Pizarro

Auf dieser Leistung lässt sich aufbauen. HSV – FC Bayern München 0:0

Jede Aussage eines Trainers gegenüber den Medien hat gleich mehrere Adressaten: Da wäre zunächst natürlich die interessierte Öffentlichkeit, der man einen möglichst positiven Eindruck von sich und seiner Arbeit vermitteln möchte. Dann wären da die Vorgesetzten, die mit Argusaugen darüber wachen, welches Bild ihr Trainer von sich, seiner Arbeit und dem Verein zeichnet. Und schließlich wären da noch die Spieler, die sehr genau darauf achten, was ihr Trainer öffentlich über die Mannschaftsleistung und nicht zu letzt über sie persönlich äußert. Es lohnt daher, einige Äußerungen Zinnbauers aus den vergangenen Tagen genauer zu betrachten.

So sagte Zinnbauer z.B. auf seiner Antritts-PK, er habe der von ihm zuletzt betreuten U23 zum Abschied gesagt, seine Beförderung zum Cheftrainer der Bundesligamannschaft sei nicht nur ein Glücksfall für ihn persönlich, sondern sei auch gut für sie. Denn zukünftig wüssten sie einen Cheftrainer „ganz oben“, der jeden einzelnen von ihnen tatsächlich kennen und einschätzen könne. Später antwortete er auf eine entsprechende Frage, dass er, sollte es bei der Bundesligamannschaft nicht funktionieren, „kein Pardon“ kenne und nicht zögern würde, die betreffenden Profis  durch entsprechende U23-Spieler zu ersetzen. Er erhöhte also den Leistungsdruck im Bundesliga-Kader und setzte gleichzeitig Anreize für den Nachwuchs, nunmehr unter ihrem neuen Trainer, Daniel Petrowsky, keinesfalls nachzulassen, wodurch er seinem Nachfolger zweifellos den Einstieg erleichtert haben dürfte. Man erinnere sich in diesem Zusammenhang nur an das Negativ-Beispiel Beckenbauer, der seinem Nachfolger bei der Nationalmannschaft, Berti Vogts, seinerzeit ein regelrechtes Kuckucksei ins Nest legte, indem er öffentlich in der ihm eigenen Art firlefranzte, dass die von ihm übergebene Mannschaft „auf Jahre hinaus unschlagbar“ sein werde.

Bereits in der zweiten, der von ihm bei den Profis geleiteten Trainingseinheiten demonstrierte Zinnbauer dann, dass er bei den von ihm angekündigten Konsequenzen auch nicht vor großen Namen zurückschreckt. Als mit Behrami  einer der vorgesehenen Führungsspieler der Mannschaft wiederholt einige Übungen erkennbar nicht mit vollem Einsatz absolvierte, durfte er sich den Rest des Trainings für diesen Tag von außen anschauen. In diesem Kontext muss man m.E. das Extra-Lob sehen, dass Zinnbauer nach der Partie gegen die Bayern an Behrami verteilte. Behrami hatte zweifellos ein gutes Spiel gemacht, ein besonderes Lob hat sich gestern aber, ginge es nach mir, ein anderer verdient (Dazu später mehr). Um bei Behrami zu bleiben – die Botschaft Zinnbauers erschien mir eindeutig: Wer  im Training voll mitzieht, wer gut spielt, der darf mit seiner Anerkennung, seiner Wertschätzung rechnen. Wer sich jedoch hängen lässt, für den brechen ggf. schwere Zeiten an. Da Behrami derzeit im Grunde alternativlos im Kader erscheint, macht es für mich aus Sicht des Trainers und vor dem Hintergrund der angesprochenen Disziplinierungsmaßnahme dennoch Sinn, ihn nach dem Spiel explizit öffentlich positiv hervorzuheben. Denn wer als Trainer nur Druck ausübt und ausschließlich negativ kritisiert, der wird m.E. auf längere Sicht keinen Erfolg haben.

In diesem Kontext passt ins Bild, dass Zinnbauer nach dem Spiel auch nicht vergaß, seinen Vorgänger, Mirko Slomka, für den nunmehr guten konditionellen Zustand der Mannschaft ausdrücklich zu loben. Dies, wie auch Zinnbauers Hinweis zur U23, dass er dort selbst ja weder Tore geschossen noch verhindert habe, deutet für mich darauf hin, dass er nicht nur um eine faire Beurteilung bemüht ist, sondern sich auch zugleich als Teil eines Teams sieht. Dies ist natürlich nur ein erster, flüchtiger Eindruck und sollte zum jetzigen Zeitpunkt nicht überbewertet werden, dennoch möchte ich dies nicht unerwähnt lassen. Denn es dürfte nicht wenige geben, die u.a. mangelhafte Teamarbeit als eine wesentliche Ursache für die Misserfolge der Vergangenheit ausgemacht haben wollen.

Im Grunde war zu erwarten, dass Zinnbauer angesichts der Kürze der ihm zur Verfügung stehenden Zeit die zuletzt überzogen wirkenden personellen Veränderungen Slomkas gegen Hannover teilweise zurücknehmen würde. So ersetzte Westermann Cléber, und auch Arslan kehrte in die Startaufstellung zurück:

Drobny – Diekmeier, Djourou, Westermann, Ostrzolek – Behrami, Arslan (67. Jiracek), N. Müller (87. Steinmann), Holtby, Stieber – Lasogga (76. Green)

In der Torwartfrage gab es auch meiner Meinung nach keinen triftigen Grund, nun erneut die Rolle rückwärts zu vollziehen. Zum einen war Drobnys Leistung gegen Hannover nicht ursächlich für die Niederlage, zum anderen wäre Adler endgültig „verbrannt“, wären ihm gegen die Bayern Fehler dergestalt unterlaufen, wie man sie leider in der letzten Saison eindeutig zu oft von ihm gesehen hat. So bitter das für Adler im Augenblick auch sein mag – er wird nun wohl mindestens bis zur Winterpause warten müssen. Es sei denn, Drobny schwächelt mehrfach. Im Mannschaftssport, so ist das nun einmal, steht der Erfolg eines Teams über etwaigen sportlichen Einzelschicksalen.

Das Spiel: Obwohl die Mannschaftsaufstellung der Hamburger als taktisches System ein 4-2-3-1 mit einer klaren Doppel-Sechs durch Behrami und Arslan suggerierte, konnte man bereits nach wenigen Minuten eine andere taktische Formation bemerken. Tatsächlich agierte man gegen den Ball mit einem grundsätzlich offensiv orientierten 4-4-2. Vor allem Holtby presste während der ersten Halbzeit im Verbund mit der nominell einzigen Hamburger Spitze, Lasogga, sehr hoch, während sich Arslan und Behrami meist dahinter in eine vordere Viererkette mit Stieber und Nicolai Müller einreihten. Auch die defensive Viererkette schob – endlich, endlich! – weit genug heraus, sodass kaum jene gefährlich freien Räume zwischen den Ketten entstanden, die ich hier im Blog in der Vergangenheit oft kritisiert habe. Da sich die Mannschaft des HSV zeitgleich auch ballorientiert seitlich deutlicher verschob, als dies m.M.n. in der Vergangenheit der Fall gewesen ist, wurden gleich drei Fliegen mit einer Klappe geschlagen:

1.) Der Spielaufbau der Bayern konnte des Öfteren entscheidend gestört werden, sodass sie häufiger zu langen, prinzipiell leichter zu verteidigenden Bällen gezwungen wurden;
2.) In Ballnähe erreichte der HSV vermehrt eine personelle Überzahl, was auch die Zweikampfführung gegen individuell überlegene Bayern-Spieler erleichterte;
3.) Das Zentrum des Spiels wurde durch die Hamburger meist erfolgreich geschlossen, sodass der Gegner sein Spiel mit dem grundsätzlich längeren Weg über die jeweils freie Außenbahn entwickeln musste.

Nicht unbemerkt soll zudem bleiben, dass sich der HSV tatsächlich aggressiv in der Zweikampfführung zeigte. Im Ergebnis standen am Ende der ersten Spielhälfte nur zwei Torschüsse (20. Minute, Pizarro, weit über das Tor) der Bayern und eine einzige Parade Drobnys (33., nach Schuss von Bernat) zu Buche. Und das gegen die zuvor hoch favorisierten Bayern!

Man darf es wohl durchaus auch als Kompliment für den HSV werten, dass Guardiola, der die Bayern zunächst in einem offensiven 3-4-3 auf das Feld schickte, im Verlauf der Partie nicht nur in der Abwehr auf eine Viererkette umstellte, sondern mit den zu Beginn noch geschonten Xabi Alonso, Götze und Lewandowski drei Hochkaräter brachte, die den Sieg für seine Mannschaft erzwingen sollten. Denn es dürfte eher ungewöhnlich sein, dass ein Trainer bereits in der 66. Minute seine letzte Auswechselmöglichkeit ausschöpft.

Tatsächlich spielten die Bayern während des zweiten Durchgangs flüssiger und zielgerichteter. Zunächst aber hatte Nicolai Müller in der 48. Minute tatsächlich eine Torchance für den HSV. Er spitzelte den Ball erfolgreich aus halblinker Position an dem aus seinem Tor geeilten Neuer vorbei. Leider verfehlte sein Schuss mit dem rechten Fuß knapp das Tor.

In der 53. Minute rettete Drobny seine Mannschaft vor dem Rückstand, als er mit den Beinen einen Schuss von Lahm nach Vorarbeit von Rafinha parierte. Zu diesem Zeitpunkt die bis dato wohl größte Torchance für die Bayern.

Die Bayern bauten nun vermehrt ihr Spiel über ihre rechte Seite auf, um hernach auf die linke Seite zu verlagern. Aber Diekmeier und Nicolai Müller waren meist zur Stelle, um etwaige Lücken rechtzeitig zu schließen.

Um auf meine Bemerkung im Zusammenhang mit Behrami zurückzukommen: Neben Behrami verdienen m.E. besonders der defensiv enorm fleißige Holtby, aber vor allem der oft gescholtene Heiko Westermann ein Extra-Lob. Westermann spielte auf Seiten des HSV einfach überragend. Nicht ein „Wackler“, 89 Prozent gewonnene Zweikämpfe und 67 Prozent angekommene Pässe belegen dies. Ich denke, man konnte sehen, dass Westermann durchaus sehr, sehr wertvoll sein kann, wenn er sich in einer taktisch funktionierenden Mannschaft auf seine Kernkompetenzen konzentrieren kann. Denn seine allseits bekannten Stockfehler resultierten oft genug auch daraus, dass sich andere Spieler der Mannschaft in der Vergangenheit viel zu oft versteckt haben. So wurde Westermann oft genug dafür bestraft, dass er einer der wenigen war, die durchweg Verantwortung übernahmen, während andere nach dem Motto verfuhren: hier hast Du den Ball – viel Glück damit!

Djourou zeigte eine durchaus ordentliche Leistung, zerstörte aber letztlich ein wenig den positiven Gesamteindruck, als er kurz vor Spielende (88.) einen eklatanten Fehler bei der Ballannahme produzierte und so Thomas Müller zu einem Torschuss einlud, den dieser zum Glück für den HSV knapp neben das Tor setzte. So blieb es letztlich beim torlosen Remis.

In der Nachspielzeit (90+4.) vertändelte der wieder einmal weit aus seinem Tor geeilte Manuel Neuer den Ball fast auf Höhe der Mittellinie und blockte dort absichtlich einen Schuss der Hamburger mit der Hand. Der folgende Torschuss von Ostrzolek verfehlte das von Neuer verlassene Tor. Der Treffer hätte aber ohnehin nicht gezählt, da Schiedsrichter Dingert bereits das Handspiel gepfiffen hatte.

Schiedsrichter: Dingert (Lebecksmühle): Bot für einen so jungen Schiedsrichter in einer vor allem von Hamburger Seite aggressiv geführten Partie eine gute Leistung. Die gelbe Karte für Neuer geht vollkommen in Ordnung, da nicht jedes Handspiel eines Torwarts außerhalb seines Strafraums zum Feldverweis führt. Maßgebend ist hier, ob der Torhüter eine klare, eindeutige Torchance für den Gegner verhindert. Davon kann beim besten Willen aufgrund der seitlich versetzen Position von Schütze und Ball und der Entfernung zum Tor (fast Mittellinie!) keine Rede sein.

Fazit: Der HSV, so möchte ich es formulieren, hat dem zuvor übermächtig erscheinenden Gegner aus München aufgrund einer engagierten und taktisch disziplinierten Mannschaftsleistung durchaus verdient den einen Punkt abgerungen. Endlich blieb man über weite Strecken des Spiels als Mannschaft kompakt und konnte vermehrt auch jene Dreiecksbildungen auf den Positionen beobachten, die zuvor viel zu oft schmerzlich vermisst wurden. Ich stimme Heiko Westermann zu, der nach dem Spiel von der besten Mannschaftsleistung des HSV sprach, seit er in Hamburg sei.

Defensiv war das eine großartige Leistung der Hamburger Mannschaft, auch wenn offensiv kaum etwas ging. Mit zunehmender Spielzeit auffälliger wurde hier, dass Lasogga, obgleich gewohnt fleißig und einsatzwillig wirkend, läuferisch unverändert schwerfällig agiert. Hier bleibt zu hoffen, dass es Zinnbauer in den kommenden Wochen gelingt, Lasoggas Form mittelfristig durch dosierte Belastungen in Training und Wettkampf zu verbessern.

Dieses Spiel ist aus Hamburger Sicht als erster Schritt in die richtige Richtung zu bewerten. Noch aber ist das allenfalls ein sehr erfreulicher Achtungserfolg, den man zum jetzigen Zeitpunkt auch nicht überbewerten sollte. Ob das dieses Mal deutlich verbesserte taktische Verhalten der ganzen Mannschaft nachhaltig zu beobachten sein wird, das bleibt abzuwarten. Schon das nächste Spiel gegen M’Gladbach wird hier weitere, hoffentlich erfreuliche Erkenntnisse liefern.

Interessant wird zu beobachten sein, wie Zinnbauer zukünftig den von ihm angekündigten offensiv-dominanten Fußball mit diesem Kader des HSV umsetzen will. Die Bayern, Zinnbauer sagte dies auf der PK vor dem Spiel bereits, waren hierfür der falsche Gegner. Perspektivisch könnte ich mir vorstellen, dass sich das Spiel des HSV in den kommenden Wochen und Monaten stärker zu einem 4-1-4-1 entwickelt, aber auch das muss man letztlich abwarten.

Übersehen wir nicht, dass die Mannschaft immer noch kein einziges Tor geschossen hat und bisher auch unverändert kein Spiel gewinnen konnte.  Gestern könnte ein Grundstein gelegt worden sein, mehr aber noch nicht. Eins scheint mir eindeutig: Sollte die Mannschaft kontinuierlich an die gestrige Leistung anknüpfen können, dann wird sie mit dem Abstieg in dieser Saison nichts zu tun haben. Zu Euphorie besteht also unverändert kein Anlass, wohl aber zu Zuversicht.

Festhalten möchte ich zum Schluss, dass Zinnbauer der erste Trainer beim HSV ist, der Jiracek endlich dort einsetzte, wo er m.E. ohnehin hingehört: als Alternative zu Arslan und Pendant von Behrami im Zentrum. Der Wechsel für den zuvor bereits  gelbverwarnten Arslan machte für mich daher doppelt Sinn. Auch dass er mit Matti Steinmann (1,88m) eine echte „Kante“ debütieren ließ, als es den Anschein hatte, dem HSV fehle nach der Auswechselung Lasoggas etwas die körperliche Wucht, fand ich durchaus nachvollziehbar. Eins ist Zinnbauer jedenfalls bereits gelungen: ich bin sehr gespannt, ob sich die Mannschaft in diesem rasanten Tempo tatsächlich weiter unter seiner Leitung entwickelt. Zu wünschen wäre es.

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Eine Niederlage, die Anlass zu leiser Hoffnung gibt: HSV – FC Bayern München 1:4 (0:1)

Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt – was wie ein vorweggenommenes Fazit klingt, galt schon vor dem Spiel. Hatte ich nach der Verletzung Zouas u.a. mit Maggio als vorderster Spitze gerechnet, so überraschte HSV-Trainer Slomka mit der Aufstellung gleich mehrfach:

Adler – Diekmeier (60. John), Westermann (76. Tah), Mancienne, Jiracek – Rincon, Tesche, Badelj, Calhanoglu – van der Vaart (67. Demirbay) – Ilicevic

Tesche ersetzte den gelbgesperrten Arslan; Rincon spielte statt Calhanoglu vor Diekmeier auf der rechten Außenbahn; Calhanoglu nahm stattdessen die Ilicevic-Rolle auf der anderen Seite, der linken Außenbahn ein, und Ilicevic ersetzte Zoua als vorderste Spitze. Nach den zuletzt gezeigten Leistungen erschien der Verzicht auf Maggio grundsätzlich als nachvollziehbar. Die daraus resultierenden Umstellungen waren angesichts der zuletzt gezeigten Leistungen folgerichtig. Für den Verzicht auf Jansen habe ich jedoch keine explizite Begründung gefunden. Nachdem ich hier aber bereits mehrfach festgestellt hatte, dass Marcels Spiel sehr stark von seiner körperlichen Verfassung abhängig ist, empfand ich auch diese Maßnahme Slomkas als absolut plausibel. Ein lediglich spielfähiger, aber nicht topfitter Jansen, das zeigte erst jüngst erneut das Spiel gegen die Wolfsburger, ist keine Verstärkung für die Mannschaft. Jiracek hingegen, auch wenn er kein gelernter Außenverteidiger ist, ist stets „bissig“ am Mann und somit ein passabler Ersatz.

Spielbericht: Wer auch dieses Mal mit einem frühen Rückstand für die Gastgeber gerechnet hatte, sah sich eines Besseren belehrt. Der HSV kam gut in die Partie und stand zunächst defensiv sicher. Endlich, endlich agierte man als ein geschlossenes Team. Nicht nur, dass die Abstände zwischen den einzelnen Spielern stimmten, auch die Mannschaftsteile blieben meist eng beieinander. Wahlweise presste man geschlossen offensiv (Oh, Wunder!), oder zog sich gemeinsam hinter den Ball und vor den eigenen Strafraum zurück. Vorne störten die lauffreudigen Ilicevic und van der Vaart immer wieder erfolgreich das Aufbauspiel des Gegners, ohne allein von den guten Wünschen ihrer Mannschaftskameraden begleitet zu werden. Im Ergebnis fanden die Bayern zunächst kaum Räume, um tatsächlich torgefährlich zu werden.

Gerade Ilicevic wirkte überaus engagiert. In der ersten Halbzeit suchte er aus jeder (un)denkbaren Lage den Torabschluss. Gelegentlich wirkte das etwas übermotiviert, aber wer will es ihm gegen einen Gegner verdenken, gegen den man gewöhnlich wenig Chancen erhält?! In der ersten Spielhälfte bot die Mannschaft m.E. die beste Teamleistung seit vielen Wochen. Das konnte sich wirklich sehen lassen. Immer wieder konnte das Spielgerät durch personelle Überzahl in Ballnähe oder gute Antizipation der Passwege des Gegners erobert und eigene Angriffsversuche gestartet werden. All dies war, ist und bleibt vor allem die logische Folge einer mannschaftlichen Geschlossenheit, der viel zitierten Kompaktheit (Wer in diesem Zusammenhang allein auf angeblich fehlenden Einsatzwillen einzelner Spieler abhebt, der sollte besser Hallen-Halma kommentieren.). Wenn man der Hamburger Mannnschaft für die erste Spielhälfte einen Vorwurf machen kann, dann ist es die Tatsache, dass die Mannschaft nach erfolgreicher Balleroberung offensiv wenig klare Möglichkeiten herausspielte. Aber hier ist dann eben auch zu berücksichtigen, welcher Gegner auf dem Feld stand.

So dauerte es mehr als eine halbe Stunde, bis die Bayern die hamburger Defensive erfolgreich überwinden konnten. In der 32. Minute konnten Götze und Robben trotz personeller Überzahl der Hamburger im Strafraum der Gastgeber Doppelpass spielen. Am Ende stand Götze frei vor Adler und schob an ihm vorbei aus fünf Metern in lange Eck. Das früher erwartete 0:1 für den neuen Deutschen Meister. Ärgerlich daran fand ich allein die Entstehung (Überzahl). Das war zu einfach und hätte vermieden werden können.  Immerhin dauerte es bis zur  40. Minute, bis es erneut im Strafraum der Hamburger brannte: Eine Freistoß-Flanke der Bayern von halblinks segelte quer durch den Sechzehner der Gastgeber an den rechten Pfosten. Robben legte per Kopf parallel zur Torlinie quer auf die andere Seite, wo Müller den Ball dann denkbar knapp neben den linken Pfosten am Tor vorbei setzte.

In der 42. Minute dann die beste Möglichkeit des HSVs zum Ausgleich. Tesche(?) bediente van der Vaart am Strafraum der Münchner. Van der Vaart dreht sich um seinen Gegenspieler und zog aus der Drehung mit seinem starken linken Fuß ab. Leider kam der Ball zu zentral auf das Tor. So konnte Neuer gerade noch den Arm hochreißen und diesen fulminanten Schuss über die Querlatte lenken. Eine Minute später bediente Calhanoglu Ilicevic. Ilicevic stand halblinks an der Grenze zum Strafraum und visierte das lange, obere Eck des Gästetores an. Leider verfehlte auch dieser Schuss letztlich das Ziel. Dennoch, nur 0:1 zur Pause –  das war fast mehr, als ich vor dem Spiel zu hoffen gewagt hätte.

In der Halbzeitpause (und kurz nach Wiederanpfiff zur zweiten Spielhälfte) kam es auf der Nordtribüne zu unschönen Szenen. Offenbar hatte einige Wirrköpfe ein oder zwei Banner mit der Aufschrift „A.C.A.B.“ aufgehängt. Diese Kürzel steht bekanntlich für die pauschal beleidigende Behauptung, „all cops are bastards „. Der Einsatzleiter der Polizei kam in einer für mich absolut nicht nachvollziehbaren Abwägung der Verhältnismäßigkeit zu dem Ergebnis, dass er seine Männer mit der Sicherstellung der Banner beauftragen müsse. So versuchten also mehrere Trupps in die beiden Blöcke einzumarschieren. Und es kam, was kommen musste. Ein vollbesetztes Stadion, bei dessen überwiegendem Teil der Zuschauer die Nerven ohnehin angesichts des Rückstandes und der Tabellensituation zum zerreißen gepannt gewesen sein dürften, und dann der Versuch, zweifellos idiotische, beleidigende Banner ausgerechnet von der Nordtribüne, der Heimstatt der Ultras zu entfernen. Es kam also zu einer absolut vorhersehbaren Eskalation. Die betroffenen Blöcke wehrten sich gegen das Eindringen der Polizei. Die Ordnungskräfte wiederum versuchten mit Zwangsmaßnahmen, zu denen auch der ausgiebige Einsatz von Pfefferspray gehörte, den Einsatzbefehl des Einsatzleiters umzusetzen. Das Resultat der Geschichte: unnötiger Krawall und dutzende Verletzte auf beiden Seiten, darunter auch vollkommen unbeteiligte Zuschauer. Man muss sich diese Rechtsgüterabwägung durch die Einsatzleitung mal auf der Zunge zergehen lassen: Wenn Gefahr für den Leib droht, z.B. durch das unsägliche Abbrennen von Pyrotechnik, passiert oft genug nichts oder zu wenig. Wenn man sich aber beleidigt fühlt, dann schickt man unverzüglich Hundertschaften ins Gefecht. Ich frage mich, wem ich hier weniger Verstand bescheinigen soll: Den Schwachköpfen, die derartige Banner im Stadion aufhängen, aber außerhalb des Stadions „privat“ nach der Polizei plärren, wenn es ihnen gerade passt? Oder der Einsatzleitung der Polizei, die, um eine Beleidigung durch ein Paar Hirnlose zu unterbinden, billigend in Kauf nimmt, dass dutzende wenn nicht gar hunderte vollkommen unbeteiligte Zuschauer zu Schaden kommen? Rechtsgüterabwägung und Verhältnismäßigkeit gehen in meinen Augen jedenfalls anders.

Zurück zum Spiel: In der 55. Spielminute bekam der FCB einen Eckstoß auf ihrer rechten Angriffseite zugesprochen. Die Hamburger zogen sich alle in Erwartung einer Flanke tief in den eigenen Strafraum rund um den eigenen Fünfmeter-Raum zurück.  Am rechten Eck des Sechzehners stand Götze mutterseelenallein und hatte nach der Ballanahme alle Zeit der Welt. Ein Anfängerfehler der HSV-Defensive, wie man ihn normalerweise nur im unterklassigen Jugendfußball sieht. Als Tesche endlich herausrückte,  war es im Prinzip schon zu spät. Götzes Schuss wurde von Müller entscheidend abgefälscht – das 0:2. Wahnsinn! Da verteidigt der HSV endlich, endlich als Team und schaufelt sich die Gegentore im Grunde selbst hinein. Als Betrachter stelle ich mir die Frage, wie Bundesligaspieler(!) derart „verteidigen“ können. Fühlt sich in einer solchen Situation keiner verantwortlich, oder gibt es keinen, der den Hinweis auf den freien Mann und das  Kommando gibt? Möglicherweise ist dies ein weiteres Indiz für eine suboptimale Struktur in dieser Hamburger Mannschaft. Aber das ist lediglich eine Spekulation meinerseits.

Slomka reagierte und brachte zunächst John für Diekmeier (60.). Rincon rückte nun zurück auf die Rechtsverteidiger-Position. Zu loben ist,  dass sich die Mannschaft des Hamburger Sportvereins trotz des Zwei-Tore-Rückstandes weder aufgab, noch grundsätzlich in die alten Fehler (fehlende Kompaktheit) verfiel. In der 67. Minute schoss der erneut starke Calhanoglu aus 16 Metern auf das Tor der Bayern. Neuer rette mit Mühe. In der 67. brachte Slomka dann Demirbay für Hamburgs Kapitän van der Vaart. „Raffa“, der bis dahin (meist zusammen mit Ilicevic) unermüdlich versucht hattte, den Spielaufbaus der Bayern zu stören, schien mit seinen Kräften (Verletzungshistorie) zunehmend  am Ende.
Die Bayern überließen nun den Gastgebern untypischerweise ein wenig das Spiel. In der 72. Spielminute zeigten sie dann, dass sie unverändert auch kontern können. Robben lief den Hamburgern auf und davon. Seinen Schuss konnte Adler zwar noch mit Mühe parieren, doch der Abpraller kam zum aufgerückten Müller. Der passte zu Götze, der erneut völlig frei halbrechts im Strafraum stand. 0:3 – so einfach kann das gehen.

Nur zwei Minute später dann die Antwort der Hamburger: Der junge Demirbay lief über die rechte Hamburger Außenbahn und ließ erfolgreich hintereinander drei Bayern aussteigen. Sein Seitenwechsel fand Calhanoglu. Dieser zog von der linken Außenbahn am Sechzehner nach innen und schoss für Neuer unhaltbar ins lange Eck. „Nur“ noch 1:3 für den Favoriten (72.) Ein aus meiner Sicht gleich in mehrfacher Hinsicht ganz wichtiger Treffer. Zum einen legte er die Grundlage dafür,  dass sich so die Niederlage in Grenzen hielt, was mit Blick auf die Tabelle und dort die Tordifferenz von Bedeutung ist, zum anderen dürfte er damit den Frust des Hamburger Publikums ein wenig in Grenzen gehalten haben…

Nur drei Minuten später lief der gerade eingewechselte Pizarro Mancienne davon und schoss auf das Hamburger Tor. Adler konnte den Schuss mit äußerster Mühe gerade noch parieren, aber der Ball sprang nach vorne hoch weg – kein Vorwurf an dieser Stelle. Pizarro schaltete blitzschnell und netzte per Fallrückzieher aus ca. 8 Metern. Mit dem 1:4 (75.) war dann allen vielleicht gerade aufkeimenden Hoffnungen der Hamburger auf ein Unentschieden der Zahn gezogen. Zu diesem Zeitpunkt, eine Viertelstunde vor Schluss, befürchtete ich kurzfristig, dass dieses Spiel vielleicht doch noch in einem Debakel für den HSV enden könnte, was ich mit Blick auf die über weite Strecken gute Mannschaftsleistung des Hamburger Sportvereins als sehr schade empfunden hätte. Möglichkeiten dazu waren vorhanden:  In der 80. Minute hätte es m.E. Elfmeter für den FC Bayern geben können, nachdem Jiracek links außen, aber klar innerhalb des eigenen Strafraums, Bayern-Kapitän Lahm zu Fall brachte. Gab es aber nicht, zum Glück für den HSV. Und nur drei Minuten später (83.) düpierte der formidable Götze Badelj in Nähe der Eckfahne und Torauslinie, rechts vom Hamburger Tor aus gesehen,  mit einem Beinschuss. Die Bayern ließen für einen Moment ihr circensisches Können aufblitzen und kombinierten munter innerhalb des Hamburger Strafraums. Doch wieder hatte der HSV Glück. Ihr Abschluss rauschte am Ende folgenlos über das Tor ihrer Gastgeber.

Den Schlusspunkt setzten dann Demirbay und Boateng. Der Hamburger war im Sechzehner der Gäste zu Fall gekommen. Es entwickelte sich ein Wortgefecht zwischen Kerem und Jerôme, an dessen Ende beide Kontrahenten Stirn an Stirn voreinander standen und vermutlich Nettigkeiten austauschten. Boateng ließ sich zu einer Schlagbewegung (Ohrfeige) hinreißen. Das Resultat: gelbe Karte für Demirbay und glatt Rot für Boateng (86.). Ab diesem Zeitpunkt waren die nun in Unterzahl spielenden Bayern verständlicherweise vorrangig um Ergebnissicherung bemüht. Bemerkenswerte Höhepunkte waren daher nicht mehr zu notieren.

Schiedsrichter: Fritz (Korb). Mit einer dem Spielfluss dienenden, großzügigen Regelauslegung. Der nicht gegebene Elfmeter für den FCB ist diskutabel.

Fazit: Im Fernduell der abstiegsgefährdeten Mannschaften darf sich der HSV getrost als Gewinner des Spieltages fühlen. Es ist zum verrücktwerden! Hätte der HSV als Mannschaft in dieser Saison häufiger derart kompakt gespielt, man hätte diverse Punkte mehr auf dem Konto.
Wenn dem HSV doch noch der Klassenverbleib gelingen sollte, dann nur deswegen, weil die Mitkonkurrenten, Braunschweig und Nürnberg, ebenfalls ihre Chancen verpassten. Besonders bitter bestraft wurden die Braunschweiger, die erst in der Schlussphase ihrer Partie gegen den FCA (beim Stand von 0:0!) eine eigene, große Torchance zu dem dann wahrscheinlichen Sieg vergaben, und die dann in der 90+5. Minute (!) durch das 0:1 für den FCA sogar noch als Verlierer vom Feld gingen.
Wider Erwarten hat der HSV also vor der letzen regulären Partie der Saison sein Schicksal in den eigenen Händen. Tritt er als Mannschaft so auf, wie vor allem in der ersten Spielhälfte, so könnte er durchaus auch auswärts gegen die „05er“ punkten. Das wird sicher kein leichter Gang, da Mainz mit 50 Punkten auf Platz sieben nur einen Punkt vor dem FCA steht und sicher diesen Platz, der bekanntlich zur Teilnahme an der EuroLeague berechtigt, mit Macht verteidigen will. Aber vor allem bei den tapferen Braunschweigern muss man damit rechnen, dass sie gegen die nicht mmer sattelfeste Hoffenheimer Defensive evtl. eine Überraschung schaffen könnten. Gelingt dem HSV jedoch in Mainz wenigstens ein Unentschieden, so dürfte selbst ein Sieg der Braunschweiger für den Dino folgenlos bleiben. Ansonsten bliebe alles wie es ist. Verlieren alle drei abstiegsgefährdeten Mannschaften, so hätte der HSV  – trotz erbärmlich schwacher Saisonausbeute von 27 Punkten! – das erste Etappenziel erreicht. Für mich ist und bleibt entscheidend, auch mit Blick auf etwaige Relegationsspiele, ob die Mannschaft die mannnschaftliche Geschlossenheit endlich nachhaltig auf den Platz bringen kann. Gelingt dies, so könnte der Abstieg doch noch vermieden werden. Gelingt dies nicht, so hat man auch nichts anders verdient.
Mein Eindruck ist, dass Tesche, auch wenn er beim 0:2  eindeutig mitbeteiligt war, klarere Bälle spielt als Arslan. Ginge es allein nach mir, so würde ich im Hinblick auf das entscheidende Spiel gegen Mainz, abhängig vom Fitnesszustand Jansens, höchstens einen Wechsel auf der Linksverteidiger-Position in Erwägung ziehen. Aber natürlich könnte Slomka auch durch Verletzungen anderer Spieler zu weiteren Umstellungen gezwungen sein.

DAS RESTPROGRAMM

16. Hamburger Sportverein (27 Pkt; -23):
1. FSV Mainz 05 (A)

17. 1.FC Nürnberg (26 Pkt; -30)
FC Schalke 04 (A)

18. Eintracht Braunschweig (25 Pkt; -29):
1899 Hoffenheim (A)