Andersen

Von Narren, Dinos und Scheidewegen: 1. FSV Mainz 05 – Hamburger SV

Morgen ist es also soweit: Der HSV trifft im letzten Saisonspiel des regulären Spielplans auf Mainz 05. Und ehrlich gesagt bin ich erleichtert. Erleichtert, dass diese desaströse Saison aus Sicht der Hamburger nun endlich zu einem Ende kommt. Seit Wochen gleicht jedes Denken über die sportliche Situation des Dinos einem nie endenwollenden Horror vacui. Spieltag für Spieltag blieben viele, viel zu viele Fragen offen. Fast alle zwischenzeitlich vermeintlich gefundenden Antworten erwiesen sich binnen kürzester Zeit als untauglich und hinfällig. Mit Mirko Slomka beschäftigt man bekanntlich inzwischen (nach Thorsten Fink und Bert van Marwijk) den dritten Trainer in dieser Spielzeit.  Und man darf aus guten Gründen daran zweifeln, ob dieser Trainer, so er denn mit dem HSV absteigen sollte, auch in der zweiten Liga Trainer des Hamburger Sportvereins sein wird. Denn mit der Realität hat man es nicht so in Hamburg. Im Zweifel zählen die sprichwörtliche „Raute im Herzen“ oder das Image mehr als die fachliche Qualifikation. Man fühlt sich stets zu Höherem berufen und verpflichtet „Namen“. Als Ausdruck dieser Denke darf man getrost das vom Vorstandvorsitzenden Jarchow verkündete ursprüngliche Saisonziel, Platz 6 und der Einzug in das internationale Geschäft, werten. Eine nüchterne sportliche Analyse der Leistungen in der Vorsaison hätte meiner Meinung nach zur Vorsicht gemahnen müssen. Zwar wurde unter dem damaligen Trainer, Thorsten Fink,  Platz 7 erreicht, jedoch waren die Leistungen schon damals alles andere als berauschend, teilweise sogar desolat. Die Mannschaft spielte bereits damals äußerst wechselhaft. Vor allem gegen Ende der Saison wurde zunehmend deutlich, dass die von Fink verordnete Spielanlage, u.a. abkippender Sechser und einrückende offensive Außenbahnspieler, alles andere als sattelfest wirkte. Im Gegenteil! In der Theorie war Finks Taktik durchaus vielversprechend,  interessant und anspruchsvoll. In der Praxis spielte der HSV absolut schematisch und leicht vorhersehbar. So verwundert es nicht, dass die gegnerischen Trainer alsbald eine eigene taktische Lösung gegen den HSV fink’scher Prägung  gefunden hatten. Man stellte im Zentrum die Räume zu, attackierte konsequent bereits den Spielaufbau des HSVs und musste nur auf die vorhersehbaren Ballverluste der  Hamburger warten. Wahlweise konnte man dann über die entblößten Flügel oder sogar durch die Mitte kontern. (Um Missverständnisse zu vermeiden: Was sich vielleicht wie eine Abrechnung mit Fink liest, ist so nicht gemeint. Ich halte Finks System für unverändert interessant und glaube, dass man das mit einer anderen, einer individuell besseren Mannschaft durchaus erfolgreich spielen lassen kann.) Wenn man in Hamburg jedoch schon nicht die ganz großen Namen präsentieren kann, dann, darauf kommt es mir hier an, will man sich wenigstens umgehend den Abglanz der tatsächlich Großen holen. Ausdruck dessen sind für mich dann Namen wie Fink und auch Kreuzer, die dem Verein endlich das bayrische „Sieger-Gen“ verschaffen soll(t)en. Dabei wurde, so mein Eindruck, viel zu lange übersehen, dass der Erfolg der Münchner auf vielen Säulen beruht, die alle aufzuzählen ich mir hier erspare. Allein das viel zitierte „mia san mia“-Credo der Münchner ist es jedenfalls nicht, sondern vor allem fachliche Kompetenz im Verein auf allen Ebenen. In Hamburg hingegen blendet man sich traditionell mit bekannten Namen, Bert van Marwijk war auch so einer, und kündigt permanent Konzepte an, die oft schon nach wenigen Wochen wieder in Frage gestellt werden. Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln – auch das ist der Hamburger Sportverein. Dass sich der HSV einen grotesk aufgeblähten Aufsichtsrat bis heute leistet, dessen wesentliches Merkmal die Tatsache ist, dass Interna umgehend nach außen getragen werden, um sie in der örtlichen Boulevardpresse zu lancieren, und in welchem man sportliche Kompetenz seit Jahrzehnten mit der Lupe suchen musste, auch das begründet die Behauptung, dass die tatsächlichen Narren der Liga nicht beim kommenden Gegner in Mainz, sondern längst in der Hansestadt beheimatet sind.

Der Mainzer Manager, Heidel, schrieb es dem HSV vor Wochen in einem überaus lesenswerten Interview mit der FAZ ins Gebetbuch. Nachzulesen ist es hier:

http://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/bundesliga/im-gespraech-mainz-manager-heidel-was-der-hsv-macht-ist-grundfalsch-12806212.html

Ich möchte daraus nur einen Gedanken aufgreifen: Heidel stellt m.E. zutreffend fest, dass der HSV eine vereinseigene Philosophie entwickeln müsse, die unabhängig von jeweils neuen Personal (u.a. Trainer, Sportdirektor) zu funktionieren habe. Die Realität beim HSV ist unverändert eine andere. Inzwischen ist Sportdirektor Kreuzer m.E. erkennbar darum bemüht, die z.T katastrophalen personellen Entscheidungen der Vergangenheit, z.B. die Aussortierung der Ex-Chelsea-Spieler (Fink), die Abgabe Rudnevs an Hannover 96 (Fink und van Marwijk), oder die Verpflichtung der nur eingeschränkt bundesligatauglichen Perspektivspieler, John und Bouy (van Marwijk), den ehemaligen Trainern in die Schuhe zu schieben. Natürlich, das sehe ich wohl, sollte man als sportliche Führung möglichst in inhaltlichen Bewertungen übereinstimmen. Dass aber ein Manager in Hamburg einen Trainer umgehend entlässt, weil dieser seiner Meinung nach nicht zur Vereinsphilosophie passt, so geschehen seinerzeit bei Jörn Andersens Entlassung durch Heidel in Mainz, das ist in Hamburg praktisch unvorstellbar. Denn eine tatsächliche Vereinsphilosophie hat der HSV, wenn wir mal von der relativ kurzen Ära Hoffmann/Beiersdorfer absehen, ebenso wenig, wie profifußballspezifische Kompetenz in seinen Gremien. Zu wahrer Meisterschaft hat es der HSV in den vergangenen Jahrzehnten meist nur im regelmäßig überhöhten Anspruch an sich selbst und in seinen diversen Possenspielen gebracht. Auch hier steht der HSV am Scheideweg: inzwischen ist der HSV auch aufgrund der vielen Fehlentscheidungen finanziell bekanntlich in einer derart prekären Lage, dass man, auch wenn man in Einzelpunkten das Ausgliederungsvorhaben der Initiative HSVPlus kritisch sehen mag, am 25. Mai entweder die notwendige Mehrheit von 75,1 Prozent der stimmberechtigten Vereinsmitglieder erreicht, oder  sich mindestens dauerhaft aus der ersten Liga verabschiedet. Dass die Ausgliederungsgegner trotz eines deutlichen Wählervotums bei der Mitgliederversammlung im Januar mit 54 (in Worten: vierundfünfzig!) einzelnen Anträgen noch diese Entscheidung verhindern wollen – mehr Narretei ist in meinen Augen fast unvorstellbar.

Vor dem kommenden Spiel  dürfte die tabellarische Ausgangslage hinlänglich bekannt sein. Jeder ist in der Lage, die Tabelle zu lesen und entsprechende Rechnungen anzustellen. Der HSV hat, das ist entscheidend, sein Schicksal in den eigenen Händen. Ermutigend erscheint mir, dass der schmerzlich vermisste Torjäger Lasogga wohl wieder zur Verfügung steht. Unklar erscheint mir jedoch, ob seine Fitness einen Einsatz von Beginn an zulassen wird. Gleiches scheint mir für beide nominellen Außenverteidiger, Diekmeier und Jansen, sowie für Djourou fraglich. Ich tippe mal auf die folgende Aufstellung:

Adler – Diekmeier, Westermann, Mancienne, Jiracek (Jansen) – Calhanoglu, Badelj, Tesche, Ilicevic – van der Vaart – Lasogga

Bei Diekmeier stimmt mich allerdings nachdenklich, dass er zuletzt wenig mit der Mannschaft trainiert hat. Jansen hat laut Slomka nur „integrativ“, also nicht vollständig mit der Mannschaft trainieren können. An einen Startelfeinsatz glaube ich bei ihm daher nicht. Alternativ könnte ich mir auch in Anlehnung an das Spiel gegen den FCB und unter Berücksichtung der mutmaßlichen Fitnesszustände diese Aufstellung gut vorstellen:

Adler – Westermann, Djourou, Mancienne, Jiracek (Jansen) – Rincon, Badelj, Tesche (Arslan), Calhanoglu – van der Vaart – Ilicevic

Hier würden Westermann und Rincon die rechte Außenbahn bespielen. Auch wenn Rincon kein offensiver Außenbahnspieler ist, so hat er diese Position im Verbund mit Diekmeier zuletzt ordentlich gespielt, finde ich. Für einen Einsatz Arslans spräche, dass er nach seiner Sperre vollkommen ausgeruht sein dürfte. Angesichts der Bedeutung des Spiels und des damit einhergehenden nervlichen Drucks auf die Spieler wäre mir jedoch wohler, er bliebe zunächst auf der Bank. Es geht mir hier nicht darum, über diesen jungen Spieler den Stab endgültig zu brechen, aber in den letzten Spielen hat er aus meiner Sicht alles andere als überzeugt. Zu oft bot er Alibi-Fußball und zu naives taktisches Verhalten in meinen Augen. Aber vielleicht bringt ihn Slomka ja doch, und Tolgay straft mich Lügen. Ich hätte nichts dagegen. Denn dass er nicht nur Talent besitzt, sondern auch gute Spiele machen kann, auch das hat er vor allem in der Rückrunde bereits mehrfach bewiesen. Bei jungen Spielern ist einfach immer mit einer gewissen Leistungsschwankung zu rechnen. Auch ein Grund, warum ich derzeit dem erfahreneren Tesche bevorzugen würde. So oder so – sollte der wort case eintreten, dann dürfte es ohnehin der letzte Auftritt diverser Spieler im Dress des HSVs werden. Ich gehe ohnehin davon aus, dass wir mindestens van der Vaart, Jansen, Rincon und Lasogga in der nächsten Saison in anderen Trikots sehen werden. Schon allein aus finanziellen Gründen…

Tuchels Mainzer spielen in einer ähnlichen Grundformation wie der Hamburger Sportverein, also in einem 4-2-3-1. Der Mainzer Trainer ist bekannt dafür, dass er zu jedem Gegner einen ganz speziellen Match-Plan entwickelt. Das macht zwar in meinen Augen tatsächlich jeder Trainer, dennoch dürften wenige Übungsleiter in der Liga gegnerbedingt ggf. so viele personelle Umstellungen vornehmen, wie es der Mainzer regelmäßig exerziert. Ich erwarte, dass er seine Mannschaft grundsätzlich offensiv einstellen wird. Dazu gehört, dass man mindestens phasenweise mit konsequentem Offensivpressing das Nervenkostüm der Hamburger testen wird. Dass die Hamburger immer mal wieder für einen Aussetzer gut sind, davon kann sicher nicht nur der leidgeprüfte HSV-Anhang inzwischen ein Lied singen. Aus Sicht des HSV spricht zunächst wenig dafür, die eigene Defensive zugunsten eigener Angriffsbemühungen zu vernachlässigen. Sicher, so konnte man es bei der PK vor dem Spiel bei Slomka heraushören, wird man fortlaufend von den Spielständen bei der Konkurrenz unterrichtet und ggf. darauf reagieren. Insofern wäre auch denkbar, dass man, ähnlich wie gegen Bayern, zunächst eher auf Konter spielt, bzw. über die lauffreudigen Ilicevic und van der Vaart versucht, die Mainzer entscheidend zu attackieren. Lasogga bliebe dann als erste Option zunächst auf der Bank und käme nach seiner Verletzung erst im Laufe der zweiten Halbzeit ins Spiel, bzw. würde in Abhängigkeit vom jeweiligen Stand der Dinge frischen Elan bringen können.

Ich gehe also grundsätzlich von offensiven Mainzern und einer zunächst um defensive Stabilität bemühten Hamburger Mannschaft aus. Vermag es der HSV erneut kompakt zu agieren, ohne sich durch haarsträubende Aussetzer selbst um den Lohn zu bringen, dann wird dieses Spiel nur die erste Weggabelung auf dem Weg zum Klassenerhalt. Verfällt der Dino jedoch in seinen sattsam bekannten Kardinalsfehler, taktisch nicht als Team zu spielen, dann könnte man leider bereits zur Sportschau feststellen müssen, dass sich der Dino faktisch selbst ausgerottet hat. Und da ich inzwischen davon überzeugt bin, dass es mit Sicherheit in und rund um den Verein mehr als genug Narren gab und unverändert gibt, wäre sein Aussterben zwar allemal beklagenswert, aber eben vor allem selbst verschuldet. Morgen wird, hoffentlich, hoffentlich!, vorerst nur die sportliche Zukunft (vor)entschieden. Der HSV aber muss sich in diesen Tagen und Wochen endlich grundsätzlich entscheiden, was er zukünftig sein möchte: Ein selbstverliebter, realitätsleugnender Gernegroß, ein Maulheld nicht eingelöster Ankündigungen, oder ein Verein, der die vielfältigen Lektionen der letzten Jahre endlich gelernt hat. Wer es jetzt noch nicht begriffen hat, dem ist m.E. kaum noch zu helfen. Am Ende bekommt man nur das, was man sich verdient. So oder so. Dieser Dino wäre jedenfalls der erste, der nicht durch höhere Mächte, sondern durch eigenes Verhalten ausstirbt.

Die Partie wird geleitet von Schiedsrichter Kinhöfer.

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