Schweinsteiger

Historische Niederlage mit vielfältigen Ursachen: FC Bayern München – HSV 8:0 (3:0)

„Es ist längst ein Klassenunterschied.“ (Kommentar M. Reif auf SKY, 52. Spielminute)

Man stelle sich vor: Ein normaler VW-Golf tritt gegen einen aufgerüsteten Porsche zu einem Rennen über die Meile an. Nach 900 Metern hat der Porsche wie zu erwarten einen deutlichen Vorsprung. Da dämmert es auch dem kommentierenden Rennbeobachter, dass ein Klassenunterschied bei diesem Wettkampf vorliegt. Donnerwetter, Herr Reif, was für eine Expertise! Ich bin angemessen beeindruckt.

Tatsächlich entwickelt sich die Bundesliga in die höchst bedenkliche Richtung eines einseitigen Wettbewerbs. Angesichts der eklatant ungleichen Voraussetzungen der Vereine, erscheint bis auf Weiteres jedes Jahr der Titel fest nach München vergeben. Derzeit ist im Prinzip ausschließlich fraglich, ob der FC Bayern bereits im März oder „erst“ im April vorzeitig Deutscher Meister wird. Und wieviele Punkte Vorsprung die Mannschaft bis dahin auf die grundsätzlich chancenlose Konkurrenz herausgespielt hat. Wer da ernsthaft von „Bayern-Verfolgern“ redet, der ignoriert die Realität. Daran ändert auch nichts, dass es dem VfL Wolfsburg tatsächlich zum Rückrundenauftakt gelang, den Dominatoren der Liga ausnahmsweise eine Niederlage zuzufügen. Derartiges passt allerdings all jenen nur zu gut ins Geschäft, die von dieser Konstellation profitieren (FCB), die das Produkt Bundesliga vermarkten (DFL), oder die ihre exorbitanten Investitionen (Übertragungsrechte) durch entsprechend schönfärberische Berichterstattung refinanzieren müssen (SKY). All jene haben ein Interesse daran, dass dem Zuschauer inzwischen eine Illusion verkauft wird.

Um nicht missverstanden zu werden: Der FC Bayern München hat sich seinen Wettbewerbsvorteil durch jahrzehntelange, hervorragende Arbeit ebenso verdient, wie der Hamburger SV seinen inzwischen mehr als deutlichen sportlichen und  finanziellen Rückstand durch überwiegend desaströse Fehlentscheidungen, Missmanagement und sportliche Inkompetenz selbst zu verantworten hat. Aber was will man eigentlich erwarten, wenn eine der absolut besten Mannschaften des Planeten gegen einen Mitbewerber antritt, dem in der gesamten Vorsaison lächerliche 27 Zähler gelangen? Selbst wenn dem HSV am Ende dieser Saison mit 37 Punkten ein eindeutig besseres Saisonresultat gelingen sollte, dann bedeutet dies für die Hamburger immer noch Abstiegskampf, nichts anderes.

Natürlich, der Sport schreibt immer wieder die tollsten Geschichten. Sensationelle Erfolge eines krassen Aussenseiters sind nie gänzlich auszuschließen. Dies ist schließlich Teil seiner Faszination. Dennoch sollte die Einschätzung realistisch bleiben. Über die Jahrzehnte hat der FCB nicht nur fachlich sinnvoll und kontinuierlich hervorragend gearbeitet, sondern inzwischen im Vergleich u.a. zum HSV vermutlich einen Betrag in seine Mannschaft mehr investieren können, der im Milliardenbereich liegen dürfte. In Euro. Es ist daher auch nicht das medial kolportierte s.g. „Bayern-Gen“, aus dem der Wettbewerbsvorsprung resultiert, sondern die auf fast allen Ebenen (Personalauswahl, Training, Scouting, medizinische Betreuung und Finanzen) bessere Arbeit des FCB, die von einer ehrgeizigen Anspruchshaltung der Münchner dann zusätzlich zu einer selbstbewussten „mia-san-mia-Mentalität“ im Wettkampf führt. Doch genug der Vorrede.

HSV-Trainer Joe Zinnbauer überraschte mit der folgenden Aufstellung: Drobny – Götz, Djourou, Westermann, Marcos (57. Ostrzolek) – Stieber, van der Vaart (57. Jiracek), Diaz, Jansen – Rudnevs, Olic (24. N. Müller)

Diskutabel erscheint hier zunächst, dass Westermann für den zuletzt tadellos spielenden Rajkovic neben Djourou in die Innenverteidigung zurückkehrte. Nachträglich wurde dies mit leichten Geschwindigkeitsvorteilen Westermanns begründet. Da Zinnbauer hier über exakte Daten und Eindrücke aus dem täglichen Training verfügt, will und kann ich hier keinen Fehler erkennen. Schon gar keinen spielentscheidenden. Allerdings hätte ich auf diesen Wechsel verzichtet.

Götz als RV ist aufgrund der Verletzung Diekmeiers logisch; für Marcos als LV gegen Robben, einen der besten Außen der Welt, hätte ich den erfahreneren Ostrzolek gewählt.

Durch die Besetzung des zentral-defensiven Mittelfelds durch Diaz und van der Vaart wollte Zinnbauer mutmaßlich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Einerseits wurde Erfahrung auf den Platz gebracht, andererseits sollten beide wohl durch ihre Pass-Stärke zielgerichtete Konter einleiten. Ich hielt dies schon vor dem Spiel angesichts des realen Klassenunterschieds (s.o.) für sehr, sehr mutig. Oder anders ausgedrückt für zu riskant. Ich schrieb bereits in vorangegangenen Artikeln, dass m.E. bei dieser Lösung die Mischung zwischen Spielstärke, Dynamik und defensiver Zweikampfstärke suboptimal bleibt. Jiracek oder sogar Kacar für van der Vaart wäre m.M.n. die bessere Wahl gegen die Dominatoren gewesen.

Eine Umstellung auswärts gegen die Bayern auf zwei Stürmer ist mutig und in meinen Augen die konsequente Fortsetzung des von Zinnbauer gewählten Ansatzes: zielgerichtete Pässe aus der Zentrale auf zwei denkbare Abnehmer – das ist variabler und damit schwerer auszurechnen. Hätte theoretisch funktionieren können.

Spielfilm: Abweichend zu meinen bisherigen Spielberichten möchte ich darauf verzichten, die Entstehungsgeschichte jedes einzelnen Tores hier darzustellen. Stattdessen nun einige Beobachtungen zu Spielverlauf und Taktik.

Die Bayern waren wie zu erwarten sofort dominant. Der HSV versuchte sich spielerisch aus der Defensive zu befreien und verzichtete weitestgehend auf das destruktive Gebolze der beiden vorangegangenen Spiele (SCP, H96). In einem überwiegend flachen 4-4-2 versuchte man die Breite des Feldes gegen die Münchner abzudecken, von denen allgemein bekannt sein dürfte, dass sie unerhört schnell den Ball zirkulieren lassen können, was regelmäßig bei ihnen zu schnellen Seitenverlagerungen führt. Zunächst standen beide Hamburger Viererketten  auch eng genug beieinander, jedoch sah man früh, dass dem Duo Diaz/van der Vaart eben jene Dynamik fehlt, die man benötigt, um tatsächlich Zugriff auf das Herz des Münchner Spiels im zentral-defensiven Mittelfeld zu bekommen. Van der Vaart kippte bei dem eher seltenen Gelegenheiten zum kontrolllierten Spielaufbau der Hamburger aus der Abwehr in der bekannten Manier ab, es fehlt ihm jedoch an defensiver Zweikampfstärke und an läuferischer Dynamik, sodass dem HSV eben das überhaupt nicht gelang, was den Wolfsburgern als bisher einziger Mannschaft gelungen ist: Schweinsteiger (und damals Xabi Alonso) auf den Füßen zu stehen. Das wirkte sich aus Sicht des HSV fatal aus, da Guardiola vor Schweinsteiger den äußerst beweglichen Götze und den Raumdeuter Thomas Müller positioniert hatte. Van der Vaart läuft viel, aber meist in einem Tempo. Ihm fehlte gegen diesen Gegner das nötige Sprintvermögen.

Der Elfmeter zum 1:0 ist Folge der von der DFL vorgegebenen Regelauslegung zum Handspiel und daher korrekt, wenn auch aus Sicht des jungen Marcos unglücklich. Kein Vorwurf an den Spieler meinerseits an dieser Stelle. Das schnell folgende 2:0 und damit im Grunde bereits die Vorentscheidung war eine von gleich mehreren Fehlentscheidungen, die Schiedsrichter Weiner und sein Gespann fast ohne jede Ausnahme zugunsten der ohnehin übermächtigen Münchner traf. Ausnahme blieb nur der Verzicht auf die gelb-rote Karte gegen van der Vaart, die sich dieser durch ein idiotisches, da völlig unnötiges Foul an Thomas Müller im Mittelfeld (40.), eigentlich mehr als redlich verdient gehabt hätte. Raffa mag ja lobenswert Verantwortung bei Elfmetern übernehmen und in der Kabine flammende Reden halten, aber es ist keineswegs das erste Mal, dass er als Kapitän seinen Trainer durch unbedachte Aktionen im Grunde schon zur Halbzeit dazu nötigt, ihn vom Feld zu nehmen. Auch wenn Knäbel und Zinnbauer ihn öffentlich aus nachvollziehbaren Gründen aus der Schusslinie nehmen – zu einem wirklichen Führungsspieler gehört in meinen Augen mehr. Viel mehr. Womit ich bei einem generellen Defizit in den Kadern des HSV der letzten Jahre wäre. Kaum echte Führungsspieler (Drobny ist im Tor zu weit weg), zu viele Spieler mit notorisch großer Klappe (vor dem Spiel), die dann im realen Spiel zu oft abtauchen. Jansen ist auch so ein Kandidat. Und das schreibe ich, obwohl ich ihn grundsätzlich mag und sehr wohl zu schätzen weiß, was er leisten kann und auch oft genug geleistet hat. Wie er den unerfahren Marcos gegen Ende der ersten Halbzeit und zu Beginn der zweiten Spielhälfte, vor allem beim 4:0 allein in einem eins gegen eins gegen Robben und damit im Regen stehen lassen konnte, – gegen Robben! – bleibt mir ein Rätsel. Fast hätte ich geschrieben, das war eine echte Schweinerei. Dass der HSV nun einen Muskelfaserriss bei Jansen vermeldet, kann diese, gemessen an seinen eigenen Ansprüchen,  mangelhafte Leistung nicht rechtfertigen. Mindestens bis zum fälschlich nicht anerkannten 1:6 in der 63. Spielminute, dem ein langer Sprint Jansens nebst Flanke auf Rudnevs vorausging, war er eben offensichtlich nicht verletzt. Ausschließlich sein späteres Verhalten auf dem Platz lässt sich nachträglich so erklären und entschuldigen. Van der Vaart, Jansen – beide sind dennoch nicht allein schuld, aber auch sie haben zum Desaster von München beigetragen.

Zinnbauer musste Olic leider verletzungsbedingt früh aus dem Spiel nehmen und verdichtete das Mittelfeld zu einem 4-2-3-1, was angesichts des nicht vorhandenen Zugriffs eben dort (s.o.) sinnvoll erschien. Viel zu spät jedoch, nämlich erst beim Spielstand von immerhin 6:0!, kam der Wechsel von Jiracek für van der Vaart und Ostrzolek für Marcos, der gegen einen Robben in Galaform und ohne konsequente Unterstützung durch Jansen absolut überfordert war. Auch hier kein grundsätzlicher  Vorwurf an Marcos. In Hamburg schreit man seit Jahren nach eigenen Talenten, aber wenn die dann auf dem Platz stehen, dann sollen die am besten wie gestandene Profis agieren? Lächerlich. Wer Talente entwickeln will, der muss Geduld haben. Der muss mit Leistungsschwankungen und mitunter auch gröberen Fehlern eben dieser Talente leben. Von den wirklich rar gesäten absoluten Ausnahmetalenten weltweit abgesehen, ist alles andere Unfug. Im Übrigen fand ich, dass durch Jiracek und Ostrzolek etwas mehr Ruhe ins Spiel des HSV kam, was allerdings zusätzlich auch durch nachlassende Münchner begünstigt wurde. Dass beide Spieler bei diesem bereits ernüchternden Spielstand keine Bäume mehr ausreißen konnten, dürften die meisten Leser nachvollziehen können.

Insgesamt verteidigte der resignierende HSV insbesondere in der Schlussphase zu passiv, sodass die letzten Treffer der Bayern mit besserem Einsatzwillen vermeidbar wirkten. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass die Variabilität, die technische und taktische Perfektion des Branchenprimus an solchen Tagen ein nahezu zirzensisches Niveau erreicht, das ganz andere Mannschaften als den HSV der Gegenwart ebenfalls an die Wand spielen kann.

Fazit: Der HSV unterliegt auch in der Höhe verdient. Zinnbauer hat, nachträglich betrachtet, durch seine Aufstellung (zu) viel riskiert. Auch die Auswechslung von van der Vaart hätte m.E. bereits in der Halbzeitpause beim Stand von 3:0 und nicht erst beim 6:0 erfolgen müssen. Aber auch für Zinnbauer gilt, dass man ihm Fehler zugestehen muss. Er wird ganz sicher seine Lehren aus diesem Spiel ziehen. Daher halte ich rein gar nichts von jenen Stimmen, die einem erneuten – wie oft eigentlich noch?!! – Trainerwechsel nunmehr das Wort reden.

Zur Entstehungsgeschichte dieser historischen Rekordniederlage für die Hamburger gehören auch die für den Spielverlauf erheblichen Fehlentscheidungen des Schiedsrichters und die Verletzungsausfälle beim HSV. Vor allem Behrami wurde in diesem Spiel schmerzlichst vermisst. Weitere Gründe für dieses Debakel sind in dem über Jahre unsachgemäß zusammengestellten Kader (zwei Jahre fehlender Sportdirektor…), und der finanziellen Lage, die zum beschleunigten Einbau der Talente geradezu nötigt, zu suchen.

Tore: 1:0 T. Müller (21.); 2:0 Götze (23.); Robben (36.); 4:0 Robben (47.); 5:0 T. Müller (55.); 6:0 Lewandowski (56.); 7:0  Ribéry (69.); 8:0 (Götze)

Schiedsrichter: Weiner (Giesen). Hatte mit seinem Team einen gebrauchten Tag erwischt. Die Entscheidung auf strafbares Handspiel gegen Marcos und Strafstoß ist regeltechnisch vertretbar. Dennoch meine ich, dass die in Deutschland praktizierte Regelauslegung zum Handspiel fragwürdig ist und regelmäßig zu absurden Konsequenzen führt. Marcos vergrößert zwar seine Körperfläche, dies geschieht jedoch aus einer Laufbewegung, bei der die Arme naturgemäß mitschwingen. Außerdem erfolgt der Schuss aus kurzer Distanz (2m). Von einer absichtlichen(!) Handbewegung kann hier meines Erachtens daher keine Rede sein. Es kann nicht sein, dass Abwehrspieler mit hinter dem Rücken verschränkten Armen zum Ball laufen (müssen), weil sie ansonsten Gefahr laufen, einen Elfmeter zu verursachen.

Lewandowski stand beim Schuss von T. Müller vor dem vorentscheidenden 2:0 zwar im Prinzip passiv im Abseits, verdeckte jedoch Drobny durch seine Positionierung die Sicht, was m.M.n. einen strafbaren, aktiven Eingriff ins Spielgeschehen darstellt.

Der Treffer von Rudnevs (63.) hätte Anerkennung finden müssen, da Rudnevs beim Abspiel von Jansen eindeutig nicht im  Abseits stand.

Nachtrag: Las gerade den Blog der geschätzten MrsCgn, die sich Gedanken zum Kommunikationsverhalten des HSV macht. Ungeachtet der Frage, ob ich ihr in jedem einzelnen Punkt zustimme, finde ich den Artikel https://mrscgn.wordpress.com/ lesens- und bedenkenswert.

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Eine goldene Generation gewinnt den vierten Stern und mehr: Deutschland – Argentinien 1:0 n.V. (0:0)

Deutschland gegen Argentinien – zum insgesamt dritten Mal nach 1986 und 1990 bestritten die Mannschaften beider Länder ein Finale um die Fußball-Weltmeisterschaft.

Geblendet von einem in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Spiel der deutschen Elf gegen den diesjährigen WM-Gastgeber Brasilien, konnte man im Vorfeld des Finales den Eindruck gewinnen, als sei das Endspiel eine reine Formalie, an deren Ende es nur einen Gewinner geben könne: die deutsche Mannschaft.

Ich gebe zu, je klarer und eindeutiger die Vorhersagen in „‚Schland“ ausfielen, desto skeptischer blickte ich dem Finale entgegen. Denn es gibt einen schmalen Grat zwischen begründeter Zuversicht und einem überzogenen Optimismus, der den Erfolg als im Grunde selbstverständlich betrachtet. Bisweilen schien es mir, als würde mancher hierzulande das Fell des Bären bereits verteilen, den man noch gar nicht erlegt hatte.  Ich ertappte mich daher schon bei der Frage, wen man wohl im Falle einer Niederlage als Sündenbock für die enttäuschte Erwartungshaltung einer ganzen Nation ausgucken würde. Nur gut, dass Löw, Schweinsteiger und Lahm im Vorfeld der Partie darauf hinwiesen, dass der eigene, furios herausgespielte Sieg im Halbfinale gegen den Gastgeber Brasilien als Muster ohne Wert zu sehen war.  Dieses Spiel ist bekanntlich in jeder Hinsicht absolut außergewöhnlich verlaufen. Man durfte daher mit begründeter  Zuversicht auf den Gewinn des Titels in das Finale gehen, aber Respekt vor dem Gegner dort,  Argentinien,  war absolut angebracht. Die Papierform nützt einem gar nichts, wenn man das eigene Leistungsvermögen nicht auf den Platz bringt. Und das, erfahrene Wettkampfsportler wissen das, gelingt eben nicht immer.

Bundestrainer Löw hatte offenbar ursprünglich die Absicht, mit derselben Mannschaft gegen die Albiceleste anzutreten , die bereits im Viertel- und im Halbfinale aufgelaufen war. Doch nach dem Aufwärmen meldete Khedira eine Verhärtung der Wadenmuskulatur, sodass Löw kurzfristig den jungen Kramer für die Startelf nominierte. Was für eine Karriere! Als Ersatz des Ersatzes (Gündogan und die Benders fielen ja aus) im letzen Moment  in den Kader gerutscht und dann ein Einsatz von Beginn an in einem WM-Finale. Ich gebe zu, den Ausfall Khediras sah ich im Vorfeld als deutliche Schwächung der deutschen Mannschaft. Aber, dies sei hier vorweggenommen, Kramer machte seine Sache gut.

Das deutsche Team begann also in der folgenden Aufstellung: Neuer – Lahm, Boateng, Hummels, Höwedes – Schweinsteiger, Kramer (31. Schürrle), Müller, Kroos, Özil (120. Mertesacker) – Klose (88. Götze)

Auf Seiten Argentiniens konnte Trainer Sabella fast aus dem Vollen schöpfen. Lediglich di Maria stand wie erwartet nicht zur Verfügung.

Das Spiel: Die deutsche Mannschaft begann das Spiel mit einer ähnlichen Ausrichtung, wie bereits gegen Brasilien. Schweinsteiger agierte bei eigenem Ballbesitz im Zentrum als defensivster Mittelfeldspieler, während Kroos und Kramer deutlich offensiver spielten und die eigene Offensive unterstützten. Die Albiceleste stand bei Ballbesitz der Deutschen mit zwei gut organisierten Viererketten z.T. tief in der eigenen Hälfte und lauerte dort auf Konter. Aus taktischer Sicht könnte man also von einem 4-3-3/4-2-3-1 der Deutschen gegen ein 4-4-2/-4-4-1-1 der Argentinier sprechen.

Es entwickelte sich eine hart umkämpfte Partie. Die Argentinier überließen Deutschland über weite Strecken die Spielgestaltung. Sie vertrauten einerseits auf ihre von Mascherano gut organisierte Defensive, andererseits auf die Fähigkeiten ihres Ausnahmespielers Messi in der Offensive.

Die deutsche Mannschaft rückte bei eigenem Ballbesitz weit nach vorn, was aber auch an der grundsätzlich defensiven Grundausrichtung der Argentinier lag.

Auch wenn Messi, das darf man getrost vorwegnehmen, am Ende kein Tor erzielte, so konnte man u.a. in der 8. Spielminute sehen, über welche außergewöhnlichen Fähigkeiten Messi verfügt. Selbst mit Ball war er von dem gewiss nicht langsamen Hummels auf der rechten  Außenbahn kaum einzuholen. Als Hummels glaubte, er habe ihn gestellt, beschleunigte Messi plötzlich erneut und  zog mühelos an Hummels vorbei. Zum Glück für die deutsche Elf fand sein folgender diagonaler Rückpass keinen Abnehmer.

Deutschland zeigte in meinen Augen spielerisch den größeren Variantenreichtum, konnte sich jedoch lange Zeit nicht im entscheidenden letzten Drittel durchsetzen, da der letzte Pass von der engmaschigen argentinischen Verteidigung meist abgefangen wurde. Wie im Grunde angesichts der Bedeutung der Partie nicht anders zu erwarten, gingen beide Mannschaften in der Defensive kompromisslos zur Sache.

In der 16. Minute erwischte es den bis zu diesem Zeitpunkt erfreulich selbstbewusst spielenden Kramer, der von zwei Argentiniern in die Zange genommen wurde und dabei von der Schulter eines Kontrahenten am Kopf getroffen wurde. Zunächst schien es, als könne er weiterspielen.

Bei Ballverlust der deutschen Elf sollte wohl vor allem Kroos Schweinsteiger im defensiven Mittelfeld unterstützen. In der 21. Spielminute wäre das beinahe ins Auge gegangen. Kroos wollte einen hohen Ball offenbar zu Neuer zurückköpfen, übersah aber den grundsätzlich im Abseits befindlichen Higuain. Da aber der Ball vom Gegner kam, stand der argentinische Angreifer eben nicht im Abseits, sondern erhielt so eine erstklassige Vorlage. Higuain vergab jedoch diese große Chance zur Führung überhastet. Mir schien auch bei den folgenden Torchancen der Albiceleste, dass die Argentinier aus Respekt vor dem eindeutig besten Torhüter des Turniers, Manuel Neuer, es besonders genau machen wollten. Dabei ging ihnen jene Selbstverständlichkeit verloren, mit denen man am ehesten Torchancen nutzt. Nicht umsonst heißt es, ein Stürmer solle vor dem Torschuss nicht denken.

Interessant fand ich, dass immer wieder ein oder mehrere Argentinier aus der offensiveren Viererkette herausschoben, um insbesondere die deutschen Kreativspieler, Schweinsteiger, Kroos und Özil aggressiv anzulaufen und bei der Entwicklung des deutschen Spiels zu stören. Das erinnerte an das taktische Konzept der Algerier, die der deutschen Mannschaft bekanntlich erhebliche Mühe bereitet hatten.

In der 31. Minute musste Kramer dann doch mit Verdacht auf Gehirnerschütterung vom Feld genommen werden. Löw wechselte wohl auch aufgrund der erkennbar defensiven Ausrichtung der Albiceleste offensiv und brachte Schürrle. Dieser besetzte zunächst die linke offensive Außenbahn, während Özil nun vermehrt von dort ins offensive Zentrum rückte.

Zeitweilig konnte man den Eindruck gewinnen, als verlöre die deutsche Elf aufgrund des Defensivkonzepts der Argentinier und auch aufgrund der erneuten Umstellung die Kontrolle über das Spiel. Die Deutschen spielten gefälliger, die Südamerikaner wirkten jedoch torgefährlicher.

Wer im Vorfeld der Partie lediglich über die Höhe eines deutschen Sieges spekuliert hatte, der sah sich gegen Ende der ersten Halbzeit (hoffentlich) eines besseren belehrt. Die Albiceleste war ein über weite Strecken des Spiels ebenbürtiger Gegner.

In der Nachspielzeit (45+2.) hatte Deutschland seine beste Torchance. Nach einem Eckball von Kroos traf Höwedes jedoch per Kopf leider nur den rechten Pfosten. So ging es mit einem torlosen Unentschieden in die Pause.

Kurz nach Wiederanpfiff vergab Messi eine weitere große Torchance für Argentinien. Aus halblinker Position und 8 Metern wollte auch er es zu genau machen und verfehlte das lange Eck. Aber auch wenn Messi kein Tor gelingen sollte, so bleibt hier festzuhalten, dass er mindestens im Vergleich mit seinem Widersacher aus Portugal, Christiano Ronaldo, deutlich mehr Akzente setzen konnte.

Die Begegnung  wurde mit zunehmender Spieldauer ruppiger. Argentinien suchte nach Balleroberung immer wieder Messi, aber vor allem Boateng erwies sich in der deutschen Defensive als Fels in der Brandung. Sein Partner, Hummels, wirkte bereits gegen Ende der regulären Spielzeit als sei er mit seinen Kräften am Ende. Er stand oft als letzter Mann vor Neuer und beschränkte sich zunehmend auf das Nötigste, während vor allem Boateng durch seine Schnelligkeit glänzte und viele Duelle gegen die Argentinier für sich entschied. Für mich das beste Spiel, das ich von dem m.E. oft zu Unrecht als Bruder Leichtfuß bezeichneten Boateng im Trikot der Nationalmannschaft bisher gesehen habe. Bravo, Jérôme!

In der 82. Minute zeigte Özil einmal mehr, warum der Bundestrainer unbeirrt an ihm festgehalten hat. Von der rechten Außenbahn kommend lief er zur Grundlinie und legte den Ball diagonal gewollt(!) zu dem an der Strafraumgrenze aufgetauchten Kroos zurück. Leider verfehlte dessen Schuss das von Romero gehütete Gehäuse der Argentinier.

So blieb es auch nach Ablauf der regulären Spielzeit beim Unentschieden. Kurz zuvor verließ Klose das Feld und wurde von Götze ersetzt.

Spätestens mit Beginn der Verlängerung und schwindenden Kräften auf beiden Seiten wurden die Zweikämpfe noch hitziger. Beide Mannschaften glichen zwei angeschlagenen Boxern, die sich mit äußerster Entschlossenheit einen Abnutzungskampf lieferten. Schweinsteiger bekam dies auf deutscher Seite am deutlichsten zu spüren, erwies sich jedoch als wirklicher Führungsspieler. Wer ihn je als „Chefchen“ verspottet hat, der sollte spätestens nach diesem Spiel Abbitte leisten. Großartig, wie er sich nach jedem Foul immer wieder aufrappelte und seine Mannschaft dirigierte. Zu hören und zu sehen auch bei den kurzen Pausen vor und während der Verlängerung.

In der 7. Minute der Verlängerung verschätzte sich Hummels bei einem hohen Ball der Argentinier. So kam der in seinem Rücken lauernde Palacio an den Ball. Doch wieder einmal kam Neuer aus dem Tor, verkürzte den Winkel und machte sich groß, sodass es Palacio mit einem Heber versuchte, der knapp links das deutsche Tor verfehlte.

Die das Spiel entscheidende Szene ereignete sich in der 113. Minute: Der unermüdliche Schürrle konnte sich auf der linken Außenbahn durchsetzen. Seine halbhohe Flanke erreichte Götze. Dieser nahm den Ball im Lauf mit der Brust an und vollstreckte volley zum 1:0 für Deutschland. Ich gebe zu, dass ich gerade Götze diesen Treffer gegönnt habe. Denn was man in den vergangenen Tagen und Wochen an Schmähkritik über ihn (und Özil) lesen musste, hatte in meinen Augen mit einer sachgerechten Kritik zunehmend nichts mehr zu tun. Sicher hat Götze bei dieser Weltmeisterschaft nicht seine Bestform erreicht. Er ist und bleibt aber ein Spieler mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, wie man es gerade auch bei diesem Tor beobachten konnte. Einige heutige Kommentatoren sollten sich mal an den Rumpelfußball der Vor-Deisler-Ära erinnern. Vielleicht können sie dann die überragende Technik und den Spielwitz würdigen, den Spieler wie Kroos, Özil und Götze regelmäßig zeigen.

Obwohl die Albiceleste versuchte, doch noch den Ausgleich zu erreichen, konnte sie die deutsche Mannschaft in der verbleibenden Restspielzeit kaum noch ernsthaft in Verlegenheit bringen. Am Ende pfiff Schiedsrichter Rizzoli ein packendes Duell zweier Mannschaften ab, die beide zurecht im Finale standen.

Schiedsrichter: Nicola Rizzoli (Italien). Ließ das Spiel laufen und war erkennbar darum bemüht, die Gemüter zu beruhigen. Einige grobe Fehlentscheidungen (u.a. keine Verwarnung nach eindeutigen taktischen Fouls; keine Verwarnung nach Einsatz der Arme im Luftkampf). Für mich nach seinen bisherigen Leistungen im Turnier keinesfalls der beste Schiedsrichter des Turniers. Zeigte die schwächste Leistung aller Akteure auf dem Platz.

Fazit: Die deutsche Auswahl gewinnt als erste europäische Mannschaft überhaupt den Weltmeistertitel auf einem anderen Kontinent. Der Brasilianer Ronaldo kommentierte sinngemäß für das brasilianische Fernsehen, die Deutschen hätten vorgeführt, dass man ein Team haben müsse und sich nicht (nur) auf Einzelkönner beschränken dürfe. Das scheint mir absolut korrekt. Die deutsche Mannschaft hatte die beste, ausgeglichenste Mischung aus überragendem Können des Einzelnen und hervorragendem Teamgeist. Der verdiente Lohn ist nun der lang ersehnte vierte Stern. Herzlichen Glückwunsch!

Respekt auch vor der Albiceleste, die der deutschen Auswahl alles abverlangte. Eine tolle Leistung, die den deutschen Sieg noch wertvoller erscheinen lässt.

Um diesen großartigen Erfolg angemessen würdigen zu können, sollte man sich an die Zeit vor Klinsmann und Löw erinnern. Der deutsche Fußball war ausweislich seines vorzeitigen Ausscheidens bei Turnieren (aber auch des Abschneidens seiner Mannschaften in der CL) damals nicht mehr konkurrenzfähig. Dank der Visionen und der Kompromisslosigkeit Klinsmanns und der ebenso akribischen, nicht minder unbeirrten Arbeit Löws, konnte der Rückstand inzwischen nicht nur wettgemacht werden, sondern diese Mannschaft konnte diese Arbeit sogar mit dem Titel krönen.

Löw hat, allen Kritikern zum Trotz, an seinem Plan festgehalten. Seine Idee mit Lahm auf der Sechs war angesichts der zu Beginn des Turniers mangelnden Fitness von Khedira und Schweinsteiger ebenso richtig, wie es die spätere Versetzung Lahms auf die Position des rechten Außenverteidigers gewesen ist. Vergessen wir nicht, dass mit Reus, Gündogan, den beiden Benders aber auch Badstuber Spieler ausfielen, die bei normalem Verlauf Kandidaten für die Stammelf gewesen wären. Vergessen wir nicht, dass im Vorfeld einige wichtige Spieler lange mit Verletzungen ausfielen. Der Titelgewinn wurde diesem Trainer keineswegs geschenkt. Letztlich hat sich auch die (überwiegende) Besetzung der Abwehr mit gelernten Innenverteidigern als richtig erwiesen. Was einem Höwedes spielerisch an offensivem  Möglichkeiten abgehen mag, machte er bei den bei dieser WM enorm wichtigen Standards wieder wett.

Diese ganze deutsche Delegation hat nicht nur spielerisch überzeugt, sondern durch ihr angenehm zurückhaltendes, zuweilen gar demütiges öffentliches Auftreten sicher nicht nur Respekt sondern auch viele Sympathien in der Welt gewonnen. Auch dazu kann man nur gratulieren.

Im Hinblick auf die kommenden Jahre wird keiner, auch das empfinde ich als außerordentlich wohltuend, von einer angeblichen Unbesiegbarkeit des Teams firlefranzen. Dennoch muss einem im Hinblick auf die Zukunft, ich erwähnte ja bereits einige Spieler, die leider nicht zur Verfügung standen, nicht bange sein. Weiter Talente rücken zudem nach. Nur einer wie Klose, der ist derzeit noch nicht in Sicht. Aber wer weiß – möglicherweise entwickelt sich zukünftig auch beim HSV der eine oder andere Spieler.

An der Generation Lahm/Schweinsteiger wurde lange in Deutschland gezweifelt. Nach einem rein deutschen CL-Finale im letzten Jahr und dem Gewinn dieser Weltmeisterschaft sollte nun endgültig feststehen, dass Deutschland über diese goldene Generation froh und auf sie stolz sein darf.