Der HSV empfängt am Samtag den neuen Deutschen Meister, den FC Bayern München. Es ist das letzte Heimspiel in dieser Saison. Und es könnte für längere Zeit auch das letzte Heimspiel der Hamburger als Erstligist sein.
Was waren das früher für Duelle?! Es gab eine Zeit, da war der Hamburger SV tatsächlich auf Augenhöhe mit den Großen der Liga, sogar mit dem längst unumstrittenen Branchenprimus aus München. Wer erinnerte sich nicht, bspw. an das legendäre 3:4 in München? Während ich dies schreibe, wird mir erneut bewusst, wie viel Zeit seit damals verstrichen ist. Damals, 1982, war ich ein junger Mann. Das Abitur war erfolgreich bestanden und die Welt schien mir offen, so dachte ich wenigstens.
Mein Schulfreund, Sebastian, hatte anfang der Achtziger in den Ferien zwei Jungs aus München kennengelernt. Die waren im selben Alter wie wir. Als er zurückkehrte, da erzählte er mir voller Begeisterung von dieser Begegnung. Man hatte natürlich die Telefonnummern und Adressen ausgetauscht, und sich wechselseitig versichert, man müsste sich unbedingt bald wiedersehen. Und so dauerte es nicht lang. Eines Tages klingelte in Hamburg ein Telefon. Ein gewisser Reiner war am Apperat und kündigte seinen Besuch für das kommende Wochenende an. Ich weiß noch genau, wie ich Sebastian zum Hamburger Hauptbahnhof begleitete, um eben diesen Reiner in Empfang zu nehmen. Kurze Zeit später saßen wir unweit des Bahnhofs am Eingang der Langen Reihe im legendären Max und Consorten, aßen Croque Monsieurs und tranken Bier. Und dann geschah etwas Magisches, etwas, was einem im Leben nur selten begegnet: Je länger wir dort saßen und uns unterhielten, desto klarer wurde Reiner und mir, dass wir Brüder waren. Schrieb ich gerade „Brüder“?! Eineiige Zwillinge! Nach der Geburt getrennt und nur durch eine Laune der Natur oder widrige Umstände getrennt aufgewachsen. Das schien die einzig vernünftige Erklärung zu sein. Egal welches Thema wir anschlugen, ob wir über Musik, Literatur, Politik, Sport oder Philosophie sprachen – der jeweils andere dachte fast dasselbe. Er begeisterte sich für dieselbe Musik, mochte dieselben Autoren oder sah die politische Lage sehr ähnlich.
Wenige Wochen später fuhr ich zum Gegenbesuch zum ersten Mal nach München und lernte seine dortigen Freunde kennen. Ich erspare Euch an dieser Stelle weitere Details, denn sie sind in diesem Zusammenhang nicht wichtig. Wichtig ist hier allein: Wir waren jung, meinten noch, wir könnten diese Erde fast im Alleingang zu einem besseren Planeten machen und sprachen auch, natürlich, natürlich!, über Fußball. So erfuhr ich damals quasi aus erster Hand, dass die Münchner damals nicht nur mit Respekt, sondern sogar mit ein wenig Neid nach Hamburg blickten. Lang, lang ist das her.
Viele Jahre später, Reiner und ich hatten uns längst aus den Augen verloren und die Vereine eine unterschiedliche Entwicklung genommen, da gab es erneut eine Phase, da gab es für die Münchner gegen den HSV wenig zu bestellen. Das war die Zeit, als Atouba auf Hamburger Seite es wagte, gleich drei Münchner mit tolldreisten Tricks schwindelig zu spielen. Als Zuschauer war man hin und hergerissen. Selten lagen in Hamburg Genie und Wahnsinn so eng beieinander, wie bei Timothy. Und wenn auch am Ende der Saison meist die Bayern Meister wurden, während der HSV bestenfalls ins internationale Geschäft einzog, zwei Mal im Jahr wurde es schwer für den FCB. Auch das ist nur noch Erinnerung.
Nun kommen sie wieder, die Bayern. Und ich fürchte, es wird für mehrere Jahre das letzte Mal sein, dass sie uns in derselben Spielklasse begegnen. Dass sie unter der Woche im Halbfinale der ChampionsLeague gegen Real Madrid ausschieden, macht die Aufgabe für den HSV gewiss nicht leichter. Zwar ätze Beckenbauer via Boulevard, der HSV spiele gegen eine angeschlagene Mannschaft, aber mal ehrlich: wer nimmt Firlefranz noch wirklich ernst?
Natürlich, gänzlich ausgeschlossen ist es nicht, dass der HSV zumindest einen Punkt erkämpft. Aber da müsste schon alles, wirklich alles zugunsten der Hamburger laufen. Zu groß erscheinen die Unterschiede in der individuellen Qualität der Spieler beider Mannschaften, zu sattelfest erscheint allen Unkenrufen zum Trotz das Spielsystem der Bayern. Während HSV-Trainer Slomka z.B. nur die Wahl hat, ohne jeden Stürmer anzutreten, oder dem U23-Nachwuchsspieler, Maggio, erneut zu vertrauen, kann Guardiola aus dem Vollen schöpfen. In Hamburg wäre man derzeit schon glücklich, stünde dem HSV wenigstens der inzwischen in die Jahre gekommene Pizarro von der Bayern-Bank zur Verfügung.
Man muss kein Prophet sein, um zu wissen, dass nach einer 0:4-Klatsche im eigenen Stadion und dem damit einhergehenden Verpassen des CL-Finales bei den erfolgsverwöhnten Bayern wieder die Alarmsirenen heulen. Schließlich dürfte für die dortigen Verantwortlichen nicht nur das Ausscheiden ansich, sondern vor allem die Art und Weise eine herbe Enttäuschung sein. Man wird also nicht nur um Wiedergutmachung bemüht sein, vielmehr gilt es, rechtzeitig vor dem DFB-Pokal-Finale die aufflammende Diskussion um das Spielsystem und Trainer Guardiola bereits im Keim zu ersticken. Den Verantwortlichen dort dürfte zugutekommen, dass sie Druck von der Bank erzeugen können. Schließlich wird jeder ihrer Spieler wenigstens im Finale in Berlin spielen wollen, um hernach den Gewinn des DFB-Pokals als tatsächlich selbst errungen feiern zu dürfen.
Wer das Spiel gegen den FC Augsburg gesehen hat, speziell die letzte halbe Stunde, der dürfte bemerkt haben, dass sogar der FCA in der Lage war, sich den HSV nach allen Regeln der Kunst zurechtzulegen. Wenn man dann an die ungleich höhere Qualität der Bayern denkt, dann muss man schon über einen unerschütterlichen Optimismus verfügen, um auch nur von einem Punktgewinn des Hamburger Sportvereins zu träumen. Realistischer erscheint da schon eher die Hoffnung, dass sich die Niederlage in Grenzen hält, damit wenigstens der Vorteil in der Tordifferenz zu den anderen abstiegsgefährdeten Mitkonkurrenten nicht gänzlich aufgezehrt wird. So weit ist es mit dem HSV gekommen. Bitter!
Aber auch wenn sogar ein Punkterfolg nüchtern betrachtet vollkommen unrealistisch erscheint, so muss auch dieses Spiel erst einmal gespielt werden. Als Zuschauer erwarte ich vom HSV in diesem Spiel wenig bis fast nichts. Was ich aber erwarte, was ich mit Nachdruck verlange!, ist, dass sich die Mannschaft mit dem Mute der Verzweiflung von der ersten Minute an gegen das gegen diesen Gegner allzeit drohende Debakel stemmt. Denn selbst nach einer Niederlage und gleichzeitigen Punktgewinnen der Konkurrenten muss noch ein kleiner Funken Hoffnung auf den Klassenverbleib vorhanden sein. Alles andere ist im Grunde inakzeptabel. Am Ende des letzten Spieltages kann jedes einzelne geschossene oder kassierte Tor den entscheidenden Unterschied ausmachen.
Ich gehe aufgrund der Nachrichtenlage von der folgenden Aufstellung des HSVs aus:
Adler – Diekmeier, Westermann, Mancienne, Jansen – Calhanoglu, Arslan Rincon, Badelj, Ilicevic – van der Vaart – Maggio
Auch wenn die Jahre ins Land zogen, auch wenn die Haare langsam grau werden, auch wenn der einst große HSV inzwischen nur noch zu einem traurigen Abklatsch seiner selbst heruntergewirtschaftet wurde, so hoffe ich inständig, dass sich, wenn es denn so kommen sollte, der Verein wenigstens mit Anstand aus der Ersten Liga verabschiedet. Auch wenn wir inzwischen sportlich kaum konkurrenzfähig und fast chancenlos erscheinen – wahre Größe erweist sich in der Niederlage.
Unterstützen wir also unsere Mannschaft bis zum allerletzten Abpfiff! Mag der Frust über die inkompetenten Versager in den Gremien in den letzten Jahren Jahrzehnten auch noch so groß sein – Haltung bewahren ist fast das Einzige, was uns noch bleibt. Und während ich das schreibe, soviel sei verraten, laufen mir, der ich weiß Gott nicht sonderlich nah am Wasser gebaut habe, Tränen ohnmächtiger Wut über das Gesicht. Nicht einmal in meinen schlimmsten Träumen hätte ich mir vorstellen können, dass ein Appell an „Haltung“ das Letzte ist, was einem als HSV-Anhänger vernünftigerweise noch bleibt. Wo ist nur die schöne Zeit geblieben?!
DAS RESTPROGRAMM
15. VfB Stuttgart (32 Pkt; -11):
VfL Wolfsburg (H)
Bayern München (A)
16. Hamburger Sportverein (27 Pkt; -20):
Bayern München (H)
1. FSV Mainz 05 (A)
17. 1.FC Nürnberg (26 Pkt; -28)
Hannover 96 (H)
FC Schalke 04 (A)
18. Eintracht Braunschweig (25 Pkt; -28):
FC Augsburg (H)
1899 Hoffenheim (A)