Neuer

Auch an mangelnder Effizienz gescheitert – Der HSV unterliegt in Frankfurt mit 2:1 (1:1)

Ich habe mir zur Angewohnheit gemacht, meine Artikel zu den Spielen des HSV nie aus der ersten Emotion heraus zu schreiben. Weder nach Siegen und schon gar nicht nach Niederlagen. Im Triumph übersieht man ansonsten nur allzu gern die Defizite, in der Niederlage wird schnell das eigene Urteilsvermögen durch die persönliche Enttäuschung getrübt. Also erlaube ich mir in der Regel den Luxus, eine Nacht über das Gesehene zu schlafen. Ich wünschte manchmal, der eine oder andere würde sich das ebenfalls angewöhnen. Besser wäre es. Denn es ist ein schmaler Grat, zwischen völlig überzogenem Verriss und naivem Positivismus.

Wie von mir erhofft, vertraute Joe Zinnbauer im Wesentlichen der gleichen Mannschaft, die in der Vorwoche gegen Gladbach die vielleicht beste Leistung seit Monaten geboten hatte. Ausnahme: Rudnevs, der den verletzten Olic ersetzte.

Aufstellung: Drobny – Diekmeier, Djourou, Rajkovic (79. van der Vaart), Ostrzolek – Jiracek, Kacar – N. Müller (70. Marcos), Stieber, Gouaida – Rudnevs (60. Beister)

Anpfiff: Der HSV begann das Spiel wie zuletzt im 4-4-2/4-4-1-1 mit Stieber neben/leicht hinter dem einzigen Stürmer. Der ballnahe Außen rückte zu Beginn regelmäßig vor, um seinen Gegenspieler frühzeitig zu stellen, sodass man gelegentlich auch eine Staffelung im 4-3-3 sehen konnte. Situativ war im Mittelfeld aber auch eine Raute zu erkennen, deren defensives Ende dann Kacar einnahm. Mir schien, als sei dieser  Wechsel in verschiedene taktische Formationen die Umsetzung dessen im Wettkampf, was Zinnbauer seiner Mannschaft offenbar zuletzt vermehrt im Training vermittelte: die Grundlagen des Verschiebens, und die Art und Weise des Anlaufens.

Von Anfang an entwickelte sich eine flotte, ansprechende Partie. Das Spiel hatte gerade begonnen, da hätte zur Abwechselung der HSV und nicht sein Gegner in Führung gehen können. Müller spielte einen feinen Pass auf Rudnevs, der aber mit seinem Abschluss an Trapp im Gehäuse der Frankfurter scheiterte (2.). Schade, schade, denn aus solchen Gelegenheiten macht ein technisch beschlagener Stürmer ein Tor, behaupte ich. Dennoch ist hier zu loben, dass man auf Seiten des HSV erkennbar darum bemüht war, Rudnevs in die Position zu bringen, die seiner Spielweise am dienlichsten sind. Auf der anderen Seite war nur zwei Minuten später Aigner alleine durchgebrochen, wurde aber im letzten Moment noch von Ostrzolek eingeholt und entscheidend gestört (4.).

Alex Meier auf Seiten der Eintracht sah man meist nur bei Kopfbällen im Mittelfeld, oder wenn er das macht, was er nicht nur gegen seinen Ex-Verein am liebsten macht: Tore schießen. Die Frankfurter kombinierten mit flüssig vorgetragenen Doppelpässen und brachten so die HSV-Defensive diverse Male in Schwierigkeiten. In der 11. Minute versuchte Djourou, Piazon im eigenen Strafraum abzudrängen, ging dabei aber nach Einschätzung des Schiedsrichters, Florian Meyer, zu rustikal zu Werke. Und schon trat Alex Meier ins Rampenlicht. Er verlud Drobny und verwandelte den fälligen Strafstoß ganz sicher zum 1:0 (12.) für die Gastgeber.

Die Eintracht hatte in der ersten Halbzeit spielerische Vorteile, da der HSV – anders als gegen Gladbach – keinen wirklichen Zugriff auf das Zentrum erhielt. Piazon, Inui, Aigner und Stendera  zeigten hinter dem „Phantom“ Alex Meier ein bemerkenswertes, offensives Kombinationsspiel, das Hasebe defensiv absicherte.  Der HSV seinerseits war erkennbar bemüht, aus dem Spiel heraus die Bälle kontrolliert, d.h. flach, zum eigenen Mann zu spielen. Zu bemängeln ist jedoch weiterhin die Spieleröffnung. Auch auf die Gefahr, mich unbeliebt zu machen, muss ich an dieser Stelle einige kritischen Bemerkungen zu Drobny loswerden.

Vorweg: ich schätze Drobny sehr. Aber auch für Drobny gilt, was für jeden anderen Spieler des HSV gelten sollte. Für ausnahmslos jeden! Dass nur 5 Prozent seiner Abschläge den eigenen Mann fanden, ist sicher nicht allein ihm anzulasten, es zeigt aber ein Defizit unter vielen anderen im Kader des HSV. Gemessen an einem Referenzspieler für das Prädikat Weltklasse im Tor wie Manuel Neuer, der über 85 Prozent seiner Bälle ziel- und punktgenau den eigenen Leuten zuspielt, und zwar völlig egal, ob mit dem Fuß bei Zuspielen oder Abschlägen, oder mit der Hand bei Abwürfen!, ist das schwach, ganz schwach. Und das darf man bei aller Wertschätzung für Drobo einfach nicht übersehen, wenn man die Mannschaft perspektivisch entwickeln möchte. Noch einmal: Fans dürfen und sollen ihre Lieblinge haben. Aber Entwicklung setzt nüchterne Analyse voraus, die niemanden ausklammern darf. Daher unterstreiche ich nochmals, was ich hier vor Wochen schrieb: Perspektivisch benötigt der HSV m.E. einen anderen, „moderneren“ Torhüter.

In der Nachspielzeit der ersten Halbzeit sah man eine schöne Einzelleistung des jungen Gouaida, die dieser mit einem guten Pass zu Nicolai Müller krönte. Dieser steckte wunderbar durch zum gut einlaufenden Stieber, der wiederum Trapp keine Chance ließ und zum 1:1 ins kurze Eck vollendete (45+2). Apropos Gouaida. Aus meiner Sicht hat er erneut seine Aufstellung gerechtfertigt. Hin und wieder unterlaufen ihm aber noch Fehler, die einem erfahreneren Spieler nicht unterlaufen (sollten). Bei allem Lob muss dies kritisch angemerkt werden. Bei ihm sieht man aber, dass er sich in die richtige Richtung entwickelt. Bravo!

Ein anderer Spieler, der mir bereits zur Halbzeit positiv auffiel, ist Stieber. Obwohl die Eintracht ihn merklich auf dem Zettel hatte, entzog er sich immer wieder seinen jeweiligen Bewachern. Er war fast überall zu finden. Links außen, rechts außen, zentral im Mittelfeld und in der vordersten Spitze. Großes Kino. Diese Feststellung freut mich besonders, denn es gehört für mich leider zur übelsten HSV-Tradition, dass neue Spieler innerhalb kürzester Zeit zerrissen werden. Und er war (?) einer von ihnen.

In der 54. Minute addierten sich auf Seiten des HSV zwei Fehler. Jiracek wollte per Kopf auf Diekmeier zurücklegen (statt den Ball zu klären), und Dennis erfasste für Sekundenbruchteile die Situation zu langsam. Am Ende landete der Ball bei Alex Meier, der platziert zur 2:1-Führung für die Gastgeber abschloss.

Zinnbauer reagierte und brachte Beister für Rudnevs (60.). Stürmer für Stürmer – fand ich zu diesem Zeitpunkt mit noch einer halben Stunde auf der Uhr nachvollziehbar. Leider geriet kurz darauf der bereits gelbverwarnte Ostrzolek in ein eins gegen eins Laufduell gegen den abgezockten Aigner. Ostrzolek wollte wohl die Innenbahn für Aigner schließen (korrekt!), kreuzte dabei aber Aigner und trat diesem, ich vermute in diesem Fall unabsichtlich, in die Beine. Konsequenz: Platzverweis für Ostrzolek und Unterzahl für den HSV. Zinnbauer  war also erneut zum Handeln gezwungen und nahm Müller vom Feld, um mit Ronny Marcos einen neuen Linksverteidiger zu bringen. Gouaida wechselte daraufhin auf die verwaiste rechte Außenbahn, und Stieber zog aus dem Zentrum mehr nach links.

Auch in der zweiten Halbzeit, zumal in Überzahl spielend, war die Eintracht die klar spielbestimmende Mannschaft und hatte ein eindeutiges Chancenplus. Dennoch wäre dem HSV um ein Haar sogar in Unterzahl der Ausgleich gelungen. Aber leider scheiterte auch Beister nach starkem Pass von Gouaida, wie schon Rudnevs in der ersten Halbzeit, alleine vor dem Tor am sehr guten Trapp. Hier sah man m.E. warum Zinnbauer Maxi bislang wenig berücksichtigt hat. Beister braucht verständlicherweise nach seiner langen Verletzungspause noch einige Zeit, um tatsächlich in Form zu kommen. Spielfähig für dreißig Minuten heißt noch lange nicht, dass man von ihm Wunder erwarten darf.

In der Nachspielzeit (90+1.) verursachte Djourou den zweiten Elfmeter. Diese Entscheidung war für mich völlig korrekt und unstrittig. Und so kamen auch die Frankfurter zu einer neuen Erkenntnis. Alex Meier kann auch Strafstöße verschießen. Er scheiterte an der Querlatte. Es blieb daher beim 2:1.

Abpfiff: Eine am Ende verdiente Niederlage des HSV gegen eine stark aufspielende Frankfurter Eintracht. Hätte Rudnevs getroffen, bzw. wäre Beister schon wieder in alter Form, dann hätte der HSV durchaus mindestens einen Punkt aus Frankfurt entführen können. Dann hätten zwar alle unverändert der Eintracht die bessere Spielanlage bescheinigt, aber die Effizienz der Auswärtsmannschaft, des HSV, gelobt. In meinen Augen waren es viele kleine und größere Details, die letztlich den Unterschied ausmachten. Von „das hat mit Bundesligafußball nichts zu tun“, wie ich las, kann m.M.n. keine Rede sein. Wenn das kein Bundesligafußball war, was der HSV hier auswärts anbot, dann möchte ich nicht wissen, was das siegreiche Gebolze vor einigen Wochen gewesen sein soll. Kreisliga B?
Die Mannschaft des HSV als Ganzes macht eine Entwicklung durch, einzelne Spieler entwickeln sich. Gouaida und Stieber werden immer stärker, Beister wird hoffentlich mit der Zeit wieder zur alten Form finden. Marcos und Gouaida unterlaufen aber hin und wieder Fehler, mit denen man bei Talenten immer rechnen muss. Antizyklisches Denken ist gefragt. Nach den Siegen war auch nicht alles rosarot. Jetzt gibt es neben aller berechtigten Kritik aus meiner Sicht sehr wohl begründeten Anlass zur Hoffnung. Die Verletzten kommen nach und nach wieder zurück, die Talente reifen mit jedem Spiel, und Maxi wird sich langsam steigern. Dass es am Ende eng werden kann, das habe ich nie bestritten. Aber kritischen Situationen begegnet man mit kühlem Kopf und nicht mit Panikmache.

Schiedsrichter: Florian Meyer (Burgdorf). Harte, aber vertretbare Entscheidung beim ersten Elfmeter.  Meinem Eindruck nach lag das Gespann bei ein, zwei engen Abseits-Entscheidungen gegen den HSV (Rudnevs, Stieber) nicht richtig. Manche Entscheidungen hätte ich anders getroffen, mache ihm daraus aber keinen Vorwurf.

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Historische Niederlage mit vielfältigen Ursachen: FC Bayern München – HSV 8:0 (3:0)

„Es ist längst ein Klassenunterschied.“ (Kommentar M. Reif auf SKY, 52. Spielminute)

Man stelle sich vor: Ein normaler VW-Golf tritt gegen einen aufgerüsteten Porsche zu einem Rennen über die Meile an. Nach 900 Metern hat der Porsche wie zu erwarten einen deutlichen Vorsprung. Da dämmert es auch dem kommentierenden Rennbeobachter, dass ein Klassenunterschied bei diesem Wettkampf vorliegt. Donnerwetter, Herr Reif, was für eine Expertise! Ich bin angemessen beeindruckt.

Tatsächlich entwickelt sich die Bundesliga in die höchst bedenkliche Richtung eines einseitigen Wettbewerbs. Angesichts der eklatant ungleichen Voraussetzungen der Vereine, erscheint bis auf Weiteres jedes Jahr der Titel fest nach München vergeben. Derzeit ist im Prinzip ausschließlich fraglich, ob der FC Bayern bereits im März oder „erst“ im April vorzeitig Deutscher Meister wird. Und wieviele Punkte Vorsprung die Mannschaft bis dahin auf die grundsätzlich chancenlose Konkurrenz herausgespielt hat. Wer da ernsthaft von „Bayern-Verfolgern“ redet, der ignoriert die Realität. Daran ändert auch nichts, dass es dem VfL Wolfsburg tatsächlich zum Rückrundenauftakt gelang, den Dominatoren der Liga ausnahmsweise eine Niederlage zuzufügen. Derartiges passt allerdings all jenen nur zu gut ins Geschäft, die von dieser Konstellation profitieren (FCB), die das Produkt Bundesliga vermarkten (DFL), oder die ihre exorbitanten Investitionen (Übertragungsrechte) durch entsprechend schönfärberische Berichterstattung refinanzieren müssen (SKY). All jene haben ein Interesse daran, dass dem Zuschauer inzwischen eine Illusion verkauft wird.

Um nicht missverstanden zu werden: Der FC Bayern München hat sich seinen Wettbewerbsvorteil durch jahrzehntelange, hervorragende Arbeit ebenso verdient, wie der Hamburger SV seinen inzwischen mehr als deutlichen sportlichen und  finanziellen Rückstand durch überwiegend desaströse Fehlentscheidungen, Missmanagement und sportliche Inkompetenz selbst zu verantworten hat. Aber was will man eigentlich erwarten, wenn eine der absolut besten Mannschaften des Planeten gegen einen Mitbewerber antritt, dem in der gesamten Vorsaison lächerliche 27 Zähler gelangen? Selbst wenn dem HSV am Ende dieser Saison mit 37 Punkten ein eindeutig besseres Saisonresultat gelingen sollte, dann bedeutet dies für die Hamburger immer noch Abstiegskampf, nichts anderes.

Natürlich, der Sport schreibt immer wieder die tollsten Geschichten. Sensationelle Erfolge eines krassen Aussenseiters sind nie gänzlich auszuschließen. Dies ist schließlich Teil seiner Faszination. Dennoch sollte die Einschätzung realistisch bleiben. Über die Jahrzehnte hat der FCB nicht nur fachlich sinnvoll und kontinuierlich hervorragend gearbeitet, sondern inzwischen im Vergleich u.a. zum HSV vermutlich einen Betrag in seine Mannschaft mehr investieren können, der im Milliardenbereich liegen dürfte. In Euro. Es ist daher auch nicht das medial kolportierte s.g. „Bayern-Gen“, aus dem der Wettbewerbsvorsprung resultiert, sondern die auf fast allen Ebenen (Personalauswahl, Training, Scouting, medizinische Betreuung und Finanzen) bessere Arbeit des FCB, die von einer ehrgeizigen Anspruchshaltung der Münchner dann zusätzlich zu einer selbstbewussten „mia-san-mia-Mentalität“ im Wettkampf führt. Doch genug der Vorrede.

HSV-Trainer Joe Zinnbauer überraschte mit der folgenden Aufstellung: Drobny – Götz, Djourou, Westermann, Marcos (57. Ostrzolek) – Stieber, van der Vaart (57. Jiracek), Diaz, Jansen – Rudnevs, Olic (24. N. Müller)

Diskutabel erscheint hier zunächst, dass Westermann für den zuletzt tadellos spielenden Rajkovic neben Djourou in die Innenverteidigung zurückkehrte. Nachträglich wurde dies mit leichten Geschwindigkeitsvorteilen Westermanns begründet. Da Zinnbauer hier über exakte Daten und Eindrücke aus dem täglichen Training verfügt, will und kann ich hier keinen Fehler erkennen. Schon gar keinen spielentscheidenden. Allerdings hätte ich auf diesen Wechsel verzichtet.

Götz als RV ist aufgrund der Verletzung Diekmeiers logisch; für Marcos als LV gegen Robben, einen der besten Außen der Welt, hätte ich den erfahreneren Ostrzolek gewählt.

Durch die Besetzung des zentral-defensiven Mittelfelds durch Diaz und van der Vaart wollte Zinnbauer mutmaßlich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Einerseits wurde Erfahrung auf den Platz gebracht, andererseits sollten beide wohl durch ihre Pass-Stärke zielgerichtete Konter einleiten. Ich hielt dies schon vor dem Spiel angesichts des realen Klassenunterschieds (s.o.) für sehr, sehr mutig. Oder anders ausgedrückt für zu riskant. Ich schrieb bereits in vorangegangenen Artikeln, dass m.E. bei dieser Lösung die Mischung zwischen Spielstärke, Dynamik und defensiver Zweikampfstärke suboptimal bleibt. Jiracek oder sogar Kacar für van der Vaart wäre m.M.n. die bessere Wahl gegen die Dominatoren gewesen.

Eine Umstellung auswärts gegen die Bayern auf zwei Stürmer ist mutig und in meinen Augen die konsequente Fortsetzung des von Zinnbauer gewählten Ansatzes: zielgerichtete Pässe aus der Zentrale auf zwei denkbare Abnehmer – das ist variabler und damit schwerer auszurechnen. Hätte theoretisch funktionieren können.

Spielfilm: Abweichend zu meinen bisherigen Spielberichten möchte ich darauf verzichten, die Entstehungsgeschichte jedes einzelnen Tores hier darzustellen. Stattdessen nun einige Beobachtungen zu Spielverlauf und Taktik.

Die Bayern waren wie zu erwarten sofort dominant. Der HSV versuchte sich spielerisch aus der Defensive zu befreien und verzichtete weitestgehend auf das destruktive Gebolze der beiden vorangegangenen Spiele (SCP, H96). In einem überwiegend flachen 4-4-2 versuchte man die Breite des Feldes gegen die Münchner abzudecken, von denen allgemein bekannt sein dürfte, dass sie unerhört schnell den Ball zirkulieren lassen können, was regelmäßig bei ihnen zu schnellen Seitenverlagerungen führt. Zunächst standen beide Hamburger Viererketten  auch eng genug beieinander, jedoch sah man früh, dass dem Duo Diaz/van der Vaart eben jene Dynamik fehlt, die man benötigt, um tatsächlich Zugriff auf das Herz des Münchner Spiels im zentral-defensiven Mittelfeld zu bekommen. Van der Vaart kippte bei dem eher seltenen Gelegenheiten zum kontrolllierten Spielaufbau der Hamburger aus der Abwehr in der bekannten Manier ab, es fehlt ihm jedoch an defensiver Zweikampfstärke und an läuferischer Dynamik, sodass dem HSV eben das überhaupt nicht gelang, was den Wolfsburgern als bisher einziger Mannschaft gelungen ist: Schweinsteiger (und damals Xabi Alonso) auf den Füßen zu stehen. Das wirkte sich aus Sicht des HSV fatal aus, da Guardiola vor Schweinsteiger den äußerst beweglichen Götze und den Raumdeuter Thomas Müller positioniert hatte. Van der Vaart läuft viel, aber meist in einem Tempo. Ihm fehlte gegen diesen Gegner das nötige Sprintvermögen.

Der Elfmeter zum 1:0 ist Folge der von der DFL vorgegebenen Regelauslegung zum Handspiel und daher korrekt, wenn auch aus Sicht des jungen Marcos unglücklich. Kein Vorwurf an den Spieler meinerseits an dieser Stelle. Das schnell folgende 2:0 und damit im Grunde bereits die Vorentscheidung war eine von gleich mehreren Fehlentscheidungen, die Schiedsrichter Weiner und sein Gespann fast ohne jede Ausnahme zugunsten der ohnehin übermächtigen Münchner traf. Ausnahme blieb nur der Verzicht auf die gelb-rote Karte gegen van der Vaart, die sich dieser durch ein idiotisches, da völlig unnötiges Foul an Thomas Müller im Mittelfeld (40.), eigentlich mehr als redlich verdient gehabt hätte. Raffa mag ja lobenswert Verantwortung bei Elfmetern übernehmen und in der Kabine flammende Reden halten, aber es ist keineswegs das erste Mal, dass er als Kapitän seinen Trainer durch unbedachte Aktionen im Grunde schon zur Halbzeit dazu nötigt, ihn vom Feld zu nehmen. Auch wenn Knäbel und Zinnbauer ihn öffentlich aus nachvollziehbaren Gründen aus der Schusslinie nehmen – zu einem wirklichen Führungsspieler gehört in meinen Augen mehr. Viel mehr. Womit ich bei einem generellen Defizit in den Kadern des HSV der letzten Jahre wäre. Kaum echte Führungsspieler (Drobny ist im Tor zu weit weg), zu viele Spieler mit notorisch großer Klappe (vor dem Spiel), die dann im realen Spiel zu oft abtauchen. Jansen ist auch so ein Kandidat. Und das schreibe ich, obwohl ich ihn grundsätzlich mag und sehr wohl zu schätzen weiß, was er leisten kann und auch oft genug geleistet hat. Wie er den unerfahren Marcos gegen Ende der ersten Halbzeit und zu Beginn der zweiten Spielhälfte, vor allem beim 4:0 allein in einem eins gegen eins gegen Robben und damit im Regen stehen lassen konnte, – gegen Robben! – bleibt mir ein Rätsel. Fast hätte ich geschrieben, das war eine echte Schweinerei. Dass der HSV nun einen Muskelfaserriss bei Jansen vermeldet, kann diese, gemessen an seinen eigenen Ansprüchen,  mangelhafte Leistung nicht rechtfertigen. Mindestens bis zum fälschlich nicht anerkannten 1:6 in der 63. Spielminute, dem ein langer Sprint Jansens nebst Flanke auf Rudnevs vorausging, war er eben offensichtlich nicht verletzt. Ausschließlich sein späteres Verhalten auf dem Platz lässt sich nachträglich so erklären und entschuldigen. Van der Vaart, Jansen – beide sind dennoch nicht allein schuld, aber auch sie haben zum Desaster von München beigetragen.

Zinnbauer musste Olic leider verletzungsbedingt früh aus dem Spiel nehmen und verdichtete das Mittelfeld zu einem 4-2-3-1, was angesichts des nicht vorhandenen Zugriffs eben dort (s.o.) sinnvoll erschien. Viel zu spät jedoch, nämlich erst beim Spielstand von immerhin 6:0!, kam der Wechsel von Jiracek für van der Vaart und Ostrzolek für Marcos, der gegen einen Robben in Galaform und ohne konsequente Unterstützung durch Jansen absolut überfordert war. Auch hier kein grundsätzlicher  Vorwurf an Marcos. In Hamburg schreit man seit Jahren nach eigenen Talenten, aber wenn die dann auf dem Platz stehen, dann sollen die am besten wie gestandene Profis agieren? Lächerlich. Wer Talente entwickeln will, der muss Geduld haben. Der muss mit Leistungsschwankungen und mitunter auch gröberen Fehlern eben dieser Talente leben. Von den wirklich rar gesäten absoluten Ausnahmetalenten weltweit abgesehen, ist alles andere Unfug. Im Übrigen fand ich, dass durch Jiracek und Ostrzolek etwas mehr Ruhe ins Spiel des HSV kam, was allerdings zusätzlich auch durch nachlassende Münchner begünstigt wurde. Dass beide Spieler bei diesem bereits ernüchternden Spielstand keine Bäume mehr ausreißen konnten, dürften die meisten Leser nachvollziehen können.

Insgesamt verteidigte der resignierende HSV insbesondere in der Schlussphase zu passiv, sodass die letzten Treffer der Bayern mit besserem Einsatzwillen vermeidbar wirkten. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass die Variabilität, die technische und taktische Perfektion des Branchenprimus an solchen Tagen ein nahezu zirzensisches Niveau erreicht, das ganz andere Mannschaften als den HSV der Gegenwart ebenfalls an die Wand spielen kann.

Fazit: Der HSV unterliegt auch in der Höhe verdient. Zinnbauer hat, nachträglich betrachtet, durch seine Aufstellung (zu) viel riskiert. Auch die Auswechslung von van der Vaart hätte m.E. bereits in der Halbzeitpause beim Stand von 3:0 und nicht erst beim 6:0 erfolgen müssen. Aber auch für Zinnbauer gilt, dass man ihm Fehler zugestehen muss. Er wird ganz sicher seine Lehren aus diesem Spiel ziehen. Daher halte ich rein gar nichts von jenen Stimmen, die einem erneuten – wie oft eigentlich noch?!! – Trainerwechsel nunmehr das Wort reden.

Zur Entstehungsgeschichte dieser historischen Rekordniederlage für die Hamburger gehören auch die für den Spielverlauf erheblichen Fehlentscheidungen des Schiedsrichters und die Verletzungsausfälle beim HSV. Vor allem Behrami wurde in diesem Spiel schmerzlichst vermisst. Weitere Gründe für dieses Debakel sind in dem über Jahre unsachgemäß zusammengestellten Kader (zwei Jahre fehlender Sportdirektor…), und der finanziellen Lage, die zum beschleunigten Einbau der Talente geradezu nötigt, zu suchen.

Tore: 1:0 T. Müller (21.); 2:0 Götze (23.); Robben (36.); 4:0 Robben (47.); 5:0 T. Müller (55.); 6:0 Lewandowski (56.); 7:0  Ribéry (69.); 8:0 (Götze)

Schiedsrichter: Weiner (Giesen). Hatte mit seinem Team einen gebrauchten Tag erwischt. Die Entscheidung auf strafbares Handspiel gegen Marcos und Strafstoß ist regeltechnisch vertretbar. Dennoch meine ich, dass die in Deutschland praktizierte Regelauslegung zum Handspiel fragwürdig ist und regelmäßig zu absurden Konsequenzen führt. Marcos vergrößert zwar seine Körperfläche, dies geschieht jedoch aus einer Laufbewegung, bei der die Arme naturgemäß mitschwingen. Außerdem erfolgt der Schuss aus kurzer Distanz (2m). Von einer absichtlichen(!) Handbewegung kann hier meines Erachtens daher keine Rede sein. Es kann nicht sein, dass Abwehrspieler mit hinter dem Rücken verschränkten Armen zum Ball laufen (müssen), weil sie ansonsten Gefahr laufen, einen Elfmeter zu verursachen.

Lewandowski stand beim Schuss von T. Müller vor dem vorentscheidenden 2:0 zwar im Prinzip passiv im Abseits, verdeckte jedoch Drobny durch seine Positionierung die Sicht, was m.M.n. einen strafbaren, aktiven Eingriff ins Spielgeschehen darstellt.

Der Treffer von Rudnevs (63.) hätte Anerkennung finden müssen, da Rudnevs beim Abspiel von Jansen eindeutig nicht im  Abseits stand.

Nachtrag: Las gerade den Blog der geschätzten MrsCgn, die sich Gedanken zum Kommunikationsverhalten des HSV macht. Ungeachtet der Frage, ob ich ihr in jedem einzelnen Punkt zustimme, finde ich den Artikel https://mrscgn.wordpress.com/ lesens- und bedenkenswert.