Der geschätzte Sven von den Zwergenwerken hat einen lesenswerten Beitrag über die Trainerdiskussion (http://zwergenwerke.blogspot.de/2015/02/trainerdiskussion.html) geschrieben, den ich dort zu kommentieren begann. Als mein Entwurf eines Kommentars länger und länger wurde, habe ich mich dazu entschlossen, meine Antwort hier zu veröffentlichen. Los geht ’s:
Ich stimme Christians Kommentar zu. Die inzwischen oft hinterfragte und geforderte „Handschrift“ eines Trainers wird von vielen Kommentatoren mit erzielten Siegen verwechselt. Gewinnt die Mannschaft, hat der Trainer – angeblich! – alles richtig gemacht. Dann hinterfragt auch keiner, warum die Spieler x,y,z spielten, und warum diese oder jene auf der Bank saßen. Und es vermisst übrigens auch kaum einer eine „Handschrift“. Dann wird gewöhnlich höchtens gemault, dass die Mannschaft keinen „schönen“ Fußball spielt.
Verliert die Mannschaft, dann meint jeder zu wissen, dass doch der Grundsatz gilt: „never change a winning team“. Völlig absurd wird es, wenn man nun allein aufgrund des Resultats die angeblich „zu vielen“ und „zu häufigen“ Wechsel Zinnbauers anprangert, aber gleichzeitig Thomas Tuchel -ausgerechnet den! – als Erlöser zum HSV sehnt. Eben jenen Trainer, der sich für jeden Gegner ggf. eine eigene, maßgeschneiderte Aufstellung einfallen lässt und deswegen auch nach Siegen seiner Mannschaften regelmäßig fünf, sechs Veränderungen vornimmt. Gerade Tuchel ignoriert das, was man aktuell Zinnbauer nach dieser Klatsche vorwirft. Aber da der Wundertrainer (noch) nicht beim HSV arbeitet, wird er als Erlöser gesehen, der ganz bestimmt über das Wasser wandeln kann. Das eint ihn im Übrigen mit vielen Spielern, die (noch) nicht für den HSV gespielt haben. Die sind angeblich auch alle tausendmal besser als die angeblich „bundesligauntauglichen“ beim aktuellen HSV. Es ist so oberflächlich, naiv und öde, weil sich diese Geschichte immer und immer wieder wiederholt: Kommen die, die (noch) nicht beim HSV sind, dann nach Hamburg und die Mannschaft gewinnt nicht plötzlich in Serie, dann wird gemutmaßt, der Effekt des Trainerwechsels sei bereits verpufft, dann werden die verwöhnten Jung-Millionäre durch die Verlockungen der Großstadt Hamburg angeblich alle schlechter. Auch Tuchel würde dann als angeblicher Fehler vorgeworfen, was ihn als Trainer im Grunde seit Jahren auszeichnet. Neben vielen anderen Eigenschaften.
Da Diekmeier ausfiel, war Götz statt des erfahreneren aber hüftsteifen Westermann aufgrund der schnellen, beweglichen Außen der Bayern m.E. mindestens nachvollziehbar. Marcos statt Ostrzolek kann man aus dem Rathaus kommend natürlich als Trainer-Fehler leicht anprangern, nur wäre auch ein Ostrzolek von Robben vorgeführt worden, wäre er so von den auf seiner Seite als Sechser spielenden und daher zuständigen vdV und Vordermann Jansen im Stich gelassen worden. Dann hätten wir eben „nur“ 6 oder 7 zu 0 verloren.
Ob Rajkovic oder Westermann, ob Cléber oder der liebe Gott persönlich als zweiter IV gespielt hätte, glaubt jemand ernsthaft, das sei der Grund für die Höhe der Niederlage gewesen? Ich nicht! Die Abwehr ist Teil einer Mannschaft und sieht immer schlecht aus, wenn sie allein gelassen wird.
Ob ein oder zwei Stürmer, das bleibt zweifellos diskutabel. Aber auch diese Frage kann nicht ernsthaft das Rekorddebakel erklären. In der 21. Minute fiel das 1:0, unmittelbar darauf ein (irreguläres) 2:0 (23.). Genau eine weitere Minute später kam Nicolai Müller für Olic. Und spätestens ab diesem Zeitpunkt, also beim Stand von 2:0, wurde im 4-2-3-1, also nur noch mit einem Stürmer gespielt. Es verbietet sich daher, die dann immerhin noch folgenden 6 (sechs!) Gegentreffer einer zwei Stürmer-Aufstellung anzulasten.
Der Knackpunkt ist in meinen Augen das längst bekannte, wiederholte Versagen angeblicher Führungsspieler. Das ist aber auch eine Frage der Persönlichkeit der Spieler, auf die jeder Trainer, egal ob Joe Zinnbauer, Tuchel oder meinetwegen Guardiola, nur einen arg begrenzten Einfluss hat. Da hilft nur: endlich aussortieren im Sommer. Und bei den Neuverpflichtungen auch und vor allem auf eben diesen Punkt größten Wert legen.
Dass die Mannschaft des HSV kaum echte Führungsspieler besitzt, die gerade dann vorangehen, wenn es nicht läuft, dieses Defizit ist inzwischen jedoch alt, uralt. Jansen, vdV, Westermann sind in meinen Augen honorige Spieler, die sich auch nach Pleiten den Medien stellen. Leider kennzeichnet dies allein noch keine echten Führungsspieler.
Entscheidender ist auch, was ich inzwischen als „vdV-Falle“ des HSV bezeichnen möchte. Vorne, also in der Offensive, hat er nicht überzeugend gespielt. Dann hat man händeringend für ihn eine andere Verwendung im zentral-defensiven Mittelfeld gesucht und behauptet, er könne dort spielen. Kann er durchaus auch! – mit einem Zerstörer neben sich und gegen schwächere Gegner.
Man stelle sich alternativ aber einmal vor, Joe Zinnbauer würde van der Vaart auf die Bank setzen und die Mannschaft dennoch verlieren. Raffa ist offenbar im Kollegenkreis als Authorität akzeptiert und das johlende Volk auf den Tribünen und der allgegenwärtige Boulevard „wüssten“ dann, dass es selbstverständlich ein unverzeilicher Fehler des Trainers gewesen sei, auf Raffa zu verzichten. Was hätten wir in einer ohnehin schwierigen sportlichen Situation für ein andauerendes, öffentliches Theater in den nächsten Monaten?!
Als Coaching-Fehler Zinnbauers empfinde ich dennoch den zu späten Wechsel Jiracek/vdV angesichts dessen, was vdV bis dahin abgeliefert hatte. Im Grunde hätte man aber auch Jansen rausnehmen müssen. Doch der ist gelernter LV und war damit defensiv prinzipiell stärker als die Alternativen auf der Bank einzuschätzen. Da verstehe ich Joe Zinnbauers Zögern absolut. Später konnte er ihn nicht mehr herausnehmen, weil das Wechselkontingent bereits ausgeschöpft war.
Natürlich hat auch Zinnbauer seinen Anteil an der Rekord-Niederlage, dies will ich gar nicht in Abrede stellen. Betrachtet man jedoch seine Arbeit über die letzten Monate im Detail, dann hat er – ungeachtet der Frage, ob der HSV Grottenfußball spielt, ob er gewinnt oder verliert – eine klare, in aller Regel absolut nachvollziehbare „Handschrift“. Wenn jemand die nicht zu erkennen vermag, dann belegt das m.E. eine Leseschwäche des Betrachters und nicht, dass diese nicht vorhanden wäre.
Wir müssen in Hamburg endlich weg von der Schnappatmung nach Niederlagen, fallen sie auch noch so heftig aus. Weg vom kurzsichtigen Aktionismus, der uns neben anderen gravierenden Fehlern auch dahin geführt hat, wo wir jetzt stehen. Wir müssen uns endlich eingestehen, wo wir längst gelandet sind, nämlich unten und ohne jeden kurzfristigen(!) Anspruch auf „Europa“. Die tatsächliche Wende zum Besseren, die wird es nur mit mehreren(!) erfolgreichen Sommer-Transferperioden und Kontinuität bei einer erst zu etablierenden, einheitlichen Spielphilosophie geben. Wer etwas anders glaubt, der lebt im Märchenland.