Deutschland gegen Argentinien – zum insgesamt dritten Mal nach 1986 und 1990 bestritten die Mannschaften beider Länder ein Finale um die Fußball-Weltmeisterschaft.
Geblendet von einem in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Spiel der deutschen Elf gegen den diesjährigen WM-Gastgeber Brasilien, konnte man im Vorfeld des Finales den Eindruck gewinnen, als sei das Endspiel eine reine Formalie, an deren Ende es nur einen Gewinner geben könne: die deutsche Mannschaft.
Ich gebe zu, je klarer und eindeutiger die Vorhersagen in „‚Schland“ ausfielen, desto skeptischer blickte ich dem Finale entgegen. Denn es gibt einen schmalen Grat zwischen begründeter Zuversicht und einem überzogenen Optimismus, der den Erfolg als im Grunde selbstverständlich betrachtet. Bisweilen schien es mir, als würde mancher hierzulande das Fell des Bären bereits verteilen, den man noch gar nicht erlegt hatte. Ich ertappte mich daher schon bei der Frage, wen man wohl im Falle einer Niederlage als Sündenbock für die enttäuschte Erwartungshaltung einer ganzen Nation ausgucken würde. Nur gut, dass Löw, Schweinsteiger und Lahm im Vorfeld der Partie darauf hinwiesen, dass der eigene, furios herausgespielte Sieg im Halbfinale gegen den Gastgeber Brasilien als Muster ohne Wert zu sehen war. Dieses Spiel ist bekanntlich in jeder Hinsicht absolut außergewöhnlich verlaufen. Man durfte daher mit begründeter Zuversicht auf den Gewinn des Titels in das Finale gehen, aber Respekt vor dem Gegner dort, Argentinien, war absolut angebracht. Die Papierform nützt einem gar nichts, wenn man das eigene Leistungsvermögen nicht auf den Platz bringt. Und das, erfahrene Wettkampfsportler wissen das, gelingt eben nicht immer.
Bundestrainer Löw hatte offenbar ursprünglich die Absicht, mit derselben Mannschaft gegen die Albiceleste anzutreten , die bereits im Viertel- und im Halbfinale aufgelaufen war. Doch nach dem Aufwärmen meldete Khedira eine Verhärtung der Wadenmuskulatur, sodass Löw kurzfristig den jungen Kramer für die Startelf nominierte. Was für eine Karriere! Als Ersatz des Ersatzes (Gündogan und die Benders fielen ja aus) im letzen Moment in den Kader gerutscht und dann ein Einsatz von Beginn an in einem WM-Finale. Ich gebe zu, den Ausfall Khediras sah ich im Vorfeld als deutliche Schwächung der deutschen Mannschaft. Aber, dies sei hier vorweggenommen, Kramer machte seine Sache gut.
Das deutsche Team begann also in der folgenden Aufstellung: Neuer – Lahm, Boateng, Hummels, Höwedes – Schweinsteiger, Kramer (31. Schürrle), Müller, Kroos, Özil (120. Mertesacker) – Klose (88. Götze)
Auf Seiten Argentiniens konnte Trainer Sabella fast aus dem Vollen schöpfen. Lediglich di Maria stand wie erwartet nicht zur Verfügung.
Das Spiel: Die deutsche Mannschaft begann das Spiel mit einer ähnlichen Ausrichtung, wie bereits gegen Brasilien. Schweinsteiger agierte bei eigenem Ballbesitz im Zentrum als defensivster Mittelfeldspieler, während Kroos und Kramer deutlich offensiver spielten und die eigene Offensive unterstützten. Die Albiceleste stand bei Ballbesitz der Deutschen mit zwei gut organisierten Viererketten z.T. tief in der eigenen Hälfte und lauerte dort auf Konter. Aus taktischer Sicht könnte man also von einem 4-3-3/4-2-3-1 der Deutschen gegen ein 4-4-2/-4-4-1-1 der Argentinier sprechen.
Es entwickelte sich eine hart umkämpfte Partie. Die Argentinier überließen Deutschland über weite Strecken die Spielgestaltung. Sie vertrauten einerseits auf ihre von Mascherano gut organisierte Defensive, andererseits auf die Fähigkeiten ihres Ausnahmespielers Messi in der Offensive.
Die deutsche Mannschaft rückte bei eigenem Ballbesitz weit nach vorn, was aber auch an der grundsätzlich defensiven Grundausrichtung der Argentinier lag.
Auch wenn Messi, das darf man getrost vorwegnehmen, am Ende kein Tor erzielte, so konnte man u.a. in der 8. Spielminute sehen, über welche außergewöhnlichen Fähigkeiten Messi verfügt. Selbst mit Ball war er von dem gewiss nicht langsamen Hummels auf der rechten Außenbahn kaum einzuholen. Als Hummels glaubte, er habe ihn gestellt, beschleunigte Messi plötzlich erneut und zog mühelos an Hummels vorbei. Zum Glück für die deutsche Elf fand sein folgender diagonaler Rückpass keinen Abnehmer.
Deutschland zeigte in meinen Augen spielerisch den größeren Variantenreichtum, konnte sich jedoch lange Zeit nicht im entscheidenden letzten Drittel durchsetzen, da der letzte Pass von der engmaschigen argentinischen Verteidigung meist abgefangen wurde. Wie im Grunde angesichts der Bedeutung der Partie nicht anders zu erwarten, gingen beide Mannschaften in der Defensive kompromisslos zur Sache.
In der 16. Minute erwischte es den bis zu diesem Zeitpunkt erfreulich selbstbewusst spielenden Kramer, der von zwei Argentiniern in die Zange genommen wurde und dabei von der Schulter eines Kontrahenten am Kopf getroffen wurde. Zunächst schien es, als könne er weiterspielen.
Bei Ballverlust der deutschen Elf sollte wohl vor allem Kroos Schweinsteiger im defensiven Mittelfeld unterstützen. In der 21. Spielminute wäre das beinahe ins Auge gegangen. Kroos wollte einen hohen Ball offenbar zu Neuer zurückköpfen, übersah aber den grundsätzlich im Abseits befindlichen Higuain. Da aber der Ball vom Gegner kam, stand der argentinische Angreifer eben nicht im Abseits, sondern erhielt so eine erstklassige Vorlage. Higuain vergab jedoch diese große Chance zur Führung überhastet. Mir schien auch bei den folgenden Torchancen der Albiceleste, dass die Argentinier aus Respekt vor dem eindeutig besten Torhüter des Turniers, Manuel Neuer, es besonders genau machen wollten. Dabei ging ihnen jene Selbstverständlichkeit verloren, mit denen man am ehesten Torchancen nutzt. Nicht umsonst heißt es, ein Stürmer solle vor dem Torschuss nicht denken.
Interessant fand ich, dass immer wieder ein oder mehrere Argentinier aus der offensiveren Viererkette herausschoben, um insbesondere die deutschen Kreativspieler, Schweinsteiger, Kroos und Özil aggressiv anzulaufen und bei der Entwicklung des deutschen Spiels zu stören. Das erinnerte an das taktische Konzept der Algerier, die der deutschen Mannschaft bekanntlich erhebliche Mühe bereitet hatten.
In der 31. Minute musste Kramer dann doch mit Verdacht auf Gehirnerschütterung vom Feld genommen werden. Löw wechselte wohl auch aufgrund der erkennbar defensiven Ausrichtung der Albiceleste offensiv und brachte Schürrle. Dieser besetzte zunächst die linke offensive Außenbahn, während Özil nun vermehrt von dort ins offensive Zentrum rückte.
Zeitweilig konnte man den Eindruck gewinnen, als verlöre die deutsche Elf aufgrund des Defensivkonzepts der Argentinier und auch aufgrund der erneuten Umstellung die Kontrolle über das Spiel. Die Deutschen spielten gefälliger, die Südamerikaner wirkten jedoch torgefährlicher.
Wer im Vorfeld der Partie lediglich über die Höhe eines deutschen Sieges spekuliert hatte, der sah sich gegen Ende der ersten Halbzeit (hoffentlich) eines besseren belehrt. Die Albiceleste war ein über weite Strecken des Spiels ebenbürtiger Gegner.
In der Nachspielzeit (45+2.) hatte Deutschland seine beste Torchance. Nach einem Eckball von Kroos traf Höwedes jedoch per Kopf leider nur den rechten Pfosten. So ging es mit einem torlosen Unentschieden in die Pause.
Kurz nach Wiederanpfiff vergab Messi eine weitere große Torchance für Argentinien. Aus halblinker Position und 8 Metern wollte auch er es zu genau machen und verfehlte das lange Eck. Aber auch wenn Messi kein Tor gelingen sollte, so bleibt hier festzuhalten, dass er mindestens im Vergleich mit seinem Widersacher aus Portugal, Christiano Ronaldo, deutlich mehr Akzente setzen konnte.
Die Begegnung wurde mit zunehmender Spieldauer ruppiger. Argentinien suchte nach Balleroberung immer wieder Messi, aber vor allem Boateng erwies sich in der deutschen Defensive als Fels in der Brandung. Sein Partner, Hummels, wirkte bereits gegen Ende der regulären Spielzeit als sei er mit seinen Kräften am Ende. Er stand oft als letzter Mann vor Neuer und beschränkte sich zunehmend auf das Nötigste, während vor allem Boateng durch seine Schnelligkeit glänzte und viele Duelle gegen die Argentinier für sich entschied. Für mich das beste Spiel, das ich von dem m.E. oft zu Unrecht als Bruder Leichtfuß bezeichneten Boateng im Trikot der Nationalmannschaft bisher gesehen habe. Bravo, Jérôme!
In der 82. Minute zeigte Özil einmal mehr, warum der Bundestrainer unbeirrt an ihm festgehalten hat. Von der rechten Außenbahn kommend lief er zur Grundlinie und legte den Ball diagonal gewollt(!) zu dem an der Strafraumgrenze aufgetauchten Kroos zurück. Leider verfehlte dessen Schuss das von Romero gehütete Gehäuse der Argentinier.
So blieb es auch nach Ablauf der regulären Spielzeit beim Unentschieden. Kurz zuvor verließ Klose das Feld und wurde von Götze ersetzt.
Spätestens mit Beginn der Verlängerung und schwindenden Kräften auf beiden Seiten wurden die Zweikämpfe noch hitziger. Beide Mannschaften glichen zwei angeschlagenen Boxern, die sich mit äußerster Entschlossenheit einen Abnutzungskampf lieferten. Schweinsteiger bekam dies auf deutscher Seite am deutlichsten zu spüren, erwies sich jedoch als wirklicher Führungsspieler. Wer ihn je als „Chefchen“ verspottet hat, der sollte spätestens nach diesem Spiel Abbitte leisten. Großartig, wie er sich nach jedem Foul immer wieder aufrappelte und seine Mannschaft dirigierte. Zu hören und zu sehen auch bei den kurzen Pausen vor und während der Verlängerung.
In der 7. Minute der Verlängerung verschätzte sich Hummels bei einem hohen Ball der Argentinier. So kam der in seinem Rücken lauernde Palacio an den Ball. Doch wieder einmal kam Neuer aus dem Tor, verkürzte den Winkel und machte sich groß, sodass es Palacio mit einem Heber versuchte, der knapp links das deutsche Tor verfehlte.
Die das Spiel entscheidende Szene ereignete sich in der 113. Minute: Der unermüdliche Schürrle konnte sich auf der linken Außenbahn durchsetzen. Seine halbhohe Flanke erreichte Götze. Dieser nahm den Ball im Lauf mit der Brust an und vollstreckte volley zum 1:0 für Deutschland. Ich gebe zu, dass ich gerade Götze diesen Treffer gegönnt habe. Denn was man in den vergangenen Tagen und Wochen an Schmähkritik über ihn (und Özil) lesen musste, hatte in meinen Augen mit einer sachgerechten Kritik zunehmend nichts mehr zu tun. Sicher hat Götze bei dieser Weltmeisterschaft nicht seine Bestform erreicht. Er ist und bleibt aber ein Spieler mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, wie man es gerade auch bei diesem Tor beobachten konnte. Einige heutige Kommentatoren sollten sich mal an den Rumpelfußball der Vor-Deisler-Ära erinnern. Vielleicht können sie dann die überragende Technik und den Spielwitz würdigen, den Spieler wie Kroos, Özil und Götze regelmäßig zeigen.
Obwohl die Albiceleste versuchte, doch noch den Ausgleich zu erreichen, konnte sie die deutsche Mannschaft in der verbleibenden Restspielzeit kaum noch ernsthaft in Verlegenheit bringen. Am Ende pfiff Schiedsrichter Rizzoli ein packendes Duell zweier Mannschaften ab, die beide zurecht im Finale standen.
Schiedsrichter: Nicola Rizzoli (Italien). Ließ das Spiel laufen und war erkennbar darum bemüht, die Gemüter zu beruhigen. Einige grobe Fehlentscheidungen (u.a. keine Verwarnung nach eindeutigen taktischen Fouls; keine Verwarnung nach Einsatz der Arme im Luftkampf). Für mich nach seinen bisherigen Leistungen im Turnier keinesfalls der beste Schiedsrichter des Turniers. Zeigte die schwächste Leistung aller Akteure auf dem Platz.
Fazit: Die deutsche Auswahl gewinnt als erste europäische Mannschaft überhaupt den Weltmeistertitel auf einem anderen Kontinent. Der Brasilianer Ronaldo kommentierte sinngemäß für das brasilianische Fernsehen, die Deutschen hätten vorgeführt, dass man ein Team haben müsse und sich nicht (nur) auf Einzelkönner beschränken dürfe. Das scheint mir absolut korrekt. Die deutsche Mannschaft hatte die beste, ausgeglichenste Mischung aus überragendem Können des Einzelnen und hervorragendem Teamgeist. Der verdiente Lohn ist nun der lang ersehnte vierte Stern. Herzlichen Glückwunsch!
Respekt auch vor der Albiceleste, die der deutschen Auswahl alles abverlangte. Eine tolle Leistung, die den deutschen Sieg noch wertvoller erscheinen lässt.
Um diesen großartigen Erfolg angemessen würdigen zu können, sollte man sich an die Zeit vor Klinsmann und Löw erinnern. Der deutsche Fußball war ausweislich seines vorzeitigen Ausscheidens bei Turnieren (aber auch des Abschneidens seiner Mannschaften in der CL) damals nicht mehr konkurrenzfähig. Dank der Visionen und der Kompromisslosigkeit Klinsmanns und der ebenso akribischen, nicht minder unbeirrten Arbeit Löws, konnte der Rückstand inzwischen nicht nur wettgemacht werden, sondern diese Mannschaft konnte diese Arbeit sogar mit dem Titel krönen.
Löw hat, allen Kritikern zum Trotz, an seinem Plan festgehalten. Seine Idee mit Lahm auf der Sechs war angesichts der zu Beginn des Turniers mangelnden Fitness von Khedira und Schweinsteiger ebenso richtig, wie es die spätere Versetzung Lahms auf die Position des rechten Außenverteidigers gewesen ist. Vergessen wir nicht, dass mit Reus, Gündogan, den beiden Benders aber auch Badstuber Spieler ausfielen, die bei normalem Verlauf Kandidaten für die Stammelf gewesen wären. Vergessen wir nicht, dass im Vorfeld einige wichtige Spieler lange mit Verletzungen ausfielen. Der Titelgewinn wurde diesem Trainer keineswegs geschenkt. Letztlich hat sich auch die (überwiegende) Besetzung der Abwehr mit gelernten Innenverteidigern als richtig erwiesen. Was einem Höwedes spielerisch an offensivem Möglichkeiten abgehen mag, machte er bei den bei dieser WM enorm wichtigen Standards wieder wett.
Diese ganze deutsche Delegation hat nicht nur spielerisch überzeugt, sondern durch ihr angenehm zurückhaltendes, zuweilen gar demütiges öffentliches Auftreten sicher nicht nur Respekt sondern auch viele Sympathien in der Welt gewonnen. Auch dazu kann man nur gratulieren.
Im Hinblick auf die kommenden Jahre wird keiner, auch das empfinde ich als außerordentlich wohltuend, von einer angeblichen Unbesiegbarkeit des Teams firlefranzen. Dennoch muss einem im Hinblick auf die Zukunft, ich erwähnte ja bereits einige Spieler, die leider nicht zur Verfügung standen, nicht bange sein. Weiter Talente rücken zudem nach. Nur einer wie Klose, der ist derzeit noch nicht in Sicht. Aber wer weiß – möglicherweise entwickelt sich zukünftig auch beim HSV der eine oder andere Spieler.
An der Generation Lahm/Schweinsteiger wurde lange in Deutschland gezweifelt. Nach einem rein deutschen CL-Finale im letzten Jahr und dem Gewinn dieser Weltmeisterschaft sollte nun endgültig feststehen, dass Deutschland über diese goldene Generation froh und auf sie stolz sein darf.
Ein sehr guter Blog.
Ich ahnte schon lange vot Spielbeginn, dass es sehr schwer werden würde und habe mich daher sehr über die Vorberichterstattung von Presse, Rundfunk und fersehen geärgert. Es hat mich leider auch sehr stark an die Aussagen von Trainern und anderen Funktionsträgern in der letzten Saison des HSV erinnert. Keiner muss durch die Gegend laufen und ständig von verlorenen Spielen faseln, aber dieses ständige Pfeiffen im Wald hat mich rasend gemacht.
Zum Glück waren Spieler und Troß der N11 erheblich klüger.
Ach ja, bevor ich es vergesse, es hat mich schon gefreut als die deutschen Zuschauer Özil ihre Referenz erwiesen. Ich denke, das hat ihm gut getan und er hate es auch verdient. Endlich war er nicht nur an eine Seites des Platzes gebunden, war vorne und hinten und hat eine Reihe sehr guter Pässe geschlagen.
Wenn ich dann lese, wie toll Lahm, gemäß Presse, gewesen sein soll, der m.E. seine Abwehraufgaben sträflich vernachlässigt hat und damit die restliche Abwehr immer wieder in Schwierigkeiten brachte, frage ich mich, ob die Vereinszugehörigkeit die Art der Kritik mitbestimmt.
Toller Blog und treffende Analyse des Spiels! Dem kann ich im Kern nicht viel hinzufügen, daher nur ein paar lose weitere Gedanken …
Es war ein hochklassiges, würdiges Finale mit zwei ebenbürtigen Mannschaften, das spannend bis zuletzt blieb. Letztlich hat m.E. diejenige Mannschaft „verdient“ gewonnen, die das Turnier über alle Spiele gesehen mehr geprägt und die Zuschauer mehr begeistert hat als die andere. !8 Tore auf der einen Seite durch 8 verschiedene Spieler (Müller 5, Schürrle 3, Klose 2, Götze 2, Kroos 2, Hummels 2, Özil 1, Khedira 1) ggü. 8, an deren 7 Messi unmittelbar beteiligt war, sprechen aus Zuschauersicht für sich. Es war damit letztlich auch ein Sieg des Kollektivs über den Einzelkönner, wenngleich die Argentinier durchaus auch kollektiv ihren Star unterstützt haben.
Die Einwechslung von Schürrle für Kramer fand ich ein mutiges, richtiges Zeichen von Löw, daß man gewillt war, es besser als die Niederländer im Spiel zuvor zu machen und das – möglichst – kontrollierte Risiko zu gehen gewillt war, dessen es offensichtlich bedurfte, um die argentinische Defensive „zu knacken“.
Argentinien hatte zwar in den vorhergehenden Spielen des Turniers seine mögliche Stärke angedeutet, sie aber erst in dieser Partie auch „auf den Platz gebracht“. Nach meinem Eindruck haben sie die deutsche Mannschaft sehr gut studiert und sich einiges einfallen lassen, um sie gezielt zu schwächen. Immer wieder haben sie versucht, das deutsche Spiel auf die Flügel zu lenken. In der 2. Halbzeit mit der Umstellung auf eine Raute im Mittelfeld noch besser als in der 1. Halbzeit.
Und mir ist u.a. auch aufgefallen, daß speziell Özil den Ball nicht länger als 1-2 Sekunden halten konnte, ohne von mind. 2, oft sogar von 3 Spielern eingekreist zu werden. Offensichtlich wollte man seine kreativen Pässe gar nicht erst entstehen lassen. Daß er trotzdem noch eine ganze Reihe von Angriffsaktionen einleiten konnte, die leider allesamt nicht fruchteten, und auch sehr engagiert nach hinten arbeitete, rechne ich ihm hoch an.
Schweinsteiger war gestern wirklich der „Krieger“ und spielte nach meinem Eindruck eine zentrale Rolle für die „Siegermentalität“ („ganz nebenbei“ hatte er zuallererst immer Messi im Blick). Boateng war für mich DER überragende Mann auf dem Feld. Sehe es genauso wie Du, daß das sein wohl bestes Spiel für N11 überhaupt war. Vor allem, als immer deutlicher wurde, daß er an diesem Tag für Hummels mit arbeiten mußte. Kramer hätte ich sehr gern länger gesehen, aber zum Glück fängt er erst an. Kroos war zwar unauffälliger als sonst, was auch an seiner ungewohnten Rolle lag, hatte auch diesen einen Aussetzer, war aber ansonsten wieder einmal spitze in Anzahl der Ballberührungen und Paßgenauigkeit.
Anders als oldiehamburg habe ich auch Lahm stark gesehen, wenn auch nicht überragend. Er hat zwar wirklich die Defensive zu Gunsten der Offensve „vernachlässigt“; das schien mir aber von Löw geplant zu sein, der mit ihm über die rechte Seite angreifen lassen wollte. M.E. war das einerseitsTeil des kontrollierten Risikos und andererseits sollte so auch Rojo hinten gebunden werden, der sich in den Spielen zuvor eher als Zabaleta auf der anderen Seite in das Offensivspiel eingebracht hatte. Zugleich war auch in den Spielen zuvor Argentinien überwiegend über deren rechte Seite, also die linke deutsche, gefährlich geworden.
Schürrle verhält sich m.E. taktisch nicht immer optimal, ist aber mit seiner Energie und seinem Zug zum Tor stets ein irritierender Unruheherd für den Gegner. Im Nachhinein kein Wunder, daß er dann schließlich auch die Flanke vor’s Tor brachte, die Götze nicht nur „unsterblich“ macht(e) sondern ihm auch die WM „rettete“, die für ihn persönlich ein Flop zu werden drohte. Sein Tor war diesem Finale mehr als würdig, und ich habe mich für ihn, das Spiel und das Turnier sehr gefreut.
Und welcher Superlativ soll einem zu Neuer noch einfallen, wenn selbst der ehrenvolle Menotti ihn für den besten Torhüter „der Geschichte“ hält, und letzteres sogar noch einmal betont. Er hat sich bereits jetzt einen Nimbus erarbeitet, der die gegnerischen Stürmer m.E. zwar nicht „ängstigt“, wie Tom Bartels gestern mehrfach mutmaßte, aber zwingt, den Ball möglichst optimal zu spielen. Gestern führte dies dazu, daß in 2 Stunden buchstäblich KEIN einziger Ball auf’s Tor ging. Muß man sich einmal vorstellen; und das, obwohl, wie Du richtig schreibst, die Argentinier über lange Strecken die „torgefährlichere“ Mannschaft war.
Sehr gut finde ich Dein Bild mit den angeschlagenen Boxern und dem Abnutzungskampf in Richtung Verlängerung. So wirkte es auch auf mich, und in diesem Kontext ist erneut Schweinsteiger hervorzuheben, dessen „Nehmerqualitäten“ gestern bewundernswert waren.
Kurzum: Ein bemerkenswertes Turnier hat schließlich einen würdigen Sieger hervorgebracht. Und (fast) das Schönste dabei ist, daß das weltweit nahezu einhellig so gesehen wird!
P.S.: Dir vielen Dank für die tollen Analysen der deutschen Spiele!
@oldiehamburg; detzer ’72
Vielen Dank für eure Rückmeldungen. Freut mich sehr, wenn es gefällt. Aber noch wichtiger ist mir, dass ihr euch so oft die Mühe macht, mir ein Feedback zu geben.
Was Lahm angeht, so neige auch ich zu der Auffassung, dass die defensiven Lücken auf seiner Seite ein Stück weit billigend in Kauf genommen worden sind. Lahm ist so unerhört ballsicher, seine Ballführung so extrem eng, dass er immer eine (zusätzliche) Option im Offensivspiel gerade gegen Mannschaften ist, die die Räume extrem verengen. Er kann aber nicht zeitgleich vorne UND hinten sein. Mit Boateng stand ihm räumlich zudem der mutmaßlich schnellste Innenverteidiger zur Seite und konnte als Absicherung dienen. Dass auf den Außen ein Gegenspieler kurzfristig frei steht, lässt sich grundsätzlich ohnehin nie verhindern (wenn die Ketten in Richtung Ball verschieben und dann der Flankenwechsel durch den Gegner folgt). Von außen hat der Gegner aber immer den längeren Weg zum Tor und nebenbei den schlechteren Abschlusswinkel. Entscheidend ist, dass jemand (im Finale Boateng) dann schnell genug herausrückt und den Mann stellt, damit die Zeit gewonnen wird, die man braucht, um zur defensiven Grundordnung zurückzukehren.
Tatsächlich ist es, wie von Löw angekündigt, mit der Vielzahl der Innenverteidiger gelungen, das Zentrum meist zu schließen. Wenn die Gegner (nicht nur im Finale) überhaupt zum Abschluss kamen, dann eben oft auch aus ungünstigen Winkeln. Als mitfiebernder Fan schnellt da dennoch der Puls hoch. Nüchtern betrachtet und berücksichtigend, dass der mit Abstand weltbeste Torhüter ja auch noch mitspielte, war vieles ungefährlicher, als man bei der ersten Betrachtung spontan dachte.
In meiner Erinnerung hatte Argentinien zentral nur zwei wirklich große Chancen (Higuain; Palacio). Eine davon resultierte aus einem Aussetzer (indiv. Fehler) von Kroos, die andere aus einem Stellungsfehler von Hummels.