Beckenbauer

von alten und neuen Kapitänen, Klippen und einer Bergung, die andauert

Preisfrage: was haben die Costa Concordia und der HSV gemeinsam? Antwort: Beide wurden von überforderten Kapitänen kommandiert, beide wurden fast versenkt. Und in beiden Fällen sind sich die Kapitäne kaum einer Schuld bewusst.

Der Unterschied: der gockelhafte Capitano Schettino, der das ihm anvertraute Schiff offenbar vor allem aus Geltungssucht auf die Klippen der kleinen Insel Giglio setzte, bevor er natürlich nur rein zufällig in eines der ersten Rettungsboote stolperte, der besitzt (noch) ein Kapitänspatent. Carl-Edgar Jarchow wurde die Befähigung zur Führung des Dickschiffs namens HSV lediglich unterstellt. Ein in Kreisen Hamburger Pfeffersäcke durchaus klangvoller Nachname, ein wenig rhetorische Befähigung zu Politiker-Floskeln, schon wurde aus einem Hinterbänkler ein idealer Kompromisskandidat. Ein Kapitänspatent, also die tatsächlich nachgewiesene Befähigung zur Leitung eines mittelständischen Unternehmens mit einem Jahresumsatz von immerhin ca. 140 Millionen Euro in einer sehr speziellen Branche – wer braucht das schon? Wen wundert es, dass Jarchow, der mindestens die politische Verantwortung für  eine unter seiner Führung dramatisch verschlechterte finanzielle Lage des Vereins trägt, rückblickend nur die eine oder andere personelle Entscheidung als  eigenen Fehler erkennt.

Kapitäne, die vor allem auch Kraft ihrer eigenen Einschätzung über das Patent zur großen Fahrt verfügten, auch das hat(te) schließlich traurige Tradition beim einst ruhmreichen Hamburger SV.  Doch mit Ruhm und Tradition ist das so eine Sache. Beides gründet in der Regel auf Vergangenem.

Einschneidende Veränderungen und die Mär vom ausgeglichenen Wettbewerb

Der Fußball hat sich seit Gründung der Bundesliga fortlaufend verändert. Wie alle anderen Sportarten auch. Das ist eben so banal wie einfach festzustellen. Die vierstellige Bezahlung, für welche die ersten Profis noch die Schuhe schnürten, die verlangt heute schon ein namenloses Nachwuchstalent. Plus Festanstellung für den Herrn Papa, z.B. als Scout selbstredend.

Durch das Bosman-Urteil (1995) des Europäischen Gerichtshofs haben sich die Kräfteverhältnisse in den Vertragsverhandlungen zwischen Vereinen und Spielern zugunsten der Spieler verschoben. Durch den Einstieg des Bezahlfernsehens kamen Gelder in bis dato ungeahnter Größenordnung in Umlauf. Und die Umgestaltung der kontinentalen Pokal-Wettbewerbe in Ligen (in Europa: Championsleague, Euro-League) bewirkte ein Übriges. Wenn ich mich recht erinnere, so wurde in den Neunzigern eine von den nationalen Ligen gänzlich abgekoppelte eigene Liga für die G20-BigPlayer unter den Vereinen diskutiert und lautstark abgelehnt. De facto ist sie jedoch durch die Hintertür längst eingeführt worden. Denn früher ließ sich mit dem Gewinn des UEFA-Pokals oder des Europapokals der Pokalsieger durchaus noch Staat machen ( – auch wenn der Pokal der Landesmeister schon damals der bedeutendste Wettbewerb war). Heute landet man als Runner-up des nationalen Wettbewerbs oder Gewinner des nationalen Pokals in einem Trostpflaster-Wettbewerb namens Europa-League, der zunächst einmal Geld kostet. Weil man die Kadergröße an die Doppelbelastung anpassen muss, weil Siegprämien zu zahlen und zusätzliche Reisekosten zu tragen sind. Etwas Geld kann man dort erst ab dem Halbfinale verdienen. Leider garantiert einem keiner zum Start, dass man diese Gewinnzone auch tatsächlich erreicht. Anders für die Teilnehmer der Champions League. Hier werden zweistellige Millionenbeträge schon in der ersten Gruppenphase garantiert. Gewinnt man den Pokal, kommen  schnell 60 (sechzig!) Millionen Euro auf das Konto. Diese krasse Ungleichverteilung der Gelder hat zur Folge, dass Jahr für Jahr weit überwiegend die ewig gleichen Namen in der Champions League anzutreffen sind. Die reichen Vereine werden immer reicher, die Emporkömmlinge werden mit Brosamen ruhig gestellt, und der Rest, zu dem inzwischen auch der HSV zu zählen ist, spielt gegen den Abstieg.

Auch aus rein sportlicher Sicht sind unschwer bemerkenswerte Veränderungen festzustellen. Jeder, der sich heute z.B. die WM-Classics von ’74 bis ’90 anschaut, wird sofort bemerken, wie vergleichsweise  langsam die Spiele waren, wie viel Zeit bspw. ein Netzer hatte, um aus der Tiefe des Raumes nach vorne zu traben. Derart viel Zeit bekommt ein ballführender Spieler heute nicht einmal mehr in den unteren Regionen der zweiten Liga.

Manndeckung, Ausputzer? 1990 wurde Deutschland unter Beckenbauer mit einem 5-3-2-1 Weltmeister. Spielt in dieser Form heute kaum einer mehr. Viererkette? Noch Anfang der Neunziger behaupteten fast alle deutschen Experten, diese Art des Spielens passe einfach nicht zu deutschen Spielern.  Gleich so, als sei im deutschen Fußball-Genom das entsprechende Gen aufgrund des Wirkens höherer Mächte einfach nicht aufzufinden. Kennen wir schon (von den Holländern), können wir aber nicht, wollen wir daher nicht. Haben wir noch nie so gemacht und waren doch häufiger im Finale (als die kleinen Nachbarn). Basta.

Dann kam ein damals junger Trainer, Ralf Rangnick, mit dem SSV Ulm und bewies das Gegenteil. Der „Professor“ muss uns nicht den Fußball erklären! Was bildet der sich ein?!, mokierte sich das Establishment. Heute sind auf Kettenbildung basierende Systeme längst eine Selbstverständlichkeit. Mehrere Trainer experimentieren sogar mit Dreierketten in der Abwehr. Darunter anerkannte, weltweit respektierte Trainer wie Guardiola und Löw. Aber Fink, der dies exakt ein Mal beim HSV versuchte, der hatte natürlich, natürlich absolut gar keine Ahnung, meinten wieder einmal die Experten zu wissen.

Berti Vogts hat früh, Mitte der Neunziger, wiederholt darauf hingewiesen, dass der deutsche Fußball im Begriff sei, den Anschluss zu verlieren. Er forderte bereits damals ein radikales Umdenken in der Nachwuchsausbildung. Aber das war ja auch der von Raab besungene kleine Bööördi. Kein Grund zur Sorge. Am Ende kam es bekanntlich, wie es kommen musste: Die Nationalmannschaft flog bei den großen Turnieren frühzeitig nach Hause. Und auch die deutschen Klubs waren kontinental kaum noch konkurrenzfähig. Da haben es dann sogar, fast möchte ich sarkastisch gratulieren, die erzkonservativen Granden des DFB geschnallt. Aber wie immer, wenn traditionelle Vorgehensweisen in Frage gestellt werden, ging dies nicht ohne Reibung und Widerstand. Klinsmann, der sich aus guten Gründen weitgehende Befugnisse und ein handverlesenes Team zusichern ließ, wollte zusätzlich den klugen Bernhard Peters zum Sportdirektor des DFB machen. Uh, ein Hockey-Trainer, das geht gar nicht!, befand das Establishment und drückte damals Sammer durch. Die Wahrheit aus meiner Sicht: die Weltmeisterschaft 2014 ist ohne die damaligen Visionen des zu Unrecht auf ein paar Buddha-Statuen beim FCB reduzierten Klinsmann undenkbar. Allem Hoeneß zum Trotz.

Nicht nur der HSV verschläft Entwicklungen

Dann kam der BvB. Vom fast insolventen Pleiteklub zum deutschen Meister. Läuferisch der damaligen Konkurrenz überlegen, konnte Trainer Jürgen Klopp die Aufgabe der Balleroberung aus dem Bereich traditioneller Abwehrarbeit nach vorne, weg vom eigenen Tor verschieben. Pressingphasen, wie sie der HSV übrigens  zeitweilig bereits vor Jahrzehnten(!) unter Ernst Happel gespielt hatte, konnten dank verbesserter Laufleistungen der Spieler zeitlich deutlich ausgedehnt werden. Inklusive s.g. Pressingfallen, d.h. man ließ den Gegner ganz bewusst in bestimmte Räume eindringen, um dort den Ball zu erobern und die gegnerische Abwehr möglichst in Unordnung zu überraschen. Dass der HSV diese Entwicklung fast komplett verschlafen hat, das kann inzwischen kaum noch verwundern. Taktisch unter Zebec und Happel noch zur nationalen und sogar kontinentalen Spitze zählend, klammert(e) man sich in Hamburg viel zu lange an die ruhmreiche Vergangenheit. Überraschender schon, dass anfänglich selbst die Bayern den Dortmundern kaum Paroli bieten konnten. Dann aber kamen sie mit Macht. Heynckes modifizierte den Ballbesitz-Fußball van Gaal’scher Prägung und moderierte geschickt die internen Dissonanzen. Eine Transferoffensive, in deren Zuge u.a. Manuel Neuer und für schlappe 40 Millionen Euro Javi Martinez verpflichtet wurden, brachte sie zurück an die absolute Spitze (Tripple-Sieger).

Der HSV fristete derweil sportlich mehr oder minder orientierungslos sein Dasein. Mit beinahe beängstigender Regelmäßigkeit wurden neue Konzepte angekündigt. Neues Personal (Trainer, aber auch Sportdirektoren und Leiter des NLZ) verpflichtet und alsbald wieder zum Teufel gejagt. Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln. Wen wundert es da noch, dass manches Konzept schon bald nicht mehr das Papier wert schien, auf dem es skizziert wurde?! Natürlich waren und sind nie alle Mitarbeiter des HSV unfähig gewesen! Dass man trotz dieses erzkonservativen, da rückwärts gewandten Kurses immer wieder auch erfolgreich Talente entwickeln konnte, beweist dies. Im Grunde können einem jedoch alle Mitarbeiter des Clubs leid tun, die unter derartigen Umständen über Jahre bemüht waren, tatsächliche Spitzenleistung zu ermöglichen. Aus Nabelschau und Vergangenheitsverklärung lässt sich eben nur äußerst schwer zeitgemäße Leistung in einem Hochkonkurrenz-Wettbewerb generieren.

Analyse als unverzichtbare Basis der Leistungsentwicklung

Es kann schon gar nicht mehr verwundern, dass Beiersdorfer zum Amtsantritt Knäbels eingestand, er habe gar nicht gewusst, dass man eine s.g. Weltstandsanalyse machen kann. Wie aber will man heute Talente aus der U15 auf die Anforderungen des Fußballs im Jahr 2022 vorbereiten, wenn man gar nicht weiß, wohin die Reise geht? Wenn ich gar nicht analysiere, was diese Talente in einer sich stetig wandelnden Sportart erwartet? Das funktioniert nicht. Das kann nicht optimal funktionieren! Und wir reden hier über Beiersdorfer, nicht über Herrn Hunke, Ertel  oder Jarchow…

Neue Spieler bringen oft beim HSV nicht die Leistung, die sie zuvor bei ihren Vereinen gebracht haben. Weil sie allesamt charakterschwach und saturiert sind, sobald sie beim HSV gelandet sind? Das mag in Einzelfällen zutreffen, ist aber meines Erachtens keine erschöpfende, schlüssige Erklärung.

Leistung im Sport basiert in meinen Augen auf sachkundiger, unsentimentaler Analyse: Wo stehe ich derzeit? Wodurch lässt sich die Spitze in meinem Sport kennzeichnen?  Wie kann ich eine etwaige Differenz zwischen meinem Ist-Zustand und dem Soll-Zustand in realistische, da zu erreichende Einzelschritte (Etappenziele) zerlegen? Systematisches, konzeptionelles Arbeiten ist gefragt, nicht Versuch und Irrtum. Die nicht funktionierenden Strukturen müssen  erkannt, aufgebrochen und zu einem schlüssigen Gesamtkonzept zusammengefügt werden.

Wer, wie der HSV, seit Jahren und Jahrzehnten den eigenen Ansprüchen hinterher läuft, wer serienweise versagt, wenn es um die Wurst geht, der muss sich an die eigene Nase fassen. Der darf nicht die Schiedsrichter, höhere Mächte (Papierkugel) oder einzelne Spieler zum Sündenbock machen. Das ist nur bequem und zu billig.

Fußball ist, das gilt heute mehr denn je, Teamsport. Wie kann man von einer Mannschaft Spitzenleistung erwarten, bei deren Zusammenstellung mal dieser mal jener seine Finger im Spiel hatte? Wie kann ich von einem, zwei oder drei neuen Spielern Spitzenleistung erwarten, wenn das Team als Ganzes nicht funktioniert? Weil die ja (zu) viel Geld verdienen? Mit Verlaub, da spricht doch nur der Sozialneid.

Der einzelne Spieler ist immer auf den Rest seiner Kollegen angewiesen. Selbst Ausnahmekönner wie Maradona, Christiano Ronaldo oder Messi konnten und können durch sehr gut funktionierende Mannschaften neutralisiert werden, wie die Fußball-Historie belegt.

Und dennoch scheint mir ebenfalls richtig: Zwischen rückwärts gewandtem Traditionalismus nebst inzwischen absurd  erscheinendem, überhöhtem Anspruchsdenken, bestand beim HSV zu lange eine Komfortzone, die mindestens nicht leistungsfördernd wenn nicht gar leistungsfeindlich wirkte. Nur ein Beispiel: Frank Rost hat uns seinerzeit vor dem Abstieg bewahrt? – Der darf den Verein nicht  mehr verlassen, hieß es. Ein reiner Reaktionstorwart mit unterentwickelter Spieleröffnung wurde als angeblich unverzichtbar dargestellt. Konnte doch keiner ahnen, dass Manuel Neuer und eine ganz andere Generation von Torhütern (Zieler, ter Steegen, Trapp, Karius und und und) nachrücken würde. Oder etwa doch? Könnte es sein, dass diese neue Generation mitnichten plötzlich vom Himmel fiel? Würde ich nicht der Expertise von Peter Knäbel vertrauen, ich würde befürchten, dass man gerade im Begriff ist, mit Drobny denselben Fehler (wie mit Rost)  zu wiederholen.

Spieler haben in meinen Augen eine Funktion im Team. Diese sollen sie erfüllen (auch dafür werden sie im Fußball nicht zuletzt ganz anständig bezahlt.). Jedem neuen Spieler muss man eine Zeit der Eingewöhnung von einem halben Jahr zu billigen. Schließlich bleiben sie auch als Profis Menschen und sind keine Roboter. Aber spätesten dann muss ich fortlaufend die Entwicklung des Spielers analysieren. Hat er die Erwartungen erfüllt? Besitzt er weiteres Entwicklungspotenzial? Wenn er die Erwartungen nicht erfüllen konnte, bspw. weil er andauernd mit Muskelverletzungen ausfiel, muss zielgerichtet und lösungsorientiert an dem Problem gearbeitet werden. Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Alles muss auf den Prüfstand. Komplette sportmedizinische Analyse, maßgeschneidertes, präventives Training möglich?, Ernährung und Lebenswandel sind zu hinterfragen. Bleibt alles ohne Befund und Wirkung, muss man notfalls den Spieler wieder transferieren. Ende. Das mag für den Spieler hart sein, ist aber Berufsrisiko. Das wissen auch die Spieler. Es gibt keine Garantie für die großen Fleischtöpfe. Allein die Leistung kann den Platz auf Zeit an diesen Töpfen  rechtfertigen. Und Leistung, hier schließt sich der Kreis, muss immer in Relation zu den Konkurrenten bewertet werden. Was heute noch ausreichen mag, kann morgen schon ungenügend erscheinen. Weiter, immer weiter! Nichts ist so alt wie die Erfolge von gestern. Die sind schöne Erinnerungen, helfen aber wenig in der Gegenwart, wie z.B. der BvB gerade erfährt. Das bedeutet aber keineswegs, dass man alles im Falle des Misserfolgs sofort über Bord wirft. Gemeint ist aber wohl: hier gibt es ein Problem, für das in angemessener(!) Zeit eine für das Gesamtkonstrukt passende Lösung gefunden werden muss.

Um zum Ausgangspunkt, den größtenteils überforderten Kapitänen auf der Brücke des HSV zurückzukehren: Ich habe versucht, einige Punkte herauszuarbeiten:

  1. Auch der Fußball verändert sich permanent;
  2. Das jeweilige Establishment reagiert darauf gewöhnlich mindestens mit Skepsis wenn nicht gar unverhohlener Ablehnung;
  3. Eine überprüfbare positive Leistungsentwicklung ist Voraussetzung, um einen Rückstand zu verringern;
  4. Der HSV ist aus diversen Gründen den Erfordernissen des Leistungssports bisher nicht gerecht geworden. Der sportliche Niedergang hat daher hausgemachte Ursachen.

Ich betrachte daher die Veränderungen, die Peters und Knäbel beim HSV vornehmen, als sowohl zwingend notwendig als auch überfällig. Dietmar Beiersdorfer besitzt in meinen Augen in diesem Prozess die durchaus wichtige Aufgabe, all die konservativen Kräfte des Vereins „einzufangen“, die ansonsten, die Art und Weise des Scheiterns von Frank Arnesen beim HSV lässt grüßen, das Ganze früher oder später torpedieren werden. Diese Kräfte sind Klippen, die man nicht ignorieren darf, will man das Schiff am Ende in sichere Gewässer schleppen.

Wenn Peters und/oder Knäbel von „Leitplanken“ sprechen, die einzuziehen seien, wenn von leistungssportgerechten Abläufen und Strukturen die Rede ist, die jetzt, fast dreißig Jahre nach dem letzten Titelgewinn, zu etablieren seien, dann ahnt man, wie inkompetent dieser Verein von seinen bisherigen Kapitänen mehrheitlich geführt wurde. Zugleich ist es ein Armutszeugnis für einen Verein mit diesem Anspruch.

Der große Dampfer HSV liegt unverändert leckgeschlagen auf der Seite. Daran ändert auch die Entscheidung der Mitglieder pro HSVPlus zunächst nichts. Ob die Bergung gelingt, werden erst die nächsten 18 Monate zeigen. Es wird mühsam, so viel scheint sicher. Immerhin verfügt die heutige Besatzung auf der Brücke über das nötige Handwerkszeug. Allein dies erscheint mir für den HSV schon fast revolutionär und gibt Anlass zur leisen Hoffnung. Die Entscheidung für die Ausgliederung bleibt jedoch, ungeachtet gewisser Konstruktions- und Umsetzungsfehler und ungeachtet des Ausgangs der Bergung, richtig. Denn die war zu dem Zeitpunkt längst alternativlos.

Werbung

Deutschland – Portugal 4:0 (3:0)

Ich gestehe, die Vorfreude auf diese WM hielt sich bei mir in Grenzen. Wer sich ein wenig mit den Hintergründen sportlicher Großereignisse, gleich ob sie vom IOC oder der FIFA veranstaltet werden, beschäftigt hat, der wird dieses Unbehagen vielleicht teilen. Längst steht nicht mehr nur der Sport im Fokus, sondern es geht immer auch und vor allem um Politik, Geschäftemacherei und Korruption: Blatter, der wie kaum ein anderer für den desaströsen Zustand der FIFA und ihre höchst zweifelhaften Entscheidungen (Katar) verantwortlich zu machen ist, kündigt trotzig seine erneute Kandidatur als deren Präsident an;  Deutschlands „Lichtgestalt“(?), Franz Beckenbauer, wurde von der FIFA-Ethikkommission in einer vorläufigen Entscheidung für 90 Tage zur persona non grata erklärt, und im Hintergrund kann man gerade das Zerbrechen einer alten DFB-Seilschaft, Zwanziger/Niersbach, bestaunen.

Von den ersten Turnierspielen ist mir am eindringlichsten die Begegnung zwischen Spanien und den Niederlanden (1:5) in Erinnerung geblieben. Beeindruckend, wie dort der Fünfzehnte der FIFA-Rangliste die Nummer eins regelrecht zerlegen konnte. Aber auch wenn die Niederlande zweifellos etabliert und immer zu beachten sind, so war die gestrige Partie zwischen dem dreimaligen Weltmeister Deutschland (Zweiter) und den Portugiesen (Vierter) zumindest auf dem Papier höherwertig anzusiedeln. An dem Offensivpersonal Deutschlands dürften angesichts vielfältiger Alternativen kaum Zweifel bestehen. Gespannt sein durfte man, ob und wie sich die Mannschaft defensiv gegen den zur Zeit vielleicht besten Fußballer der Welt, Christiano Ronaldo, aus der Affäre ziehen würde.

Bundestrainer Löw wählte eine eher defensive Variante in der Abwehr und verzichtete auf offensive(re) Außenverteidiger. Im Einzelnen vetraute er der folgenden Aufstellung: Neuer – Boateng, Mertesacker , Hummels (73. Mustafi), Höwedes – Lahm, Khedira – Özil (63. Schürrle), Kroos, Götze – Müller (82. Podolski)

Spielbericht: Zunächst schien es, als sei Portugal der erwartet schwere Gegner. In der vierten Minute prüfte der aus der Bundesliga bestens bekannte Hugo Almeida erstmals Manuel Neuer im deutschen Tor, doch dieser hatte mit dem Schuss keine nennenswerte Mühe. Drei Minuten später kam dann Christiano Ronaldo (CR7) aus halblinker Position und ca. 7 Metern zum Abschluss (7.), was deutlich gefährlicher wirkte. Es sollte jedoch seine einzige echte Torchance aus dem Spiel heraus bleiben. Praktisch im Gegenzug die erste Chance für Deutschland: Khedira setzte einen Fernschuss knapp neben dem linken Pfosten der Portugiesen ins Toraus (8.).

In der 10. Minute kombinierte sich die deutsche Mannschaft in den Strafraum des Gegners. Der Ball kam zu Götze. Dieser wurde im Zweikampf von seinem Gegenspieler klar mit der Hand gehalten und umgerissen. Schiedsrichter Mazic erkannte auf Foulspiel und entschied folgerichtig auf Strafstoß für Deutschland. Müller versuchte Rui Patricio im Gehäuse der Portugiesen zu verladen, doch dieser sprang in die vom Schützen aus gesehene richtige, linke Ecke. Zum Glück für Deutschland war Müllers Schuss zu hart und zu präzise, sodass Patricio den flach geschossenen Ball nicht erreichen konnte. Das 1:0 (11.).

In den folgenden zwanzig Minuten verlief das Spiel relativ ausgeglichen. Bereits jetzt war erkennbar, dass die Deutsche Nationalmannschaft aufgrund der hohen Temperaturen vor Ort um Effizienz in ihrem Spiel bemüht war. Kein permanentes, kräfteraubendes Offensivpressing, kein langes, aufwendiges s.g. Possesion Play, sondern sie war erkennbar um schnelles, überfallartiges Umschaltspiel bemüht.

Die 31. Minute sah zunächst eine schöne Kombination zwischen Kroos und Özil im Strafraum des Gegners, an derem Ende der Schussversuch von Kroos zur Ecke für Deutschland geblockt wurde. Der nachfolgende Eckstoß von Toni Kroos (von der rechten Seite) fand den Kopf von Hummels. Das beruhigende 2:0 (32.) aus deutscher Sicht.

Nur fünf Minuten später war das Spiel im Grunde entschieden. Pepe traf im Zweikampf um den Ball Müller mit der Hand im Gesicht. Ganz sicher keine Absicht des Portugiesen, aber eben doch ein klares Foul. Müller ging zu Boden und Pepe, der sich keiner Schuld bewusst schien, beugte sich mit dem Kopf tief zu dem auf dem Rasen sitzenden Müller hinunter, um dem vermeintlichen Simulanten „die Meinung zu geigen“. Dabei kam es zu einer leichten Berührung beider Köpfe. Das Schiedsrichtergespann wertete dies wohl als versuchte Tätlichkeit (Kopfstoß) des Portugiesen, da dieser die Bewegung ausgeführt hatte. Konsequenz: Feldverweis für Pepe, und Portugal nicht nur mit zwei Toren im Rückstand, sondern nun auch noch mit einem Mann weniger.

In der Nachspielzeit der ersten Hälfte passte Kroos ins Zentrum des gegnerischen Strafraums. Dort wurde der Ball von einem Verteidiger abgefangen. Dessen versuchter Befreiungschlag wurde vom unmittelbar vor ihm im Strafraum positionierten Müller geistesgegenwärtig geblockt und nachfolgend im Tor der Portugiesen versenkt. Das 3:0 (45+1.)

Mit der deutlichen Führung für die Deutsche Mannschaft und der personellen Unterzahl der Portugiesen war die Ausgangslage für die zweite Spielhälfte klar: Für Portugal galt es, eine Debakel zu vermeiden. Deutschland konnte vor allem  auf Ergebnissicherung spielen und Kräfte sparen.

In der 51. Minute scheiterte Özil mit einem Schuss zunächst am Torwart der Portugiesen. Den Abpraller setzte Müller über das Tor.

Da die Deutsche Nationalmannschaft gerade im Offensivbereich einige Alternativen (auf der Bank) zu bieten hat, entschloss sich Jogi Löw, den etwas farblos agierenden Özil auszuwechseln. Für ihn kam Schürrle, der fortan die rechte offensive Außenbahn bespielte. Schürrle lieferte eine engagierte Leistung. Bereits in der 69. Minute setzte er sich auf dem rechten Flügel durch und passte genau auf den zentral im Strafraum des Gegners lauernden Götze, dessen Schuss jedoch von der Verteidigung geblockt werden konnte. Was für eine Chance!

In der 73. Minute wurde Löw dann zum Wechseln gezwungen, da Hummels einen Schlag auf den Oberschenkel bekommen hatte und nicht mehr weiterspielen konnte. Für Hummels kam der junge Mustafi. Boateng rückte von der rechten Außenverteidigerposition nach innen und ersetzte Hummels. Mustafi übernahm die defensive rechte Außenbahn. Auch dieser Wechsel ändert nichts daran, dass Portugals CR7 praktisch nie zur Entfaltung kam.

Fünf Minuten später war es erneut Schürrle, der von rechtsaußen wunderbar genau und mit Druck nach innen passte. Patricio im Tor der Portugiesen konnte den Pass liegend nur mit einer Hand abklatschen. Der Ball fiel im Fünfmeterraum Müller vor die Füße, der sich erneut als äußerst reaktionschnell erwies und keine Mühe hatte, aus drei Metern abzustauben. Das 4:0 für Deutschland (78.).

Die Nachspielzeit sah noch einen fulminanten Schuss von Christiano Ronaldo (90+2.) aus gut und gerne dreißig Metern, den Neuer jedoch letztlich sicher parieren konnte.

Schiedsrichter: Milorad Mazic (Serbien). Insgesamt ordentliche Spielleitung. Die rote Karte für Pepe war vertretbar, jedoch war das Spiel durch diese Schiedsrichterentscheidung im Grunde (vor)entschieden. Gelegentlich mit unglücklichen Laufwegen.

Fazit: Manchen Unkenrufen im Vorfeld zum Trotz zeigte die deutsche Mannschaft eine reife Leistung. Angesichts der hohen Temperaturen vor Ort fand sie eine gute Balance zwischen abwartender, defensiver Stabilität, Ballbesitz-Fußball, gelegentlichem Offensivpressing und vor allem schnellem Umschaltspiel. Nach dem dritten Gegentreffer und dem Platzverweis ging es für die Portugiesen nur noch um Schadensbegrenzung. Das deutsche Team konnte sich in der zweiten Spielhälfte im Wesentlichen auf die Sicherung des Vorsprungs konzentrieren, blieb aber jederzeit torgefährlich, ohne an die absolute Leistungsgrenze gehen zu müssen. So konnten wichtige Kräfte für die folgenden Aufgaben gespart werden. Das 4:0 ist in jeder Hinsicht (Höhe des Ergebnisses, zu null) ein traumhafter Einstand in das Turnier, der zunächst einmal ein beruhigendes Polster für die Endabrechnung nach der Vorrunde darstellt.

Neben dem dreifachen Torschützen und „Man of the Match, Thomas Müller, stach Boateng heraus, der mit Unterstützung seiner Kollegen (Lahm) Portugals CR7 fast vollkommen aus dem Spiel nehmen konnte. Christiano Ronaldo trat fast nur bei seinen Standards in Erscheinung.

Ebenfalls erfreulich: Der zuletzt angeschlagene Neuer wirkte fit. Und Khedira kommt immer besser in Form.  Er sorgte als Pendant von Lahm auf der Doppelsechs nicht nur für defensive Stabilität, sondern trat mehrfach auch offensiv in Erscheinung. Da auf der deutschen Bank u.a. noch ein Hochkaräter wie Schweinsteiger auf seine Einsätze wartet, gehe ich davon aus, dass in den folgenden Begegnungen auch die defensiven Außenbahnen vermutlich anders besetzt werden. So könnte Lahm aufgrund der Verletzung von Hummels den rechten Außenverteidiger geben. Boateng würde dann die freie Innenverteidiger-Position einnehmen und Schweinsteiger käme als zweiter Sechser zurück in die Startaufstellung. Die Deutsche Nationalmannschaft  hat, das scheint mir eine ganz wichtige Erkenntnis des gestrigen Spiels, auch defensiv funktionierende Alternativen, keinesweg nur offensiv. Allerdings war nicht nur das Spiel aufgrund der Torfolge relativ frühzeitig entschieden, sondern der Gegner spielte über weite Strecken in Unterzahl. Zudem musste er im weiteren Verlauf auch noch den Ausfall eines weiteren, wichtigen Spielers, Coentrao, verkraften. Die deutsche Abwehr wurde daher in der zweiten Spielhälfte kaum noch gefordert. Bei aller Freude bleibt also abzuwarten, wie sich die Mannschaft gegen andere Gegner aus der Affäre ziehen wird. Schon der kommende Gegner, Ghana, könnte der deutschen Abwehr größere Probleme bereiten.