Monat: April 2019

Mehr als eine Niederlage

1. FC Union Berlin – Hamburger SV 2:0 (0:0)

Vor der Partie des HSV in Berlin beim 1. FC Union überraschte HSV-Trainer Hannes Wolf einmal mehr mit seiner Startformation.

Startelf: Pollersbeck – Jung (57. Lasogga), Lacroix, van Drongelen – Janjicic – Douglas Santos – Narey, Hunt, Vagnoman (46. Hwang), Jatta – Özcan (74. Wintzheimer)

Ich hatte hier durchaus mit dem Einsatz von Özcan und Vagnoman gerechnet, allerdings auch erwartet, dass Wintzheimer als Sturmspitze beginnen würde, da er sich zuletzt zwei Mal als Torschütze auszeichnen konnte. Doch Wolf entschied sich zu einer Aufstellung mit Özcan als s.g. Falscher Neun.

Das Spiel begann mit einer Großchance für die Gastgeber. Bereits in der 1. Minute hätte Andersson den Führungstreffer aus kurzer Distanz erzielen können, aber er traf zum Glück für den HSV den Ball nicht richtig und verfehlte doch klar das Tor. Danach wurde schnell klar, welches taktische Konzept Wolf erdacht hatte. Der HSV agierte zunächst meist in der Abwehr mit Dreierkette, wobei Jung deren rechten Part und Lacroix das Zentrum bespielte. Vagnoman spielte weder wie von vielen erwartet Rechts- noch Linksverteidiger sondern links außen im Mittelfeld. Dessen defensives Zentrum hielt meist Janjicic, während Hunt klar offensiver spielte. Douglas Santos rückte erneut aus dem linken Halbfeld oft bis in Mittelfeldzentrum und sollte augenscheinlich von dort bei eigenem Ballbesitz im Zusammenspiel mit Hunt das Spiel ankurbeln. Vorne kam Narey meist über rechts außen, während Özcan und Jatta wahlweise eine Doppelspitze beim Anlaufen bildeten oder auf die die linke Seite auswichen. Unter dem Strich versuchte Wolf also das Mittelfeld personell zu überladen, zumal Jung bei eigenem Ballbesitz oft bis zur Mittellinie aufrückte, während Lacroix und Rick van Drongelen zunächst klar defensiver blieben. Die Unioner ihrerseits spielten aus einem klaren 4-4-2.

Nach der Schrecksekunde in der ersten Spielminute entwickelte sich ein von vielen Zweikämpfen geprägtes, fahriges Spiel mit leichten Vorteilen für den HSV. Denn in der 18. Minute vergab Hunt nach schöner Vorarbeit von Jatta relativ leichtfertig eine große Chance. Sein Schuss verfehlte doch (zu) klar das Tor. In der 31. Minute war es dann Jatta, der mit seinem Abschluss nur den Kopf von Gikiewicz im Tor der Unioner traf und so eine weitere Torchance für die Hamburger vergab. Die Berliner wurden ihrerseits offensiv nicht gefährlich, ließen defensiv allerdings auch kaum Lücken für den HSV. Das torlose Unentschieden zur Halbzeit entsprach somit durchaus dem Spielverlauf.

Als Zwischenfazit zur ersten Spielhälfte kam ich zu dem Ergebnis, dass es trotz des von Wolf gewählten Systems nicht gelungen war, das Mittelfeld wie gewünscht zu dominieren. Man sah zwar immer wieder positionelle Wechselspiele und Verschiebungen, aber Hunt und Douglas Santos wirkten bereits da auf mich ungewohnt fahrig und auch unkonzentriert. Immer wieder konnte man bei beiden Fehlpässe oder leichte Fehler bei der Ballannahme beobachten, die man so normalerweise von beiden Spielern nicht sieht. Ich schrieb daher auf Twitter:

Der #HSV mit zwei guten Möglichkeiten, von Union kommt bisher nichts. Aber dennoch eines dieser Spiele, bei denen man befürchten muss, dass sich der HSV durch einen individuellen Patzer am Ende selbst schlägt.

Schon kurz nach der Pause, in der 46. Minute, sollte sich dies leider bewahrheiten. Janjicic spielte einen Rückpass auf Jung, der dann mehr als leichtfertig den Ball am rechten Strafraumeck des HSV stehend an den Unioner Abdullahi vertändelte. Es folgte ein Querpass zu Zulj, der danach keine Mühe hatte, Pollersbeck zur 1:0-Führung für Berlin zu überwinden. Ein grober, ganz schwerer individueller Fehler von Gideon Jung, das muss man in aller Klarheit so benennen. Und es ist leider seit seiner Rückkehr nicht sein erster schwerer Patzer sondern mindestens der dritte oder vierte in den letzten Wochen!

Zuvor hattte Wolf bereits auf die keineswegs überzeugende Leistung seiner Mannschaft reagiert und zur Pause den auf mich überfordert wirkenden Vagnoman durch Hwang ersetzt. Damit einher ging zunächst eine Umstellung. Özcan hielt nun vermehrt die linke Außenbahn, während Hwang offenbar als zweite Spitze in die Tiefe stoßen sollte. Leider sollte auch dieser Plan nicht aufgehen, denn Hwang spielte erneut fast ohne jede Bindung zur Mannschaft.

Die Berliner, angepeitscht von ihrem Publikum, gewannen durch die Führung spürbar dennoch an Selbstvertrauen und wurden nun von Minute zu Minute torgefährlicher, ohne dass sich die Hereinnahme Hwangs positiv auf das Spiel des HSV auswirkte.

In der 57. Minute kam dann eine für mich überfällige Auswechselung. Wolf nahm Jung aus dem Spiel und brachte mit Lasogga einen echten Stoßstürmer. Aber auch dieser Wechsel, so viel sei verraten, erwies sich rückblickend betrachtet als völlig wirkungslos. Gegen eine Berliner Mannschaft, die mit der Führung im Rücken das eigene Tor leidenschaftlich verteidigte, die Räume konsequent verengte und dabei auch mit hart geführten Zweikämpfen und notfalls auch mit Fouls jeden Angriffsversuch des HSV bereits im Ansatz unterbrach, blieb auch Lasogga vollkommen wirkungslos. Das lag aber auch daran, dass dem HSV die offensiven Lösungen fehlten und er gar nicht in Szene gesetzt wurde, besser gesetzt werden konnte.

Hunt und Douglas Santos unter Form, bzw. konsequent gestört, traten die spielerischen und technischen Mängel der Hamburger Mannschaft einmal mehr deutlich hervor. So sah man beispielsweise Rick van Drongelen mit Ball am Fuß tief in die gegnerische Hälfte vorstoßen, allein es fehlten die Ballabnehmer oder es mangelte an Übersicht und technischer Qualität, um sich aus den verengten Räumen an der Außenlinie konstruktiv herauszuspielen, ohne zwischenzeitlichen Raumgewinn oder gleich den Ball wieder zu verlieren. Auch in diesem Spiel konnte man es wieder sehen: Es wird zu viel mit dem Ball am Fuß gelaufen, was dem Gegner regelmäßig die Zeit gibt, um sich defensiv zu ordnen. In der Folge wurde die Mannschaft von Union noch selbstsicherer und kam zu einigen guten Konterchancen.

Wolf zog eine Viertelstunde vor Schluss seine letzte Wechseloption, nahm Özcan für Wintzheimer aus dem Spiel und brachte somit einen zweiten Mittelstürmer. Die Idee dahinter war wohl, mit Jatta über die für ihn gewohnte linke Außenbahn und Hwang/Hunt über rechts außen einen der beiden Stürmer zu bedienen. Dies, auch so viel sei hier bereits verraten, gelang jedoch ebenfalls nicht.

In der 80. Minute ließ sich Douglas Santos, offensichtlich entnervt von einem fortgesetzten Foulspiel des ihn verfolgenden Kroos zu einer Tätlichkeit hinreißen. Dass Schiedsrichter Stegemann hier beiden Spielern nur Gelb und dem Brasilianer eben nicht Rot zeigte, war großes Glück für den HSV.

Wenige Minuten später unterlief dem zunehmend ebenfalls überfordert wirkenden Janjicic ein Fehler. In der Folge gelang Prömel mit einem sehenswerten Fernschuss das vorentscheidende 2:0 für Berlin (84.).

Fazit: Durch die aufgrund der absolut enttäuschenden und schwachen Leistung in der zweiten Spielhälfte verdiente Niederlage verliert der HSV nicht nur dieses Spiel hoch verdient, sondern rutscht aus den zum Aufstieg berechtigenden Rängen auf Platz 4. Er hat es damit nicht mehr in eigener Hand sondern muss nun in den verbleibenden Spielen auf Ausrutscher der Konkurrenz hoffen.

Die Mängelliste im Spiel des HSV ist lang. Schlechte Zweikampfführung (nur 46% gewonnen Zweikämpfe), zu langsame Ballzirkulation, kaum offensive Lösungen, technische Mängel und gleich mehrere individuelle Fehler – so kann man kaum gewinnen.

Hannes Wolf muss sich einmal mehr kritische Fragen gefallen lassen. Warum er einen Stürmer auf die Bank verbannt, der zuvor zwei Mal getroffen hatte (Wintzheimer); Warum er der Mannschaft ein anspruchsvolles Spielsystem mit Falscher Neun verordnete statt Jatta links außen zu belassen, wo er in den letzten Spielen die stärksten Leistungen zeigen konnte; warum er Jung erneut und dann auch noch in gänzlich ungewohnter Position einsetzte, obwohl dieser Spieler ganz offensichtlich nach langer Verletzung weit von seiner Normalform entfernt ist; warum er erneut auf Hwang setzte, der bis auf sein allererstes Spiel für den HSV ausnahmslos enttäuscht hat, dies ist nur eine Auswahl an offenen Fragen.

Wolf hat die Mannschaft aus meiner Sicht unbestreitbar taktisch variabler gemacht, überfordert sie möglicherweise jedoch mit den permanenten Systemumstellungen. Weder ist sein taktisches Konzept hier aufgegangen, noch hat einer seiner Wechsel gezündet. Das ist jedenfalls unbestreitbar.

Die gegenwärtige Situation macht mich zunehmend ratlos. Denn auch wenn ich manche Entscheidungen Wolfs nicht nachvollziehen kann und kritisiere, so meine ich eben auch strukturelle Mängel im Kader zu erkennen, die er nicht zu verantworten hat. Ob eine Rückkehr in die erste Liga unter diesen Umständen gelingt, ist nunmehr mehr als fraglich wenn auch noch nicht ausgeschlossen. Eins sollte aber jedem und jeder klar sein: Misslingt der Aufstieg, wird dadurch für den HSV nichts besser. Ganz im Gegenteil! Alles andere ist Legendenbildung oder reines Wunschdenken.

Schiedsrichter: S. Stegemann (Niederkassel). Hätte in der 80. Minute Douglas Santos wegen einer Tätlichkeit (Nachtreten nach wiederholtem Foulspiel durch Kroos) Rot zeigen können, wenn nicht gar müssen.

Aus der Traum!

Hamburger SV – RB Leipzig 1:3 (1:1)

Der HSV unterliegt RB Leipzig im DFB-Pokalhalbfinale und scheidet vor heimischen Publikum in der Vorschlussrunde aus. Damit waren die Hamburger im diesjährigen Wettbewerb erfolgreicher als in den vergangenen Jahren, aber der Traum vom Finaleinzug, er ist leider geplatzt.

Ich möchte abweichend von meinen üblichen Spielberichten keine Taktikanalyse schreiben, sondern einige Thesen zur Diskussion stellen, die sich meines Erachtens aus dem Spiel ergeben.

  • Der HSV hat sich sehr achtbar gegen klar überlegene Leipziger aus der Affäre gezogen. Hätte man zu Beginn bereits klarer als nur mit einem Tor zurückliegen können, so gelang es nach dem 1:1 durch Jatta zumindest rund zwanzig Minuten annähernd auf Augenhöhe mit dem Gegner zu spielen. Leider verpasst es Narey in dieser Phase gleich zwei Mal, den Führungstreffer zu markieren. Ob dies am Spielausgang tatsächlich etwas geändert hätte, bleibt angesichts des dennoch erkennbaren deutlichen Klassenunterschieds zwischen beiden Teams dennoch sehr fraglich.
  • Es war einmal mehr Hamburgs heimlicher Spielmacher Douglas Santos, der mit seiner Leistung neben dem unermüdlichen Torschützen Jatta aus der Mannschaft herausstach. Dass der HSV zumindest in der ersten Halbzeit gleich mehrfach offensiv gute spielerische Lösungen fand, lag an seiner im Vergleich zu den vergangenen Spielen höheren und zentraleren Positionierung. Neben Aaron Hunt ist es im Wesenlichen Santos, der über die nötige Kreativität und spielerische Klasse verfügt. Jung, Mangala, Holtby, Janjicic – keiner erreicht das Niveau des Brasilianers. Für die nächste Spielzeit hat der HSV bekanntlich bereits Kinsombi aus Kiel verpflichtet. Ob dieser allein das spielerische Niveau im Mittelfeld verbessern wird, bleibt bei dem zu erwartenden Abgang von Douglas Santos derzeit mehr als fraglich.
  • Bei Vagnoman, Janjicic und mindestens in der Anfangsphase der Partie auch bei Rick van Drongelen spürte man förmlich die große Nervosität angesichts des starken Gegners. Sollte der Aufstieg in die Bundesliga gelingen, werden sie sich steigern müssen.
  • Der als angeblicher Leichtathlet geschmäte Jatta entwickelt sich immer mehr zum Leistungsträger. Narey erreicht nicht dessen Wirkungsgrad. Für die kommende Saison wurden mit Dudziak und Gyamerah zwei gelernte Rechtsverteidiger verpflichtet. Da Sakai den HSV wohl Richtung Japan verlassen wird, wird die rechte Außenbahn personell wohl anders besetzt werden. Denkbar wäre ein Wechsel von Jatta nach rechts, da Jairo Samperio nach langer Verletzung zurückkehrt. Ob Letzterer aber tatsächlich als Verstärkung zu betrachten sein wird, bleibt nach der langen Ausfallzeit fraglich.
  • Auch das gestrige Spiel belegte erneut, warum ein Abgang Lasoggas zum Saisonende sogar wünschenswert wäre. Mindestens in der 1. Bundesliga würde der HSV auf größtenteils spielerisch wie individuell überlegene Gegner treffen, die ein schnelles Umschaltspiel fast schon zwingend erforderlich machen. Eine dominante Spielanlage dort mit diesem Kader gegen Teams der oberen Tabellenhälfte ist illusionistisch. Kolportierte 1,5 Mio Gehalt sind für einen potenziellen Ergänzungsspieler, der im Wesentlichen nur dann zum Einsatz kommen dürfte, wenn die s.g. Brechstange ausgepackt werden muss, zu viel. Von dem medialen Getöse, das man sich regelmäßig bei dessen Nichtberücksichtigung für die Startelf einfängt, gänzlich abgesehen.
  • Das gestrige Spiel zeigte aber auch, dass sich für den HSV Räume ergeben, wenn sich der Gegner eben nicht nur auf Spielzerstörung fokussiert, sondern seinerseits das Spiel machen will. Angesichts der zahlreichen personellen Veränderungen nach der Saison sind Zweifel hinsichtlich einer eventuellen Wettbewerbsfähigkeit des HSV in der Bundesliga zwar mehr als verständlich, aber nicht nur das Beispiel Düsseldorf belegt, dass ein zu Saisonbeginn vermeintlich bereits feststehender Absteiger dennoch überraschen kann.