Wer regelmäßig meine Blogs liest, wer mir auf Twitter folgt, der wird wissen, dass ich die traditionelle Sportberichterstattung der klassischen Medien äußerst kritisch verfolge. Dennoch verzichte ich in der Regel darauf, diese moderne Form der Volksverdummung hier zum Gegenstand eigenständiger Artikel zu machen. Dabei ließen sich, das ist durchaus begründet zu unterstellen, mit regelmäßigem Medien-Bashing zahlreiche Leser gewinnen. Bereits ein flüchtiger Blick in die Kommentare der Sozialen Medien genügt, um zu erkennen, dass es inzwischen viele Menschen gibt, die dem etablierten Journalismus – oder was sich dafür ausgibt! – äußerst argwöhnisch gegenüberstehen. Die Diversifizierung der Lese-, Seh- und Hörgewohnheiten, der galoppierend fortschreitende Reichweitenverlust fast aller traditioneller Medienformate, die gleichzeitig zunehmende Bedeutung von verlagsunabhängigen Blogs für die Meinungsbildung und der z.T. enorme Zuspruch, den „Amateure“ auf YouTube, Facebook und Co ernten, scheinen mir weitere Indizien, die diese These stützen.
Es erscheint mir dennoch sinnlos, mich hier ausführlichst im Wochentakt an der Oberflächlichkeit boulevardesker Sportberichte abzuarbeiten, oder gar beinahe täglich einzelne dort Beschäftigte obsessiv zu schmähen. Boulevard, ob offensichtlich (bspw. BLÖD, Mopo, EXPRESS oder B.Z.) oder bürgerlich gezähmt und lokal maskiert (z.B. HSV-Sport beim Hamburger Abendblatt), bleibt Boulevard. Ganz gleich, ob ich dies kritisiere oder nicht. Die inhaltlich oft berechtigte Kritik an dieser Form der Berichterstattung ignoriert für mich jedoch regelmäßig:
- die Eigenverantwortung der Rezipienten: Der Boulevard bedient, was von den Käufern nicht nur akzeptiert, sondern geradezu verlangt wird. Der durchschnittliche BLÖD-Käufer kauft (mutmaßlich) das Blatt, weil er in Sachen Information gerne lau badet. Der will Sensation, Zuspitzung und Entertainment. Der will es leicht verdaulich und keine Artikel im Stile universitärer Seminare. Insofern bleibt die Kritik am Phänomen Boulevard-Journalismus oberflächlich, wenn sie sich nicht zugleich auch gesamt-gesellschaftlichen Fragestellungen widmet.
- die Widersprüche, denen auch Medienschaffende unterliegen: wer die Musik bezahlt, der bestimmt, welches Lied gespielt wird, heißt es. Mit anderen Worten: der jeweilige Arbeitgeber/Auftraggeber bestimmt ganz wesentlich die Größe des Spielraums, die den Mitarbeitern für ihre Arbeit zur Verfügung steht. Dabei ist der stetig zunehmende Konkurrenzdruck zu beachten, unter dem alle Beteiligten agieren. Die Gleichung, wer bspw. für BLÖD arbeitet, ist automatisch blöd, mag des Öfteren zutreffen, geht aber letztlich nicht auf. Der unverändert ungelöste Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit führt auch in den traditionellen Medien für den Einzelnen zur Notwendigkeit, seine Haut möglichst meistbietend zu verkaufen. „Moral“ muss man sich (auch) leisten können.
- Wettkampfsport als ritualisierte, ungefährliche Sublimierung von Aggressionen erfüllt eine bedeutende gesellschaftliche Funktion. In einer globalen, marktorientierten Welt lassen sich auch deswegen im Zusammenspiel zwischen Vereinen/Einzelsportlern, Medien und Sponsoren vielfältigste Geschäfte machen. Die daraus resultierenden wechselseitigen Abhängigkeiten beeinflussen maßgeblich die Form der Berichterstattung. Um es sinngemäß mit Uli Potofski zu sagen: wer viel Geld für das Produkt Fußball bezahlt hat, der kann aus Gründen der Refinanzierung dieses Produkt nicht schlechtreden. Der ist fast gezwungen, das Produkt besser darzustellen, als es nüchtern betrachtet ist. (http://www.dwdl.de/nachrichten/45269/ulli_potofski_die_poebler_tun_mir_leid/page_1.html)
- Sport, auch und gerade der Profi-Fußball, ist bestenfalls eine schöne Nebensache. Wenn ich mich täglich aufregen wollte, dann wüsste ich weit, weit relevantere Themen.
Dennoch möchte ich mich heute kritisch mit einem Artikel beschäftigen, den ich jüngst beim Hamburger Abendblatt entdeckte. Denn unter der Überschrift: „van der Vaart kämpft mit Holtby um Spielmacherposition“ entdeckte ich eine besondere Perle sportjournalistischer Prosa, wie man sie leider viel zu oft gerade in Hamburger Blättern findet. Der besagt Artikel stammt aus der Feder von Thomas Prüfer und Franko Koitzsch.
Zunächst stellen die Verfasser fest: „Eigentlich war der Leihgabe von Tottenham Hotspur [Anm.: gemeint ist Lewis Holtby] die defensive HSV-Mittelfeldrolle neben Behrami auf der Doppel-Sechs zugedacht,…„
Eine korrekte Feststellung, die leider im Folgenden gedanklich von den Autoren weitestgehend ignoriert wird, denn sie fahren fort: „…doch Holtby glänzte auch auf der offensiven Zehner-Position, die ansonsten van der Vaart für sich reklamiert.„
Hier wird es nun langsam ärgerlich, da oberflächlich. Richtig ist noch, dass Holtby in Abwesenheit von van der Vaart in der zentralen offensiven Dreierreihe im 4-2-3-1 gute Leistungen gezeigt hat. Mit einigem Wohlwollen mag man die bisherige Position Holtbys ganz grob dem 10er-Raum zuordnen. Dann aber kommt es, das ganze Elend:
„Holtby ist nicht unbedingt der klassischer Spielmacher wie der Niederländer, mehr ein dynamischer, hohes Tempo gehender Antreiber.“
Van der Vaart sei ein klassischer Spielmacher, wird hier u.a. behauptet. Zudem ordnen die Autoren offensichtlich die den Rhythmus einer Mannschaft bestimmende Funktion zwischen den Zeilen unverändert der 10er-Position zu. Beides ignoriert die Fakten und ist nachweisbar falsch.
Es gehört zu den gröbsten Missverständnissen, van der Vaart als einen das Spiel bestimmenden Spielmacher zu sehen. Weder ist er dominanter Spielmacher klassischer Prägung, noch wird im modernen Fußball der Takt einer Mannschaft auf der s.g. „10“ vorgegeben.
Van der Vaart hat seine eindeutig besten Spiele beim HSV immer als Neuneinhalber, als hängende Spitze abgeliefert. Er war nie der Stratege, der weitsichtig mit dem viert- oder drittletzten Pass den späteren Torerfolg initiierte, sondern ein Spieler, der mit dem letzten Pass glänzte, bzw. selbst erfolgreich abschloss. Van der Vaart war auch nie ein dominanter Leader, sondern ein Spieler, der, wie es van Gaal ausdrückte, eine (bereits) funktionierende Mannschaft besser macht.
Der klassische „10er“ ist in der Bundesliga seit dem Abgang Diegos ohnehin praktisch ausgestorben. Das liegt auch an der Tatsache, dass die Fokussierung einer Mannschaft auf eine Einzelperson zu einer leichteren Ausrechenbarkeit für den Gegner und somit zur Möglichkeit effektiver Gegenmaßnahmen führt. Auch hat ein zentraler (offensiver) Mittelfeldspieler heute eben auch defensive Aufgaben, von denen bspw. ein G. Netzer zu seiner aktiven Zeit weitestgehend freigestellt blieb (- die erledigte damals für ihn bei M’Gladbach meist Herbert „Hacki“ Wimmer).
Irreführend für die Leser ist schließlich, völlig zu ignorieren, dass sich die Rhythmus gebenden Aufgaben im modernen Fußball zunehmend innerhalb der klassischen Nummerierung weg von der Zehn und nach hinten verlagert haben. Man könnte m.E. sogar die Auffassung vertreten, dass die wesentlichen spielgestaltenden Aufgaben heute bereits bei der Spieleröffnung durch einen Torhüter modernster Prägung, wie ihn Manuel Neuer darstellt, oder bei spielstarken Innenverteidigern wie Hummels oder J. Boateng liegen. Aber selbst wenn man soweit nicht gehen möchte, dann dürfte wohl längst unstrittig sein, dass das „Herz“ des Spiels heutzutage nicht mehr auf der Zehn, sondern auf der Sechs schlägt. Wenn man so will, dann sind Spieler wie Xabi Alonso oder Lahm (wenn er denn im Mittelfeld spielt) die heutigen Spielmacher. Nicht von ungefähr hat der Spanier erst jüngst einen neuen Bundesligarekord in Sachen Ballkontakte aufgestellt.
Dies alles verschweigen die beiden Autoren, denn es dient nicht ihrer konstruierten These. Schließlich wollen sie die Leser von einem sich anbahnenden direkten Konkurrenzkampf zwischen Holtby und van der Vaart überzeugen. Da muss man dann die Fakten schon biegen, bzw. der Einfachheit halber gleich ganz unterschlagen. Denn auch durch die Überbetonung der Zehner-Position wird ihr Artikel erst plakativ.
Die Autoren suggerieren ihren Lesern allein auf Grundlage der Tatsache, dass sich Holtby, weil er durchaus auch gut eine Reihe weiter vorne spielen kann, in einem Entweder-Oder-Wettbewerb mit van der Vaart befindet. Sie bedienen sich des Namens van der Vaart, um einen Konflikt zu beschwören, der bis zum Beweis des Gegenteils nur in ihren Köpfen existiert. Dies wird auch daran sichtbar, dass sie ihre korrekte Eingangsfeststellung, Holtby sei ursprünglich gar nicht als Zehner vorgesehen gewesen, wohlweislich nicht weiterverfolgen. Denn für einen sich möglicherweise anbahnenden Konkurrenzkampf zwischen (dem im Vergleich zu van der Vaart) namenlosen Arslan und Holtby dürfte sich die Leserschaft weit weniger interessieren, gell?
Ich erspare mir an dieser Stelle weitere Beobachtungen zur Hamburger Presselandschaft. Wer bspw. je eine PK mit Christian Streich vom SC Freiburg gehört hat und die Fragen dort qualitativ mit den zum Teil erbärmlichen Fragestellungen der Hamburger Journaille verglich, der dürfte ohnehin wissen, dass es mit der Substanz dort oft nicht weit her ist, in der Medienstadt Hamburg. Bei HSV-PKs dominiert zu oft, was Leyendecker 2006 als „klebrige Nähe“ des Sportjournalismus zurecht geißelte. Substanz sucht man leider viel zu oft vergeblich. Das ist eben kein führt dann eben auch nicht zu „Quality Content“. Wer als Leser dafür bezahlt, der ist auch selber schuld.