Jarchow

Profifußball ist kein Ponyhof: Die Causa Hakan Calhanoglu

Hakan Calhanoglu möchte zu Bayer 04 Leverkusen wechseln. Seinen Wunsch hat er laut SPORTBILD der Vereinsführung des Hamburger Sportvereins mitgeteilt. Im Grunde ein ganz normaler Vorgang. Denn seien wir ehrlich, wer, der auch nur halbwegs aufmerksam die Vorgänge in den letzten Jahren rund um den Verein beobachtet hat, wer vor allem die letzte Saison mit drei verschiedenen Trainern mitgemacht hat, möchte sich freiwillig den Chaosverein HSV noch antun? Wenn man andere, besser dotierte Angebote hat, die zudem nach menschlichem Ermessen eine sportlich sorgenfreie(re) Zukunft versprechen? Wer kein grundsätzliches Verständnis für den Wechselwunsch des Spielers aufbringt, dessen Stirn muss mit einem dicken Rautenbrett vernagelt sein.

Der mit Vehemenz vorgetragene Wechselwunsch ansich, das ist in meinen Augen die schlechte Nachricht für alle Hamburger, ist ein Indiz, wie kräftezehrend „inside HSV“ die Saison verlaufen ist. Permanente Diskussionen, Indiskretionen, Klagedrohungen, Personalwechsel und ein gruseliger Saisonverlauf, bei dem den „Söldnern“ nicht weniger als die Last und Verantwortung auferlegt war, das Aussterben des Dinos und damit hunderte, wenn nicht gar tausende Arbeitsplätze in und rund um die Imtech-Arena zu retten. Westermann sprach nach dem entscheidenden Spiel in Fürth davon, dass er im Wiederholungsfall suizidgefährdet sei. Und wer die Bilder nach dem Spiel aus der Kabine gesehen hat, der dürfte vor allem eins bemerkt haben: Erleichterung pur. Selbst Kreuzer, der als ehemaliger Profikicker in seiner Karriere gewiss schon einiges mitgemacht hat, standen die Tränen der Erleichterung in den Augen. Es waren keine Steine mehr, die allen Hamburgern von den Schultern fielen, es waren ganze Gebirgszüge.

Dann schaut man in die Zukunft und versucht zu erfassen, wie es wohl mit dem Dino weitergeht. Bekanntlich steht am 25. Mai die finale Abstimmung über die Ausgliederung der Profiabteilung an. Klammern wir einmal  aus, dass HSVPlus scheitern könnte, oder dessen unverzügliche Umsetzung im Nachfeld der Abstimmung durch juristische Scharmützel aufgehalten werden könnte. Gehen wir also einmal davon aus, dass die Verhältnisse ab dem 26. Mai zugunsten von HSVPlus eindeutig geklärt sind. Und dann? Wer glaubt, dass es nur HSVPlus bedürfe, damit der HSV nächstes oder spätestens übernächstes Jahr das internationale Geschäft erreicht, der irrt. Das Konzept führt zunächst zur Abwendung des finanziellen Super-GAUs, verschafft dem Verein zudem eine derzeit praktisch nicht vorhandene, bescheidene finanzielle Handlungsfreiheit und setzt vor allem auf eine nachhaltige Entwicklung. Nachhaltigkeit bedeutet, dass man endlich gewillt ist, ein Fundament einzuziehen, auf dem das große Haus namens HSV solide stehen kann. Nachhaltigkeit bedeutet, dass Geld in die dringend erforderliche Verbesserung der Nachwuchsarbeit fließt. Zwar beginnt der HSV hier nicht bei null, aber bis hier ein „Return of Invest“ in Gestalt  mehrerer Nachwuchsspieler zu erwarten ist, die die Profimannschaft tatsächlich verstärken können, das dürfte dauern. Die Verpflichtung wirklicher Stars auf dem Transfermarkt, die die Mannschaft umgehend auf ein gänzlich anderes Niveau heben, ist nicht zu erwarten. Kleine Brötchen backen, sich in Bescheidenheit üben, planvoll, strukturiert und systematisch hart arbeiten – das ist die Zukunft. Natürlich, gänzlich ausgeschlossen ist es nicht, dass der HSV in zwei Jahren an den Rängen kratzt, die zur Teilnahme an der Europa League berechtigen. Erwarten sollte man das aber nicht.

Ein professioneller Fußballspieler gleicht in meinen Augen einem dreigeteilten Wesen. Da ist zunächst der Mensch. Dann ist da der Sportler und last but not least die (zu) hoch bezahlte „Ich-AG“. Betrachten wir also Hakans Wechselwunsch unter diesen Gesichtspunkten:

Für den Menschen Calhanoglu stelle ich zunächst fest, dass er mit 20 Jahren noch sehr jung ist. Von der Natur mit einem außergewöhnlichen Talent gesegnet, verschlug es ihn binnen eines Jahres aus dem beschaulichen Karlsruhe in die Metropolregion Hamburg, vom Zweitligaaufsteiger KSC zum ungleich namhafteren Hamburger Sportverein. Aus der Ferne betrachtet mag der HSV immer noch eine gewisse Strahlkraft entfalten, wer sich dem Dino aber nähert, der wird schnell ernüchtert. Chaos, Indiskretionen, Gezänk und der Pleitegeier schweben über dessen Heimstadt. Hand auf ’s Herz! Wer möchte für einen solchen Arbeitgeber spielen? Wenn mir doch ein ungleich erfolgreicherer Verein ein lukrativeres Angebot unterbreitet?

Mit 20 Jahren ist man dem Gesetz nach volljährig. Aus psychologischer Sicht jedoch dauert die Adoleszenz bis zum 25 Lebensjahr. Erst danach kann man in der Regel von einer abgeschlossenen Reifung sprechen. Calhanoglu ist, so hat er es der SPORTBILD erzählt, in eine laufende Sitzung seiner Vorgesetzten gestürmt, hat das draußen an der Tür hängende Schild „Bitte nicht stören!“ ignoriert und hat Jarchow und Kreuzer mit seinem Anliegen konfrontiert. Das muss man erst einmal bringen. So etwas macht man nur, wenn man noch nicht trocken hinter den Ohren ist. Dass er  es nachträglich als „respektlos“ bezeichnet, dass Jarchow eine Wette zu seinem Verbleib beim HSV auch im Abstiegsfall angeboten habe, das passt ins Bild. Wie bitte?! Respektlos? War es nicht Hakan selbst, der via Presse und auch in persönlichen Gesprächen mit Fans des Vereins treuherzig versichert hat, dass er in jedem Fall bliebe? War es nicht Hakan selbst, der seinen Vertrag noch vor wenigen Monaten bis 2018 verlängert hat? Hat er die Vertragslaufzeit nicht gelesen? Jetzt spricht er davon, er hoffe, der Verein würde keine „Mauer“ um seine Karriere bauen. Es wird Zeit, dass die zwanzigjährige Ich-AG Calhanoglu eins begreift: Als vor dem Gesetz Volljähriger trägt man grundsätzlich die Konsequenzen seiner Entscheidungen, mögen sie einem nachträglich auch unbedacht und falsch erscheinen. Wer einen Vertrag unterschreibt, der kann diesen im Regelfall nicht einseitig kündigen. Ausnahme: vorsätzlicher Betrug oder nicht eingehaltene Leistungsversprechungen der Gegenseite. Beides kann hier ausgeschlossen werden. Die sportliche und finanzielle Situation des Hamburger Sportvereins müssen dem Vertragspartner Calhanoglu bei Vertragsunterzeichnung grundsätzlich bekannt gewesen sein. Von nicht eingegangenen Gehältern bei den Spielern des Vereins ist trotz angespannter Kassenlage nichts bekannt. Es ist daher evident, dass eine Vertragsauflösung nur im beiderseitigen Einvernehmen möglich ist. Will der Verein, gleich aus welchen Gründen, dies nicht, so hat dessen Vorstandsvorsitzender jedes Recht der Welt, seine Auffassung zu unterstreichen, dass der Spieler beim HSV bleibt und nicht transferiert wird. Punkt. Respektlos, Hakan Calhanoglu, ist, seinen Vertragspartner öffentlich unter Druck zu setzen. Respektlos ist, Unfug zu erzählen, sich nicht mehr an seine eigenen Worte erinnern zu wollen. Respektlos ist, ausgerechnet van der Vaarts Valencia-Nummer als Rechtfertigung zu bemühen. Das gleicht der Argumentation: Ich darf doch stehlen, der hat es doch schließlich auch gemacht.

Als Sportler hat man nur eine begrenzte Zeit, um seine sportlichen Ziele zu erreichen. Und natürlich lauern auf diesem Weg erhebliche Gefahren. Es dürfte zehntausende großer Talente gegeben haben, die allemal das Zeug zum Profi gehabt hätten, und die es nie an die großen Fleischtöpfe geschafft haben, weil ihr Körper sie vorher im Stich ließ. Oder sie setzten sich durch, erlitten dann aber schwere Verletzungen, die bei ihren sportlichen Zielen einen dicken Strich durch die Rechnung erforderten. Man frage nur nach bei Holger Badstuber, der ohne seine schwere Verletzung höchstwahrscheinlich mit zur WM nach Brasilien gefahren wäre. Aus der Traum. Insofern habe ich durchaus Verständnis dafür, dass auch ein Hakan Calhanoglu von Titeln träumt, oder eine EM-Teilnahme mit der Türkei 2016 im Blick hat. Dass seine Chancen hier als Spieler von Bayer 04 Leverkusen ungleich besser stünden – wer wollte das bestreiten (s.o.)? Aber wer, wie Calhanoglu, jetzt das permanente Verletzungsrisiko anführt, der sollte vielleicht gleich mehrere Dinge bedenken:

1. Der Hochrisikosport Profifußball wird ganz ordentlich vergütet. Selbst ein Calhanoglu, der hoffentlich noch am Anfang einer großen Karriere steht, dürfte bereits jetzt mehr verdient haben, als so mancher in dieser Gesellschaft in der Lage ist, in seinem gesamten Berufsleben zu verdienen;

2. Gestern noch mit dem KSC aus der der 3. in die 2. Liga aufgestiegen, hat ihm der HSV heuer die Bühne geboten, um sich Erstligaspieler nennen zu dürfen. Wenn Calhanoglu auf seine 11 Tore verweist, die er zum Klassenerhalt beigetragen habe, so ist das schließlich einer der Gründe, die den HSV seinerzeit veranlassten, seinem Offensivspieler einen nicht nur verlängerten, sondern mutmaßlich auch besser dotierten Vertrag anzubieten. Diesen hat der Spieler freiwillig unterzeichnet. Quit pro quo. Calhanoglus Argumentation läuft ins Leere. Oder sollen sich demnächst die Abwehrspieler dafür ausdrücklich abfeiern lassen, dass sie das gemacht haben, wofür auch sie ganz ordentlich bezahlt werden, nämlich Tore des Gegners zu verhindern?;

3. Es war auch Calhanoglus Leistung der ersten Halbserie, auch er war Teil der Mannschaft, die tabellarisch immer weiter abgerutscht ist, bis ein Stück weit das Schicksal des ganzen Vereins vom Ausgang der Relegation abhing. Calhanoglu wäre gut beraten, nicht nur stolzgeschwellt auf seine 11 Tore zu verweisen, – die sind aller Ehren wert! – sondern auch selbstkritisch den eigenen Anteil daran zu reflektieren, dass es überhaupt zu dieser Horrorsaison gekommen ist. Mit zwanzig und gerade einmal einer guten zweiten Halbserie als wirklicher Erstligaspieler im Rücken stehen einem grundsätzlich noch alle Türen offen. Wenn man vernünftig bleibt. Die Geschichte des Profifußballs ist voll von Spielern, die die falschen Entscheidungen getroffen haben. Man frage mal bei der gefühlten Legion an Spielern nach, die mit großen Ambitionen zum FC Bayern München gewechselt sind und dort dann auf der Bank versauerten;

4. Die kluge Karriereplanung eines hochtalentierten Spielers, und dies ist Calhanoglu unbestreitbar, kann aktuell den HSV nur als Durchgangsstation sehen. Kaum jemand, der sich wirklich auskennt, dürfte tatsächlich geglaubt haben, dass Calhanoglu seinen Vertrag bis 2018 beim HSV erfüllt. Aber Calhanoglu, den ich hier für außerordentlich schlecht beraten halte, hätte gut daran getan, sich mindestens auf ein weiteres Jahr beim HSV einzustellen. Zum einen hätte er dem Verein und seinen Fans eine ganze Saison als vollwertiger Erstligaspieler für das ihm bei seiner Verpflichtung entgegengebrachte Vertrauen „zurückzahlen“ können, zum anderen hätte er dann als tatsächlich etablierter Spieler mit deutlich mehr Erfahrung den ungleich härteren Konkurrenzkampf wo auch immer aufnehmen können;

5. Wer seinen derzeitigen Arbeitgeber öffentlich(!) unter Druck zu setzen versucht, der mag nichtsdestotrotz andernorts angesichts seines Talents noch Begehrlichkeiten wecken. Aber wer wie Calhanoglu schon von Messi spricht, dem er nacheifern wolle, der signalisiert gerade einem Verein, der sich nicht umsonst die Bezeichnung „Vizekusen“ einst schützen ließ, dass er auch den nur als weitere Durchgangsstation sieht. Dafür dürften sie in Leverkusen zwar grundsätzliches Verständnis haben, das dürfte man dort sogar einkalkulieren, aber man dürfte sich eben bereits jetzt auch den einen oder anderen Gedanken über den Charakter dieses (möglichen) zukünftigen Spielers machen. Zwar kennt jeder die Usancen des Geschäfts, insofern ist der Verweis Calhanoglus auf van der Vaarts damaliges Verhalten beim HSV durchaus nachvollziehbar, aber wer nur drei Monate nach Vertragsunterschrift ein derartiges, öffentliches Theater inszeniert, der signalisiert nicht nur grundsätzliche Unreife, sondern auch, dass man sich als Arbeitgeber einen Spieler in den Kader holt, der grundsätzlich seine ureigensten Interessen über den Verein stellt. Bei dem rechne ich als Arbeitgeber auch damit, dass dieser Spieler öffentlich Theater macht, sollte ihn mein Trainer auf die Bank oder gar Tribüne setzen. Eine Fußballmannschaft ist aber ein fragiles Gebilde, denn sie besteht überwiegend, mindestens zu einem gewissen Teil, aus Egoisten, die im Dienst der gemeinsamen Sache erfolgreich kooperieren sollen. Egomanen braucht da keiner.

Der HSV hat das Heft des Handelns in der Hand. Natürlich, das weiß inzwischen jeder, kann sich der HSV finanziell nicht leisten, Calhanoglu, der durch die Blume auch schon Leistungsverweigerung androhte, aus Gründen der Abschreckung auf Dauer auf der Tribüne versauern zu lassen. Aber der HSV darf es sich eben auch nicht mehr (sic!) leisten, dass seine Spieler, heißen sie  van der Vaart oder Hakan Calhanoglu, via Öffentlichkeit Politik in eigener Sache betreiben. Wer sich einmal erpressen lässt, der braucht sich über den Eingang zukünftiger, weiterer Forderungen Dritter nicht wundern. Findet der HSV keine adäquaten Ersatz und(!) entspricht die ggf. anzubietende Ablöse nicht den Erwartungen des Vereins, so muss der Verein aus diesem übergeordneten Gesichtspunkt (Abwehr weiterer Forderungen) auf die Erfüllung  des Vertrages bestehen.

Profifußball ist kein Ponyhof. Dem jungen Menschen, Hakan Calhanoglu, nehme ich sein Verhalten nicht übel. Bei aller menschlichen Enttäuschung ist hier ein kühler Kopf gefragt. In meinen Augen wäre es Aufgabe seines Beraters gewesen, ihn zur Zurückhaltung zu mahnen, anstatt die offensichtlichen Flausen in seinem Kopf  offenbar noch zu verstärken. In jedem Fall dürfte er seinem Image in der Öffentlichkeit, gleich ob in Hamburg, Leverkusen oder andernorts, im Grunde ohne jede Not schwere Kratzer zugefügt haben. Auch das, ein sauberes Image, ist, wenn man aus der Perspektive einer Ich-AG denkt, Geld wert… Insofern sollten alle HSV-Anhänger, die jetzt über diesen jungen Menschen herfallen, auch bedenken, dass sich hier letztlich einer selbst geschädigt hat. Nur hat er es noch nicht bemerkt.

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Saisonbilanz der Führungskräfte des Hamburger Sportvereins

Der Aufsichtsrat:

Club der Ahnungslosen“ und „Club der Schwätzer“. Die sportliche Ahnungslosigkeit wurde nur vom Geltungs- und Mitteilungsbedürfnis dieses Gremiums übertroffen. Selbst wenn es gar nichts mitzuteilen gab, wurde darauf gepocht, dass nur der Vorsitzende des Rates (statt des Mediendirektors) dies der wartenden Presse mitteilen dürfe. Was einzelnen Mitgliedern an Sachverstand, offensichtlich auch an Charakter und Anstand fehlte, machten sie mühelos mit der Geschwindigkeit ihrer Finger bei Kurzmitteilungen wett, mit welchen sie Interna noch aus laufenden Sitzungen nach außen durchsteckten. Erschütternd, skandalös.

Manfred Ertel,  ehemaliger AR-Vorsitzender, machte ungeniert Wahlkampf für die s.g. HSV-Reform von der, warum wohl, warum?!, inzwischen selbst die meisten ihrer ehemaligen prominenten Befürworter nichts mehr wissen wollen.  Abenteuerliche Behauptungen („Der HSV als beneidetes Vorbild in Europa“), irrwitzige Lösungsansätze („Verkauf des Stadions oder Stadionnamens“, „Sanierung über die Teilnahme an der EL“) oder unglaubliche Verharmlosung, bzw. schlichte Irreführung („Der HSV hat kein Schuldenproblem, allenfalls ein Liquiditätsproblem“) – Ertels Amtszeit steht sinnbildlich für das Grundproblem des Hamburger Sportvereins in seiner noch bestehenden Struktur. Katastrophal.

Jens Meier, sein Nachfolger als Vorsitzender, ruinierte seinen zuvor tadellosen Ruf in Windeseile, nachdem durchsickerte, dass Teile des Rates hinter den Kulissen satzungswidrig ins operative Geschäft eingreifen und Magath installieren wollten. Dieses Gremium verfehlt seit vielen Jahren jedes Jahr erneut deutlich das Klassenziel. Im Grunde sind alle Namen für zukünftige Posten im Verein verbrannt. Ich hoffe, dass man wenigstens jetzt so viel Anstand besitzt und geschlossen zurücktritt.

Der Vorstand:

Carl-Edgar Jarchow war erst Übergangslösung, erhielt dann aber einen langfristigen Vertrag. Begründung: Er habe „Ruhe in den Verein“ gebracht. Wer um den schon lange schwelenden, zum Teil mit äußerst harten Bandagen ausgefochtenen Richtungsstreit innerhalb des Vereins wusste, konnte bereits damals darüber bestenfalls nur lachen. Jeder wäre wohl an dieser Aufgabe gescheitert. Hier hilft nur eine grundsätzliche, demokratische Richtungsentscheidung, wie sie die Mitglieder prinzipiell bereits im Januar getroffen haben. Die zwischenzeitliche Ruhe war trügerisch, keinesfalls das Verdienst Jarchows, was man ihm aber aus besagten Gründen auch nicht vorwerfen darf. Vorwerfbar bleibt aber vor allem, dass Jarchow drei Jahre in Folge das negative Eigenkapital insgesamt um über 450 (in Worten: vierhundertundfünfzig!) Prozent auf über 20 Millionen Euro gesteigert hat. Dafür trägt vor allem er die Verantwortung, wenn auch nicht allein. Allein dieses desaströse finanzielle Ergebnis wäre in der freien Wirtschaft Anlass genug, um unverzüglich von seinen Aufgaben entbunden zu werden. Zudem fiel er immer wieder mit absolut die Realität verkennenden und daher unqualifizierten Kommentaren zur sportlichen Zielsetzung und Lage auf. So wähnte er den HSV auf Augenhöhe mit dem FC Schalke 04, oder setzte, obwohl es gute Gründe genug gegeben hätte, den Ball sportlich flach zu halten, seinen damaligen Trainer mit der Zielvorgabe („Platz 6“) unter Druck. Schon damit legte er den Grundstein für die schnell aufkommende und sich stetig steigernde Unruhe, als der Saisonauftakt verpatzt wurde. Den daraus früh resultierenden Handlungsdruck, den er dann als Begründung für die Entlassung Finks anführte, den hat er im Wesentlichen selbst zu verantworten. Gescheitert.

Joachim Hilke: War und ist für das Marketing zuständig. Die Aufgabe, angesichts eines desolaten Saisonverlaufs den im Grunde zu erwartenden, folgerichtigen Einbruch der Erträge in diesem Bereich einzudämmen, hat er allem Anschein nach gemeistert. In der Öffentlichkeit einer der wenigen in leitender Position, die sich angenehm zurücknahmen. Hatte als erster und bis dahin einziger im Vorstand den Mut, den Mitgliedern des Vereins im Januar durch eine bemerkenswerte Rede reinen Wein einzuschenken. Allein dafür schon gebührt ihm mein Dank.

Oliver Kreuzer: Als Sportdirektor mindestens zunächst heillos überfordert. Holte bereits in der Saisonvorbereitung, zu diesem Zeitpunkt also ohne jede tatsächliche Not, alle schweren verbalen Geschütze aus dem Arsenal. Als es dann wirklich ernst wurde, mochte ihm praktisch schon keiner mehr zuhören. Hatte die Aufgabe, die Kaderkosten deutlich zu reduzieren. Verfehlte (auch) dieses Ziel deutlich. Setzte mit Bert van Marwijk auf einen großen Namen, dessen Trainingsauffassung in der Branche allseits bekannt ist. Verantwortet damit nicht nur dessen (dem Vernehmen nach) großzügige Abfindungszahlung von angeblich rund 2 Millionen Euro, sondern verpflichtete stets, was die jeweiligen Trainer wünschten: Zoua, Bouy und John. Wo da das eigene Netzwerk, die eigene Expertise war, das darf man getrost fragen. Verfehlte mit dieser Arbeitsweise, was zukünftig oberstes sportliches Gesetz in Hamburg sein muss: Der Verein muss die Vorgabe, die sportliche Philosophie bestimmen, nicht das jeweils gerade handelnde Personal. Stemmte sich auch nicht erkennbar gegen die Asienreise, obwohl bereits damals die sportliche Situation höchst alarmierend wirkte und eine konzentrierte Rückrundenvorbereitung mehr als angebracht gewesen wäre. Trägt damit eine Mitschuld an der schlechten körperlichen und taktischen Verfassung der Mannschaft. Klassenziel verfehlt.

Oliver Scheel: Die Pflege der Mitgliederbelange in einem derart großen Verein mit so unterschiedlichen Strömungen ist immer problematisch. Angesichts des längst offen ausgebrochenen Richtungsstreits halte ich mich daher mit einer Bewertung zurück.

Die Trainer:

Thorsten Fink hatte zu Beginn seiner Amtszeit die Aufgabe, den Verein vor dem Abstieg zu retten. Nachdem ihm dies gelang, sollte er den Verein in der Folgesaison im Mittelfeld der Tabelle stabilisieren, was ihm mit Platz 7 ebenfalls gelang. Verpatzte mit seiner Mannschaft den Saisonauftakt und wurde nach nur einem Punkt aus fünf Spielen entlassen. Fink muss sich fragen lassen, ob seine taktisch anspruchsvolle Spielanlage mit diesem Kader wirklich erfolgreich gespielt werden kann. Zwar wird er dies vermutlich unverändert behaupten, dennoch war schon in der Rückrunde der vorangegangenen Saison, spätestens aber zum Saisonauftakt zu sehen, dass das Spiel der Hamburger arg schematisch war. Es verwundert daher nicht, dass die gegnerischen Trainer keine größeren Probleme hatten, diese Spielanlage mühelos und erfolgreich zu dechiffrieren. War für die enorm wichtige Sommervorbereitung verantwortlich. Dass diese, vorsichtig formuliert, nicht optimal gewesen sein kann, belegt neben vielem anderen mehr die körperliche Verfassung der Spieler. Sollte besser selbstkritisch reflektieren, anstatt trotzige und selbstgerechte Interviews zu geben. Bleibt ein Trainer mit einem interessanten Ansatz, ist aber keineswegs frei von jeder Schuld, wie er suggerieren möchte.

Bert van Marwijk: Kam als namhafter Retter und setzte vor allem auf intensive Verbesserung des Passspiels. Eine Arbeit im mentalen Bereich fand, jedenfalls von außen erkennbar, nicht statt. Nach kurzem Aufschwung war es vorbei mit der Herrlichkeit. Wirkte schnell desillusioniert (angesichts der Verhältnisse). Gab sein Einverständnis für die Asienreise und trägt damit als für die sportlichen Belange unmittelbar zuständiger Trainer die Hauptverantwortung. Wehrte sich in meinen Augen zurecht gegen symbolische bzw. aktionistische Maßnahmen (Straftraining), konnte der Mannschaft augenscheinlich aber auch keine Lösungswege aufzeigen. Zum Teil gröbste spieltaktische Fehler einzelner Spieler (Arslan, Calhanoglu etc.) liegen auch im Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich der Trainer. So etwas kann man grundsätzlich abstellen, wenn man daran arbeitet… Trägt auch einen Teil der Verantwortung für schwerste personelle Fehlentscheidungen (Rudnevs), die dann weitere Fehlentscheidungen fast zwangsläufig nach sich zogen (John und Bouy).

Mirko Slomka: Geholt als letzte Patrone, um den HSV doch noch zu retten. Fand einen Kader vor, dessen personelle Zusamensetzung  er nicht zu verantworten hat. Für die schlechte körperliche und mentale Verfassung der Spieler war er ebenfalls nicht verantwortlich. Kommunizierte vorbildlich und strahlte in einem zunehmend hektischen und ängstlichen Umfeld stets Zuversicht und Ruhe aus. Ließ wettkampf- und problemorientiert trainieren. Er setzte fort, was van Marwijk schon in Ansätzen gemacht hatte: Er holte jene zurück, die vor allem von Sportdirektor Kreuzer („Kein zurück, andernfalls machen wir uns ja lächerlich“) eigentlich endgültig aussortiert worden waren. Rajkovics, Mancienne, aber auch Tesche haben ihren Anteil daran, dass dem HSV mit viel, viel Glück doch noch die Rettung vor dem Abstieg gelang. Kleines Manko bei Slomkas Bewertung bleibt für mich allerdings unverändert seine Nähe zum Hokuspokus des s.g. Geistheilers. Insgesamt, auch wenn der Boulevard ihm die sieglosen Auswärtsspiele unverändert vorrechnet, wirkt Mirko Slomka jedoch so, als könne sich hier erstmalig nach längerer Zeit ein Trainer in dem zur Hysterie neigenden hamburger Umfeld für längere Zeit behaupten. Hat als einer von ganz wenigen Führungskräften (s.o.) mindestes eine weitere Amtszeit verdient.