Monat: Juni 2014

Über Sinn und Unsinn des Befangenheitsantrages in Sachen Ausgliederung beim HSV

Heute früh erreichte mich die Meldung, der ehemalige Volleyballspieler beim HSV, Klaus Meetz, habe einen Befangenheitsantrag gegen den Richter gestellt, der dienstlich mit der Eintragung der HSV-AG in das Handelsregister betraut ist. Durch diesen Antrag, der natürlich erst geprüft werden muss, verzögert sich der ganze Vorgang um ca. zwei Wochen. Mit anderen Worten: Beiersdorfer & Co können nicht wie geplant ab dem 1. Juli die Geschäfte führen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Ich wurde gebeten, zu erklären, wie so etwas zustande kommt, was Menschen antreibt, die so (wie Herr Meetz) agieren. Dies will ich gerne versuchen. Zu beachten ist allerdings, dass ich den Antragsteller weder persönlich kenne, noch mit ihm über seine Motive gesprochen habe. Was ich hier also schreibe, ist meine subjektive, eher grundsätzliche Sicht auf derartige Vorgänge.

Zunächst einmal, dies für die Nichtjuristen, kann/darf jeder Berechtigte in einem juristischen Verfahren einen oder mehrere Richter aufgrund der Besorgnis der Befangenheit ablehnen. Dabei ist, so habe ich es einst gelernt, nicht entscheidend, ob der/die Richter tatsächlich befangen ist/sind. Es reicht aus, wenn aus Sicht des Antragsstellers begründete Zweifel an dessen/deren Unbefangenheit bestehen (könnten). Es ist also grundsätzlich festzuhalten, dass ein unvoreingenommener Richter als ein Kernelement unserer Rechtsprechung anzusehen ist. Bestehen daran Zweifel, darf man den Richter ablehnen (muss dies aber schriftlich begründen). So gesehen nimmt Herr Meetz mit seinem Befangenheitsantrag (s)ein gutes Recht wahr.

Die Frage ist natürlich zunächst, was ein solcher Antrag überhaupt bringen soll. Schließlich wird sich dadurch die Ausgliederung allenfalls verzögern, aber nicht verhindern lassen. Denn alle mit der Ausgliederung im Zusammenhang stehenden Dokumente, z.B. Satzungsentwürfe etc. sind bereits im Vorfeld der Abstimmung am 25. Mai mehrfach juristisch (auch richterlich) geprüft und akzeptiert worden. Und das  Votum der Mitglieder des Vereins war mehr als eindeutig und spricht für sich. Ich neige zu der Auffassung, dass dieser Antrag Herren Meetz dennoch etwas bringt. Allerdings ist der Nutzen in „weichen“ Zugewinnen zu suchen.

Trotz großer Geschlossenheit der Mitgliederschaft, mehr als 86% Zustimmung ist ja bei demokratischen Wahlen/Abstimmungen durchaus ungewöhnlich, gab es aber natürlich auch (erbitterte) Gegner der Ausgliederung. Offenbar, anders macht sein jetziger Antrag für mich keinen Sinn, gehört Herr Meetz dazu.

Es stand ohnehin zu befürchten, dass der eine oder andere Ausgliederungsgegner versucht sein könnte, auf juristischem Wege die Umsetzung des Mehrheitswillens zu torpedieren. Erinnere ich mich doch nur zu gut an die  Drohung eines Herrn Gottschalks auf der Versammlung, er könne ja auch alle Beschlüsse der Versammlung nachträglich anfechten, sollten er und andere weiterhin mit Buh-Rufen bedacht werden.

Die Abstimmung pro oder contra Ausgliederung glich aus meiner Sicht einer Glaubensfrage. Teilweise, so empfand ich es, hatte das Ganze schon semi-religiöse Züge. Die Mehrheit war überzeugt davon, dass der HSV ohne Ausgliederung weder sportlich noch finanziell zu retten sei. Mit anderen Worten: Ein emotionales Motiv für ihre Wahlentscheidung dürfte Angst (mehr oder minder ausgeprägt) gewesen sein. Aber auch die Ausgliederungsgegner dürfte zu einem erheblichen Teil Angst motiviert haben. Angst vor dem (angeblichen) Ausverkauf, Angst vor dem Verlust von Mitbestimmungsrechten, Angst vor der Abhängigkeit und Einflussnahme von bspw. Herrn Kühne. Halten wir an dieser Stelle fest: Das Gefühl der Angst ist ein mächtiger Motivator, der m.E. auf beiden Seiten eine gewichtige Rolle gespielt hat und weiterhin spielt.

Der Hamburger Sportverein vereint, ich wies darauf bereits mehrfach hin, im Grunde das ganze gesellschaftliche Spektrum der Hamburger Fußballfans. Vom Logenbesitzer und (Multi-)Millionär bis zum Hartz4-Empfänger, vom Hochschulprofessor bis zum Bildungsprekariat, vom Allesfahrer zum Gelegenheitszuschauer, vom Ultra bis zum Besucher des Familienblocks usw.  Normalerweise bewegen sich Menschen in dem ihnen entsprechenden sozialen Milieu Die Berührungspunkte eines Millionärs oder Professors etwa mit z.B. einem Taxifahrer oder Gärtner bestehen in der Regel ausschließlich in einem temporären Dienstleistungsverhältnis. Der eine beschäftigt den anderen. Privat bleibt man jedoch meist in seinen Kreisen und unter seinesgleichen. Nicht so beim Fußball, hier am Beispiel des HSVs. Die Raute bringt die unterschiedlichsten Menschen zusammen. Alle reden vermeintlich über dieselbe Sache, nämlich das gemeinsame Haus HSV. Was aber der HSV ist (oder sein soll), das bleibt am Ende doch eine höchst individuell aufgeladene Vorstellung des Einzelnen.

Die langjährigen Mitglieder des Vereins, die Seelers, Gottschalks und Co (hier muss man wohl auch Herrn Meetz zurechnen), haben, so mein Eindruck, oft nur unzureichend verstanden, dass es in einem e.V. bei demokratischen Prozessen  keine Mitglieder erster und zweiter Klasse geben kann. Es spielt keine Rolle, ob ich jahrzehntelang eine Sportart in dem Verein ausgeübt habe, ob ich mich ehrenamtlich engagiert habe, oder ob ich, wie die große Mehrheit der heutigen Mitgliederschaft, allein aus Gründen der Identifikation mit der Fußball-Profimannschaft Mitglied und demzufolge stimmberechtigt geworden bin. Es würde mich daher nicht wundern, wenn man als langjähriges, engagiertes Mitglied den ganzen Ausgliederungsprozess z.T. tatsächlich als  eine Form der „Enteignung“ erlebt (hat).

Das Bisherige zusammengefasst: Es geht wohl auch um die Angst vor dem Verlust (von was auch immer).

Bemerkenswert finde ich, dass Herr Meetz 2007 rechtskräftig zu einer 2 1/2 jährigen Freiheitsstrafe wegen Betruges verurteilt worden ist. Diese Strafe hat er offenbar abgesessen. Er hat also für das von ihm zu verantwortende Unrecht gebüßt. Damit ist dieser (einstige) Fall im Grunde erledigt. Pikant bleibt es dennoch, dass jemand, dem man richterlich bescheinigte, dass er – salopp formuliert  – andere Menschen strafrechtlich relevant über ’s Ohr gehauen hat, nun Zweifel an der Redlichkeit und Objektivität eines Richters anmeldet, der mit einem im Wesentlichen rein formalen Vorgang, nämlich der Eintragung der AG in das Handelsregister, betraut ist. Dazu fielen mir gleich eine Reihe von Sprichwörtern und Redewendungen ein. Das vom Glashaus beispielsweise, oder das vom Dorn im Auge des Gegenübers (und dem Balken vor den eigenen Augen). Die Sprache ist voll davon. Daraus könnte man schlussfolgern, dass es sich hier um ein bekanntes menschliches Phänomen handelt. Der Mensch projiziert eben leicht und nur zu gerne seine eigenen, dunklen Seiten auf Dritte.

Hinzu tritt ein weiteres Phänomen, das man regelmäßig in kleinen und größeren Organisationseinheiten beobachten kann: Jeder will mitreden, und jeder redet mit. Das dürfte hauptsächlich der Tatsache geschuldet sein, dass der Mensch als soziales Wesen fortwährend das Bedürfnis hat, sich seiner selbst, seiner Stellung und Einstellung zu vergewissern. Durch die Äußerung meiner Meinung erhalte ich ein Feedback der Anderen und bringe nebenbei (Selbstoffenbarungsaspekt jeder Kommunikation) mich selbst zum Ausdruck. Bspw. meine Ideen, Erfahrungen, Wünsche und Bedürfnisse.

In aller Regel wird aber nicht nur miteinander sondern oft übereinander geredet. Da vermischen sich dann schnell Fiktion und Wirklichkeit. Auf Differenzierung und Relativierung oder gar Überprüfung der eigenen Sicht wird zugunsten einer geschlossenen, von der Gruppe geteilten Meinung, weitestgehend verzichtet. Was da nicht  hineinpasst, wird oft umgehend passend gemacht. Das führt, so meine Erfahrung, regelmäßig sogar bis zur Wahrheitsbeugung. Ganz allgemein neigen wir Menschen dazu, für das, was wir nicht verstehen, umgehend nach Antworten zu suchen. Vor Verkehrsgerichten kennt man das Phänomen des „Knallzeugen“. Der hat zwar nur den Aufprall gehört(sic!), meint aber zu wissen, wie sich der Unfall abgespielt hat. Warum ist das so? Weil unsere Gehirn für das, was ihm unerklärbar erscheint, umgehend nach einer befriedigenden Antwort sucht. Das ist grundsätzlich von Vorteil, da man es aus evolutionärer Sicht als eine Grundlage für das sehen kann, was wir „Lernen“ nennen.

Die deutliche Minderheit der Menschen, das ist meine Erfahrung, ist in der Lage, einen offenen, konstruktiven Dialog mit einem Meinungsgegner zu führen. Zu beobachten ist vielmehr, dass man sich (in seinem Milieu bleibend) nur zu gerne und leicht in seiner Auffassung bestätigen lässt. Der Menschen als soziales Wesen braucht soziale Anerkennung und Bestätigung. Er interagiert daher gerne in Gruppen Gleichgesinnter. Die psychologischen Untersuchungen zur Konformität legen nahe, dass ca. 70 Prozent der Menschen (interkulturell, also weltweit) einer objektiv falschen Behauptung zuzustimmen bereit sind, wenn die Mehrheit der Gruppe exakt dieses objektiv Falsche (auf Anweisung des Versuchsleiters) mit Nachdruck behauptet. Dass bedeutet: Die Mehrheit der Menschen beugt sich dem Gruppendruck. Ob sie tatsächlich unter dem Einfluss der Gruppe von der tatsächlichen Richtigkeit der falschen Aussage überzeugt worden sind, oder ob sie nur zustimmen, damit sie einen Konflikt mit der (vorgeblichen) Mehrheitsmeinung vermeiden, kann hier offen bleiben. Die Gruppe beeinflusst bei der deutlichen Mehrzahl der Versuchspersonen ganz erheblich die eigene Auffassung. Wer also die Ausgliederung als Teufelswerk ansieht, bewegt sich wahrscheinlich überwiegend in Kreisen, die dies ähnlich sehen (das ist selbstverständlich auch anders herum anzunehmen!).

Wenn man über Gruppen redet, liegt es nahe, diese auch unter systemtheoretischen Gesichtspunkten zu betrachten. Vereinfachen wir die Situation beim HSV auf zwei Gruppen, die jeweils als Systeme zu betrachten sind: Die eine war und ist für die Ausgliederung. Die andere, die deutlich kleinere Gruppe, verband mit einer Ausgliederung schlimmste Erwartungen. Der Konflikt spitzte sich zu einem Geschehen zu, welches als krisenhaft beschrieben werden kann. In Zeiten der Krise aber neigen Systeme dazu, sich nach innen zu stabilisieren, indem sie (vermeintliche) Störenfriede ausgrenzen (Im Extremfall führt dies zum Mobbing). Der von der Mehrheit ausgeguckte Buhmann wird einfach sozial isoliert. Dieses im Grunde unsoziale Verhalten hat aber auch eine soziale Funktion. Für die verbleibende Mehrheit. Man bestätigt sich wechselseitig, dass der Grund für die Krise außerhalb der Gruppe zu suchen ist. Frei nach dem Motto: wir sind unschuldig, bei uns ist alles in Ordnung, schuld ist ja nur der oder die. Das entlastet. Es entlastet nämlich davon, sich selbst kritisch zu hinterfragen. Womit wir wieder bei den eigenen, dunklen Seiten wären.

Wenn das System Gruppe sich oft genug seiner gemeinsam geteilten Sicht versichert hat, findet sich oft genug jemand, der meint, er müsse (wie auch immer) aktiv werden. In der Grundschule (dies meine ich ausdrücklich nicht auf Herrn Meetz bezogen)  ruft er dann vielleicht dazu auf, dem  Störenfried die angeblich verdiente, fällige Abreibung zu verpassen. Als Erwachsener bemüht er u.U. die Gerichte. Jeder Jurist kennt eine Vielzahl von Konflikten, die gesunden Menschenverstand und guten Willen vorausgesetzt, im Prinzip mühelos außergerichtlich beizulegen wären. Das ist (viel zu oft) nicht gelingt, auch davon leben Juristen. Der Weg vor die Gerichte wird oft benutzt, um (gesellschaftliche) Konflikte zu bereinigen, wenn andere Lösungsmöglichkeiten bereits gescheitert sind (- dass am Ende eines Verfahrens nicht Gerechtigkeit sondern lediglich ein Urteil steht, begreifen Laien oft nur unzureichend. Ebenso wenig wird verstanden, dass Gerichte die Ursachen gesellschaftlicher Missstände per Urteil oft nicht beheben können).

Eingangs stellte ich die Frage, was der Antrag auf Befangenheit hier eigentlich bringen soll. Denn in der Sache, selbst wenn dieser Antrag durchgehen sollte, führt er nur zu einer Verzögerung. Dass die Ausgliederung dennoch vorgenommen werden wird, daran dürften keine Zweifel bestehen. Dann nimmt eben in ein Paar Wochen ein anderer Richter die Eintragung ins Handelsregister vor. Und doch hat Herr Meetz (und seine in der Sache Sympathisierenden) vermutlich etwas davon. Man hat (vermeintlich) Stärke gezeigt, man hat sich und seiner Gruppe ggf. richterlich bescheinigen lassen, dass man „im Recht“ gewesen sei. Das ist gut für das eigene Wohlbefinden. (Vergleichen könnte man dies vielleicht mit dem „weichen“ Gewinn eines Ehrenamtlers. Der erhält in aller Regel kein (oder sehr wenig) Geld für seine Tätigkeit, er hat aber dennoch etwas davon: Die „Macht“, gestalten zu können; das Gefühl, tatsächlich dabei zu sein und dazuzugehören; eine herausgehobene Position im Verein etc.).

Dass durch die Verzögerung die zukünftig handelnden Personen an der Geschäftsführung gehindert werden, dass dem HSV dadurch ggf. ein Schaden entsteht, dies wird geflissentlich übersehen. Dafür müsste man (s.o.) sich selbst und sein Anliegen kritisch hinterfragen. Das aber machen die Wenigsten. Denn die Begegnung mit der eigenen Schattenseite ist unangenehm, da schambesetzt. Schließlich könnte das Wunschbild vom eigenen perfekten Ich am Ende noch Schaden nehmen…

Nach einer taktisch reifen Leistung im Achtelfinale: USA – Deutschland 0:1 (0:0)

Ich gebe zu, ich bin nicht gerade davon begeistert, dass Jogi Löw in den bisherigen Spielen eine defensive Viererkette mit gleich vier gelernten Innenverteidigern aufgeboten hat. Es entspricht einfach nicht meiner Vorstellung vom modernen Fußball. Ich respektiere die Entscheidung Löws, zumal ihm der bisherige Erfolg recht zu geben scheint, aber mir ist es grundsätzlich lieber, wenn eine Mannschaft mit gelernten (auch offensiv starken) Außenverteidigern antritt. Löw argumentierte, dass die umfunktionierten Innenverteidiger aufgrund ihrer Stammposition im Verein eher darauf achten würden, dass das Zentrum geschlossen bleibt. Dieser Gedanke ist zweifellos nachvollziehbar, jedoch bin ich der Meinung, dass hier zugunsten des geschlossenen Zentrums offensives Potenzial geopfert wird. Ich aber sehe gerne offensiven Fußball, auch wenn ich mich an einer taktisch disziplinierten Defensive durchaus erfreuen kann. Allerdings weiß ich aus eigener Erfahrung, dass Turniere kaum Fehler verzeihen, sofern man am Ende erfolgreich sein möchte. Und mir ist natürlich bewusst, dass nicht ich sondern Löw den Kopf hinhalten muss, wenn die Mannschaft nicht die Erwartungen erfüllt. Insofern gilt in diesem Zusammenang für mich: Verständnis ja, Begeisterung nein.

Eher schon kann ich mich mit der s.g. Falschen Neun anfreunden, zumal wenn sie so hervorragend interpretiert wird, wie dies Müller im ersten Gruppenspiel gegen Portugal gelang. Aber auch hier ist es so, dass mir ein klassischer Stürmer lieber wäre. Allerdings nicht jeder. Ein Kießling, gewiss ein überdurchschnittlich treffsicherer, überdurchschnittlicher Stürmer, ist m.E. zurecht nicht nominiert worden. Dies ist in meinen Augen auch keine Kritik an seiner generellen Qualität, sondern eine Entscheidung für eine bestimmte Spielphilosophie, in die er nicht hineinpasst. Kießling ist schnell und unbestreitbar abschlussstark. Qualitäten, die ihn für ein Konterspiel Leverkusener Prägung prädestinieren. Die Nationalmannschaft (unter Löw) spielt jedoch einen anderen Fußball. Der ist m.E. näher am Ballbesitzfußball van Gaals (zu Bayern-Zeiten) oder an dem Fußball Guardiolas orientiert, in welchem polyvalente Spieler tendenziell jede Position je nach Erfordernis (aufgrund der Spielsituation) bespielen müssen, was in der Konsequenz mindestens die Aufweichung fester Rollenzuteilungen zur Folge hat. In beiden Philosophien aber braucht man pass- und spielstarke „Stürmer“. Und genau hier liegen die Vorzüge des von Löw nominierten Offensivpersonals und die Nachteile z.B. eines Kießlings. Dennoch wäre mir ein klarer Stürmer lieber, schrieb ich. Und damit meine ich einen wie Klose. Leider, und darin liegt bei dieser WM die Krux, ist der gute Miroslav inzwischen bekanntlich nicht mehr der Jüngste. Daher reicht es wohl einfach nicht für volle neunzig Minuten (mehrfach hintereinander). Aber wäre Klose noch jünger, er wäre bei mir fast gesetzt. Denn er ist ball- und passsicher und ausgesprochen mannschaftsdienlich. Und dennoch besitzt er die klassischen Stürmertugenden: Er hat das Näschen für die Torgefahr, ist nervenstark im Abschluss, kann mit dem Rücken zum Tor den Ball behaupten und ist zudem kopfballstark, also jederzeit ein ernstzunehmender Abnehmer für hohe Bälle von außen. Womit sich der Kreis zu meiner oben angesprochenen Vorliebe für gelernte Außenverteidiger in gewisser Weise schließt. Zudem ist gerade bei dieser WM zu beobachten, dass viele Tore aus Standards erzielt werden. Was mich wiederum schlussfolgern lässt, dass hohe Bälle (und damit die Verwerter derselben) auch im modernen Fußball weiterhin von Bedeutung sind (und bleiben).

Löw steht in meinen Augen bei dieser WM vor der Herausforderung, dass der Fußball, den er wohl grundsätzlich favorisiert, schon aufgrund der klimatischen Bedingungen zu kräfteraubend erscheint, will man ihn über mehrere Partien in relativ kurzer Zeit (wie bei einem Turnier üblich) zeigen. Dazu gesellen sich die Tatsache, dass die reguläre Saison für die Spitzenspieler außerordentlich lang und kräfteraubend ist und der Umstand, dass die Deutsche Elf bereits mit einigen angeschlagenen, bzw. nicht völlig ausgeruhten (Lahm) und topfitten Spielern (Khedira, Schweinsteiger) anreiste, was ein Job-Sharing vor allem im Defensiven Mittelfeld nahelegt.

Sei es, wie es sei – Löw wählte gegen die kampfstarken USA die folgende Aufstellung: Neuer – Boateng, Mertesacker, Hummels, Höwedes –  Lahm, Schweinsteiger (76. Götze), Kroos, Özil (89. Schürrle), Podolski (46. Klose) – Müller

Spielverlauf: die Deutsche Elf kam gut in das Spiel. Das lag auch daran, dass sich die von Jürgen Klinsmann gecoachten USA zunächst auf die Defensive und hier auf das Blockieren möglicher Passwege für Deutschland beschränkten. Nominell in einem 4-2-3-1 agierend, waren die Nordamerikaner erkennbar um Kompaktheit bemüht und wollten ganz offensichtlich über Konter (Neu-Fußballdeutsch: schnelles Umschaltspiel) ihrerseits zu einem Torerfolg kommen. Mit anderen  Worten: sie überließen über weite Strecken der erste Spielhälfte der deutschen Nationalmannschaft einen Großteil des Feldes und die alleinige Spielgestaltung.

Die deutsche Abwehr stand demzufolge meist sehr hoch (fast an der Mittellinie). Sehr schnell wurde eins augenfällig: Während der auch offensiv sehr aktive rechte Außenverteidiger Deutschlands, Boateng, sich immer wieder in das eigene Angriffsspiel einzuschalten versuchte, beschränkte sich sein Pendant auf der linken defensiven Seite, Höwedes, fast ausschließlich auf seine defensiven Aufgaben. Resultat war eine deutliche Asymmetrie bei den deutschen Angriffsbemühungen über die Flügel. Während gerade zu Beginn fast jeder Spielzug eine scharfe Hereingabe Boatengs in den Strafraum der USA beinhaltete (die meist denkbar knapp vom zentral vor dem gegnerischen Tor  lauernden Müller verpasst wurde), kam Podolski über die linke Seite nur selten zum Zuge, was z.T. aber auch an der mangelnden Unterstützung u.a. durch Höwedes gelegen haben könnte.

Auffällig im deutschen Spiel der ersten Hälfte war für mich Schweinsteiger, der immer wieder intelligente Pässe oder Laufwege zeigte. Auch Özil zeigte sich, meist auf dem von ihm eher ungeliebten rechten Flügel agierend, in aufsteigender Form. Boateng war offensiv sehr aktiv, wirkte jedoch bei der Wahrnehmung seiner defensiven Aufgaben gelegentlich nicht ganz konzentriert. Zudem fehlte seinen langen Bälle mehrfach die nötige Präzision.

Die deutsche Elf erspielte sich zwar die eindeutige Feldüberlegenheit und ein kleines  Chancenplus (wenn man die wirklich klaren Torchancen betrachtet), jedoch fehlte die ganz, ganz große Torgefahr. Löw reagierte früh und entschied sich, den  fast wirkungslosen Podolski auszuwechseln. Für ihn kam der einzige klassische Stürmer des Kaders (s.o.), Klose. Dieser übernahm nun die Position der vordersten Spitze, während sich Müller in die offensive Dreierkette dahinter einreihte. Da das Personal der Dreierkette fortan munter auf den Positionen rochierte, wirkte die Abwehr der Amerikaner nun deutlich unsicherer.

In der 55. Spielminute war es dann soweit. Nach einer von der deutschen Elf kurz ausgeführten Ecke von rechts flankte der ansonsten unauffällige Kroos an den Fünfmeterraum. Mertesackers Kopfball konnte Howard im Tor der US-Boys gerade nach parieren, aber er ließ den Ball nach vorne prallen. Müller kam aus halblinker Position an der Strafraumgrenze zum Nachschuss und schlenzte den Ball überlegt ins lange Eck. Der erhoffte Führungstreffer aus deutscher Sicht.

In der Folge verflachte das Spiel deutlich. Die deutsche Elf dominierte das Spiel, beschränkte sich jedoch mit zunehmender Spieldauer auf die Verwaltung der Führung. Die USA blieben trotz mehrfacher Personalwechsel Klinsmanns im Grunde harmlos. Angesichts des Zwischenstandes in der parallel stattfindenden Partie Portugal-Ghana (Endstand 2:1) muss man Verständnis dafür haben, dass die deutsche Mannschaft mit dem Führungstreffer im Rücken offensiv nicht mehr höheres Risiko eingehen wollte. Safety first schien da die verständliche Devise. Dennoch ist zu bemängeln, dass eine Vielzahl an im Ansatz vielversprechenden Möglichkeiten durch schlecht getimte Flanken oder ungenaue Pässe verschenkt wurden. Dies mag aber auch zu einem Teil dem durch den Dauerregen glitschigen Rasen geschuldet gewesen sein.

Die beste Torchance für die USA ergab sich, und das ist bezeichnend für den Spielverlauf, in der Nachspielzeit. In der  93. Minute konnte Kapitän Lahm den Torschuss der Amerikaner nach einem Konter über ihre rechte Angriffsseite gerade noch blocken. Er rettete damit seiner Mannschaft endgültig den Sieg und krönte seine eigene, dieses Mal wieder tadellose Leistung.

Schiedsrichter: Ravshan Irmatov (Usbekistan). Bevorzugte m.E. gelegentlich die deutsche Elf, ohne damit jedoch spielentscheidend einzugreifen.

Fazit: Ich bin mir nicht sicher, ob Klinsmann seiner Mannnschaft mit der eher passiven, defensiven Ausrichtung wirklich einen Gefallen getan hat. Immerhin aber, das muss man ja auch anerkennen, hat auch seine Mannschaft die Vorrunde nun erfolgreich überstanden.

Erneut zeigt sich, dass Löw über eine Vielzahl an Alternativen verfügt. Schweinsteiger (statt Khedira) ordnete zusammen mit Lahm das Spiel und hatte einige hübsche Ideen. Es zeigte sich auch wieder, dass sich u.a. durch Klose das Angriffsspiel entscheidend variieren lässt, auch wenn er selbst dieses Mal leer ausging.
Auch wenn Höwedes defensiv seine Aufgabe durchaus ordentlich gelöst hat, so würde ich mir mindestens auf dieser Position mehr Mut zum Risiko, mehr Engagement nach vorn wünschen. Spielerisch mag die Mannschaft in der zweiten Hälfte einiges schuldig geblieben sein. Aus taktischer Sicht hat sie jedoch durchaus clever agiert. Die Verwaltung von Minimalvorsprüngen ist ja normalerweise eine der Stärken, die man nicht den deutschen sondern den italienischen Mannschaften nachsagt. So gesehen war das eine reife Leistung  der  deutschen Elf.

Die deutsche Mannschaft beendet also die Vorrunde als Gruppensieger und hat das Achtelfinale erreicht. Glückwunsch! Beide wahrscheinlichen Gegner dort, Russland oder Algerien, erscheinen nach den bisherigen Eindrücken als durchaus lösbare Aufgaben.