Am Freitagabend trifft der HSV auf Bayer 04 Leverkusen. Zunächste einmal wird das ein Wiedersehen mit Heung-Min Son. Jenem talentierten Offensivspieler, den sie seinerzeit um ein Haar zurück nach Südkorea geschickt hätten, bevor man es sich im fast letzten Moment noch anders überlegte. In der Folge wurde Son beim HSV ausgebildet und reifte zu einem vollwertigen Bundesligaprofi heran. Lange galt er gar als eine Art Hoffnungsträger. Bis es aber soweit war, musste man in Foren und Blogs manchen unqualifizierten Kommentar über ihn lesen. Denn mit Talenten verhält es sich in Hamburg in aller Regel so: lautstark wird traditionell der angeblich fehlende Ertrag der Nachwuchsschmiede beklagt. Schafft ein junger Spieler dann den Sprung „nach oben“, so hat er gefälligst sofort fehlerlos zu agieren. Gelingt dies nicht, was wiederum die Regel und nicht die Ausnahme (Tah) ist, dann bekommt das Talent umgehend das Etikett „bundesligauntauglich“ verpasst. Die üblichen Verdächtigen fordern reflexhaft öffentlich und lautstark, der Verein möge den vermeintlichen Taugenichts bitte umgehend verscherbeln, notfalls gar verschenken. Nur hinfort mit dem! Angesichts fortdauernder Führungs- und Konzeptwechsel im Nachwuchsbereich des Vereins und dieses gestörten ambivalenten Verhältnisses breiter Teile der Anhängerschaft zu den eigenen Talenten muss es schon fast verwundern, wenn es irgendeinem Spieler, wie z.B. Son, dennoch gelingt, sich dauerhaft in der Bundesliga zu etablieren. Dann aber, das ist doch klar, sollte er am besten ein Leben lang die „Raute im Herzen“ tragen. Wechselt er dennoch den Arbeitgeber, dann ist auch dafür meist schnell eine Begründung zur Hand: „typischer Söldner eben!“. So einer wird dann zur Begrüßung gerne ausgepfiffen. Gleichzeitig ist meist die Verachtung jener, die ihm einst die Klasse absprachen, in heimlichen Respekt umgeschlagen. Viele beginnen dann bereits vor dem Spiel zu unken: der schießt uns ab – wirst Du sehen! Ich hoffe in diesem Fall, dass Son kein Tor gelingt, freue mich aber auf das Wiedersehen.
HSV-Trainer Slomka betonte in der PK vor dem Spiel die Wichtigkeit der anstehenden Partie, die schon fast gewonnen werden müsse. Zugleich fand er lobende Worte für die Leistungsentwicklung seiner Spieler in den vergangenen Wochen, sowie die intakte Moral der Mannschaft, die u.a. auch in ihren Offensivbemühungen trotz eines Zwei-Tore-Rückstandes in der Schlussphase des Spiels gegen Gladbach zum Ausdruck kam. Was die Personallage angeht, so fällt Torjäger Lasogga definitiv für dieses Spiel aus. Beim „Seuchenvogel“ Ilicevic besteht, das entnehme ich seinen Ausführungen, eine kleine Chance, dass er zum Einsatz kommen könnte. Einen Einsatz in der Startelf halte ich jedoch auch aufgrund des Trainingsrückstandes für sehr unwahrscheinlich. Es ist schon fatal: Da man unverändert in akuter Abstiegsgefahr schwebt, und der Kader im Offensivbereich nach dem Abgang Rudnevs kaum Alternativen bereit hält, müssen angeschlagene Spieler schnellstmöglich wieder auflaufen – ein gleich im mehrfachen Sinne beständiger Tanz auf der Rasierklinge…
Nachdem die noch von van Marwijk empfohlene Leihgabe Ola John gegen Gladbach einmal mehr enttäuscht hat, scheint Slomka auf der Suche nach Alternativen fündig geworden zu sein: Matthia Maggio, deutsch-italienischer Stürmer der U23, trainierte diese Woche bei den Profis. Der zwanzigjährige Nachwuchsspieler machte in den letzten drei Partien seiner Mannschaft mit gleich vier Toren auf sich aufmerksam. Bei den Profis netzte er „zur Begrüßung“ im Training ebenfalls gleich zwei Mal. Kein schlechter Einstand. Das scheint auch Slomka so gesehen zu haben, denn er ließ durchblicken, dass der beidfüßige 1,86-Mann durchaus realistische Chancen besäße, sich für den Kader gegen Leverkusen zu qualifizieren. Slomkas Fazit: Maggio sei sehr, sehr unangenehm als Gegenspieler…
Ich erwarte als wahrscheinlichste Aufstellung die Folgende: Adler – Diekmeier, Djourou, Mancienne, Westermann – Calhanoglu, Arslan, Badelj, Jiracek – van der Vaart – Zoua.
Ilicevic kommt, wenn überhaupt, wohl eher für einen Kurzeinsatz in der zweiten Spielhälfte in Frage. Maggios große Chance sollte, so er den Trainer im Abschlusstraining nicht mehr groß enttäuscht hat, spätestens dann kommen, wenn der HSV in Rückstand gerät. Dann denke ich, wird Slomka in Ermangelung anderer Alternativen den jungen Mann ins kalte Wasser werfen. Und wer weiß?! – vielleicht erleben wir ja den legendären Beginn einer Profi-Karriere. Wunder darf man von dem jungen Mann im Falle seines Einsatzes nicht verlangen, aber man wird ja noch träumen dürfen, oder?! Doch bis es soweit ist, müssen die Offensivspieler des HSVs kaltschnäuziger beim Ausnutzen der Torchancen werden. Slomka hat im Training versucht, vor allem den Stürmern durch wettkampforientierte Übungen mehr Sicherheit zu verleihen. Die Spieler mussten auf bestimmte Vorgaben, die vom Trainerteam jeweils sehr spät zugerufen wurden, blitzschnell intuitiv reagieren und das „Problem“ lösen. Slomka sagte in diesem Zusammenhang, dass zu viel Denken im Spiel schade. Dies ist einmal mehr absolut zutreffend. Ich verweise an dieser Stelle auf die Passagen früherer Artikel, in denen ich mich zum s.g. „Flow“ geäußert habe. Der Trainer weiter:
„Wenn ich erst einmal daran denke, dass ich einen Fehler machen kann, dann passiert es ja auch meistens“.
Er nannte hier Badelj als Vorbild in unserer Mannschaft, von dem er meint, dass dieser „instinktiv“ und mit wenig Angst (vor dem Fehlpass etc.) spiele. Ansonsten bemängelte der Trainer die Gegentore, welche die Mannschaft gegen die Borusssia nach Eckstößen kassiert hatte. Dies, so Slomka, sei umgehend nach der Partie aufgearbeitet worden. Danach begann dann die zielgerichtete Vorbereitung auf das nun anstehende Heimspiel.
Die Gäste haben, zum Glück für uns, ebenfalls einige prominente Ausfälle zu beklagen. Die Namhaftesten: Toprak (IV, Wadenprobleme), Reinartz (DM, Fersenprobleme); Sidney Sam (OM; muskuläre Probleme). So kommt es also wohl nicht zu einem weiteren Wiedersehen mit dem in Hamburg ebenfalls ausgebildeten Sidney Sam. In diesem Fall bin ich ganz froh darüber. Nicht etwa, weil ich Sam etwas Schlechtes wünsche, sondern weil der Neu-Nationalspieler auch immer für ein Tor gut ist.
Leverkusens Trainer, Hyypiä, lässt Bayer 04 in einer (in der Bundesliga) eher ungewöhnlichen Mischung aus 4-3-3 und 4-5-1 auflaufen. Vor der Viererkette der Abwehr agiert meist Can (alternativ: Rolfes) zentral als defensivster Mittelfeldspieler. Flankiert wird er von dem etwas links davor postierten Guardado und dem rechts auf gleicher Höhe mit dem Mexikaner spielenden Lars Bender. Im Sturm spielen links außen der schon erwähnte Son und rechts außen Castro, die gelegentlich die Flügel tauschen. Bei der zentralen Sturmspitze dürfte die Wahl wohl auf Kießling (alternativ: Derdiyok) fallen. Vor allem beim beidfüßigen Son dürfte aus seiner Hamburger Zeit bekannt sein, dass er gerne von beiden Flügeln nach innen zieht, um aus den Halbpositionen zum Abschluss zu kommen. Kießling ist ein Konterstürmer, kein Spieler, der durch seine Fähigkeiten im Pass-Spiel besticht (Das ist auch der Grund, warum er bei der von Löw gecoachten und auf Ballbesitz spielenden deutschen Nationalmannschaft keine Chance besitzt.). Über seine Torgefährlichkeit muss man nach den letzten Jahren wohl kein Wort mehr verlieren.
Es ist damit zurechnen, dass beide Flügelstürmer im Offensivpressing unsere Innenverteidigung beim Spielaufbau oft unter Druck setzen, während Kießling Adler als Anspielstation (bei Rückpässen) „bedroht“. Bei Ballbesitz dürfte also ebenfalls Schwerstarbeit auf unsere Verteidigung zukommen. Bleibt zu hoffen, dass man die Nerven heute im Griff behält…
Bei Ballverlust ziehen sich beide Flügelstürmer zurück und verdichten die Räume im Mittelfeld. Für den HSV kommt es also darauf an, dennoch Räume aufzuspüren, ohne in der Offensivbewegung dort den Ball zu verlieren und damit die Gäste zu ihren brandgefährlichen Kontern einzuladen.
Auch für die Gäste steht einiges auf dem Spiel. In den letzten elf (!) Spielen gelang ihnen nur ein einziger Sieg. Zuletzt konnten sie auswärts am 27. Spieltag gegen den FC Augsburg gewinnen. Daheim folgte dann jedoch eine aus Sicht Leverkusens wohl erneut enttäuschende Punkteteilung (1:1) mit Aufsteiger Braunschweig. Noch ist Bayer 04 mit 48 Punkten Vierter in der Tabelle, wird aber bereits vom VfL Wolfsburg (47 Pkt.) bedrängt. Man droht also den Anschluss nach oben zu verlieren. Der ewige Zweite Leverkusen („Vizekusen“) hat grundsätzlich den Anspruch, sich für die ChampionsLeague zu qualifizieren. Es kann daher kaum verwundern, dass Trainer Hyypiä zunehmend in der Kritik steht. Es ist daher davon auszugehen, dass auch die Gäste inzwischen unter erheblichem Erfolgsdruck stehen. Ein Punktverlust in Hamburg oder gar eine Niederlage – spätestens dann dürfte es in Leverkusen sehr, sehr ungemütlich werden, auch wenn man als Hamburger diese Luxus-Probleme derzeit nur zu gerne eintauschen würde. Ich gehe davon aus, dass die letzten, relativ erfolglosen Monate auch in Leverkusen Spuren hinterlassen und am Selbstvertrauen genagt haben. Psychologisch also nicht die schlechteste Ausgangsposition für den HSV. Für den Ausgang des Spiels könnte daher aus taktischer Sicht als auch in den Köpfen eine vorentscheidende Rolle spielen, wem das erste Tor gelingt.
Die Partie wird geleitet von Schiedsrichter Dankert aus Rostock.
+++ Ergänzung: dem Vernehmen nach wurde Djourou aufgrund einer Vertragsklausel im Ausleihvertrag mit Arsenal durch seinen 20. Einsatz für den HSV (gegen M’Gladbach) für eine Ablösesumme von € 2,5 Millionen fest verpflichtet. Sein Vertrag soll auch für die Zweite Liga gelten. +++