verlegenheit in die nächste. Dafür gab es in meinen Augen gleich mehrere Gründe:

Die Gastgeber verschlossen bei Ballbesitz der Hamburger konsequent den Passweg zu van der Vaart, attackierten auch Kacar und erzwangen so den Spielaufbau über den spielerisch limitierten Hamburger Innenverteidiger Rajkovic. Es folgte meist das inzwischen sattsam bekannte Muster: Ein langer Pass „mit Ansage“, der mühelos für die aufmerksam verteidigenden Schwaben zu antizipieren war, oder der lange, hohe Ball auf Lasogga, der allerdings nach einem heftigen Zusammenprall (mit Olic) nach einem Kopfballversuch schon früh angeschlagen wirkte. Beides führte in der Regel zum sofortigen Ballverlust für die Hamburger.

Dass über die rechte Außenbahn aus Sicht der Hamburger wenig ging, kann bei der personellen Besetzung kaum verwundern. Ilicevic hat, obwohl Rechtsfuß, in der Vergangenheit auf diesem Flügel selten überzeugen können; Westermann ist in der Vorwärtsbewegung auf der Außenbahn auch dank seiner technischen Defizite schlicht zu limitiert.

In Nibelungentreue mit van der Vaart Richtung Liga 2

Gravierender einmal mehr war jedoch die mangelhafte Vorstellung van der Vaarts. Wenn man von der Vorlage zum Führungstreffer einmal absieht, dann fiel er während der neunzig Minuten nur durch enervierendes Gemotze und Foulspiele auf. Zwar ist es wahr, dass der Niederländer während des Spiels gewöhnlich um die 12 Kilometer läuft, jedoch trabt er die meist in ein und demselben Tempo. Wird er in ein wirkliches Sprintduell gezwungen, wird seine inzwischen ungenügende Konkurrenzfähigkeit sofort unübersehbar. Dazu gesellt sich bei ihm ein erbärmlich schwaches Zweikampfverhalten (zeitweilig unter 20 Prozent gewonnene Zweikämpfe), welches für einen Spieler im zentralen Bereich des Feldes heutzutage als absolut inakzeptabel zu bewerten ist. Dass er sich zum wiederholten Male (und dann noch in der Nachspielzeit!) eine vollkommen unnötige gelbe Karte abholte, damit dem Verein im letzten Saisonspiel nicht zur Verfügung stehen wird, betrachte ich, so hart muss ich es inzwischen ausdrücken, keineswegs als Schwächung sondern geradezu als Segen! Wer es jetzt noch nicht begriffen hat, dem ist wahrlich nicht mehr zu helfen. Van der Vaarts Rückkehr dürfte als eines der größten Missverständnisse in die auch in dieser Beziehung gewiss nicht arme HSV-Historie eingehen. Unter den Bedingungen des heutigen Bundesligafußballs wirkt er wie aus der Zeit gefallen. Läuferisch und auch in Sachen Handlungsschnelligkeit viel zu behäbig, zu langsam, mit zu großem Raumbedarf und zudem undiszipliniert. Stratege war er nie, defensiv ist er erschreckend schwach, und ein Führungsspieler im originären Sinne wird er im Leben auch nicht mehr werden. Das beweisen seine zahlreichen Eskapaden. Van der Vaart mag in einer schwächeren und langsameren Liga eine funktionierende Mannschaft immer noch besser machen, beides aber hat der HSV inzwischen seit Jahren nicht mehr. Sollte am Ende dieser Saison für den HSV tatsächlich der Abstieg in die Zweitklassigkeit folgen, dann dürfte m.E. einer von mehreren Gründen in der Nibelungentreue zu finden sein, mit der man an diesem inzwischen nicht mehr wettbewerbsfähigen Spieler festgehalten hat. Dass Labbadia trotz des sich früh abzeichnenden, erneuten Totalausfalls van der Vaart, der auch daraus resultierenden Überforderung Kacars und nachfolgend der Dominanz der Stuttgarter im zentralen Mittelfeld keine Konsequenzen zog, obwohl mit Jiracek und Diaz eine lauf- und kampfstarke (Jiracek) sowie eine spielstarke (Diaz) Alternative zur Verfügung stand, muss man ihm m.E. als Teilschuld an der Niederlage zurechnen.

Schema F

Erschreckend auch, wie einfallslos und vorhersehbar der HSV keineswegs zum ersten Male spielte. Im Grunde knüpfte man nahtlos an die schon bedenklich schwache Leistung des Freiburg-Spiels an. Offensivspieler verharren regelmäßig im Deckungsschatten des Gegners, einfachste Pässe über fünf bis 10 Meter werden ins Seitenaus oder dem Gegner in die Beine gespielt; Rajkovic köpfte selbst dann, wenn er Zeit und Alternativen besaß, jeden Ball stur nach vorne und damit zum gut antizipierenden Gegner, statt ggf. Ruhe ins Spiel zu bringen und den eigenen Angriff hintenherum kontrolliert aufzubauen. In der Summe muss man nüchtern feststellen: mit derartigem Gebolze wäre es sogar in der Zweiten Liga schwer, die Klassen zu halten. Vom sofortigem Wiederaufstieg bräuchte man ggf. bei derartigen Darbietungen gar nicht erst träumen.

Statt den aus dem Führungstreffer resultierenden taktischen Vorteil auszunutzen und die Stuttgarter auszukontern, bettelte der HSV förmlich um die Gegentreffer. Schon vor dem Ausgleichstreffer durch Gentner  (27.) gelang es den Hamburgern praktisch nie, Angriffe konstruktiv zu Ende zu spielen und damit gleichzeitig für Entlastung der eigenen Abwehr zu sorgen. Beispielhaft die Szene vor dem Ausgleich, als Kacar einen Ball ungenügend klärte und genau in den Lauf eines Stuttgarters spielte. Ob auch Adler, dem der Schuss Gentners am Ende durch die Beine rutschte, eine Teilschuld trifft, ist angesichts der Vielzahl der Stuttgarter Tormöglichkeiten nebensächlich. Allein Adler ist es letztlich zu verdanken, dass es „nur“ eine knappe Niederlage und kein im Grunde hochverdientes Debakel wurde.

Für ebenfalls fast unerheblich halte ich die zweifellos missglückte Abwehraktion Westermanns, die dem Siegtreffer der Schwaben durch Harnik (35.) vorausging. Immerhin hatte man zu diesem Zeitpunkt noch eine ganze Stunde Restspielzeit (inklusive Nachspielzeit). Es spricht Bände, dass sich der HSV in dieser Stunde als unfähig erwies, auch nur eine einzige, echte Torchance herauszuspielen.

Fazit: Der HSV hat den Klassenerhalt nicht mehr in der eigenen Hand. Auch wenn die miserablen Vorstellungen insbesondere der letzten beiden Spiele – das Wort Leistung wäre hier ein unangebrachter Euphemismus – kaum Hoffnung machen, wäre es falsch, sich vorschnell mit der Zweitklassigkeit abzufinden. Noch tickt die Uhr im Volkspark, auch wenn es im Grunde fünf nach zwölf steht.  Und auch wenn alle Ergebnisse des vergangenen Wochenendes der Konkurrenten ungünstig waren, besteht dennoch eine wenn auch nunmehr deutlich kleinere Chance, mit einem Sieg gegen den FC Schalke 04 mindestens den vorerst rettenden Relegationsplatz zu erreichen. Im Übrigen ist man es dem eigenen Publikum schuldig, eine mindestens kämpferisch erstklassige Leistung anzubieten.

Schiedsrichter: Manuel Gräfe (Berlin). Ließ das Spiel laufen und beruhigte durch sein Auftreten die Gemüter. Maß allerdings mitunter mit zweierlei Maß  zu Ungunsten der Gäste. Das ist aber weder der Grund für die Niederlage noch für den wieder einmal blutleeren, desaströsen Auftritt des HSV. Der muss sich schon an die eigene Nase fassen, wenn er absteigen sollte. Wenn.