Heidel

Hamburg gewinnt gegen enttäuschende Mainzer: HSV – 1. FSV Mainz 05 2:1 (1:0)

Vor dem Spiel gegen den 1. FSV Mainz waren beim HSV die verletzungsbedingten Ausfälle von Behrami und Westermann zu beklagen. Der Schweizer Mittelfeldspieler hat sich bekanntlich binnen kürzester Zeit als Leistungsträger und echte Verstärkung der Mannschaft etabliert; Westermann zeigte zuletzt im Verbund mit Djourou durchweg ansprechende Leistungen als Innenverteidiger. Und so durfte man gespannt sein, wie HSV-Trainer Zinnbauer diese Ausfälle zu kompensieren gedachte.

Dass der junge Ronny Marcos nach seinem gelungenen Debüt in der Bundesliga eine erneute Bewährungschance bekommen würde, damit konnte man angesichts Zinnbauers jüngster Personalpolitik rechnen. Dieses Mal erhielt das Talent den Vorzug vor Ostrzolek und spielte auf der für ihn aus der U23 gewohnten Position des Linksverteidigers. Cleber ersetzte den verletzten Westermann, und Diekmeier kehrte nach seiner Sperre erwartungsgemäß ins Team zurück.

Im defensiven Mittelfeld spielte Jiracek für Behrami, während ganz vorne Lasogga und Rudnevs eine Doppelspitze bildeten.

Auf dem Spielberichtsbogen las sich daher die Aufstellung des HSV wie folgt:

Drobny – Diekmeier, Djourou, Cléber, Marcos – Jiracek – van der Vaart (83. T. Arslan), N. Müller, Holtby – Lasogga (90+4. Gouaida), Rudnevs (90. Kacar)

Das Spiel: Hatte ich zuletzt Zinnbauers HSV als Wundertüte bezeichnet, so galt dies einmal mehr. Auch wenn manche personelle Änderungen nicht allzu sehr überraschten (Diekmeier für Götz, Cleber für Westermann, Jiracek für Behrami), so hatte sich der Trainer des HSV erneut einige interessante taktische Änderungen ausgedacht. Dieses Mal spielte der HSV nämlich nicht in dem Hybrid-System aus 4-1-4-1/4-2-3-1 der beiden vorangegangenen Partien, sondern überwiegend in einem 4-1-3-2.

Jiracek agierte in der ersten Halbzeit durchweg defensiver als der zentral spielende van der Vaart, der sich meist auf einer Höhe mit Holtby (LM) und Nicolai Müller (RM) aufhielt. Nur in den wenigen Fällen, in denen der HSV sein Spiel flach und kontrolliert aufbauen wollte, kam van der Vaart weit zurück, um sich den Ball aus der Abwehr abzuholen. Interessant fand ich aber, dass dies eher ausnahmsweise zu beobachten war. Meist wurde der Ball durch Drobny lang und hoch nach vorne gespielt, oder beide Außenverteidiger versuchten, durch schnelle vertikale Pässe die Linie entlang Raum zu gewinnen.

Ich habe diesen Mangel an Spielkultur in der Spieleröffnung hier in der Vergangenheit des Öfteren als (zu) leicht zu verteidigen kritisiert. Gegen Mainz schien mir dieses Vorgehen jedoch gewollter Bestandteil der Taktik Zinnbauers zu sein. Man war erkennbar bemüht, permanent Tempo in das Spiel zu bringen und nahm dabei das erhöhte Risiko für Fehlpässe billigend in Kauf. Denn in der vordersten Spitze setzten beide Stürmer, sofern sie nicht unmittelbar an den Ball aus der eigenen Abwehr kamen, sofort die ballführenden Abwehrspieler der Mainzer aggressiv unter Druck. Und durch die relativ höhere Position van der Vaarts (im Vergleich zu den letzten beiden Spielen) konnte man auch im Mittelfeld enormen Pressingdruck erzeugen. Im Ergebnis gewann der HSV mit zunehmender Spieldauer der ersten Halbzeit die entscheidenden Zweikämpfe. Zugleich erschwerte man den Mainzer Gästen den eigenen kontrollierten Spielaufbau, blockierte ihnen den direkten Weg durch die Spielfeldmitte und kam selbst zu den deutlich besseren Torchancen.

Besonders bei Marcos fiel mir auf, dass er häufig sofort den langen, vertikalen Ball die Linie entlang zu spielen versuchte. Einige Male gelang hier ein Zuspiel auf den gewohnt fleißig agierenden Rudnevs, der dann von der linken Außenbahn nach innen passen konnte (z.B. in der 41. Minute auf Müller).

Diekmeier konnte sich im Gegensatz zu Marcos einige Male durch eigene Vorstöße offensiv in Szene setzen. Beide Außenverteidiger suchten jedoch oft den riskanten Vertikalpass. Wie bereits erwähnt, unterstelle ich hier eine Anweisung Zinnbauers. Am Ende der Partie hatten beide jedenfalls eine bemerkenswert niedrige Pass-Quote von 41 (Diekmeier), bzw. 42 Prozent (Marcos).

Cléber überzeugt als Ersatz für Westermann

In der 32. Minute bekam der HSV einen Eckstoß von der rechten Seite zugesprochen. Der nach vorne geeilte Cléber kam dank einer akrobatischen Einlage mit dem Fuß an die Flanke. Müllers folgender Schussversuch wurde vom Mainzer Noveski zunächst geblockt. In der dann kurzzeitig bestehenden Konfusion im Strafraum schaltete Cléber am schnellsten und vollstreckte aus 13 Metern zum 1:0 für den HSV. Cléber wollte diesen Treffer unbedingt, das sah man. Er lieferte für mich ohnehin eine tadellose Leistung ab, was mich für ihn besonders freut. Das Tor wird ihm auch bei seiner weiteren Integration gut tun.

Die Führung für den HSV war zur Pause verdient, denn die Mainzer Mannschaft war bis dahin einfach fast alles schuldig geblieben und hatte nicht eine eigene, klare Torchance herausgespielt.

Auch in der zweiten Halbzeit war der HSV zunächst die aktivere Mannschaft. Immer wieder gelangen den Hamburgern Balleroberungen, weil sie oft erfolgreich personelle Überzahl in Ballnähe erreichten und aggressiv die Zweikämpfe bestritten.

In der 49. Minute traf Rudnevs nach guter Flanke von Diekmeier den Ball nicht sauber, sodass dieser weit das Tor verfehlte. Zwei Minuten später wurde der Lette auf der linken Außenbahn frei gespielt, benötigte jedoch leider etwas zu viel Zeit bei der Ballmitnahme. Seiner nachfolgenden Flanke auf Lasogga fehlte es zudem etwas an Genauigkeit. Auch wenn Rudnevs wieder einmal enorm fleißig war – es ist schade, dass er sich und die Mannschaft regelmäßig durch seine unbestreitbaren technischen Schwächen um noch größeren Lohn für seinen vorbildlichen Einsatz bringt.

In der 53. Minute wollte der Mainzer Noveski mit dem Kopf einen Flankenball des HSV klären, berührte dabei den Ball jedoch auch mit dem linken Arm. Da der Mainzer bei dieser Aktion innerhalb des eigenen Strafraums stand, entschied der Schiedsrichter auf Strafstoß für den HSV. Van der Vaart verlud Karius im Tor der Gäste und vollstreckte sicher zum 2:0 (54.).

Nur zwei Minuten später hatte Rudnevs eine weitere, klare Torchance zum dann entscheidenden 3:0, doch er scheiterte am guten Mainzer Torhüter.

Van der Vaart findet die Balance

Hjulmand stellte seine Mannschaft nun etwas um, und der HSV wurde mit der Führung im Rücken passiver. Mainz konnte nach einer Stunde stärker nach vorne spielen und erhielt ein klares optisches Übergewicht, konnte jedoch zunächst keine zwingenden Torchancen herausspielen. Van der Vaart agierte nun auf gleicher Höhe neben Jiracek oder gar defensiver. Er diente dabei den eigenen Verteidigern als weitere, ballsichere Anspielstation bei dem Versuch, sich spielerisch aus engen Situationen zu befreien. Aus meiner Sicht zeigte der Niederländer in diesem Spiel eine seiner besten Leistungen seit Monaten, denn er war fast immer dort, wo ihn seine Mannschaft benötigte. In der 80. Minute hätte er beinahe seine gute Leistung durch einen weiteren Treffer gekrönt. Lasogga lief mit Ball einen Konter auf der rechten Außenbahn. Rudnevs zeigte sich spielintelligent und ließ den Querpass passieren, sodass van der Vaart frei vor Karius zum Schuss kam. Leider traf Hamburgs Kapitän den Ball bei seinem Direktschuss so schlecht, dass dieser genau auf den Mainzer Torhüter kam. Karius hatte damit keine Mühe.

Mainz wacht zu spät auf und wird dennoch fast belohnt

Das Spiel näherte sich dem Ende, da versuchten es die Mainzer mit der fußballerischen Brechstange. Eine Vielzahl an langen, hohen Bällen wurde in den Bereich in und rund um den Hamburger Strafraum geschlagen, die von Hamburgs Defensive zum Teil nur auf Kosten eines Eckstoßes geklärt werden konnten. In der 87. Minute verpasste der aufgerückte Mainzer Innenverteidiger Bell mit einem Kopfball nach eben so einem Eckstoß denkbar knapp den Anschlusstreffer. Kurz darauf war es dann aber soweit. Ein weiterer Eckstoß segelte in den Hamburger Strafraum. Der von Hjulmand eingewechselte Malli köpfte den Ball zu Okazaki, dessen Kopfball aus kürzester Distanz (3m) Drobny dann nicht mehr parieren konnte. Das 2:1 in der 89. Minute. Aus Hamburger Sicht begann nun spätestens das ganz große Zittern. Und beinahe wäre den Mainzern tatsächlich in der Nachspielzeit der Ausgleichstreffer gelungen, doch Mallis Torabschluss flog ganz knapp über die Querlatte des Hamburger Gehäuses (90+1.). So blieb es am Ende beim 2:1 Erfolg für den HSV.

Schiedsrichter: Stegemann. Diskutable Leistung. Ich mag es grundsätzlich, wenn Schiedsrichter ein Spiel laufen lassen anstatt jede Kleinigkeit abzupfeifen. Dieser Schiedsrichter war mir aber zu großzügig – hüben wie drüben. Eine eindeutige Benachteiligung der Mainzer, wie Allagui nach der Partie bei SKY im Interview behauptete, habe ich nicht gesehen.

Fazit: Der HSV siegte verdient, auch [Anm.: nachträglich eingefügt] weil der 1. FSV Mainz 05 lange Zeit zu wenig investierte.

Die Hamburger mussten nach der Niederlage gegen Augsburg unbedingt gewinnen und hielten dem Druck stand. Mit dem Sieg gegen den FSV konnte man nun schon zum dritten Mal in Folge vor heimischer Kulisse dreifach punkten. Allein dies deutet schon eine positive Veränderung unter Leitung von Joe Zinnbauer an. Die nun 18 Gegentreffer beweisen, dass die Hamburger Defensive nachweisbar an Stabilität gewonnen hat. Besser, d.h. weniger Gegentreffer, sind neben den außer Konkurrenz spielenden Bayern (3) nur Gladbach (12), Wolfsburg (13) und Augsburg (14).

Unverändert verbesserungswürdig bleibt die Zahl der selbst erzielten Treffer, jedoch gelangen der Mannschaft wie schon im Heimspiel zuvor gegen Bremen erneut zwei Treffer. Positiv festzuhalten ist auch, was manche inzwischen für schwer vorstellbar hielten: der HSV kann auch ohne Behrami und Westermann gewinnen.

Zinnbauer überzeugt erneut mit einer gelungenen taktischen Anpassung seiner Mannschaft an den Gegner. Zusammen mit der wieder einmal guten, sowohl läuferischen als auch kämpferischen Einstellung der Mannschaft war dies für mich die Basis des Erfolges. Verdienter Lohn ist der Sprung auf Tabellenplatz 13.

Spielerisch bleibt aus Sicht des HSV unverändert viel zu tun, aber dies kann nicht sonderlich überraschen. Das braucht einfach eine gewisse Zeit. Zumal zu berücksichtigen ist, dass Zinnbauer immer wieder Nachwuchsspielern wie Gouaida, Götz oder nun Marcos das Vertrauen schenkt. Und wo ich gerade wieder beim Nachwuchs bin: Marcos wusste auch als Linksverteidiger zu gefallen. Allerdings muss man kritisch bemerken, dass er nur 42 Prozent seiner Zweikämpfe gewinnen konnte. Das war der mit Abstand schwächste Wert in der Hamburger Defensive. Hier sollte er sich deutlich steigern, wenn er sich mittelfristig in der Bundesliga etablieren will.

Der HSV hat nun im nächsten Spiel gegen den SC Freiburg eine realistische Chance, sich noch weiter von den Abstiegsrängen zu entfernen. Man sollte den SC jedoch keinesfalls unterschätzen. Der SC hat zum Teil besser gespielt, als es sein derzeitiger Tabellenplatz auszudrücken scheint.

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Von Narren, Dinos und Scheidewegen: 1. FSV Mainz 05 – Hamburger SV

Morgen ist es also soweit: Der HSV trifft im letzten Saisonspiel des regulären Spielplans auf Mainz 05. Und ehrlich gesagt bin ich erleichtert. Erleichtert, dass diese desaströse Saison aus Sicht der Hamburger nun endlich zu einem Ende kommt. Seit Wochen gleicht jedes Denken über die sportliche Situation des Dinos einem nie endenwollenden Horror vacui. Spieltag für Spieltag blieben viele, viel zu viele Fragen offen. Fast alle zwischenzeitlich vermeintlich gefundenden Antworten erwiesen sich binnen kürzester Zeit als untauglich und hinfällig. Mit Mirko Slomka beschäftigt man bekanntlich inzwischen (nach Thorsten Fink und Bert van Marwijk) den dritten Trainer in dieser Spielzeit.  Und man darf aus guten Gründen daran zweifeln, ob dieser Trainer, so er denn mit dem HSV absteigen sollte, auch in der zweiten Liga Trainer des Hamburger Sportvereins sein wird. Denn mit der Realität hat man es nicht so in Hamburg. Im Zweifel zählen die sprichwörtliche „Raute im Herzen“ oder das Image mehr als die fachliche Qualifikation. Man fühlt sich stets zu Höherem berufen und verpflichtet „Namen“. Als Ausdruck dieser Denke darf man getrost das vom Vorstandvorsitzenden Jarchow verkündete ursprüngliche Saisonziel, Platz 6 und der Einzug in das internationale Geschäft, werten. Eine nüchterne sportliche Analyse der Leistungen in der Vorsaison hätte meiner Meinung nach zur Vorsicht gemahnen müssen. Zwar wurde unter dem damaligen Trainer, Thorsten Fink,  Platz 7 erreicht, jedoch waren die Leistungen schon damals alles andere als berauschend, teilweise sogar desolat. Die Mannschaft spielte bereits damals äußerst wechselhaft. Vor allem gegen Ende der Saison wurde zunehmend deutlich, dass die von Fink verordnete Spielanlage, u.a. abkippender Sechser und einrückende offensive Außenbahnspieler, alles andere als sattelfest wirkte. Im Gegenteil! In der Theorie war Finks Taktik durchaus vielversprechend,  interessant und anspruchsvoll. In der Praxis spielte der HSV absolut schematisch und leicht vorhersehbar. So verwundert es nicht, dass die gegnerischen Trainer alsbald eine eigene taktische Lösung gegen den HSV fink’scher Prägung  gefunden hatten. Man stellte im Zentrum die Räume zu, attackierte konsequent bereits den Spielaufbau des HSVs und musste nur auf die vorhersehbaren Ballverluste der  Hamburger warten. Wahlweise konnte man dann über die entblößten Flügel oder sogar durch die Mitte kontern. (Um Missverständnisse zu vermeiden: Was sich vielleicht wie eine Abrechnung mit Fink liest, ist so nicht gemeint. Ich halte Finks System für unverändert interessant und glaube, dass man das mit einer anderen, einer individuell besseren Mannschaft durchaus erfolgreich spielen lassen kann.) Wenn man in Hamburg jedoch schon nicht die ganz großen Namen präsentieren kann, dann, darauf kommt es mir hier an, will man sich wenigstens umgehend den Abglanz der tatsächlich Großen holen. Ausdruck dessen sind für mich dann Namen wie Fink und auch Kreuzer, die dem Verein endlich das bayrische „Sieger-Gen“ verschaffen soll(t)en. Dabei wurde, so mein Eindruck, viel zu lange übersehen, dass der Erfolg der Münchner auf vielen Säulen beruht, die alle aufzuzählen ich mir hier erspare. Allein das viel zitierte „mia san mia“-Credo der Münchner ist es jedenfalls nicht, sondern vor allem fachliche Kompetenz im Verein auf allen Ebenen. In Hamburg hingegen blendet man sich traditionell mit bekannten Namen, Bert van Marwijk war auch so einer, und kündigt permanent Konzepte an, die oft schon nach wenigen Wochen wieder in Frage gestellt werden. Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln – auch das ist der Hamburger Sportverein. Dass sich der HSV einen grotesk aufgeblähten Aufsichtsrat bis heute leistet, dessen wesentliches Merkmal die Tatsache ist, dass Interna umgehend nach außen getragen werden, um sie in der örtlichen Boulevardpresse zu lancieren, und in welchem man sportliche Kompetenz seit Jahrzehnten mit der Lupe suchen musste, auch das begründet die Behauptung, dass die tatsächlichen Narren der Liga nicht beim kommenden Gegner in Mainz, sondern längst in der Hansestadt beheimatet sind.

Der Mainzer Manager, Heidel, schrieb es dem HSV vor Wochen in einem überaus lesenswerten Interview mit der FAZ ins Gebetbuch. Nachzulesen ist es hier:

http://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/bundesliga/im-gespraech-mainz-manager-heidel-was-der-hsv-macht-ist-grundfalsch-12806212.html

Ich möchte daraus nur einen Gedanken aufgreifen: Heidel stellt m.E. zutreffend fest, dass der HSV eine vereinseigene Philosophie entwickeln müsse, die unabhängig von jeweils neuen Personal (u.a. Trainer, Sportdirektor) zu funktionieren habe. Die Realität beim HSV ist unverändert eine andere. Inzwischen ist Sportdirektor Kreuzer m.E. erkennbar darum bemüht, die z.T katastrophalen personellen Entscheidungen der Vergangenheit, z.B. die Aussortierung der Ex-Chelsea-Spieler (Fink), die Abgabe Rudnevs an Hannover 96 (Fink und van Marwijk), oder die Verpflichtung der nur eingeschränkt bundesligatauglichen Perspektivspieler, John und Bouy (van Marwijk), den ehemaligen Trainern in die Schuhe zu schieben. Natürlich, das sehe ich wohl, sollte man als sportliche Führung möglichst in inhaltlichen Bewertungen übereinstimmen. Dass aber ein Manager in Hamburg einen Trainer umgehend entlässt, weil dieser seiner Meinung nach nicht zur Vereinsphilosophie passt, so geschehen seinerzeit bei Jörn Andersens Entlassung durch Heidel in Mainz, das ist in Hamburg praktisch unvorstellbar. Denn eine tatsächliche Vereinsphilosophie hat der HSV, wenn wir mal von der relativ kurzen Ära Hoffmann/Beiersdorfer absehen, ebenso wenig, wie profifußballspezifische Kompetenz in seinen Gremien. Zu wahrer Meisterschaft hat es der HSV in den vergangenen Jahrzehnten meist nur im regelmäßig überhöhten Anspruch an sich selbst und in seinen diversen Possenspielen gebracht. Auch hier steht der HSV am Scheideweg: inzwischen ist der HSV auch aufgrund der vielen Fehlentscheidungen finanziell bekanntlich in einer derart prekären Lage, dass man, auch wenn man in Einzelpunkten das Ausgliederungsvorhaben der Initiative HSVPlus kritisch sehen mag, am 25. Mai entweder die notwendige Mehrheit von 75,1 Prozent der stimmberechtigten Vereinsmitglieder erreicht, oder  sich mindestens dauerhaft aus der ersten Liga verabschiedet. Dass die Ausgliederungsgegner trotz eines deutlichen Wählervotums bei der Mitgliederversammlung im Januar mit 54 (in Worten: vierundfünfzig!) einzelnen Anträgen noch diese Entscheidung verhindern wollen – mehr Narretei ist in meinen Augen fast unvorstellbar.

Vor dem kommenden Spiel  dürfte die tabellarische Ausgangslage hinlänglich bekannt sein. Jeder ist in der Lage, die Tabelle zu lesen und entsprechende Rechnungen anzustellen. Der HSV hat, das ist entscheidend, sein Schicksal in den eigenen Händen. Ermutigend erscheint mir, dass der schmerzlich vermisste Torjäger Lasogga wohl wieder zur Verfügung steht. Unklar erscheint mir jedoch, ob seine Fitness einen Einsatz von Beginn an zulassen wird. Gleiches scheint mir für beide nominellen Außenverteidiger, Diekmeier und Jansen, sowie für Djourou fraglich. Ich tippe mal auf die folgende Aufstellung:

Adler – Diekmeier, Westermann, Mancienne, Jiracek (Jansen) – Calhanoglu, Badelj, Tesche, Ilicevic – van der Vaart – Lasogga

Bei Diekmeier stimmt mich allerdings nachdenklich, dass er zuletzt wenig mit der Mannschaft trainiert hat. Jansen hat laut Slomka nur „integrativ“, also nicht vollständig mit der Mannschaft trainieren können. An einen Startelfeinsatz glaube ich bei ihm daher nicht. Alternativ könnte ich mir auch in Anlehnung an das Spiel gegen den FCB und unter Berücksichtung der mutmaßlichen Fitnesszustände diese Aufstellung gut vorstellen:

Adler – Westermann, Djourou, Mancienne, Jiracek (Jansen) – Rincon, Badelj, Tesche (Arslan), Calhanoglu – van der Vaart – Ilicevic

Hier würden Westermann und Rincon die rechte Außenbahn bespielen. Auch wenn Rincon kein offensiver Außenbahnspieler ist, so hat er diese Position im Verbund mit Diekmeier zuletzt ordentlich gespielt, finde ich. Für einen Einsatz Arslans spräche, dass er nach seiner Sperre vollkommen ausgeruht sein dürfte. Angesichts der Bedeutung des Spiels und des damit einhergehenden nervlichen Drucks auf die Spieler wäre mir jedoch wohler, er bliebe zunächst auf der Bank. Es geht mir hier nicht darum, über diesen jungen Spieler den Stab endgültig zu brechen, aber in den letzten Spielen hat er aus meiner Sicht alles andere als überzeugt. Zu oft bot er Alibi-Fußball und zu naives taktisches Verhalten in meinen Augen. Aber vielleicht bringt ihn Slomka ja doch, und Tolgay straft mich Lügen. Ich hätte nichts dagegen. Denn dass er nicht nur Talent besitzt, sondern auch gute Spiele machen kann, auch das hat er vor allem in der Rückrunde bereits mehrfach bewiesen. Bei jungen Spielern ist einfach immer mit einer gewissen Leistungsschwankung zu rechnen. Auch ein Grund, warum ich derzeit dem erfahreneren Tesche bevorzugen würde. So oder so – sollte der wort case eintreten, dann dürfte es ohnehin der letzte Auftritt diverser Spieler im Dress des HSVs werden. Ich gehe ohnehin davon aus, dass wir mindestens van der Vaart, Jansen, Rincon und Lasogga in der nächsten Saison in anderen Trikots sehen werden. Schon allein aus finanziellen Gründen…

Tuchels Mainzer spielen in einer ähnlichen Grundformation wie der Hamburger Sportverein, also in einem 4-2-3-1. Der Mainzer Trainer ist bekannt dafür, dass er zu jedem Gegner einen ganz speziellen Match-Plan entwickelt. Das macht zwar in meinen Augen tatsächlich jeder Trainer, dennoch dürften wenige Übungsleiter in der Liga gegnerbedingt ggf. so viele personelle Umstellungen vornehmen, wie es der Mainzer regelmäßig exerziert. Ich erwarte, dass er seine Mannschaft grundsätzlich offensiv einstellen wird. Dazu gehört, dass man mindestens phasenweise mit konsequentem Offensivpressing das Nervenkostüm der Hamburger testen wird. Dass die Hamburger immer mal wieder für einen Aussetzer gut sind, davon kann sicher nicht nur der leidgeprüfte HSV-Anhang inzwischen ein Lied singen. Aus Sicht des HSV spricht zunächst wenig dafür, die eigene Defensive zugunsten eigener Angriffsbemühungen zu vernachlässigen. Sicher, so konnte man es bei der PK vor dem Spiel bei Slomka heraushören, wird man fortlaufend von den Spielständen bei der Konkurrenz unterrichtet und ggf. darauf reagieren. Insofern wäre auch denkbar, dass man, ähnlich wie gegen Bayern, zunächst eher auf Konter spielt, bzw. über die lauffreudigen Ilicevic und van der Vaart versucht, die Mainzer entscheidend zu attackieren. Lasogga bliebe dann als erste Option zunächst auf der Bank und käme nach seiner Verletzung erst im Laufe der zweiten Halbzeit ins Spiel, bzw. würde in Abhängigkeit vom jeweiligen Stand der Dinge frischen Elan bringen können.

Ich gehe also grundsätzlich von offensiven Mainzern und einer zunächst um defensive Stabilität bemühten Hamburger Mannschaft aus. Vermag es der HSV erneut kompakt zu agieren, ohne sich durch haarsträubende Aussetzer selbst um den Lohn zu bringen, dann wird dieses Spiel nur die erste Weggabelung auf dem Weg zum Klassenerhalt. Verfällt der Dino jedoch in seinen sattsam bekannten Kardinalsfehler, taktisch nicht als Team zu spielen, dann könnte man leider bereits zur Sportschau feststellen müssen, dass sich der Dino faktisch selbst ausgerottet hat. Und da ich inzwischen davon überzeugt bin, dass es mit Sicherheit in und rund um den Verein mehr als genug Narren gab und unverändert gibt, wäre sein Aussterben zwar allemal beklagenswert, aber eben vor allem selbst verschuldet. Morgen wird, hoffentlich, hoffentlich!, vorerst nur die sportliche Zukunft (vor)entschieden. Der HSV aber muss sich in diesen Tagen und Wochen endlich grundsätzlich entscheiden, was er zukünftig sein möchte: Ein selbstverliebter, realitätsleugnender Gernegroß, ein Maulheld nicht eingelöster Ankündigungen, oder ein Verein, der die vielfältigen Lektionen der letzten Jahre endlich gelernt hat. Wer es jetzt noch nicht begriffen hat, dem ist m.E. kaum noch zu helfen. Am Ende bekommt man nur das, was man sich verdient. So oder so. Dieser Dino wäre jedenfalls der erste, der nicht durch höhere Mächte, sondern durch eigenes Verhalten ausstirbt.

Die Partie wird geleitet von Schiedsrichter Kinhöfer.