Klötzer

Vorschau: Ost-Delmenhorst – Hamburger SV

Den folgenden Text habe ich bereits 2009 geschrieben und nur geringfügig angepasst. Auch wenn es dieses Mal zum 100. Derby kommt und die sportliche Lage für beide Vereine als durchaus prekär einzuschätzen ist – der Text erscheint mir im Grunde zeitlos und unverändert aktuell. Los geht ’s:

Warum die „Unaussprechlichen“ unbedingt absteigen müssen und dies hoffentlich nie geschieht – oder: warum Fußball mit dem Kopf gespielt wird

Mit dem Rivalen östlich von Delmenhorst ist das so eine Sache. Ehrlich gesagt, ich habe lange Zeit gar nicht wahrgenommen, dass in der Nähe dieses von unserer Elbe entfernt plätschernden Baches, dessen Name mir gerade entfallen ist, tatsächlich Fußball gespielt wird. Warum auch?! Näher lagen mir damals die wirklich wichtigen Vereine: Vor allem der SV Tonndorf-Lohe 1921, aber auch Paloma und die Jungs aus Hinschenfelde (ach, wie schön war es, die mit einer richtigen Packung nach Hause zu schicken! – nur gelag dies eher selten). Auch schön fand ich damals die Trikots von RW Essen, oder die der Zebras aus Duisburg. Doch zu der Zeit hatten wir auch Plastikstühle und eine gepunktete Tapete im Wohnzimmer, deren längerer Anblick den Konsum illegaler Drogen gänzlich überflüssig werden ließ.  Die Helden meiner Kindheit waren Kargus („Elfer-Killer“), Nogly, Klaus Zaczyk, „Schorsch“ Volkert (weil er auf meiner Position spielte), „Mighty Mouse“ Keegan, Ole Björnmose und natürlich „Uns Uwe“. Diese Namen trugen wir als Kinder, wenn wir auf dem Handballfeld an den Bahngleisen hinter dem Grandplatz etwa 4 gegen 4 spielten, je nachdem auf welcher Position man gerade spielte. Wenn wir mit „fliegendem“ Keeper spielten, konnte „Kargus“ innerhalb eines Spielzuges erst ein Glanzparade zeigen, dann als „Volkert“ einen Gegner auf dem linken Flügel schwindelig spielen, um im nächsten Atemzug eiskalt wie Seeler zu vollstrecken. Alle unsere Spiele wurden, wirklich wahr, live im Radio kommentiert, doch ich schweife ab.

„Ritter Kuno“, unseren damaligen Trainer fand ich sympathisch, schon des Namens wegen. Und mit ihm kam der Erfolg. Später, Brancos Eskapaden ließen mich als Kind gänzlich unberührt und taten meiner Liebe keinen Abbruch, folgte bekanntlich die Ära des großen Grantlers aus Wien. Noch heute kann ich ihn, als wäre es gestern gewesen, unter dem Dach der tiefer gelegten und ummauerten Auswechselbänke der alten Schüssel hervorkommen sehen, um mit ein, zwei kurzen Gesten unsere Mannschaft zur Raison zu bringen. Zum Glück war dies damals eher selten nötig. (Kein Vergleich zu diesen Tigern von heute in der „coachingzone“. Dazu war das Genie auch viel zu souverän.)

Dann gingen sie, Dr. Klein, Netzer und Happel. Und auch meine neueren Helden, etwa Manni und Horst verließen mich, einer nach dem anderen. Wenn ich mich recht erinnere, sagte Happel bei seinem Abschiedsauftritt im Aktuellen Sportstudio dem HSV eine lange, lange Durstperiode voraus. Ich wollte es nicht glauben, – doch sie kam wirklich, die große, große Dürre…

Ungefähr zu dieser Zeit schielte ich neidisch nach Süd-Westen. Otto hatte etwas „Väterliches“, bisweilen auch etwas unfreiwillig komisches, wenn er Goethe zitierte. Und Otto hatte vor allem eins: Erfolg! Willi Lemke bot in meiner Wahrnehmung als Einziger den entnervend dauererfolgreichen „Österreichern“ die Stirn, und der Präsident hatte die Seriosität, die ich zunehmend bei unseren zu vermissen begann. Während bei uns Hertzsch, „Ho-Ho-Hollerbach“, „Lumpi“ Spörl und Albertz bereits als Ausweis von Qualität galten, hielten Ottos Mannen in der endlosen Schlacht gegen die Übermacht des Südens tapfer die norddeutsche Fahne hoch und lieferten manch unvergessenen Fight im Europa-Pokal. Doch was mich schon damals wirklich wurmte: bei denen spielten „unsere“ Leute! Hamburger, die für den HSV angeblich zu schlecht gewesen sind.

Ein Paar Jahren ging es bei uns, endlich, endlich, langsam und kontinuierlich aufwärts. Je näher wir aber in „deren“ Reichweite kamen, desto grausamer empfand ich eine Niederlage. Umso ärgerlicher, wenn eine Papierkugel, also höhere Mächte, die längst fällige Erlösung verhinderte. Ärgerlich auch deswegen, weil „die“ einen blasierten Schnösel im Tor stehen hatten. Der hielt gut, keine Frage, aber für echte Hanseaten blieb der Mann eine Zumutung. Denn Schnösel haben wir in manchem Stadtteil bereits wahrlich selber mehr als genug. Danke, keinen Bedarf! Und noch was, was mich kolossal nervte: In Schnöseldorf arbeiten Trainer und Sportdirektor von kurzen Unterbrechungen abgesehen kontinuierlich, unaufgeregt und seriös jahrelang Hand in Hand. Fußball wird auch abseits des Platzes im Kopf entschieden. Wenn ich dann bei uns an die Vereinsgremien denke, dann könnte ich – beinahe – deren Vereinsnamen voll ausschreiben. Aber nein, niemals!!!

Doch stellen wir uns vor, unser einziger wirklicher Rivale würde absteigen. Nein, das geht nicht, bei aller dann fälligen Schadenfreude. Denn die wirklich ganz, ganz großen Siege kann man nur gegen mindestens ebenbürtige Gegner erringen. Und sollte es dieses Mal nicht klappen, dann hoffe ich eben unverdrossen auf das nächste Mal. Während ich dann warte, summe ich zur Beruhigung das folgende Mantra:

Wir sind der Dino, die Einzigen, unabsteigbar, wir bleiben immer da! Da könnt Ihr kicken wie Ihr wollt, basta!

Soweit der damalige Text. Für das anstehende Derby erwarte ich in der Startaufstellung zunächst nur eine Veränderung im Vergleich zum Spiel gegen den BvB: Diekmeier für den erkrankten Westermann. Der wieder genesene van der Vaart könnte zunächst mit einem Platz auf der Bank vorliebnehmen müssen, wird aber mindestens wohl eingewechselt werden.

Werbung

HSV – ein Mythos zerstört sich selbst

Vor vielen, vielen Jahren, ich war noch ein Kind, besuchte ich mit meinen Großeltern ein Spiel des HSVs am Rothenbaum. Mein Großvater war aktives Mitglied einer Betriebssportmannschaft und Fan des Vereins. Beim HSV spielten u.a. unsUwe und Charly Dörfel, doch es lief nicht. Mit zunehmender Verzweiflung brüllte mein Großvater: „HSV! HSV!“ Und mit ihm brüllten fast alle von den Rängen. Auch ich brüllte, was die Kinderkehle hergab. Warum, das verstand ich nicht wirklich, aber da alle tobten und vor allem mein Opa brüllte, verstand ich intuitiv, dass die Lage ernst war, sehr ernst. „HSV!, HSV! HSV!“. Meine Oma, die Fußballspiele nur notgedrungen und aus Liebe zu ihrem Mann (später zu ihrem Enkel) ansah, betrachtete mit mäßigem Interesse und nüchtern das Geschehen. Dann rief sie mit einem Grinsen im Gesicht in  jede Pause nach jedem „HSV!“: „oh, wie flau!, oh, wie flau!“ Mein Großvater riss  den Kopf herum, sah sie entsetzt an und zischte besorgt: „Lotte, hör sofort auf damit! Die bringen Dich hier noch um!“. Da verstand ich, dass Fußball allgemein und der HSV ganz besonders eine sehr ernste Sache waren. Aber ich verstand auch, dass man ihn nie zu ernst nehmen sollte, denn das konnte offenbar gefährlich werden.

Später sah ich in Begleitung meines Vaters mein erstes Spiel im alten Volksparkstadion. Es ging gegen die Hertha – Ironie des Schicksals. Ich sehe mich noch heute entlang der alten Haupttribüne laufen. So etwas riesiges hatte ich bis dahin noch nie gesehen. Wo kamen all diese Menschen her?! Das Spiel ging verloren, wenn ich mich recht erinnere, doch meine Herz für den Verein war endgültig entflammt.

Wieder etwas später kam ich auf eine Idee. Ich holte mir meinen Diercke-Schulatlas, ein Stück Butterbrotpapier und einen Stift. Das Papier legte ich auf die Deutschlandkarte und begann, die Umrisse der damaligen Bundesrepublik sorgsam durchzupausen. So lag ich bald samstags mit dem Bauch auf dem Boden meines Kinderzimmers neben dem Radio. Vor mir meine selbstgefertigte Deutschlandkarte und der Atlas. Bundesligakonferenz! Jedes Mal, wenn sich ein Reporter meldete, legte ich die gepauste Karte über das Original im Atlas, suchte mal Essen, mal Offenbach, mal Nürnberg oder München und übertrug den Spielort auf mein Papier. Nur ein Verein ließ mich zunächst verzweifeln: wo zum Teufel lag die Stadt Schalke?!

Ich fieberte also damals mit dem HSV zunächst meist am Radio, aber wenn die Übertragung zu Ende war, dann brachte ich meine Utensilien an ihren Platz zurück, nahm einen Ball und ging kicken. ’77 gewannen wir den Europapokal gegen Anderlecht. Ich meine, ich hätte es im Fernsehen gesehen. Sicher bin jedoch, dass wir am nächsten Tag in der Schule darüber sprachen. Und so fuhr ich mit einigen Klassenkameraden zum Flughafen,  um Mannschaft und Trainer zu empfangen. Klötzer mochte ich. Der erinnerte mich ein wenig an meinen Opa, der inzwischen viel zu früh verstorben war.

Die große Zeit des Vereins habe ich dann ganz bewusst erlebt. Ich ging regelmäßig ins Stadion und sah sie alle spielen. Auch Magath (Mein persönlicher Favorit im Mittelfeld war aber Thomas von Heesen.). Der HSV, das war für mich nicht nur die Raute und die Farben. Der HSV, das war stets mehr als seine Spieler oder Trainer. Nur Happel, der beste Trainer der Welt, unser Trainer!, überstrahlte jeden. Ich erinnere mich noch genau, wie die ganze Stadt Kopf stand, als wir Meister wurden. Die Mannschaft auf dem Balkon des Rathauses und ich in der jubelnden Menge davor.

Und dann sah ich das Aktuelle Sportstudio. Sie hatten dem großen Happel fast eine ganze Sendung zum Abschied gewidmet. Er saß an einem Spieltisch, er war ja leidenschaftlicher Zocker, und wurde gefragt, wie er die Zukunft des Vereins sehe. Dann, ich traute meinen Ohren kaum, sagte der Meistertrainer, dass es wohl viele, viele Jahre, ja Jahrzehnte dauern würde, bis dieser Verein wieder erfolgreich sein werde.

Inzwischen ist aus dem Kind ein Mann geworden. Auch die Mitte des Lebens ist wohl längst erreicht. Ich warte. Ich warte seit Jahren. Und ich nehme alles hin. Längst habe ich verstanden, dass Happel auch damals Recht hatte. Ich sehe die ersten grauen Haare. Die Zeit beginnt zu laufen, doch ich warte.

Der Verein, den ich als Kind liebte, den gibt es inzwischen nicht mehr. Als unser Präsident einen s.g. „Hexer“ bestellte, da schämte ich mich das erste Mal für den HSV. Seit ich öffentlich über den HSV schreibe, seit ich regelmäßig hinter seine Kulissen blicke, seit ich erfuhr, wer mit wem und wer nicht, seit ich weiß, dass man sich einst aus eigener Inkompetenz und Hilflosigkeit sogar ans Abendblatt wandte, um sich von dort Spieler oder Trainer aufschwatzen zu lassen, da ist nach und nach etwas in mir zerbrochen. Der Verein hat für mich längst seine Unschuld verloren. Wo ich gediegenes Hanseatentum vermutete, wo ich mir Seriösität, Sachverstand und Anstand wünschte, da regiert seit Jahrzehnten Inkompetenz, Intrige, Eifersucht, Weltfremdheit, Geschwätzigkeit, Größenwahn und Fanatismus. Der Zauber ist verflogen, der Schmerz darüber bleibt.

Kopfschüttelnd, desillusioniert und fatalistisch nehme ich zur Kenntnis. Menschlich finde ich z.B. katastrophal, dass Cardoso aus der Zeitung erfahren musste, dass man seinen Vertrag nicht zu verlängern beabsichtigt. Leider erwarte ich beim HSV nichts anderes mehr. Menschlich finde ich es schlimm, wie man derzeit mit Vorstand und Trainer umgeht. Ganz schlimm. HSV eben.

Nun soll es wohl Magath werden. Ich verstehe durchaus, dass die Mehrheit meint, nur der Felix könne es noch richten. Mit Verlaub, ich bezweifle dies. Ich sehe schon, dass man auch Magath früher oder später vom Hof jagen wird (Warum ich das denke, dazu in einem späteren Beitrag mehr.). Viele, die heute am lautesten nach ihm schreien, die werden ihn morgen verfluchen und sich nicht erinnern wollen. Auch das lehrt uns die Geschichte.

Ein schöner Verein zerstört sich selbst, sagte van Marwijk. Recht hat er.