Badelj

Tempo!

Die zentralen Thesen meines letzten Blogs basierten unter anderem auf der Behauptung, dass sich das Fußballspiel im Laufe der letzten Jahrzehnte erheblich beschleunigt habe. Heute möchte ich diesen Gedanken im Hinblick auf vergangene und zukünftige Entwicklungen des Sports und mit Bezug auf den HSV etwas näher beleuchten.

Festzustellen ist zunächst, dass sich die athletischen (konditionellen) und taktischen Fähigkeiten der Spieler über die Jahre nachweisbar verbessert haben. Liefen die Spieler bei der WM 1954 während eines Spiels noch durchschnittlich 4 Kilometer, laufen heute die in diesem Bereich besten der Bundesliga über 13 Kilometer je Spiel.

Dies ist gleich mehreren Faktoren geschuldet:

  1. Die Spieler in den großen Ligen sind heute allesamt Vollprofis, die nicht mehr haupt- oder nebenberuflich einer anderen Tätigkeit nachgehen. Heute ist keiner mehr als Handlungsreisender in Sachen Fußball-Equipment wie seinerzeit Uwe Seeler unterwegs und muss sein Training ggf. selbst organisieren;
  2. In Deutschland trainieren durch die Einführung der dritten Liga deutlich mehr Spieler unter Vollprofi-Bedingungen;
  3. wissenschaftlich fundierte, verbesserte trainingsmethodische Ansätze und  intensive  sportmedizinische Begleitung. Basierte früher Training vielfach auf Erfahrungswissen, so existieren heute geregelte Ausbildungsgänge;
  4. verstärkter Wissenstranfer durch zunehmende Globalisierung/Vernetzung. Stellvertretend seien hier nur die Förderprogramme genannt, mit denen u.a. der DFB deutsche Trainer in andere Länder entsendet.

In Summe führte dies dazu, dass heute deutlich mehr Mannschaften konditionell und taktisch in der Lage sind, einen individuell überlegenen Gegner erfolgreich zu neutralisieren. (Beispiele: Chelseas Sieg im CL-Finale  „da hoam“ gegen den FCB 2011/12;  WM-Spiel 2014 D-ALG).

Geschwindigkeit als Quotient von Strecke durch Zeit.

Eine der Taktiken, um im Fußball zügig zum Torerfolg zu kommen, ist das schnelle Umschaltspiel (Kontern). Dieses ist nun gewiss keine neue Erfindung. Denn in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts etablierte und perfektionierte der argentinische Trainer Herrera bei Inter Mailand den berühmt-berüchtigten Catennacio und gewann mit seiner Mannschaft zweimal den Europapokal der Landesmeister. Diese heute als minimalistisch und destruktiv geschmähte Spielanlage fußte ihrerseits auf taktischen Überlegungen, die bereits in den dreißiger Jahren (also noch deutlich früher) angestellt wurden. Einigermaßen neu  für die Bundesliga in den letzten  Jahren war jedoch die von Slomka bei Hannover 96 daraus abgeleitete systematische Forderung, dass seine damalige Mannschaft spätestens 10 Sekunden nach Balleroberung zum Torabschluss kommen sollte. Diese Forderung basierte wiederum auf der statistischen Erkenntnis, dass die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolg signifikant steigt, sofern der Torschuss innerhalb dieser Zeitspanne erfolgt. Daraus ergeben sich zahlreiche Implikationen. Denn eine Ballzirkulation über (theoretisch) unendlich viele Akteure ist damit im Prinzip ausgeschlossen. Zugleich benötigt eine derart angelegte Spielweise pass-/spielstarke Defensivspieler (inklusive Torhüter!), die zielsicher und über wenige Umschaltstationen den Ball zu sprintstarken Offensivspielern befördern können.

Eine andere Möglichkeit, Tempo in das Spiel zu bringen, den Gegner defensiv in Unordnung zu überraschen und damit die Wahrscheinlichkeit eines eigenen Torerfolges zu erhöhen, etablierte  Jürgen Klopp ab 2008 beim BvB. Wie bereits im letzten Blog erwähnt, verlagerte Klopp die Aufgabe der Balleroberung ins mittlere, bzw. vordere Drittel des Spielfeldes durch sofortiges, konsequent-aggressives Gegenpressing im Falle des Ballverlustes. Gewollter Nebeneffekt: Da der Ball idealerweise näher am gegnerischen Tor erobert wurde,  musste anschließend nicht so viel Strecke überwunden werden, damit man in eine aussichtsreiche Schussposition kam. Weniger zu überbrückende Strecke bedeutet gleichzeitig: weniger Zeit für den Gegner, um sich defensiv stabil zu organisieren, was wiederum die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolges erhöht.

Eine dritte Variante der Tempoverschärfung lässt sich gegenwärtig beim FC Bayern München unter Pep Guardiola studieren. Aufbauend auf dem Ballbesitz-Fußball eines seiner Vorgänger (van Gaal), lassen Guardiolas Spieler den Ball schneller zirkulieren als die allermeisten Konkurrenten. Diese Spielanlage  folgt der alten Fußballweisheit, dass kein Spieler schneller sei als der Ball.

Die hohe Zirkulation gelingt beim FCB zum einen dank individuell-technischer Klasse, zum anderen über ein hohes Maß an taktischer Variabilität. Wohl keine andere Mannschaft der Bundesliga kann derzeit so flexibel und zielgerichtet innerhalb des laufenden Spiels die taktischen Formationen ändern. Dies gelingt auch deswegen, weil viele Spieler des Münchner Kaders ohne nennenswerte Qualitätseinbußen gleich mehrere taktische Positionen situativ bekleiden können. Beispielhaft sei hier David Alaba genannt, der in der Abwehr als linker Verteidiger in einer Dreierkette, als linker offensiver Außenverteidiger einer „klassischen“ Viererkette und als Ribery-Ersatz auf der linken offensiven Außenbahn funktioniert. Zudem hat der smarte Österreicher in seiner  Nationalelf längst nachgewiesen, dass er auch erfolgreich im defensiven und zentralen Mittelfeld spielen kann. Damit steht Alaba idealtypisch für einen polyvalenten Spieler im Sinne Favres.

Polyvalente, auf  technisch und taktisch höchstem Niveau agierende Spieler ermöglichen nicht nur eine fluide, zielgerichtete Anpassung des eigenen Spiels an den jeweiligen Gegner und Spielverlauf, sondern ersparen situativ die Rückkehr eines Spielers auf seine (eine) Idealposition. Mit anderen Worten: es kann schnell und ohne unnötigen Zeitverlust (Geschwindigkeit) auf  die momentanen Erfordernisse reagiert werden. Diesen Gedanken zu Ende gedacht, benötigt der Fußball der Zukunft überwiegend flexible, auf unterschiedlichen Positionen einsetzbare Spieler, die idealerweise beidfüßig sind, damit sie situativ möglichst alle denkbaren Winkel zielgerichtet bespielen können.

Van der Vaart und das fußballfolkloristische Gerede vom Zehner

Wenn die These stimmt, dass stetig steigende Geschwindigkeit und Flexibilität für den modernen Fußball kennzeichnend sind, dass sich alle Spieler einer Mannschaft jederzeit sowohl im Offensiv- als auch im Defensivspiel beteiligen müssen, dann kann nicht verwundern, dass der dominante Spielmacher klassischer Prägung, der s.g. Zehner, wie ihn einst in Deutschland Overath oder Netzer in den Siebzigern interpretierten, ausgestorben ist. Der letzte dieser Art hat m.E. in Gestalt von Diego im Sommer 2011 den VfL Wolfsburg und damit die Liga verlassen. Den Luxus, das eigene Spiel von der Tagesform eines einzigen Spielers abhängig zu machen, dafür sogar eigenst einen Spieler abzustellen, der ggf. die Drecksarbeit für den Regisseur erledigt (bspw.: „Hacki“ Wimmer für Netzer), kann sich keiner mehr erlauben.

Heute hat ein zentral-offensiver Mittelfeldspieler vielfältigste, funktionale Aufgaben im Gesamtsystem der Mannschaft zu erfüllen. Kreative Pausen, das war gestern.

Eindeutig bedeutender und vom Boulevard meist ignoriert ist jedoch die Rolle der defensiven Mittelfeldspieler, der Sechser geworden. Im Idealfall beschränken sie sich nicht auf das Unterbinden gegnerischer Angriffe, sondern geben Takt und Rhythmus vor. Dabei sind strategische Fähigkeiten ebenso gefragt, wie körperliche Attribute. Zwei groß gewachsene, kopfballstarke Sechser erhöhen nicht nur im Mittelfeldgeplänkel die Chance auf den Ballgewinn, sondern können situativ erfolgreich die Innenverteidigung gerade bei hohen Bällen (Standards) sinnvoll verstärken.

Wenn Ruud van Nistelroy unlängst behauptete, van der Vaart habe an Leistungsstärke nichts eingebüßt, dann mag das sogar zutreffen. Nur sind die Anforderungen in der Bundesliga in Sachen Handlungsschnelligkeit und im läuferischen Bereich speziell in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Ralf Rangnick stellte jüngst im SPIEGEL-Interview dazu fest:

Seit acht Jahren ist Fußball fast eine andere Sportart, was die Lauf- und Sprintwerte angeht und die Geschwindigkeit des Umschaltspiels. (http://www.spiegel.de/sport/fussball/ralf-rangnick-sportdirektor-von-rb-leipzig-und-salzburg-im-interview-a-1010346.html)

Die konstante Verknappung von Zeit und Raum und der damit einhergehende zunehmende Handlungsdruck für die Akteure auf dem Feld sind Merkmale dieser Entwicklung.

Um den Gedanken van Nistelroys aufzunehmen – wer von seiner alten Leistungsstärke nichts verloren hat, der kann bei deutlich gestiegenen Anforderungen daher dennoch ungenügen. Zumal zu erwarten ist, dass die Entwicklung insbesondere im läuferischen Bereich keineswegs als gänzlich abgeschlossen zu betrachten ist. Ich erwarte, dass sich die Anzahl hoch intensiver Läufe (Sprints) noch weiter steigert.

In diesem Zusammenhang lohnt ein Blick auf die qualitativen Unterschiede in den Laufleistungen von van der Vaart und Spielern wie Holtby oder Nicolai Müller. Unbestreitbar ist, dass van der Vaart, was die reine Laufleistung in Kilometern je Spiel angeht, unverändert wettbewerbsfähig wirkt. Interessant wird es aber, wenn man seine Anzahl an Sprints je Spiel mit denen seines designierten Nachfolgers, Lewis Holtby, vergleicht. Holtby liefert hier ziemlich konstant zweistellige Werte, bei van der Vaart lassen sich unschwer Spiele finden, in den er nur zwei, drei Mal sprintete. In neunzig Minuten. Das bestärkt mich in meiner Wahrnehmung, dass die Mannschaft ohne den medial hochgejazzten Niederländer lauffreudiger, schneller und homogener wirkt.

Die Argumentation Knäbels, van der Vaart sei derzeit der einzige zentrale Mittelfeldspieler des HSV, der so etwas wie Torgefahr ausstrahle, ist zunächst nachvollziehbar. Dennoch muss hinterfragt werden, wie viel davon perspektivisch noch übrig bliebe, sollte man ihn über den Sommer hinaus weiter beschäftigen. Dass aus dem Mittelfeld zu wenig Torgefahr resultiert, ist eines der längst leider tradierten Grundprobleme, an denen das Spiel des HSV keineswegs erst durch die damalige Besetzung der Zentrale mit Tolgay Arslan und Badelj krankt. Immerhin hat man jahrelang dort mit Jarolim einen Stammspieler gehabt, der weder für Kreativität, eine schnelle Spielverlagerung oder einen nennenswerten Torabschluss bekannt gewesen ist.

Der Fußball, und dies dürfte morgen noch mehr als heute gelten, erlaubt aber m.E. nicht mehr, dass man auf einer oder zwei Positionen eklatante Defizite zulässt. Dafür ist er zu anspruchsvoll und zu komplex geworden. Und dafür hat sich der Wettbwerb durch das Auftauchen neuer, ernstzunehmender Konkurrenten, stellvertretend sei hier nur RB Leipzig angeführt, zu sehr verschärft.

Gedanken zu Transfers und einem zukünftigen Spielsystem beim HSV

Nachdem die Personalien im Kader des HSV bis vor wenigen Tagen lediglich im Konjunktiv zu diskutieren waren, steht nun nach Ende der Sommertransferperiode fest, mit welchen Spielern der Club in diese Saison startet. Zeit für mich, um Zu- und Abgänge einer ersten Bewertung zu unterziehen. Außerdem habe ich mir Gedanken zu den daraus resultierenden taktischen Möglichkeiten, aber auch denkbaren Schwachpunkten gemacht. Die eingefügte Darstellung [Anm.: zur Vergrößerung anklicken oder in einem neuen Tab öffnen] benennt personelle Alternativen und soll eine aus meiner Sicht denkbare taktische Ausrichtung skizzieren:

 

 

Kader1415
Bevor ich auf einige Details eingehe, sei zunächst darauf hingewiesen, dass diese Skizze die aus meiner Sicht wahrscheinlichsten Alternativen enthält. Auffällig an diesem Kader ist zunächst, dass für mehrere Positionen z.T. gleich mehrere, annähernd gleichwertige Kandidaten zur Verfügung stehen. Selbst für einen Behrami, der bis auf Weiteres gesetzt sein dürfte, stehen in meinen Augen mit Kacar und Jiracek gleich zwei eher defensiv denkende Alternativen zur Verfügung. Allerdings würde ich bei einem Ausfall Behramis auf eine klare Doppel-Sechs umstellen, da mir weder Kacar noch Jiracek in der Lage erscheinen, das defensive Mittelfeld allein abzusichern.

Auf den offensiven Außenbahnen, das ist ebenfalls auf den ersten Blick zu erkennen, wurde der Kader durch Müller, Stieber und Green um weitere schnelle und flexible Spieler ergänzt. Spätestens zur Rückrunde, wenn Beister hoffentlich wieder völlig fit und in Topform zur Verfügung steht, sollte es hier ein Hauen und Stechen um die Plätze in der Startelf geben. Besonders wichtig erscheint mir hier die Verpflichtung von Nicolai Müller, der auf der viel zu lange nur provisorisch besetzten rechten Außenbahn zunächst favorisiert sein sollte. Aber selbst wenn auch Müller neben Beister ausfallen sollte, könnte man die rechte Seite weiterhin mit gelernten Flügelspielern besetzen. Schließlich stünden dann immer noch Green oder Ilicevic zur Verfügung.

Rudnevs halte ich für einen lauf- und kampfstarken Konterstürmer. Aufgrund seiner spielerischen und technischen Schwächen dürfte er es aber zukünftig schwer haben, ins Team zu kommen. Entweder bringt man ihn aus taktischen Gründen (bei eigener Führung, um Lasogga zu schonen) oder als zweiten Stürmer neben einem spielstarken, beweglichen Mann (Müller/Beister), sofern Lasogga gar nicht zur Verfügung steht.

Arslan dürfte zunächst gegenüber Holtby das Nachsehen haben. Von Holtby erhoffe ich mir die dringend erforderliche, verbesserte Anbindung im Zentrum zwischen Defensive und Offensive, bzw. mehr Kreativität und Torgefahr aus dem Mittelfeld. Zudem hoffe ich, dass Holtby konstanter und abgeklärter als Arslan spielt. Mangelnde Konstanz und gelegentliche Kopflosigkeit, dies war erst jüngst gegen Paderborn wieder zu sehen, sind unverändert Schwächen, an denen Tolgay mit Hochdruck arbeiten muss, wenn er zukünftig über Kurzeinsätze hinauskommen will.

Angesichts der nun vorhandenen Alternativen halte ich es für nachvollziehbar, dass man Tah (nach Düsseldorf) und Demirbay (nach Kaiserslautern) für jeweils ein Jahr ausgeliehen hat. Für beide waren derzeit kaum regelmäßige Einsatzchancen erkennbar. Dies dürfte jedenfalls für Demirbay kaum zu bestreiten sein. Die Ausleihe von Tah könnte man da schon eher kontrovers diskutieren, da für uns Außenstehende das Leistungsvermögen des neuen Innenverteidigers Cléber kaum einzuschätzen ist. Aber auch auf dieser Position beinhaltet der vorhandene Kader mit Rajkovic und Westermann zwei Spieler, die man zukünftig nicht wochenlang ohne jeden Einsatz auf der Bank versauern lassen darf. Das wäre beiden Spielern gegenüber nicht nur unfair, sondern könnte ansonsten – man kennt ja Mopo, HA und BILD…- unnötige Unruhe provozieren.

Ungeachtet dessen habe ich Verständnis dafür, dass mit beiden Ausleihen bei einigen Kommentatoren die Angst verbunden ist, dass dem HSV hier erneut zwei große Talente von der Fahne gehen könnten. Etwaige Ängste sind nicht zuletzt aufgrund der in der Vergangenheit oft und berechtigt kritisierten Nachwuchsförderung des Clubs mehr als verständlich. Wie u.a. das Beispiel Beister jedoch zeigt, muss eine Ausleihe nicht zwingend dazu führen, dass Spieler nach Ablauf der Leihfrist nicht mehr zu ihrem Verein zurückkehren. Auch die Frage nach einer erteilten oder eben nicht erteilten Kaufoption für den aufnehmenden Verein halte ich für nachrangig und leicht überbewertet. Bei Lasogga fehlte diese Option bekanntlich damals, dennoch ist es dem HSV gelungen, ihn nun fest zu verpflichten. Und wie die Debatte um und mit dem derzeit von Leverkusen an M’Gladbach ausgeliehenen Kramer andeutete, gibt es keine Garantie, dass ein Spieler nach einer Ausleihe zurückkehren will, auch wenn zwischen den Vereinen keine Kaufoption vereinbart wurde. Viel bedeutsamer erscheint mir daher, ob der HSV beiden Spielern glaubhaft eine Perspektive für den Fall ihrer Rückkehr aufzeigen kann. Dass dies hier wahrscheinlich der Fall war, dafür stehen für mich nicht nur die Namen Beiersdorfer und Peters, sondern auch die Tatsache, dass im nächsten Sommer unverändert diverse Verträge auslaufen. So dürfte für Demirbays Entscheidungsfindung u.a. von großem Interesse sein, ob Kacars und/oder Arslans Verträge verlängert werden, bzw. ob Jiracek im kommenden Sommer den Club verlässt. Ähnliches ist für Tah anzunehmen, da derzeit unklar erscheint, ob der Club auch über den nächsten Sommer hinaus mit Westermann und/oder Rajkovic plant.

Den Transfer Badeljs nach Florenz, ich sagte das bereits im jüngsten HSV-Talk auf meinsportradio.de, sehe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Weinend, weil Milan sicher fußballerisch einer der besten Spieler ist, die ich je beim HSV gesehen habe. Lachend, weil die kolportierten 4 Millionen Euro bei nur noch einem Jahr Restlaufzeit seines Vertrages m.E. ein ordentlicher Erlös sind. Zudem fehlte es Badelj m.M.n. an Torgefährlichkeit und läuferischer Explosivität. Auch hätte ich mir gewünscht, dass er lautstärker ordnend eingreift, als dies in der Regel der Fall war. Ich glaube, dass ein Arslan ggf. von Behrami ganz anders geführt wird, als von dem auf dem Feld doch arg introvertiert wirkenden Badelj.

Womit ich bei einem weiteren Kritikpunkt am alten Kader wäre. Neben dem eklatanten Mangel an Kreativität aus dem Zentrum, Geschwindigkeitsdefiziten (sowohl läuferisch als auch in Sachen Handlungsschnelligkeit – Zoua!), unbefriedigender Zweikampfbilanz vor allem im (defensiven) Mittelfeld, war mir der alte Kader zu uniform, zu lieb, bzw. leblos. Adler, Jansen, Westermann und van der Vaart – jeder hatte (und hat) ausreichend mit sich selbst zu tun. Den Rest der Truppe wirklich mitreißen, gerade wenn es mal nicht läuft, konnte von denen keiner. Das hatte sicherlich unterschiedliche Gründe, ist aber eben auch eine Frage des Typs oder der jeweiligen Persönlichkeit. Behrami hat in diesem Zusammenhang jedenfalls bei mir bisher einen anderen, deutlich besseren Eindruck hinterlassen.

Um zu meiner skizzierten Aufstellung zurückzukehren: Wie man hoffentlich sehen kann, favorisiere ich derzeit eine asymmetrische Variante. Ich habe mich bei meinen Überlegungen zunächst von dem Gedanken leiten lassen, dass Lasogga (als einziger Keilstürmer) und Behrami für die Startelf gesetzt sein dürften. Gleiches ist zunächst für Holtby und van der Vaart anzunehmen. Wenn man van der Vaart und Holtby auf dieselbe und“richtige“ (linke) Seite stellen würde, droht m.E. ein zu großes Loch im rechten Halbfeld (Kreis Nr.2). Da van der Vaart ohnehin meist mit dem linken Fuß abschließt, könnte er aus dieser hier leicht nach rechts versetzten Position zum einen sofort abschließen, zum anderen kämen seine Flanken mit Schnitt zum Tor, was für die gegnerische Abwehr und vor allem deren Torwart unangenehm(er) zu verteidigen ist. Zugleich möchte ich so die Laufwege und Räume von Holtby und van der Vaart entzerren. Ich habe versucht,  die sich daraus ergebenden  Interaktionen und Laufwege durch die Pfeile anzudeuten.

Um die Gefahr einer Deckungslücke im rechten Halbfeld möglichst gering zu halten, habe ich Behrami ebenfalls leicht nach rechts verschoben. In meiner Vorstellung würde er eher horizontal agieren.  Hinter Holtby, den ich aus Gründen der verbesserten Anbindung der Offensive an die Defensive vor Behrami positioniert habe, könnte sich ebenfalls eine gefährliche Deckungslücke im linken Halbfeld (Kreis Nr. 1) ergeben. Wie ich mir eine Absicherung dieses Raumes vorstellen könnte, wird durch entsprechende Pfeile ebenfalls angedeutet. Erkennbar sollte sein, dass ich mir daher Holtby als vertikale Ergänzung zu den überwiegend horizontalen Laufwegen Behramis vorstelle. Wichtig erscheint in jedem Fall, dass die oft zitierte Kompaktheit der Mannschaft als Ganzes möglichst immer gewahrt bleibt. 70 Meter freier Raum für den Gegner, zuletzt beim von Arslan verschuldeten 0:1 gegen Paderborn zu sehen, dürfen prinzipiell dem Gegner nicht derart auf dem Präsentierteller angeboten werden. Unabhängig von der Torheit Arslans stimmte hier aber auch die Absicherung nicht. Jede (Innen-)Verteidigung der Welt kann fast nur schlecht aussehen, wenn der Gegner sie in vollem Lauf in ein eins gegen eins zwingen kann.

Ich denke, dass sich auf der linken Seite ein interessantes, variables Wechselspiel zwischen Holtby, dem jeweiligen LOM und auch v.d. Vaart entstehen könnte. Ähnliches halte ich auf der anderen Seite auch zwischen Behrami, dem jeweiligen ROM und van der Vaart für vorstellbar. Da praktisch alle offensiven Außen auch auf der jeweils gegenüberliegenden Seite spielen können, könnte es situationsabhängig auch zu ganz anderen personellen Konstellationen kommen. Mit Müller, Beister aber auch Green (und Rudnevs) könnte man bei eigenem Ballbesitz auch schnell durch die Mitte kontern. Also hat der Trainer auch hier künftig einige (zusätzliche) Optionen.

Dies alles sind natürlich nur meine Vorstellungen davon, wie man „auf dem Papier“ und ohne mikrotaktische Anpassungen an einen konkreten Gegner mit dem derzeitigen Kader spielen lassen könnte.

Denkbar bleibt natürlich unverändert auch, dass Slomka den HSV in einem 4-4-2, einem 4-2-3-1 oder gar in einem 4-3-3  antreten lässt. Letzteres halte ich jedoch bis auf Weiteres für unwahrscheinlich, da daraus defensiv schnell Probleme in der Abdeckung der Breite des Feldes entstehen können.

Welches System auch immer Slomka bevorzugen mag – er steht vor dem Problem, möglichst schnell Punkte sammeln zu müssen, obwohl sich die Mannschaft mit den neuen Spielern kaum einspielen konnte. Teils wurde dies durch Verletzungen (Lasogga, Müller) verhindert, teils ist es dem relativ späten Zeitpunkt der Verpflichtung anderer Spieler (Cléber, Holtby, Green)  geschuldet. Selbst Ostrzolek, Stieber und sogar ein Behrami werden vermutlich erst in einigen Wochen endgültig in Hamburg angekommen sein. Bei einer derartigen Vielzahl neuer Spieler bedarf es einfach einer gewissen Zeit, bis jeder die Abläufe wirklich verinnerlicht und seinen Platz in der teaminternen „Hackordnung“ gefunden hat.

Ob Drobny oder Adler im Tor stehen sollte – dazu enthalte ich mich. Dazu müsste ich regelmäßig das Training gesehen haben UND tatsächlich nah an der Mannschaft dran sein. Beides bin ich nicht.

Ähnlich verhält es sich mit der konkreten Frage, ob man bspw. Ostrzolek für Jansen oder Stieber für Ilicevic beginnen lässt. Gleichwohl glaube ich, dass es mehr als nur eines Holtby und Behrami bedarf, um der Mannschaft die dringend erforderlichen Impulse zu geben, die sie ganz offensichtlich benötigt. Mit dem Einsatz gleich mehrerer neuer Spieler in den nächsten Partien mag ein Mangel an Eingespieltheit einhergehen, gleichzeitig könnte man sich dadurch aber auch noch einen gewissen Kredit beim Publikum verschaffen. Dass dieser bedenklich zu schwinden droht, das sollte man spätestens ab der 69. Minute gegen Paderborn bemerkt haben. Nach der letzten,  katastrophalen Saison wird kaum jemand im Anhang der Hamburger sportliche Wunder in dieser Spielzeit erwarten. Was aber gegen Paderborn einmal mehr „abgeliefert“ wurde, ist für einen HSV einfach unwürdig und zu wenig. Viel, viel zu wenig.

Schlecht spielen – das ist immer möglich, denn da spielen Menschen, keine Roboter. Kämpfen aber kann man immer. Zumal es sich beim Fußball nicht nur um ein Lauf-, sondern eben auch ein Kampfspiel handelt. Ich erwarte also, völlig ungeachtet etwaiger Personalwechsel, dass die Mannschaft in Sachen Disziplin, Einssatzwillen in den Zweikämpfen und Laufbereitschaft zukünftig ein anderes Gesicht zeigt. Theoretisch enthält der jetzt vorhandene Kader jedenfalls einige interessante Optionen, wie ich hier deutlich machen wollte. Hoffen wir, dass man dies auch möglichst bald auf dem Platz erkennen kann.