Dankert

Chronik eines sich ankündigenden Scheiterns

Der HSV unterliegt dem 1. FC Magdeburg mit 1:2 (1:0)

(K)eine Trainerdiskussion

Wer meine Blogeinträge über die Jahre gelesen hat, der hat hoffentlich bemerkt, dass ich gewöhnlich nicht dazu neige, Einzelpersonen die Schuld am sportlichen Misserfolg in die Schuhe zu schieben. Dreißig Jahre im Sport haben mich gelehrt, dass es fast immer eine ganze Reihe von Gründen sind, an deren Kettenende Resultate stehen. Auch deswegen verwerfe ich regelmäßig monokausale Erklärungsansätze, denn in der realen Praxis sind es in aller Regel multiple Faktoren, die ein Leistungsbild vielfältig bedingen und zur Entstehung von Ergebnissen führen. Statistische Werte, eine seit einigen Jahren zunehmend im Fußball genutzte Modeerscheinung, mögen zur Legitimierung von Meinung dienen, da sie scheinbar die subjektive Wahrnehmung objektivieren, sind aber ohne Kontext und Ergänzung durch fachkundige qualitative Analyse zum wirklichen Verständnis nahezu wertlos. Ihr Benefit besteht meist nur darin, dass Erklärungssuchende vermeintlich schlagende Gründe benennen und damit Relevanz von subjektiver Meinung meinen behaupten zu können.

Im Folgenden werde ich mich dennoch klar festlegen, wer für die gestrige Niederlage des HSV gegen den 1. FC Magdeburg hauptsächlich verantwortlich ist. Und das sind nicht angeblich arrogante, selbstgefällige Spieler, sondern dies sind strukturelle Kaderprobleme und der für den gestrigen Gegner vollkommen gescheiterte taktische Ansatz des Trainers. Doch der Reihe nach.

Hannes Wolf vertraute der folgenden Startformation: Pollersbeck – Sakai (76. Narey), Bates, Papadopoulos, van Drongelen, Douglas Santos – Jung, Holtby (83. Köhlert), Mangala – Lasogga, Jatta (67. Özcan)

Wie man hier sieht, begann der HSV in jener 5-3-2, bzw. 3-5-2 Grundordnung, welche jüngst im Spiel gegen Paderborn zum Erfolg und damit zum Einzug ins Halbfinale des DFB-Pokals geführt hatte. Papadopoulos stand erneut in der Startelf und erweiterte die Innenverteidigung zu einer Dreierkette. Beide Außenverteidiger rückten bei Ballbesitz ins Mttelfeld vor, welches ansonsten durch Holtby, Mangala und Gideon Jung unterbesetzt geblieben wäre. Bei Ballverlust und erfolgslosem Gegenpressing ließen sich Douglas Santos und Sakai zurückfallen. So konnte die Dreierkette im Bedarfsfall grundsätzlich zügig zur Fünferkette erweitert werden.

Sofern Doulgas Santos mit Ball offensiv nach vorne drängte, wich Jatta nach links außen aus. So wurde Platz für den vorrückenden Brasilianer in der Mitte geschaffen, und gleichzeitig stand Jatta als Anspielstation auf dem Flügel zur Verfügung. Wenn man sich das Personal anschaut, so meine ich, dass sich schon vorab in der theoretischen Konzeption die Gefahr erkennen ließ, dass die rechte Außenbahn an Wirkung verlieren würe. Denn weder hat Sakai die Qualitäten eines Santos, noch waren der tendenziell nach rechts orientierte Sechser Gideon Jung oder Holtby vorab so stark einzuschätzen, dass man von ihnen eine gleichgewichtige Ausrichtung des HSV-Spiels im Zusammenspiel mit Sakai erwarten konnte. Dass ein Lasogga auf dem Flügel verschenkt ist, dies darf man wohl als längst hinlänglich nachgewiesen und bekannt voraussetzen und sei hier nur der Vollständigkeithalber erwähnt. Die erste daraus zu erwartende Problemzone soll das rechte Oval in der Grafik veranschaulichen.

Sofern Mangala bei Ballbesitz nach vorne stieß, rückte Jung zur Absicherung ins Zentrum. Da es sich längst auch bis nach Magdeburg herumgesprochen hat, dass es keine gute Idee ist, den HSV spielen zu lassen, es im Gegenteil sogar anzuraten ist, ihn möglichst frühzeitig zu beschäftigen, ließ Oenning seine Elf aus einem 4-4-2 entschlossen nach vorne pressen. Dadurch wurde Hamburgs heimlicher Spielmacher Douglas Santos meist defensiv gebunden. Zudem wurde im Spielverlauf eine zweite Problemzone aus Sicht des HSV erkennbar: Jung konnte als defensiverer der beiden Sechser vom 1. FCM oft mühelos personell umstellt werden, was zu Ball – und Tempoverlusten auf Seiten des HSV führte. Außerdem verschwanden die gedachten Anspielstationen im Mittelfeld aus Sicht der Hamburger Abwehr häufig im Deckungsschatten des vordrängenden Offensivpersonals der Gäste. In der Summe wirkten die Magdeburger, als seien sie bereits im Mittelfed permanent in der personellen Überzahl. Dies auch deswegen, weil klar erkennbar war, wie sehr es Jung in seiner derzeitigen Verfassung an Handlungsschnelligkeit und auch Selbstbewusstsein fehlt. Ich habe über 90 Minuten kaum einen Pass von ihm gesehen, den man nicht als Sicherheits(rück)pass einstufen muss. Strategische Pässe mit offensiver Wirkung? Fehlanzeige. In der 22. Minute hätte er bereits um ein Haar den Führungstrefer für die Gäste verschuldet, weil es ihm an Handlungsschnelligkeit fehlte, was zum Ballverlust im zentralen Mittelfeld führte. Der daraus resultierende schnelle Gegenstoß der Gäste führte zwar zu einem Torerfolg. Dieser wurde aber wegen einer angeblichen Abseitsstellung nicht anerkannt. Die erste einer Reihe von zweifelhaften Entscheidungen von Schiedsrichter Dankert und seinem Gespann.

Wenn man von einem vereinzelten Beinschussversuch von Holtby gegen Magdeburgs Torwart in der 13. Minute absieht, dann dominierten die Magdeburger vom Anpfiff an im Stile einer Heimmannschaft. Der HSV bekam insbesondere im Mittelfeld wenig Zugriff auf Ball und Gegner. So brauchte es einen Standard, einen von Douglas Santos getretenen Freistoß vom rechten Flügel, damit der HSV gefährlich wurde. Jatta reagierte am schnellsten auf die zu kurze Kopfballabwehr der Gäste und vollstreckte aus ca. 10 Metern ins lange Eck zur 1:0-Führung (31.) für den HSV. Kurz darauf holte sich Lewis Holtby für ein taktisches Foul im Mittelfeld den 5. gelben Karton (35.) und fällt daher gesperrt gegen den 1. FC Köln aus. Eine Minute später wären die Gäste fast durch einen Kopfball von Bültner zum Ausgleich gekommen, aber Sakai rettete für den bereits geschlagenen Pollersbeck. So ging es mit einer knappen und nicht unglücklichen Führung für die Hamburger in die Pause.

Sinnhaftigkeit der Startformation

Wer gedacht hatte, Hannes Wolf würde auf den Spielverlauf durch personelle Veränderungen in der Pause reagieren, sah sich nach Wiederbeginn rasch enttäuscht. Bevor man die von Wolf gewählte Startformation pauschal aber als „zu defensiv“ abqualifiziert, sind aus Fairnessgründen einige Argumente für eben diese Formation und Taktik zu erwähnen. Zum einen hat der HSV in dieser Grundformation erfolgreich das vorangegangene Pokalspiel absolviert. Zweitens scheint man der Auffassung zu sein, dass die Integration von Papadopoulos aufgrund seiner Leaderqualitäten einen Mehrwert für die Mannschaft bringt. Wenn man also nicht mit Bates oder van Drongelen einen der im bisherigen Saisonverlauf überwiegend gut performenden zwei Innenverteidiger opfern will, dann drängt sich der Gedanke mit der Dreierkette im Prinzip auf. Auch erscheint es keineswegs abwegig, die Gelegenheit nutzen zu wollen, um die Mannschaft in Erwartung des kommenden offensivstarken Gegners, 1. FC Köln, weiter mit diesem System vertraut zu machen. Dennoch ist hier kritisch festzustellen: Gideon Jung war eindeutig ein Unsicherheitsfaktor. Er ist erkennbar noch weit von seiner Bestform entfernt. Der rechte Flügel war mit Sakai allein (ohne Narey vor ihm) offensiv praktisch nicht existent. Der Spielverlauf zeigte erneut, wie wirkungslos zudem Lasogga ist, sofern er nicht maßgerecht ins Spiel eingebunden und bedient wird. Erneut konnte er kaum Bälle festmachen, erneut zeigte er technische Unzulänglichkeiten bei der Ballablage in Serie. Daraus resultierte der optische Eindruck, als spielten die Gäste fast mit zwei Mann mehr. Das Mittelfeldspiel des HSV, einmal mehr das Grauen. Ich hatte zur Pause auf Twitter die sofortige Umstellung auf ein 4-1-4-1 angedacht und dabei vor allem auf den Einsatz von Narey gehofft. Sinnvoller wäre mir jedoch eine Umstellung auf ein 4-2-3-1 erschienen, um zum einen das eigene Mittelfeld personell aufzustocken und die Chance hier auf den Zugriff zu erhöhen. Durch die offensive Aufwertung der rechten Außenbahn wäre der Gegner auch stärker in der eigenen Abwehr gebunden gewesen und das bis dahin meist einseitig akzentuierte Angriffsspiel wäre dadurch wahrscheinlich variabler geworden. Wolf aber beließ es bei der Grundordnung. Die wesentlichen Kernelemente seiner Idee, Dreierkette mit Papadopoulos und Schwachpunkt Jung, blieben unangetastet. Beinahe wäre dem HSV dennoch das zweite Tor gelungen, denn nach einem klaren Handspiel von Müller im Strafraum erkannte Dankert nicht auf den meines Erachtens klar fälligen Strafstoß.

Unter diesen Umständen kam, was fast schon kommen musste: nach erneutem Ballverlust im Mittelfeld konnte Bates im Laufduell die Innenbahn gegen Bültner nicht schließen, sodass diesem trotz dreier nomineller Innenverteidiger fast mühelos der Durchbruch durch die Defensive und dann auch der Ausgleichstreffer gelang (61.).

Wolf reagiert nun personell und nahm zu meinem größten Erstaunen ausgerechnet den schnellsten Offensivspieler, Jatta, vom Feld und brachte Özcan. Dieser besetzte den linken Flügel. Da er aber nun vermehrt von dort nach innen zog, war es Douglas Santos, der für die Breite auf dem Flügel sorgte. Deutlich besser wurde das Spiel des HSV dadurch meiner Meinung nach nicht. Weiterhin war zu sehen, dass zwischen Offensivpersonal und Abwehr oft Anbindung und Kompaktheit fehlten.

Mit dem nächsten Wechsel kam dann doch endlich der schnelle Narey, jedoch ging zugleich mit Sakai der Rechtsverteidiger vom Feld (76.). Die oben aufgezählten Grunddefizite, mangelnde Balance, mangelndes Tempo, mangelnde Anbindung, wurden dadurch wieder nicht angegangen, vielmehr wurde nun sogar die Abwehr geschwächt. Ein weiterer Fehler, wie sich noch zeigen sollte.

In der 83. Minute kam Köhlert zu seinem zweiten Einsatz. Für ihn musste Holtby weichen, der bis dahin gewohnt fleissig aber eben leider auch gewohnt ineffektiv gespielt hatte. Köhlert belebte die linke Außenbahn und erlaubte so Özcan nun zentraler hinter Lasogga zu spielen. Auch wenn der HSV in der Schlussphase auf den Siegtreffer drängte, so richtig klare Chancen ergaben sich auch dadurch nicht. Vielmehr lud man den Gegner wie bereits schon im Spiel gegen Darmstadt 98 zum kontern ein. Und so verwundert es nicht, dass Magdeburg in der Nachspielzeit ein Freistoß zugeprochen wurde, der dann über Umwege zu Türpitz kam, welchem fast mit dem Schlusspfiff der keineswegs unverdiente Siegtreffer für die Gäste gelang (90+4.).

Fazit: Hannes Wolf ist ein junger Trainer. Eine Trainerdiskussion ist meines Erachtens vollkommen fehl am Platz. Er hat nachweisbar die Mannschaft taktisch weiterentwickelt. Nach dem 4-1-4-1 zu Saisonbeginn, einem zwischenzeitlichen 4-2-3-1, nun also zum zweiten Male die Dreier- bzw. Fünferkette. Alle Systeme wurden zudem gegnerangepasst von ihm variiert. Dennoch muss man ihm wie schon gegen den SSV Jahn Regensburg, als er den deutlichst gelb-rot gefährdeten Mangala nicht rechtzeitig vom Platz nahm und so seine Mannschaft vor einem Spiel in Unterzahl bewahrte, für diese Partie eklatante Versäumnisse vorhalten. Dass Lasogga Defizite besitzt aber dennoch benötigt wird, führt bei der derzeitigen Personallage (ohne Hwang und Hunt und ohne den formschwachen Arp) zudem in jedem Spiel von vornherein zu gewissen Einschränkungen. Zwar steht die Mannschaft am Ende auf dem Platz, aber ein Trainer steht eben auch deswegen am Spielfeldrand, weil man ihm zubilligt, von dort den Überblick zu behalten. Fehleinschätzungen und Irrtümer sind nur menschlich. Auch Trainern können diese unterlaufen. Es ist aber auch klare, unbestreitbare Aufgabe eines Trainers, auf konkrete Spielverläufe zu reagieren, notfalls auch einen vorab ausgetüftelten Plan zu korrigieren, sofern dieser nicht die erwünschte Wirkung entfaltet. Dies hat Wolf hier gleich mehrfach sträflich versäumt. Der HSV verliert am Ende verdient und mit Ansage. Auch weil das in-Game-Coaching von Wolf zum wiederholten Male zu wünschen übrig ließ. Aber so sehr mich diese vermeidbare Niederlage auch ärgert, für Katastrophenszenarien besteht kein Anlass. Noch hat man in Sachen Aufstieg weiter alles in eigener Hand. Allerdings muss die Fehlerquote bei Mannschaft und Trainer sinken, will man ein böses Erwachen zum Saisonende vermeiden.

Am Ende ist und bleibt Fußball Ergebnissport. Die unlängst von Bernd Hoffmann in Richtung Hannes Wolf ausgesprochene Jobgarantie ist nichts mehr als eine erfreuliche Absichtserklärung im Hinblick darauf, dass man auch in zu erwartenden Krisen Geduld haben will. Um eine Garantie im eigentlichen Sinne handelt es sich natürlich nicht. Und das ist auch gut so. Viele Fehler dieser Art sollte sich Wolf zukünftig besser nicht leisten.

Schiedsrichter: Dankert (Rostock): Mehrfach mit zweifelhafter Regelauslegung. Einzig der nicht gegebene Elfmeter nach vermeintlichem Foul an Lasogga erscheint ohne Rautenbrille betrachtet unter den strittigen Entscheidungen richtig. Schwach.

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Von Rucksäcken, Baustellen und Blumentöpfen: Der HSV verpatzt die Heimpremiere.

AKTUALISIERUNG: Badelj verlässt den HSV und wechselt zum AC Florenz. Green wird für ein Jahr ohne Kaufoption, Holtby für ein Jahr mit Kaufoption ausgeliehen.

Ich gebe zu, auch nach einer Nacht des Überschlafens steckt mir das gestrige Spiel noch in den Kleidern. Ich beginne daher zunächst mit etwas Positivem.

Vor dem ersten Heimspiel der Hamburger gegen den Aufsteiger SC Paderborn 07 verdichteten sich die Meldungen, dass sich der HSV weiterhin um die Verpflichtung zweier neuer Spieler bemüht: Julian Green und Lewis Holtby.

Der hochtalentierte Außenbahnspieler, Julian Green (19), stammt aus der Jugend des FC Bayern München, besitzt dort einen Vertrag bis 2017 und soll leihweise für ein Jahr für den HSV auflaufen. Er ist gelernter Linksaußen, schießt jedoch beidfüßig und kann auch auf der rechten Außenbahn und im Sturm eingesetzt werden. Eine Verpflichtung, die mir aus gleich mehreren Gründen sinnvoll erscheint. Denn ich sehe im derzeitigen Kader unverändert zwei Problemzonen. Eine davon ist beinahe schon traditionell die rechte offensive Außenbahn. Nicolai Müller, der als Konkurrent/Ersatz für den langzeitverletzten Maxi Beister vom 1. FSV Mainz 05 verpflichtet wurde, verpasste einen Großteil der Vorbereitung mit der hamburger Mannschaft und plagt sich bekanntlich mit einer hartnäckigen Adduktorenverletzung, sodass er unverändert nicht zur Verfügung steht. Arslan und Rudnevs können zwar ebenfalls auf dieser Seite spielen, doch bleibt dies in beiden Fällen eine Notlösung. Ilicevic erscheint mir, ich schrieb das erst neulich, auf der linken Außenbahn stärker. Zudem habe ich den Eindruck, dass Ilicevic derzeit ein gutes Stück von seiner Bestform entfernt ist.

Bei Holtby (23) ging ich bisher davon aus, dass seine mögliche Verpflichtung aus finanziellen Gründen von einem kurzfristigen Abgang van der Vaarts oder Badeljs abhängig sei. Offenbar habe ich mich getäuscht, denn Beiersdorfer scheint einen anderen Finanzierungsweg gefunden zu haben. Wenn die Verpflichtung des Ex-Schalkers denn klappen sollte, dann kann ich dies gerade auch unter dem Eindruck des gestrigen Spiels nur begrüßen. Denn die zweite Baustelle, das wurde m.E. einmal mehr offensichtlich, ist das zentral-offensive Mittelfeld. Womit ich beim gestrigen Spiel wäre.

Die Vorzeichen schienen ach so günstig! Vom Interesse der Hamburger an den beiden genannten Spielern hatte der örtliche Boulevard erfreulicherweise wieder einmal erst im letzten Moment erfahren, was mir unverändert lobenswert erscheint, denn als Anhänger des HSV war man ja jahrelang ganz anderes gewohnt. Das Stadion war überraschenderweise fast ausverkauft. Und dies nach einer absoluten Horror-Saison und gegen einen, die Paderborner mögen mir dies verzeihen, für Erstligaverhältnisse namenlosen Gegner. Das nach dem Rückzug der CFHH befürchtete Stimmungstief beim Support des Teams konnte ich mindestens bis zur Halbzeit ebenfalls nicht ausmachen. Dass man als Zuschauer, die vorangegangene Saison noch allzu gut  im Gedächtnis, angesichts der erneut absolut enttäuschenden Darbietung der Heimmannschaft nach einem 0:2-Rückstand ab der 69. Minute in Schweigen verfällt, halte ich für vollkommen nachvollziehbar und durch die Mannschaft selbstverschuldet.

Slomka vertraute zu Beginn der Partie derselben Mannschaftsaufstellung, die in der Vorwoche gegen den 1. FC Köln eine ordentliche Leistung abgeliefert und ein torloses Remis erreicht hatte:

Adler – Diekmeier, Djourou Westermann, Jansen (71. Ostrzolek) – Behrami, Badelj, Arslan (46. Stieber), Ilicevic – van der Vaart (37. Rudnevs) – Lasogga

Dass Slomka erneut, von Behrami einmal abgesehen, auf den Einbau der neuen Spieler zu Beginn verzichtete, halte ich bei aller verständlichen Neugier und Ungeduld mancher Fans für ebenfalls nachvollziehbar. Gerade beim Brasilianer Cléber wird man einige Wochen Geduld aufbringen müssen, bis er trotz mangelnder Sprachkenntnisse die Abläufe so verinnerlicht hat, dass sein Einsatz kein allzu großes Risiko darstellt. Man stelle sich vor, Cléber hätte gleich bei seinem ersten Einsatz aufgrund eines Missverständnisses in der seit Jahren umstrittenen Innenverteidigung ein Gegentor verschuldet – davon haben sich in Hamburg schon ältere, gestandene Spieler wie Gravgard und Rozehnal nicht mehr erholt. Was Stieber und Ostrzolek angeht, so ist zunächst die Tatsache, dass sie neu sind, für sich allein genommen kein Argument für einen Einsatz von Beginn an. Sie müssen, das halte ich für ganz normal, entweder im Training klar besser sein als ihre Konkurrenten, oder sich über Kurzeinsätze empfehlen. Dass Slomka hier zunächst die etablierten Spieler, Jansen und Ilicevic, favorisierte, ist ohne Kenntnis der täglichen Trainingsleistungen m.E. nicht zu beanstanden.

Das Spiel: Der HSV kam zunächst gut in das Spiel. In der ersten Viertelstunde lief der Ball flüssig durch die hamburger Reihen, die wie von Slomka auf der PK angekündigt, erkennbar bemüht waren, offensiv und druckvoll zu agieren. Man stand in der Abwehr hoch und war bemüht, das Spielgeschehen in die gegnerische Hälfte zu verlagern. Leider fehlte es, wie schon gegen Köln,  spätestens im letzten Drittel eklatant an Durchschlagskraft.

Der SC Paderborn war vor allem zu Beginn der Partie darum bemüht,  durch aggressiv-offensives Anlaufen der Abwehr bereits den Spielaufbau ihrer Gastgeber zu stören. Dennoch gelang es dem HSV zunächst, das Spiel in die Hälfte der Gäste zu verlagern. Dort angekommen traf man aber mit fortschreitender Spielzeit auf einen Gegner, der die Außenbahnen geschickt doppelte und sein aggressives Pressing ins Mittelfeld verlagerte. Resultat: weder über die Außenbahnen noch durch die Mitte konnte sich der HSV durchsetzen. Das Spiel der Hamburger wirkte von Minute zu Minute zunehmend hilf- und harmlos.

Auffällig aus hamburger Sicht, wie schnell sich der HSV im heimischen Stadion von den mutig aufspielenden Paderbornern den Schneid abkaufen ließ. Die Ostwestfalen wirkten, daran ändert auch die nach dem Spiel ausgeglichene Zweikampfstatistik (51 zu 49 %) nichts, griffiger, engagierter. Insbesondere bei den s.g. Zweiten Bällen hatten die Hausherrn meist das Nachsehen. Beides war enttäuschend, denn sowohl die Zweikampfstärke der Paderborner als auch die Bedeutung der Zweiten Bälle waren laut Slomka Gegenstand der Vorbesprechung vor der Partie. Enttäuschend auch, weil man von der Mannschaft der Hamburger nach der letzten Saison zumindest kämpferisch eine andere, bessere Einstellung erwarten konnte.

Nach der durchaus ordentlichen ersten Viertelstunde verfiel der HSV in alte Muster. Ganz vorne stand man zwar zeitweilig mit vier Leuten auf einer Linie, doch es fehlten Staffelung und vor allem Bewegung. Da sich die vordersten Leute fast durchweg im Deckungsschatten aufhielten, fehlte es dem jeweils ballführenden HSVer viel zu oft an möglichen Abnehmern. In Kombination mit der giftigen, entschlossenen Zweikampfführung der Gäste war es daher zunehmend nur eine Frage der Zeit, bis die Bälle aus Sicht des HSV verloren gingen. Auffällig auch, dass mit fortschreitender Spielzeit vor allem Behrami um Ordnung und Konstruktivität bemüht war. Badelj, der nach meinem Verständnis den offensiveren Part im Mittelfeld einnehmen sollte, und der daher in erster Linie für die Anbindung der Spitzen zuständig gewesen wäre, habe ich in dieser Funktion kaum positiv wahrgenommen. Es ist ein Jammer! Fußballerisch ist Milan sicher einer der stärksten Spieler im Kader der Hamburger, aber ihm fehlt derzeit viel, zu viel. Keine Explosivität, kaum Ideen, kein Selbstvertrauen. Stoisch verrichtet er, so wirkt es jedenfalls auf mich, sein Tagewerk. Statt neben einem Behrami entlastet aufzublühen, scheint er mir derzeit völlig abzutauchen. Aber, darauf sei noch einmal hingewiesen, wen will man auch anspielen, wenn sich kaum keiner bewegt?

Bereits in der 17. Minute hatte Stoppelkamp nach einem feine Lupfer von Vrancic die Doppelchance zum Führungstreffer für die Gäste, aber Adler konnte den Rückstand noch mit Mühe verhindern. Sechs Minuten später verpasste auch der exzellente Kachunga aus 7m und halblinker Position den Torerfolg. Mit Glück, Geschick und vereinten Kräften konnten dieses Mal Adler und Westermann gerade noch den Rückstand verhindern (23.). Mir schien es, als hätten diese beiden großen Chancen der Gäste den Hamburgern jegliches Selbstvertrauen geraubt. Zunehmend wirkte es, als bettelte man förmlich um das Gegentor.

Kachunga ließ sich jedenfalls nicht lange bitten und vollstreckte erneut nur sechs Minuten später  im Nachschuss zum 0:1, nachdem Adler den ersten Schuss von Koc gerade noch parieren konnte. Vorausgegangen war ein Ballverlust von Arslan in der Vorwärtsbewegung, der den Konter der Paderborner einleitete. Da sich auch Diekmeier in der Vorwärtsbewegung befand, war zunächst die rechte Hamburger Seite offen wie ein Scheunentor, sodass Djourou ins Eins gegen Eins musste. Ob er dabei zu passiv blieb, kann man sicher diskutieren. Verantwortlich für den Rückstand bleiben aber Arslans Ballverlust, die fehlende Absicherung und die keineswegs optimale Rückwärtsbewegung der Hamburger.

Vom HSV war offensiv während der gesamten ersten Hälfte erschreckend wenig zu sehen, was auch, aber das kann letztlich nicht als alleinige Begründung dienen!, am frühzeitigen Ausfall von van der Vaart lag, der bereits in der 37. Minute mit Wadenproblemen das Feld verlassen musste.

Zur Halbzeit musste Arslan in der Kabine bleiben. Für ihn kam Stieber, der wie erwartet die linke Außenbahn bespielte, während der bemühte, aber oft glücklos agierende Ilicevic wie schon gegen Köln auf die rechte Außenbahn wechselte. Mit anderen Worten: Slomka wechselte von einem 4-4-1-1 auf ein 4-4-2 mit Rudnevs neben Lasogga als zweiter Spitze.

Zunächst schien es, als würde sich diese Umstellung auszahlen. Zwischen der 55. und der 63. Spielminute kam der HSV nun zu einigen, wenigen Torgelegenheiten, die aber allesamt vergeben wurden. Lasogga war wie immer fleißig, aber ihm fehlt verständlicherweise noch die Explosivität und auch die Form, sodass er, in der 61. Minute zentral vor dem gegnerischen Tor stehend, einen feinen Querpass von Jansen nicht verwerten konnte. Nur zwei Minuten später traf Ilicevic einmal mehr(!) beim Abschluss den Ball nicht sauber, und auch Rudnevs kam anschließend am langen Pfosten nicht an den „Querschläger“. Nicht nur bei Ilicevic habe ich den Eindruck, dass ihm die Misserfolge der letzten Saison wichtiges Selbstvertrauen geraubt haben. Derzeit befindet er sich auf dem Weg zum Chancentod. Allerdings ist auch lobend festzuhalten, dass er derzeit einer der wenigen Spieler beim HSV ist, der sich überhaupt Chancen erarbeitet.

In der 69. Minute, der HSV hatte im eigenen Strafraum den Ball erobert und setzte  gerade zum Konter an, wollte Rudnevs vor dem eigenen Sechzehner quer auf Lasogga spielen. Abgesehen davon, dass man Querpässe vor dem eigenen Strafraum tunlichst vermeiden sollte, und abgesehen davon, dass Rudnves Passversuch sowohl Präzision als auch der nötige Druck fehlte, hatte ich grundsätzlich den Eindruck, dass das Freilaufen nach Balleroberung viel zu langsam und unentschlossen erfolgte. Mehrfach war zu beobachten, dass Adler das Spiel gerne beschleunigt hätte, aber den Versuch abbrechen musste, weil sich offensichtlich niemand anbot. Aber hier mögen die Fernsehbilder möglicherweise einen falschen Eindruck erweckt haben. Jedenfalls bedankte sich Vrancic für dieses Geschenk, umkurvte Adler und vollstreckte zum vorentscheidenden 0:2.

In der 71. Minute kam mit Ostrzolek (für Jansen) der nächste Neue auf Seiten der Hamburger auf das Feld. Beide, Stieber und Ostrzolek haben m.M.n. andeuteten können, warum der Verein sie geholt hat, auch wenn sie keine ganz großen Glanzpunkte setzen konnten. Zu begrüßen ist in jedem Fall, dass sich der Konkurrenzkampf im Team weiter verschärft. Insbesondere im zentral-offensiven Bereich dürfte sich dies, sofern die Verpflichtung von Holtby tatsächlich gelingt, leistungsfördernd auswirken.

Nur der vollständigkeitshalber sei das 0:3 in der 87. Minute erwähnt, als sich der HSV einmal mehr über seine linke Seite auskontern ließ. Stoppelkamp vollstreckte aus halbrechter Position humorlos ins lange Eck. Dieser letzte Gegentreffer mag für manchen Zuschauer das Fass zum überlaufen gebracht haben, er ist aber in meinen Augen der geringen verbleibenden Restspielzeit und eben dem Rückstand geschuldet. Das ist also aus meiner Sicht nur ein Fall für die Statistik.

Schiedsrichter: Dankert (Rostock). Versagte dem SC Paderborn 07 in meinen Augen einen regulären Treffer (zum 0:2) wegen angeblicher Abseitsstellung. Hatte ansonsten keine Mühe mit der Spielleitung.

Fazit: Der HSV verliert hochverdient sein Auftaktspiel gegen einen diszipliniert und engagiert auftretenden  Aufsteiger mit 0:3 (0:1). Glückwunsch an Trainer André Breitenreiter und den SC Paderborn 07! In dieser Form werden auch noch andere etablierte Erstligisten ihre liebe Müh‘ und Not gegen die Ostwestfalen haben.

Der HSV ist fast alles schuldig geblieben. Von dem druckvollen Offensivfußball, den Slomka zuvor angekündigt hatte, war einmal mehr nichts zu sehen. Das Bemühen will ich der Mannschaft nicht absprechen, aber der Rucksack der Verunsicherung, mangelnde Kreativität, und Geschwindigkeitsdefizite in der Spielentwicklung sind offensichtlich.

Individuelle Fehler (Arslan, Rudnevs) sind prinzipiell nicht völlig zu vermeiden. Was mich wirklich verärgert hat, ist, dass man ohne Gelbe Karte aus einem Heimspiel kommt, obwohl man um die Bissigkeit der Paderborner in den Zweikämpfen wusste, und obwohl man nach der letzten Saison dem heimischen Publikum mindestens eine Top-Leistung in kämpferischer Hinsicht schuldig war. Sich nicht mit dem absoluten Willen in einen Zweikampf zu begeben – das kann man nicht mit fehlendem Selbstvertrauen aus der letzten Saison entschuldigen. Das ist eine Frage der Einstellung!

Was der SC Paderborn 07 geboten hat, das war ohne Frage gut, aber bei allem Respekt eben auch kein Fußball von einem anderen Planeten. Diszipliniert die Räume verengen, Lauf- und Kampfbereitschaft, all dies sind unverzichtbare Grundlagen, kein Hexenwerk.

Dieses Spiel ist für mich nicht aufgrund der Niederlage enttäuschend, sondern aufgrund der Art und Weise ihres Zustandekommens. Es besteht für mich derzeit kein Grund, eine Trainerdiskussion zu beginnen,  oder mich an einer solchen zu beteiligen. Gleichwohl erwarte ich (s.o, meine Einleitung), dass sich der verschärfte Konkurrenzkampf in den nächsten Wochen deutlich leistungsfördernd auswirkt, auch wenn man in diesem Zusammenhang nicht sofort Wunder erwarten darf.

In meinen Augen gibt es einige Kandidaten, die für einen Bankplatz in Frage kämen. Für weitere Einsätze empfehlen konnten sich die Wenigsten. Insbesondere für Badelj, Arslan und Rudnevs dürften meiner Meinung nach, sollten Holtby und Green kommen und Müller fit werden, härtere Zeiten anbrechen. Aber auch Diekmeier täte es vielleicht ganz gut, wenn er den Atem eines Konkurrenten im Nacken spüren würde, denn Flanken dürfen auch mal ankommen…

Es bleibt bei der Erkenntnis der letzten Saison: Mit einer solchen Leistung, wie sie der HSV in diesem Spiel einmal mehr abgeliefert hat, kann man in der Ersten Bundesliga keinen Blumentopf gewinnen. Nicht einmal gegen, dabei bleibe ich, den größten Außenseiter. Zu den absoluten Grundvoraussetzungen gehören Kampf und Konzentration. Wer das in dieser Mannschaft immer noch nicht verstanden hat, der ist bald raus. Und das ist gut so.