Monat: Februar 2014

Vorschau: Ost-Delmenhorst – Hamburger SV

Den folgenden Text habe ich bereits 2009 geschrieben und nur geringfügig angepasst. Auch wenn es dieses Mal zum 100. Derby kommt und die sportliche Lage für beide Vereine als durchaus prekär einzuschätzen ist – der Text erscheint mir im Grunde zeitlos und unverändert aktuell. Los geht ’s:

Warum die „Unaussprechlichen“ unbedingt absteigen müssen und dies hoffentlich nie geschieht – oder: warum Fußball mit dem Kopf gespielt wird

Mit dem Rivalen östlich von Delmenhorst ist das so eine Sache. Ehrlich gesagt, ich habe lange Zeit gar nicht wahrgenommen, dass in der Nähe dieses von unserer Elbe entfernt plätschernden Baches, dessen Name mir gerade entfallen ist, tatsächlich Fußball gespielt wird. Warum auch?! Näher lagen mir damals die wirklich wichtigen Vereine: Vor allem der SV Tonndorf-Lohe 1921, aber auch Paloma und die Jungs aus Hinschenfelde (ach, wie schön war es, die mit einer richtigen Packung nach Hause zu schicken! – nur gelag dies eher selten). Auch schön fand ich damals die Trikots von RW Essen, oder die der Zebras aus Duisburg. Doch zu der Zeit hatten wir auch Plastikstühle und eine gepunktete Tapete im Wohnzimmer, deren längerer Anblick den Konsum illegaler Drogen gänzlich überflüssig werden ließ.  Die Helden meiner Kindheit waren Kargus („Elfer-Killer“), Nogly, Klaus Zaczyk, „Schorsch“ Volkert (weil er auf meiner Position spielte), „Mighty Mouse“ Keegan, Ole Björnmose und natürlich „Uns Uwe“. Diese Namen trugen wir als Kinder, wenn wir auf dem Handballfeld an den Bahngleisen hinter dem Grandplatz etwa 4 gegen 4 spielten, je nachdem auf welcher Position man gerade spielte. Wenn wir mit „fliegendem“ Keeper spielten, konnte „Kargus“ innerhalb eines Spielzuges erst ein Glanzparade zeigen, dann als „Volkert“ einen Gegner auf dem linken Flügel schwindelig spielen, um im nächsten Atemzug eiskalt wie Seeler zu vollstrecken. Alle unsere Spiele wurden, wirklich wahr, live im Radio kommentiert, doch ich schweife ab.

„Ritter Kuno“, unseren damaligen Trainer fand ich sympathisch, schon des Namens wegen. Und mit ihm kam der Erfolg. Später, Brancos Eskapaden ließen mich als Kind gänzlich unberührt und taten meiner Liebe keinen Abbruch, folgte bekanntlich die Ära des großen Grantlers aus Wien. Noch heute kann ich ihn, als wäre es gestern gewesen, unter dem Dach der tiefer gelegten und ummauerten Auswechselbänke der alten Schüssel hervorkommen sehen, um mit ein, zwei kurzen Gesten unsere Mannschaft zur Raison zu bringen. Zum Glück war dies damals eher selten nötig. (Kein Vergleich zu diesen Tigern von heute in der „coachingzone“. Dazu war das Genie auch viel zu souverän.)

Dann gingen sie, Dr. Klein, Netzer und Happel. Und auch meine neueren Helden, etwa Manni und Horst verließen mich, einer nach dem anderen. Wenn ich mich recht erinnere, sagte Happel bei seinem Abschiedsauftritt im Aktuellen Sportstudio dem HSV eine lange, lange Durstperiode voraus. Ich wollte es nicht glauben, – doch sie kam wirklich, die große, große Dürre…

Ungefähr zu dieser Zeit schielte ich neidisch nach Süd-Westen. Otto hatte etwas „Väterliches“, bisweilen auch etwas unfreiwillig komisches, wenn er Goethe zitierte. Und Otto hatte vor allem eins: Erfolg! Willi Lemke bot in meiner Wahrnehmung als Einziger den entnervend dauererfolgreichen „Österreichern“ die Stirn, und der Präsident hatte die Seriosität, die ich zunehmend bei unseren zu vermissen begann. Während bei uns Hertzsch, „Ho-Ho-Hollerbach“, „Lumpi“ Spörl und Albertz bereits als Ausweis von Qualität galten, hielten Ottos Mannen in der endlosen Schlacht gegen die Übermacht des Südens tapfer die norddeutsche Fahne hoch und lieferten manch unvergessenen Fight im Europa-Pokal. Doch was mich schon damals wirklich wurmte: bei denen spielten „unsere“ Leute! Hamburger, die für den HSV angeblich zu schlecht gewesen sind.

Ein Paar Jahren ging es bei uns, endlich, endlich, langsam und kontinuierlich aufwärts. Je näher wir aber in „deren“ Reichweite kamen, desto grausamer empfand ich eine Niederlage. Umso ärgerlicher, wenn eine Papierkugel, also höhere Mächte, die längst fällige Erlösung verhinderte. Ärgerlich auch deswegen, weil „die“ einen blasierten Schnösel im Tor stehen hatten. Der hielt gut, keine Frage, aber für echte Hanseaten blieb der Mann eine Zumutung. Denn Schnösel haben wir in manchem Stadtteil bereits wahrlich selber mehr als genug. Danke, keinen Bedarf! Und noch was, was mich kolossal nervte: In Schnöseldorf arbeiten Trainer und Sportdirektor von kurzen Unterbrechungen abgesehen kontinuierlich, unaufgeregt und seriös jahrelang Hand in Hand. Fußball wird auch abseits des Platzes im Kopf entschieden. Wenn ich dann bei uns an die Vereinsgremien denke, dann könnte ich – beinahe – deren Vereinsnamen voll ausschreiben. Aber nein, niemals!!!

Doch stellen wir uns vor, unser einziger wirklicher Rivale würde absteigen. Nein, das geht nicht, bei aller dann fälligen Schadenfreude. Denn die wirklich ganz, ganz großen Siege kann man nur gegen mindestens ebenbürtige Gegner erringen. Und sollte es dieses Mal nicht klappen, dann hoffe ich eben unverdrossen auf das nächste Mal. Während ich dann warte, summe ich zur Beruhigung das folgende Mantra:

Wir sind der Dino, die Einzigen, unabsteigbar, wir bleiben immer da! Da könnt Ihr kicken wie Ihr wollt, basta!

Soweit der damalige Text. Für das anstehende Derby erwarte ich in der Startaufstellung zunächst nur eine Veränderung im Vergleich zum Spiel gegen den BvB: Diekmeier für den erkrankten Westermann. Der wieder genesene van der Vaart könnte zunächst mit einem Platz auf der Bank vorliebnehmen müssen, wird aber mindestens wohl eingewechselt werden.

Patient HSV (Teil 2) – Leitsätze

Anknüpfend an meinen letzten Beitrag möchte ich nun versuchen, einige Leitsätze zu formulieren, die der Vereinskultur des Hamburger Sportvereins zukünftig eine schärfere Kontur verleihen sollen. Das war jedenfalls mein ambitionierter Masterplan. Man mag einwenden, dass sich die dort festgehaltenen Aussagen mindestens zum Teil bereits aus der Satzung des Vereins ergeben. Gleichwohl denke ich, dass der Inhalt der Sätze als ein Destillat greifbarer, einprägsamer und damit richtungsweisender sein kann. Ausdrücklich sei erneut betont, dass es sich lediglich um Vorschläge handelt. Die Vergangenheit, und hier meine ich vor allem die letzten drei, vier Jahre haben meiner Auffassung nach deutlich(st) aufgezeigt, dass eine weitere inhaltliche Debatte über das, was die Buchstaben HSV zukünftig bedeuten könnten sollen,  geführt werden muss und keineswegs als abgeschlossen zu betrachten ist.

Wenn ich die Kommentare richtig verstehe, dann sollten die Leitsätze eine Reihe von Themenfeldern abdecken. Als da vor allem wären: Breitensport, Leistungssport, die besondere Rolle des Profifußballs, die Talentförderung, den wirtschaftlichen Bereich, die Gremien und die Außenwirkung. Wer Korrekturen oder Ergänzungen für notwendig hält – immer her damit! Unabhängig von den Fehlentwicklungen und -leistungen der jüngeren Vergangenheit meine ich, dass der HSV als Hamburger Verein sich auf seine hanseatischen Wurzeln besinnen sollte. Dazu gehören für mich Liberalität, Weltoffenheit, Seriösität, aber eben auch Exzellenz (nicht nur aber auch im wirtschaftlichen Geschäftsverkehr). Mit meinem Debattenbeitrag versuche ich also auch dieses Hanseatische bewusst zu beleben.

Hier also meine Vorschläge:

1. Der Hamburger Sportverein ist ein Universalsportverein, der bestrebt ist, seinen Mitgliedern die Ausübung von Breiten- und Leistungssport anzubieten. Als Verein aus Deutschland ist die Vereinssprache Deutsch. Sofern Angestellte des Vereins eine andere Muttersprache haben, müssen sie, sofern dies für ihre jeweiligen Aufgaben nötig erscheint, binnen einer angemessener Frist die deutsche Sprache in Wort und Schrift nachweisbar angemessen beherrschen;

2. Der Verein steht grundätzlich jedem Menschen gleich welcher Hautfarbe, Religion oder weltanschaulicher Auffassung offen. Jegliche Formen des politischen Extremismus, der sozialen Stigmatisierung oder Diskriminierung werden vom Verein jedoch aktiv bekämpft;

3. Im HSV begegnen sich Angestellte, Mitglieder, Fans, sportliche Gegner und Gäste stets mit Respekt, Fairness und Wertschätzung. Der Verein ist stolz auf seine Tradition der demokratischen Mitbestimmung durch seine Mitglieder. Diese sind grundsätzlich und in allen Fragen oberster Souverän des Vereins;

4. Im Bereich aller wirtschaftlichen Aktivitäten des Vereins gilt das Primat des nachhaltigen Wirtschaftens. Grundsätzlich sollten alle Abteilungen im Verein ihre Kosten aus eigenen Mitteln, bzw. anteilig aufgrund ihrer Abteilungsmitglieder tragen können. Ausgenommen von dieser Regel bleibt der Bereich Leistungssport, sofern dies aus übergeordneten Gründen sinnvoll erscheint. Abbau von Verbindlichkeiten und infrastrukturelle Investitionen zur Gewährleistung bester Ausbildungs- Trainings- und Wettkampfbedingungen haben im Zweifel stets Vorrang vor allen anderen Investitionen;

5. Der Verein ist sich der überregionalen und daher gesondert zu betrachtenden Bedeutung seiner Fußballlizenzspieler-Abteilung auch für das Ansehen der Marke HSV bewusst. Insbesondere ist ihm bewusst, dass Profifußball den Bedingungen schärfsten Wettbewerbs, sportlich wie wirtschaftlich, unterliegt. Der HSV strebt nach größtmöglichen sportlichen Erfolg und ist bestrebt, die dafür notwendigen finanziellen Mittel grundsätzlich bereit zu stellen. Aufgrund der enormen wirtschaftlichen Risiken obligen etwaige Entscheidungen in diesem Bereich jedoch ausschließlich Personen, die eine einschlägige Qualifikation hinreichend glaubhaft machen können;

6. Als Hamburger Verein bemüht sich der HSV vorrangig um Talente aus Norddeutschland und den angrenzenden Nationalstaaten (Skandinavien, Benelux, Polen). Talentförderung hat als anzustrebendes Ziel einen durchweg hohen Stellenwert. Der Verein ist daher grundsätzlich bestrebt, ausschließlich Trainer (z.B. Fußball-Lehrer) und Betreuer mit jeweils höchster nachweisbarer, fachlicher Qualifikation zu beschäftigen. Dies gilt ausdrücklich auch für den Nachwuchsbereich in allen Altersstufen;

7. In allen Führungsgremien soll ein sachlich angemessenes Verhältnis notwendiger Kompetenzen (z.B. Wirtschaft und Sport) erreicht werden, bzw. stets gewährleistet sein. Entsprechende fachliche Qualifikationen sind auf geeignetem Wege nachzuweisen. Grundsätzlich ist der Verein bestrebt, fachliche Exzellenz in all seinen Bereichen zu erreichen;

8. Soweit es sportliche Fragen betrifft, so obliegt es grundsätzlich allein der jeweiligen sportlichen Leitung, diese zu formulieren und nach außen zu kommunizieren. Der Verein gibt jeweils ein sportliches Konzept vor, das personenunabhängig kontinuierlich zu verfolgen ist. Sofern personelle Umbesetzungen notwendig erscheinen, muss die Kontinuität bei der Verfolgung des Konzepts aufrecht erhalten werden;

9. Der Hamburger Sportverein ist ein souveräner Verein. Der Vorstand vertritt durch seinen Vorsitzenden in allgemeinen Fragen den Verein nach außen. Der Mediendirektor ist im Bedarfsfall ausdrücklich legitimiert, eigenverantwortlich die Sichtweise des Vereins proaktiv nach außen zu vertreten. Zwischen Vorstand und Medienabteilung werden Inhalte fortlaufend abgestimmt und dann mit einheitlicher Sprachregelung in der Öffentlichkeit kommuniziert;

10. Der Aufsichtsrat ist ein wirtschaftliches Kontrollorgan. In der Öffentlichkeit wird er ausschließlich durch seinen jeweiligen Vorsitzenden vertreten. Dieser äußert sich in seiner Funktion dort allein zu Fragen, die tatsächlich in den Zuständigkeitsbereich des von ihm geleiteten Gremiums fallen.

Was meint Ihr zu diesen Leitsätzen? Erfüllen sie überhaupt den von mir angedachten Zweck, nämlich dem Bild des HSVs zukünftig eine schärfere Kontur zu verleihen? Sind sie vielleicht sogar gänzlich überflüssig – zumindest für den Fall, dass HSVPlus am 25. Mai beschlossen werden sollte? Fehlt etwas Wesentliches, oder haltet Ihr nur bestimmte Punkte für verzichtbar? Könnt Ihr euch mit einem solchen HSV, wie er hier formelhaft beschrieben wird, identifizieren? Ich bin gespannt auf Eure Kommentare.