Tah

Zum Stand der Dinge. HSV – SGE 0:0 (0:0)

Bevor ich mich zum Spiel des HSV äußere, erlaubt mir bitte zunächst einige Zeilen in eigener Sache.

Im Wesentlichen gibt es zwei Gründe, warum hier so lange nichts mehr erschienen ist: Zum einen war ich in den letzten Monaten beruflich stark eingespannt. Zum anderen, ich gestehe, war mir im Laufe der letzten Jahre doch zunehmend die Freude am HSV verlorengegangen. Es machte einfach keinen Spaß mehr, beinahe im Wochentakt zu neuen Possen und Peinlichkeiten (im und rund um den Verein) Stellung zu beziehen. Dazu gesellten sich aus meiner Sicht in der Regel Auftritte des Teams, die wenig mit (fußball-spezifischer) Qualität, dafür aber sehr viel mit Qualen (für den Betrachter) zu tun hatten. Simpelstes Kick & Rush und mehr oder weniger kämpferischer Einsatz – das ist schon lange  nicht mehr das, was ich erwarte, wenn ich mir ein Fußballspiel anschaue. Und nicht zuletzt nervten mich zunehmend jene Wortmeldungen, die offenbar wider jede Vernunft meinten, jede, aber auch wirklich jede Maßnahme der Verantwortlichen als angeblich unzweifelhaft schlecht und völlig falsch bewerten zu müssen. Seis drum. Langsam kehrt die Freude zurück. Leider kann ich unverändert nicht absehen, wie regelmäßig ich bis zum Jahresende zum schreiben kommen werde. Aber da mein (kompletter) Jahresurlaub noch aussteht, werde ich sicher noch den ein oder anderen Blog zum HSV veröffentlichen.

Doch genug der Vorrede.

Die neue Spielzeit hat längst begonnen, und der HSV darf sich einmal mehr glücklich schätzen, dass er unverändert der Ersten Bundesliga angehört. Meine im HSV-Schnack angekündigte ausführliche Saisonanalyse lag zwar wochenlang fast fertig auf meinem Schreibtisch, wanderte aber zwischenzeitlich in den Papierkorb. Denn nichts ist bekanntlich so uninteressant wie der Schnee von gestern. Daher an dieser Stelle auch kein Wort mehr von mir zu „Rucksackgate“, „T-Shirt-Gate“ und ähnlichem.

Wie Ihr natürlich längst wisst, wurde der Kader in der Sommerpause stark umgebaut. Ich erwähne dies dennoch, weil ich zunächst einige Spiele abwarten wollte, bevor ich die zahlreichen Ab- und Zugänge bewerte. Um es an dieser Stelle möglichst kurz zu halten: Alle Abgänge waren für mich letztlich nachvollziehbar, auch wenn ich die weitere Entwicklung Tahs und Demirbays beim HSV gerne verfolgt hätte. Bei Tah aber spielten wirtschaftliche Zwänge eine gewichtige Rolle. Zudem erscheint es mir sinnlos, einen Spieler zu halten, der den Verein verlassen will. Und Demirbay, dies wird immer deutlicher, hätte es (auch) in dieser Saison angesichts der Konkurrenz schwer gehabt, ausreichend Spielzeit zu bekommen.

Womit ich bei Spahic, Ekdal & Co wäre. Hier also eine erste Einschätzung:

Hirzel – für einen, der bisher deutlich unterklassig gespielt hat, erstaunlich stabil. Seine Entwicklung muss man aber abwarten. Die Liste hoffnungsvoller Nachwuchstorhüter beim HSV ist lang…;
Sakai – da er gleich beide Außenverteidiger-Positionen bekleiden kann, schon allein deswegen eine absolut sinnvolle Ergänzung, auch wenn er bisher noch nicht in Tritt kam;
Spahic – für mich eine klare Verstärkung. I don’t give a damm auf sein medial erzeugtes Image! Sehr erfahren, gutes Spielverständnis, gute Spieleröffnung;
Ekdal – ballsicher, mit Übersicht und Ruhe auch in Bedrängnis, versiert im taktischen Verhalten. Wurde von Woche zu Woche besser;
Gregoritsch – Alternative zu Nicolai Müller, nachdem Beister offenbar regelmäßig lustlos im Training gewirkt hatte und abgegeben wurde. Braucht noch Zeit, zeigt aber gute Ansätze;
Hunt – ich hatte eher Bedarf auf der defensiven Sechser-Position gesehen, da ich Jung nicht beurteilen konnte. Ich habe mich geirrt, und Bruno Labbadia hatte Recht! Die Verantwortlichen haben im Bereich des wirtschaftlich Möglichen das bisher noch fehlende Puzzle-Steinchen gefunden. Hat anscheinend noch leichte konditionelle Defizite, zeigte aber bereits mehr als deutlich, dass er wahrscheinlich ein zentraler Baustein einer neuen Spielkultur werden wird. Der leistungsmäßige Aufschwung von Ilicevic, Holtby und Müller ist für mich auch Folge größerer Räume auf dem Feld, die sich für die Genannten durch einen derartigen Klassemann fast zwangsläufig ergeben.
Schipplock – endlich Konkurrenz und eine Alternative zu Lasogga. Einsatzfreudig. Läuferisch stärker als Lasogga, was gerade im Pressing unerhört wichtig ist.

Kommen wir zum Spiel gegen die Eintracht aus Frankfurt. Bruno Labbadia vertraute der folgenden Aufstellung:
Drobny – Ostrzolek, Spahic, Djourou, Diekmeier – Holtby, Kacar – Ilicevic (68. Olic), Hunt, N. Müller (76. Gregoritsch) – Lasogga (87. Schipplock)

Spielverlauf: Die erste halbe Stunde gehörte zum besten, was ich seit Jahren vom HSV gesehen habe. Das sah tatsächlich nach erstligareifem Fußball, nach Spielkultur aus. Daran änderte auch nichts, dass die erste Großchance des Spiels den Gästen gehörte. Zum Glück stand Nicolai Müller in der 5. Spielminute  goldrichtig und konnte so auf der Linie für den bereits geschlagenen Drobny klären. Fünf Minuten später verpasste Djourou den Führungstreffer und drosch den Ball leider nur  an die Querlatte (10.). Was für eine Chance, schade! In der 22. (Lasogga verpasste denkbar knappe eine scharfe Hereingabe von Hunt) und 23. Minute (Hradecky parierte ein 18m-Schuss von Hunt) hatte der HSV weitere Tormöglichkeiten.

Gegen den Ball spielte der HSV eine Mischung aus 4-2-3-1/4-4-2 mit Holtby auf gleicher Höhe neben Kacar. Bei eigenem Ballbesitz sah man ein 4-1-4-1, gelegentlich sogar ein 4-1-3-2. Auffällig einmal mehr der große Aktionsradius Holtbys, der meist vor Kacar Box-to-Box spielte und sogar gelegentlich die defensiven Schwächen Ilicevics ausbügelte. Das war auch notwendig, da Ostrzolek seine liebe Müh‘ und Not beim defensiven Schließen seiner Seite hatte. Insgesamt erfreulich aber, dass beide Außenverteidiger, vor allem Diekmeier!, deutlich flüssiger in das eigene Angriffsspiel einbezogen wurden als in der letzten Saison. Auch daraus resultierte ein vom HSV überwiegend dominierter erster Durchgang.  Kritisch anzumerken wäre, dass Lasogga als designierter Zielspieler hoher Bälle diese kaum festmachen konnte, was aber meist an der fehlenden Präzision der Zuspiele lag.

Die neben Djourous Lattenkracher größte Torchance für den HSV vergab Ilicevic (klarer Leistungsanstieg) zu Beginn der zweiten Spielhälfte nach einem famosen Solo Nicolai Müllers, als er völlig frei vor dem gegnerischen Tor den Ball in die Wolken jagte (49.). Das musste doch das 1:0 sein! Schade, schade.

Im zweiten Durchgang fiel mir auf, dass nun auch Kacar gelegentlich mal nach vorne stieß, während sich dann Holtby zur Absicherung nach hinten fallen ließ. Es ist nicht zuletzt diese Mischung aus Fluidität (der Systeme), Flexibilität (der Spieler) und taktischer Disziplin, aus der zeitgemäße Spielkultur erwächst.

Ab ca. einer Stunde gewannen die Gäste zeitweilig (bis zur 80.Minute) die Oberhand. In der 62. parierte der einmal mehr gewohnt sichere Drobny-sie-will-ein-Kind-von-Dir einen wahrlich schwer zu haltenden, da verdeckten Schuss von A. Meier. Alle anderen Paraden durfte man von einem guten Erstligatorhüter durchaus erwarten, diese aber ganz sicher nicht. Großes Kino vom „Schweiger“!

In den letzen zehn Minuten des Spiels konnte der HSV das Spiel wieder etwas mehr zu seinen Gunsten gestalten. Am Ende blieb es jedoch bei einer leitungsgerechten Punkteteilung.

Fazit: Ein torloses Unentschieden der besseren Sorte.
Nach all den Unkenrufen und dem meist hämisch kommentierten Ausscheiden aus dem DFB-Pokal hat der HSV nun 7 Punkte auf der Habenseite. Das ist angesichts des schweren Auftaktprogramms deutlich besser als befürchtet. Überaus erfreulich ist m.E. die unübersehbare spielerisch-taktische Weiterentwicklung der Mannschaft unter Labbadia, dem ich – Achtung, ein Insider! – ganz einfach mal ein „riesiges Ggombliment“ machen möchte. Er schenkt seinen Spielern, seiner Mannschaft das nötige Vertrauen, hat einen Plan und bleibt dennoch realistisch. Und genau darum muss es jetzt gehen. Auch weiterhin bleiben Demut und Realismus gefragt – völlig egal, wie erfreulich sich diese Saison möglicherweise noch entwickeln mag. Und dies sollte auch über diese Spielzeit hinaus gelten. Es hat sich m.E. gezeigt, dass klug und sinnvoll eingekauft wurde, was auch als Verdienst des zuletzt viel und teilweise zurecht gescholtenen  Peter Knäbel fairerweise be- und vermerkt werden sollte.

Werbung

Über Olic und andere Rückkehrer

Um es gleich zu sagen: Ich bin generell kein Freund von Rückhol-Aktionen, sofern es ehemalige Spiele des Vereins betrifft. Gerade als Anhänger des HSV hätte man in der Vergangenheit lernen können, dass nicht jeder, der den Verein einst als Leistungsträger verließ, die mit seiner Rückkehr verbundenen großen Erwartungen tatsächlich auch erfüllen konnte.

Jörg  „the hammer“ Albertz entpuppte sich seinerzeit bei seiner Rückkehr innerhalb kürzester Zeit als ganz großes Missverständnis und enttäuschte; Aktuell dürfte es nicht wenige geben, die sich von van der Vaart bei seinem zweiten Gastspiel deutlich mehr erhofft haben.

Nun kehrt mit Ivica Olic ein weiterer verlorener Sohn zum HSV zurück. Und auch wenn dieser Transfer wohl überwiegend bejubelt wird, habe ich durchaus auch Verständnis für diejenigen, die sich eine andere Lösung erhofft haben.

Kein Verständnis habe ich aber, wenn man im Falle Olic zusätzlich zur kolportierten Ablöse von 2 Millionen Euro sein mutmaßliches Gehalt von 3 Millionen (für 1, 5  Jahre) addiert, um hernach mit dem Gesamtpaket von 5 Millionen Stimmung zu schüren. Frei nach dem Motto: 5 Millionen Euro für ein 35jähriges Auslaufmodell – da sieht man wieder die Unfähigkeit des HSV. Ich habe deswegen kein Verständnis, weil:

  1. die gleichen Medien den Schürrle-Transfer, für den der VfL Wolfsburg allein an Ablöse angeblich rund 30 Millionen Euro berappt, kritiklos bejubeln. Bislang habe ich hier noch nichts von einem Gesamtpaket gelesen, in welchem das Gehalt des Spielers von angeblich 6 Millionen Euro je Jahr bis 2019 eingerechnet und kritisch hinterfragt wurde. Dabei wäre Kritik hier durchaus angebracht. Denn das Gesamtpaket dieses Transfers dürfte damit deutlich jenseits der 50 Millionen-Euro-Marke liegen. Für einen zweifellos hochbegabten 24jährigen Nationalspieler, der aber weder in der Nationalmannschaft noch gar bei seinem letzten Verein unumstrittener Stammspieler gewesen ist. Und doch schien den Verantwortlichen des VfL Wolfsburg der Preis für das „Gesamtpaket Schürrle“ offensichtlich angemessen. Völlig losgelöst von der Person Schürrles – eine in meinen Augen bizarre Summe.
    Auch hinterfragte bisher kaum jemand kritisch, wie sich ein Transfer dieser Größenordnung mit den Regeln des Financial Fairplays beim VfL vereinbaren lässt. Ist aber auch egal, weil im Zweifel  verstoßen in Deutschland immer nur die anderen gegen die Regeln.
  2. Entweder vergleicht man allein Ablösesummen miteinander, oder man vergleicht eben Gesamtvolumina miteinander. Wer aber in dem einen Fall das Gesamtpaket bemüht, im anderen jedoch das Gehalt unterschlägt, der vergleicht am Ende Äpfel mit Birnen.

Doch zurück zum HSV und damit zur Rückkehr von Olic. Die Kritiker werden einwenden, dass man mit Olic eine Art Rudnevs 2.0 verpflichtet habe. Beide sind kampf- und lauffreudige Stürmer, wobei Olic in Sachen Technik und Erfahrung Vorteile besitzt. Die von mir hier vor Wochen angedachte optimale Ergänzung zu Lasogga scheint mir auch ein Olic nicht zu sein. Dennoch hat Olic (beim VfL) nachgewiesen, dass er als alleinige Spitze in einem 4-1-4-1 funktioniert, Rudnevs nicht. Und eben dieses 4-1-4-1, bzw. ein Hybrid-System aus 4-2-3-1/4-1-4-1 ist allem Anschein nach das System, das Joe Zinnbauer für die Rückrunde favorisiert.

Unbestreitbar neigt sich Olic aktive Laufbahn dem Ende entgegen. Er hat jedoch in der Hinrunde nachgewiesen, dass er kurz- und mittelfristig absolut wettbewerbsfähig ist. Sein Alter und damit seine Erfahrung sehe ich in der speziellen Situation des HSV sogar als Vorteil. Denn unverändert gehe ich davon aus, dies wurde erst jüngst durch die Aussagen des letztlich zum FC Arsenal gewechselten polnischen Talents, Bielik, über seine Gespräche mit den HSV-Verantwortlichen untermauert, dass die Hamburger Mannschaft im kommenden Sommer weiter deutlich verjüngt werden wird. Dies ergibt sich schon daraus, dass bei einigen „Ladenhütern“ des Hamburger Kaders dann die Verträge auslaufen. Man darf aber nicht nur erleichtert auf die damit verbundene Chance, den Etat zu reduzieren, schauen und gleichzeitig völlig ignorieren, dass die Mannschaft damit auch viel Erfahrung verliert. Allein durch den von mir unverändert erwarteten Abgang von Kacar, Ilicevic, Jansen, van der Vaart, eventuell sogar noch von Adler und Westermann geht die Erfahrung von mehreren hundert Bundesligaspielen, völlig ungeachtet der Frage, für wie verzichtbar man jeden einzelnen dieser Spieler hält, verloren. Zu glauben, man könne dies allein mit eigenem Nachwuchs, sei dieser auch noch so talentiert wie z.B. Tah und Demirbay, auffangen, ist in meinen Augen eine gefährliche, romantisierende Fehleinschätzung. Gerade für die gegenwärtige Übergangsphase kann ein Olic als Vorbild für die jüngeren Spieler dienen. Vorbild deswegen, weil seine Arbeitseinstellung als absolut tadellos einzuschätzen ist. Vorbild auch, weil gerade seine Karriere zeigt, wie weit man es trotz unbestreitbarer Defizite bringen kann, wenn man konsequent an seinem persönlichen Optimum feilt.

Sicher, auch ich hätte mir etwa einen Drmic gewünscht. Aber wenn der Markt den im Winter nicht hergibt, dann muss man eben umdenken. Deswegen auf eine Verstärkung der Offensive gänzlich zu verzichten, hätte ich als grob fahrlässig bewertet. Lasogga startet bekanntlich zum vierten Mal in Folge ohne optimale Vorbereitung. Der lauffreudige Holtby fällt bis Mitte der Rückrunde verletzt aus. Mit Nicolai Müller war ein weiterer sprintstarker Spieler während der Winterpause angeschlagen, und Maxi Beister wird allen guten Ansätzen zum Trotz noch Monate brauchen, um wirklich wieder seine Topform zu erreichen. Die Attribute Torgefahr, Kampf und Lauffreudigkeit im Kader zu stärken, erscheint mir daher sinnvoll.

Stand heute, also noch vor Schließung des Transferfensters, fehlt der Hamburger Mannschaft unverändert ein pass-/spielstarker zentraler Mittelfeldspieler. Denn die inzwischen vielfach kritisierte, mangelhafte Torausbeute ist nur zum Teil dem bisherigen Offensivpersonal geschuldet. Oft genug erreichte man bei Ballbesitz gar nicht die vordersten Reihen, sondern verschenkte seine Möglichkeiten im Übergang von mittleren ins Angriffsdrittel. Teils durch unsauberes Passspiel oder falsche Laufwege, teils durch mangelhafte Übersicht und fehlende Handlungsschnelligkeit. Ob der Club hier noch nachbessern kann, wird man abwarten müssen. Sollte dies nicht gelingen, dann könnte durch die Rückkehr von Ivica Olic wenigstens der Schulterschluss zwischen Mannschaft und Publikum gestärkt werden, auf den man im Kampf gegen den Abstieg, und nur darum geht es unverändert sportlich!, noch dringend angewiesen sein könnte.