Badstuber

Eine goldene Generation gewinnt den vierten Stern und mehr: Deutschland – Argentinien 1:0 n.V. (0:0)

Deutschland gegen Argentinien – zum insgesamt dritten Mal nach 1986 und 1990 bestritten die Mannschaften beider Länder ein Finale um die Fußball-Weltmeisterschaft.

Geblendet von einem in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Spiel der deutschen Elf gegen den diesjährigen WM-Gastgeber Brasilien, konnte man im Vorfeld des Finales den Eindruck gewinnen, als sei das Endspiel eine reine Formalie, an deren Ende es nur einen Gewinner geben könne: die deutsche Mannschaft.

Ich gebe zu, je klarer und eindeutiger die Vorhersagen in „‚Schland“ ausfielen, desto skeptischer blickte ich dem Finale entgegen. Denn es gibt einen schmalen Grat zwischen begründeter Zuversicht und einem überzogenen Optimismus, der den Erfolg als im Grunde selbstverständlich betrachtet. Bisweilen schien es mir, als würde mancher hierzulande das Fell des Bären bereits verteilen, den man noch gar nicht erlegt hatte.  Ich ertappte mich daher schon bei der Frage, wen man wohl im Falle einer Niederlage als Sündenbock für die enttäuschte Erwartungshaltung einer ganzen Nation ausgucken würde. Nur gut, dass Löw, Schweinsteiger und Lahm im Vorfeld der Partie darauf hinwiesen, dass der eigene, furios herausgespielte Sieg im Halbfinale gegen den Gastgeber Brasilien als Muster ohne Wert zu sehen war.  Dieses Spiel ist bekanntlich in jeder Hinsicht absolut außergewöhnlich verlaufen. Man durfte daher mit begründeter  Zuversicht auf den Gewinn des Titels in das Finale gehen, aber Respekt vor dem Gegner dort,  Argentinien,  war absolut angebracht. Die Papierform nützt einem gar nichts, wenn man das eigene Leistungsvermögen nicht auf den Platz bringt. Und das, erfahrene Wettkampfsportler wissen das, gelingt eben nicht immer.

Bundestrainer Löw hatte offenbar ursprünglich die Absicht, mit derselben Mannschaft gegen die Albiceleste anzutreten , die bereits im Viertel- und im Halbfinale aufgelaufen war. Doch nach dem Aufwärmen meldete Khedira eine Verhärtung der Wadenmuskulatur, sodass Löw kurzfristig den jungen Kramer für die Startelf nominierte. Was für eine Karriere! Als Ersatz des Ersatzes (Gündogan und die Benders fielen ja aus) im letzen Moment  in den Kader gerutscht und dann ein Einsatz von Beginn an in einem WM-Finale. Ich gebe zu, den Ausfall Khediras sah ich im Vorfeld als deutliche Schwächung der deutschen Mannschaft. Aber, dies sei hier vorweggenommen, Kramer machte seine Sache gut.

Das deutsche Team begann also in der folgenden Aufstellung: Neuer – Lahm, Boateng, Hummels, Höwedes – Schweinsteiger, Kramer (31. Schürrle), Müller, Kroos, Özil (120. Mertesacker) – Klose (88. Götze)

Auf Seiten Argentiniens konnte Trainer Sabella fast aus dem Vollen schöpfen. Lediglich di Maria stand wie erwartet nicht zur Verfügung.

Das Spiel: Die deutsche Mannschaft begann das Spiel mit einer ähnlichen Ausrichtung, wie bereits gegen Brasilien. Schweinsteiger agierte bei eigenem Ballbesitz im Zentrum als defensivster Mittelfeldspieler, während Kroos und Kramer deutlich offensiver spielten und die eigene Offensive unterstützten. Die Albiceleste stand bei Ballbesitz der Deutschen mit zwei gut organisierten Viererketten z.T. tief in der eigenen Hälfte und lauerte dort auf Konter. Aus taktischer Sicht könnte man also von einem 4-3-3/4-2-3-1 der Deutschen gegen ein 4-4-2/-4-4-1-1 der Argentinier sprechen.

Es entwickelte sich eine hart umkämpfte Partie. Die Argentinier überließen Deutschland über weite Strecken die Spielgestaltung. Sie vertrauten einerseits auf ihre von Mascherano gut organisierte Defensive, andererseits auf die Fähigkeiten ihres Ausnahmespielers Messi in der Offensive.

Die deutsche Mannschaft rückte bei eigenem Ballbesitz weit nach vorn, was aber auch an der grundsätzlich defensiven Grundausrichtung der Argentinier lag.

Auch wenn Messi, das darf man getrost vorwegnehmen, am Ende kein Tor erzielte, so konnte man u.a. in der 8. Spielminute sehen, über welche außergewöhnlichen Fähigkeiten Messi verfügt. Selbst mit Ball war er von dem gewiss nicht langsamen Hummels auf der rechten  Außenbahn kaum einzuholen. Als Hummels glaubte, er habe ihn gestellt, beschleunigte Messi plötzlich erneut und  zog mühelos an Hummels vorbei. Zum Glück für die deutsche Elf fand sein folgender diagonaler Rückpass keinen Abnehmer.

Deutschland zeigte in meinen Augen spielerisch den größeren Variantenreichtum, konnte sich jedoch lange Zeit nicht im entscheidenden letzten Drittel durchsetzen, da der letzte Pass von der engmaschigen argentinischen Verteidigung meist abgefangen wurde. Wie im Grunde angesichts der Bedeutung der Partie nicht anders zu erwarten, gingen beide Mannschaften in der Defensive kompromisslos zur Sache.

In der 16. Minute erwischte es den bis zu diesem Zeitpunkt erfreulich selbstbewusst spielenden Kramer, der von zwei Argentiniern in die Zange genommen wurde und dabei von der Schulter eines Kontrahenten am Kopf getroffen wurde. Zunächst schien es, als könne er weiterspielen.

Bei Ballverlust der deutschen Elf sollte wohl vor allem Kroos Schweinsteiger im defensiven Mittelfeld unterstützen. In der 21. Spielminute wäre das beinahe ins Auge gegangen. Kroos wollte einen hohen Ball offenbar zu Neuer zurückköpfen, übersah aber den grundsätzlich im Abseits befindlichen Higuain. Da aber der Ball vom Gegner kam, stand der argentinische Angreifer eben nicht im Abseits, sondern erhielt so eine erstklassige Vorlage. Higuain vergab jedoch diese große Chance zur Führung überhastet. Mir schien auch bei den folgenden Torchancen der Albiceleste, dass die Argentinier aus Respekt vor dem eindeutig besten Torhüter des Turniers, Manuel Neuer, es besonders genau machen wollten. Dabei ging ihnen jene Selbstverständlichkeit verloren, mit denen man am ehesten Torchancen nutzt. Nicht umsonst heißt es, ein Stürmer solle vor dem Torschuss nicht denken.

Interessant fand ich, dass immer wieder ein oder mehrere Argentinier aus der offensiveren Viererkette herausschoben, um insbesondere die deutschen Kreativspieler, Schweinsteiger, Kroos und Özil aggressiv anzulaufen und bei der Entwicklung des deutschen Spiels zu stören. Das erinnerte an das taktische Konzept der Algerier, die der deutschen Mannschaft bekanntlich erhebliche Mühe bereitet hatten.

In der 31. Minute musste Kramer dann doch mit Verdacht auf Gehirnerschütterung vom Feld genommen werden. Löw wechselte wohl auch aufgrund der erkennbar defensiven Ausrichtung der Albiceleste offensiv und brachte Schürrle. Dieser besetzte zunächst die linke offensive Außenbahn, während Özil nun vermehrt von dort ins offensive Zentrum rückte.

Zeitweilig konnte man den Eindruck gewinnen, als verlöre die deutsche Elf aufgrund des Defensivkonzepts der Argentinier und auch aufgrund der erneuten Umstellung die Kontrolle über das Spiel. Die Deutschen spielten gefälliger, die Südamerikaner wirkten jedoch torgefährlicher.

Wer im Vorfeld der Partie lediglich über die Höhe eines deutschen Sieges spekuliert hatte, der sah sich gegen Ende der ersten Halbzeit (hoffentlich) eines besseren belehrt. Die Albiceleste war ein über weite Strecken des Spiels ebenbürtiger Gegner.

In der Nachspielzeit (45+2.) hatte Deutschland seine beste Torchance. Nach einem Eckball von Kroos traf Höwedes jedoch per Kopf leider nur den rechten Pfosten. So ging es mit einem torlosen Unentschieden in die Pause.

Kurz nach Wiederanpfiff vergab Messi eine weitere große Torchance für Argentinien. Aus halblinker Position und 8 Metern wollte auch er es zu genau machen und verfehlte das lange Eck. Aber auch wenn Messi kein Tor gelingen sollte, so bleibt hier festzuhalten, dass er mindestens im Vergleich mit seinem Widersacher aus Portugal, Christiano Ronaldo, deutlich mehr Akzente setzen konnte.

Die Begegnung  wurde mit zunehmender Spieldauer ruppiger. Argentinien suchte nach Balleroberung immer wieder Messi, aber vor allem Boateng erwies sich in der deutschen Defensive als Fels in der Brandung. Sein Partner, Hummels, wirkte bereits gegen Ende der regulären Spielzeit als sei er mit seinen Kräften am Ende. Er stand oft als letzter Mann vor Neuer und beschränkte sich zunehmend auf das Nötigste, während vor allem Boateng durch seine Schnelligkeit glänzte und viele Duelle gegen die Argentinier für sich entschied. Für mich das beste Spiel, das ich von dem m.E. oft zu Unrecht als Bruder Leichtfuß bezeichneten Boateng im Trikot der Nationalmannschaft bisher gesehen habe. Bravo, Jérôme!

In der 82. Minute zeigte Özil einmal mehr, warum der Bundestrainer unbeirrt an ihm festgehalten hat. Von der rechten Außenbahn kommend lief er zur Grundlinie und legte den Ball diagonal gewollt(!) zu dem an der Strafraumgrenze aufgetauchten Kroos zurück. Leider verfehlte dessen Schuss das von Romero gehütete Gehäuse der Argentinier.

So blieb es auch nach Ablauf der regulären Spielzeit beim Unentschieden. Kurz zuvor verließ Klose das Feld und wurde von Götze ersetzt.

Spätestens mit Beginn der Verlängerung und schwindenden Kräften auf beiden Seiten wurden die Zweikämpfe noch hitziger. Beide Mannschaften glichen zwei angeschlagenen Boxern, die sich mit äußerster Entschlossenheit einen Abnutzungskampf lieferten. Schweinsteiger bekam dies auf deutscher Seite am deutlichsten zu spüren, erwies sich jedoch als wirklicher Führungsspieler. Wer ihn je als „Chefchen“ verspottet hat, der sollte spätestens nach diesem Spiel Abbitte leisten. Großartig, wie er sich nach jedem Foul immer wieder aufrappelte und seine Mannschaft dirigierte. Zu hören und zu sehen auch bei den kurzen Pausen vor und während der Verlängerung.

In der 7. Minute der Verlängerung verschätzte sich Hummels bei einem hohen Ball der Argentinier. So kam der in seinem Rücken lauernde Palacio an den Ball. Doch wieder einmal kam Neuer aus dem Tor, verkürzte den Winkel und machte sich groß, sodass es Palacio mit einem Heber versuchte, der knapp links das deutsche Tor verfehlte.

Die das Spiel entscheidende Szene ereignete sich in der 113. Minute: Der unermüdliche Schürrle konnte sich auf der linken Außenbahn durchsetzen. Seine halbhohe Flanke erreichte Götze. Dieser nahm den Ball im Lauf mit der Brust an und vollstreckte volley zum 1:0 für Deutschland. Ich gebe zu, dass ich gerade Götze diesen Treffer gegönnt habe. Denn was man in den vergangenen Tagen und Wochen an Schmähkritik über ihn (und Özil) lesen musste, hatte in meinen Augen mit einer sachgerechten Kritik zunehmend nichts mehr zu tun. Sicher hat Götze bei dieser Weltmeisterschaft nicht seine Bestform erreicht. Er ist und bleibt aber ein Spieler mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, wie man es gerade auch bei diesem Tor beobachten konnte. Einige heutige Kommentatoren sollten sich mal an den Rumpelfußball der Vor-Deisler-Ära erinnern. Vielleicht können sie dann die überragende Technik und den Spielwitz würdigen, den Spieler wie Kroos, Özil und Götze regelmäßig zeigen.

Obwohl die Albiceleste versuchte, doch noch den Ausgleich zu erreichen, konnte sie die deutsche Mannschaft in der verbleibenden Restspielzeit kaum noch ernsthaft in Verlegenheit bringen. Am Ende pfiff Schiedsrichter Rizzoli ein packendes Duell zweier Mannschaften ab, die beide zurecht im Finale standen.

Schiedsrichter: Nicola Rizzoli (Italien). Ließ das Spiel laufen und war erkennbar darum bemüht, die Gemüter zu beruhigen. Einige grobe Fehlentscheidungen (u.a. keine Verwarnung nach eindeutigen taktischen Fouls; keine Verwarnung nach Einsatz der Arme im Luftkampf). Für mich nach seinen bisherigen Leistungen im Turnier keinesfalls der beste Schiedsrichter des Turniers. Zeigte die schwächste Leistung aller Akteure auf dem Platz.

Fazit: Die deutsche Auswahl gewinnt als erste europäische Mannschaft überhaupt den Weltmeistertitel auf einem anderen Kontinent. Der Brasilianer Ronaldo kommentierte sinngemäß für das brasilianische Fernsehen, die Deutschen hätten vorgeführt, dass man ein Team haben müsse und sich nicht (nur) auf Einzelkönner beschränken dürfe. Das scheint mir absolut korrekt. Die deutsche Mannschaft hatte die beste, ausgeglichenste Mischung aus überragendem Können des Einzelnen und hervorragendem Teamgeist. Der verdiente Lohn ist nun der lang ersehnte vierte Stern. Herzlichen Glückwunsch!

Respekt auch vor der Albiceleste, die der deutschen Auswahl alles abverlangte. Eine tolle Leistung, die den deutschen Sieg noch wertvoller erscheinen lässt.

Um diesen großartigen Erfolg angemessen würdigen zu können, sollte man sich an die Zeit vor Klinsmann und Löw erinnern. Der deutsche Fußball war ausweislich seines vorzeitigen Ausscheidens bei Turnieren (aber auch des Abschneidens seiner Mannschaften in der CL) damals nicht mehr konkurrenzfähig. Dank der Visionen und der Kompromisslosigkeit Klinsmanns und der ebenso akribischen, nicht minder unbeirrten Arbeit Löws, konnte der Rückstand inzwischen nicht nur wettgemacht werden, sondern diese Mannschaft konnte diese Arbeit sogar mit dem Titel krönen.

Löw hat, allen Kritikern zum Trotz, an seinem Plan festgehalten. Seine Idee mit Lahm auf der Sechs war angesichts der zu Beginn des Turniers mangelnden Fitness von Khedira und Schweinsteiger ebenso richtig, wie es die spätere Versetzung Lahms auf die Position des rechten Außenverteidigers gewesen ist. Vergessen wir nicht, dass mit Reus, Gündogan, den beiden Benders aber auch Badstuber Spieler ausfielen, die bei normalem Verlauf Kandidaten für die Stammelf gewesen wären. Vergessen wir nicht, dass im Vorfeld einige wichtige Spieler lange mit Verletzungen ausfielen. Der Titelgewinn wurde diesem Trainer keineswegs geschenkt. Letztlich hat sich auch die (überwiegende) Besetzung der Abwehr mit gelernten Innenverteidigern als richtig erwiesen. Was einem Höwedes spielerisch an offensivem  Möglichkeiten abgehen mag, machte er bei den bei dieser WM enorm wichtigen Standards wieder wett.

Diese ganze deutsche Delegation hat nicht nur spielerisch überzeugt, sondern durch ihr angenehm zurückhaltendes, zuweilen gar demütiges öffentliches Auftreten sicher nicht nur Respekt sondern auch viele Sympathien in der Welt gewonnen. Auch dazu kann man nur gratulieren.

Im Hinblick auf die kommenden Jahre wird keiner, auch das empfinde ich als außerordentlich wohltuend, von einer angeblichen Unbesiegbarkeit des Teams firlefranzen. Dennoch muss einem im Hinblick auf die Zukunft, ich erwähnte ja bereits einige Spieler, die leider nicht zur Verfügung standen, nicht bange sein. Weiter Talente rücken zudem nach. Nur einer wie Klose, der ist derzeit noch nicht in Sicht. Aber wer weiß – möglicherweise entwickelt sich zukünftig auch beim HSV der eine oder andere Spieler.

An der Generation Lahm/Schweinsteiger wurde lange in Deutschland gezweifelt. Nach einem rein deutschen CL-Finale im letzten Jahr und dem Gewinn dieser Weltmeisterschaft sollte nun endgültig feststehen, dass Deutschland über diese goldene Generation froh und auf sie stolz sein darf.

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Profifußball ist kein Ponyhof: Die Causa Hakan Calhanoglu

Hakan Calhanoglu möchte zu Bayer 04 Leverkusen wechseln. Seinen Wunsch hat er laut SPORTBILD der Vereinsführung des Hamburger Sportvereins mitgeteilt. Im Grunde ein ganz normaler Vorgang. Denn seien wir ehrlich, wer, der auch nur halbwegs aufmerksam die Vorgänge in den letzten Jahren rund um den Verein beobachtet hat, wer vor allem die letzte Saison mit drei verschiedenen Trainern mitgemacht hat, möchte sich freiwillig den Chaosverein HSV noch antun? Wenn man andere, besser dotierte Angebote hat, die zudem nach menschlichem Ermessen eine sportlich sorgenfreie(re) Zukunft versprechen? Wer kein grundsätzliches Verständnis für den Wechselwunsch des Spielers aufbringt, dessen Stirn muss mit einem dicken Rautenbrett vernagelt sein.

Der mit Vehemenz vorgetragene Wechselwunsch ansich, das ist in meinen Augen die schlechte Nachricht für alle Hamburger, ist ein Indiz, wie kräftezehrend „inside HSV“ die Saison verlaufen ist. Permanente Diskussionen, Indiskretionen, Klagedrohungen, Personalwechsel und ein gruseliger Saisonverlauf, bei dem den „Söldnern“ nicht weniger als die Last und Verantwortung auferlegt war, das Aussterben des Dinos und damit hunderte, wenn nicht gar tausende Arbeitsplätze in und rund um die Imtech-Arena zu retten. Westermann sprach nach dem entscheidenden Spiel in Fürth davon, dass er im Wiederholungsfall suizidgefährdet sei. Und wer die Bilder nach dem Spiel aus der Kabine gesehen hat, der dürfte vor allem eins bemerkt haben: Erleichterung pur. Selbst Kreuzer, der als ehemaliger Profikicker in seiner Karriere gewiss schon einiges mitgemacht hat, standen die Tränen der Erleichterung in den Augen. Es waren keine Steine mehr, die allen Hamburgern von den Schultern fielen, es waren ganze Gebirgszüge.

Dann schaut man in die Zukunft und versucht zu erfassen, wie es wohl mit dem Dino weitergeht. Bekanntlich steht am 25. Mai die finale Abstimmung über die Ausgliederung der Profiabteilung an. Klammern wir einmal  aus, dass HSVPlus scheitern könnte, oder dessen unverzügliche Umsetzung im Nachfeld der Abstimmung durch juristische Scharmützel aufgehalten werden könnte. Gehen wir also einmal davon aus, dass die Verhältnisse ab dem 26. Mai zugunsten von HSVPlus eindeutig geklärt sind. Und dann? Wer glaubt, dass es nur HSVPlus bedürfe, damit der HSV nächstes oder spätestens übernächstes Jahr das internationale Geschäft erreicht, der irrt. Das Konzept führt zunächst zur Abwendung des finanziellen Super-GAUs, verschafft dem Verein zudem eine derzeit praktisch nicht vorhandene, bescheidene finanzielle Handlungsfreiheit und setzt vor allem auf eine nachhaltige Entwicklung. Nachhaltigkeit bedeutet, dass man endlich gewillt ist, ein Fundament einzuziehen, auf dem das große Haus namens HSV solide stehen kann. Nachhaltigkeit bedeutet, dass Geld in die dringend erforderliche Verbesserung der Nachwuchsarbeit fließt. Zwar beginnt der HSV hier nicht bei null, aber bis hier ein „Return of Invest“ in Gestalt  mehrerer Nachwuchsspieler zu erwarten ist, die die Profimannschaft tatsächlich verstärken können, das dürfte dauern. Die Verpflichtung wirklicher Stars auf dem Transfermarkt, die die Mannschaft umgehend auf ein gänzlich anderes Niveau heben, ist nicht zu erwarten. Kleine Brötchen backen, sich in Bescheidenheit üben, planvoll, strukturiert und systematisch hart arbeiten – das ist die Zukunft. Natürlich, gänzlich ausgeschlossen ist es nicht, dass der HSV in zwei Jahren an den Rängen kratzt, die zur Teilnahme an der Europa League berechtigen. Erwarten sollte man das aber nicht.

Ein professioneller Fußballspieler gleicht in meinen Augen einem dreigeteilten Wesen. Da ist zunächst der Mensch. Dann ist da der Sportler und last but not least die (zu) hoch bezahlte „Ich-AG“. Betrachten wir also Hakans Wechselwunsch unter diesen Gesichtspunkten:

Für den Menschen Calhanoglu stelle ich zunächst fest, dass er mit 20 Jahren noch sehr jung ist. Von der Natur mit einem außergewöhnlichen Talent gesegnet, verschlug es ihn binnen eines Jahres aus dem beschaulichen Karlsruhe in die Metropolregion Hamburg, vom Zweitligaaufsteiger KSC zum ungleich namhafteren Hamburger Sportverein. Aus der Ferne betrachtet mag der HSV immer noch eine gewisse Strahlkraft entfalten, wer sich dem Dino aber nähert, der wird schnell ernüchtert. Chaos, Indiskretionen, Gezänk und der Pleitegeier schweben über dessen Heimstadt. Hand auf ’s Herz! Wer möchte für einen solchen Arbeitgeber spielen? Wenn mir doch ein ungleich erfolgreicherer Verein ein lukrativeres Angebot unterbreitet?

Mit 20 Jahren ist man dem Gesetz nach volljährig. Aus psychologischer Sicht jedoch dauert die Adoleszenz bis zum 25 Lebensjahr. Erst danach kann man in der Regel von einer abgeschlossenen Reifung sprechen. Calhanoglu ist, so hat er es der SPORTBILD erzählt, in eine laufende Sitzung seiner Vorgesetzten gestürmt, hat das draußen an der Tür hängende Schild „Bitte nicht stören!“ ignoriert und hat Jarchow und Kreuzer mit seinem Anliegen konfrontiert. Das muss man erst einmal bringen. So etwas macht man nur, wenn man noch nicht trocken hinter den Ohren ist. Dass er  es nachträglich als „respektlos“ bezeichnet, dass Jarchow eine Wette zu seinem Verbleib beim HSV auch im Abstiegsfall angeboten habe, das passt ins Bild. Wie bitte?! Respektlos? War es nicht Hakan selbst, der via Presse und auch in persönlichen Gesprächen mit Fans des Vereins treuherzig versichert hat, dass er in jedem Fall bliebe? War es nicht Hakan selbst, der seinen Vertrag noch vor wenigen Monaten bis 2018 verlängert hat? Hat er die Vertragslaufzeit nicht gelesen? Jetzt spricht er davon, er hoffe, der Verein würde keine „Mauer“ um seine Karriere bauen. Es wird Zeit, dass die zwanzigjährige Ich-AG Calhanoglu eins begreift: Als vor dem Gesetz Volljähriger trägt man grundsätzlich die Konsequenzen seiner Entscheidungen, mögen sie einem nachträglich auch unbedacht und falsch erscheinen. Wer einen Vertrag unterschreibt, der kann diesen im Regelfall nicht einseitig kündigen. Ausnahme: vorsätzlicher Betrug oder nicht eingehaltene Leistungsversprechungen der Gegenseite. Beides kann hier ausgeschlossen werden. Die sportliche und finanzielle Situation des Hamburger Sportvereins müssen dem Vertragspartner Calhanoglu bei Vertragsunterzeichnung grundsätzlich bekannt gewesen sein. Von nicht eingegangenen Gehältern bei den Spielern des Vereins ist trotz angespannter Kassenlage nichts bekannt. Es ist daher evident, dass eine Vertragsauflösung nur im beiderseitigen Einvernehmen möglich ist. Will der Verein, gleich aus welchen Gründen, dies nicht, so hat dessen Vorstandsvorsitzender jedes Recht der Welt, seine Auffassung zu unterstreichen, dass der Spieler beim HSV bleibt und nicht transferiert wird. Punkt. Respektlos, Hakan Calhanoglu, ist, seinen Vertragspartner öffentlich unter Druck zu setzen. Respektlos ist, Unfug zu erzählen, sich nicht mehr an seine eigenen Worte erinnern zu wollen. Respektlos ist, ausgerechnet van der Vaarts Valencia-Nummer als Rechtfertigung zu bemühen. Das gleicht der Argumentation: Ich darf doch stehlen, der hat es doch schließlich auch gemacht.

Als Sportler hat man nur eine begrenzte Zeit, um seine sportlichen Ziele zu erreichen. Und natürlich lauern auf diesem Weg erhebliche Gefahren. Es dürfte zehntausende großer Talente gegeben haben, die allemal das Zeug zum Profi gehabt hätten, und die es nie an die großen Fleischtöpfe geschafft haben, weil ihr Körper sie vorher im Stich ließ. Oder sie setzten sich durch, erlitten dann aber schwere Verletzungen, die bei ihren sportlichen Zielen einen dicken Strich durch die Rechnung erforderten. Man frage nur nach bei Holger Badstuber, der ohne seine schwere Verletzung höchstwahrscheinlich mit zur WM nach Brasilien gefahren wäre. Aus der Traum. Insofern habe ich durchaus Verständnis dafür, dass auch ein Hakan Calhanoglu von Titeln träumt, oder eine EM-Teilnahme mit der Türkei 2016 im Blick hat. Dass seine Chancen hier als Spieler von Bayer 04 Leverkusen ungleich besser stünden – wer wollte das bestreiten (s.o.)? Aber wer, wie Calhanoglu, jetzt das permanente Verletzungsrisiko anführt, der sollte vielleicht gleich mehrere Dinge bedenken:

1. Der Hochrisikosport Profifußball wird ganz ordentlich vergütet. Selbst ein Calhanoglu, der hoffentlich noch am Anfang einer großen Karriere steht, dürfte bereits jetzt mehr verdient haben, als so mancher in dieser Gesellschaft in der Lage ist, in seinem gesamten Berufsleben zu verdienen;

2. Gestern noch mit dem KSC aus der der 3. in die 2. Liga aufgestiegen, hat ihm der HSV heuer die Bühne geboten, um sich Erstligaspieler nennen zu dürfen. Wenn Calhanoglu auf seine 11 Tore verweist, die er zum Klassenerhalt beigetragen habe, so ist das schließlich einer der Gründe, die den HSV seinerzeit veranlassten, seinem Offensivspieler einen nicht nur verlängerten, sondern mutmaßlich auch besser dotierten Vertrag anzubieten. Diesen hat der Spieler freiwillig unterzeichnet. Quit pro quo. Calhanoglus Argumentation läuft ins Leere. Oder sollen sich demnächst die Abwehrspieler dafür ausdrücklich abfeiern lassen, dass sie das gemacht haben, wofür auch sie ganz ordentlich bezahlt werden, nämlich Tore des Gegners zu verhindern?;

3. Es war auch Calhanoglus Leistung der ersten Halbserie, auch er war Teil der Mannschaft, die tabellarisch immer weiter abgerutscht ist, bis ein Stück weit das Schicksal des ganzen Vereins vom Ausgang der Relegation abhing. Calhanoglu wäre gut beraten, nicht nur stolzgeschwellt auf seine 11 Tore zu verweisen, – die sind aller Ehren wert! – sondern auch selbstkritisch den eigenen Anteil daran zu reflektieren, dass es überhaupt zu dieser Horrorsaison gekommen ist. Mit zwanzig und gerade einmal einer guten zweiten Halbserie als wirklicher Erstligaspieler im Rücken stehen einem grundsätzlich noch alle Türen offen. Wenn man vernünftig bleibt. Die Geschichte des Profifußballs ist voll von Spielern, die die falschen Entscheidungen getroffen haben. Man frage mal bei der gefühlten Legion an Spielern nach, die mit großen Ambitionen zum FC Bayern München gewechselt sind und dort dann auf der Bank versauerten;

4. Die kluge Karriereplanung eines hochtalentierten Spielers, und dies ist Calhanoglu unbestreitbar, kann aktuell den HSV nur als Durchgangsstation sehen. Kaum jemand, der sich wirklich auskennt, dürfte tatsächlich geglaubt haben, dass Calhanoglu seinen Vertrag bis 2018 beim HSV erfüllt. Aber Calhanoglu, den ich hier für außerordentlich schlecht beraten halte, hätte gut daran getan, sich mindestens auf ein weiteres Jahr beim HSV einzustellen. Zum einen hätte er dem Verein und seinen Fans eine ganze Saison als vollwertiger Erstligaspieler für das ihm bei seiner Verpflichtung entgegengebrachte Vertrauen „zurückzahlen“ können, zum anderen hätte er dann als tatsächlich etablierter Spieler mit deutlich mehr Erfahrung den ungleich härteren Konkurrenzkampf wo auch immer aufnehmen können;

5. Wer seinen derzeitigen Arbeitgeber öffentlich(!) unter Druck zu setzen versucht, der mag nichtsdestotrotz andernorts angesichts seines Talents noch Begehrlichkeiten wecken. Aber wer wie Calhanoglu schon von Messi spricht, dem er nacheifern wolle, der signalisiert gerade einem Verein, der sich nicht umsonst die Bezeichnung „Vizekusen“ einst schützen ließ, dass er auch den nur als weitere Durchgangsstation sieht. Dafür dürften sie in Leverkusen zwar grundsätzliches Verständnis haben, das dürfte man dort sogar einkalkulieren, aber man dürfte sich eben bereits jetzt auch den einen oder anderen Gedanken über den Charakter dieses (möglichen) zukünftigen Spielers machen. Zwar kennt jeder die Usancen des Geschäfts, insofern ist der Verweis Calhanoglus auf van der Vaarts damaliges Verhalten beim HSV durchaus nachvollziehbar, aber wer nur drei Monate nach Vertragsunterschrift ein derartiges, öffentliches Theater inszeniert, der signalisiert nicht nur grundsätzliche Unreife, sondern auch, dass man sich als Arbeitgeber einen Spieler in den Kader holt, der grundsätzlich seine ureigensten Interessen über den Verein stellt. Bei dem rechne ich als Arbeitgeber auch damit, dass dieser Spieler öffentlich Theater macht, sollte ihn mein Trainer auf die Bank oder gar Tribüne setzen. Eine Fußballmannschaft ist aber ein fragiles Gebilde, denn sie besteht überwiegend, mindestens zu einem gewissen Teil, aus Egoisten, die im Dienst der gemeinsamen Sache erfolgreich kooperieren sollen. Egomanen braucht da keiner.

Der HSV hat das Heft des Handelns in der Hand. Natürlich, das weiß inzwischen jeder, kann sich der HSV finanziell nicht leisten, Calhanoglu, der durch die Blume auch schon Leistungsverweigerung androhte, aus Gründen der Abschreckung auf Dauer auf der Tribüne versauern zu lassen. Aber der HSV darf es sich eben auch nicht mehr (sic!) leisten, dass seine Spieler, heißen sie  van der Vaart oder Hakan Calhanoglu, via Öffentlichkeit Politik in eigener Sache betreiben. Wer sich einmal erpressen lässt, der braucht sich über den Eingang zukünftiger, weiterer Forderungen Dritter nicht wundern. Findet der HSV keine adäquaten Ersatz und(!) entspricht die ggf. anzubietende Ablöse nicht den Erwartungen des Vereins, so muss der Verein aus diesem übergeordneten Gesichtspunkt (Abwehr weiterer Forderungen) auf die Erfüllung  des Vertrages bestehen.

Profifußball ist kein Ponyhof. Dem jungen Menschen, Hakan Calhanoglu, nehme ich sein Verhalten nicht übel. Bei aller menschlichen Enttäuschung ist hier ein kühler Kopf gefragt. In meinen Augen wäre es Aufgabe seines Beraters gewesen, ihn zur Zurückhaltung zu mahnen, anstatt die offensichtlichen Flausen in seinem Kopf  offenbar noch zu verstärken. In jedem Fall dürfte er seinem Image in der Öffentlichkeit, gleich ob in Hamburg, Leverkusen oder andernorts, im Grunde ohne jede Not schwere Kratzer zugefügt haben. Auch das, ein sauberes Image, ist, wenn man aus der Perspektive einer Ich-AG denkt, Geld wert… Insofern sollten alle HSV-Anhänger, die jetzt über diesen jungen Menschen herfallen, auch bedenken, dass sich hier letztlich einer selbst geschädigt hat. Nur hat er es noch nicht bemerkt.