Stöger

Auf den Freudenrausch folgt die Katerstimmung. HSV – 1. FC Köln 0:2 (0:0)

Ach, es hätte ja auch zu schön werden können! Erst holt man den Publikumsliebling Olic zurück, dann gelingt ein Auftaktsieg gegen den 1. FC Köln. Resultat: Friede, Freude, Eierkuchen. Tja, hätte, hätte, Fahrradkette. Stattdessen dominiert nun das Gefühl maßloser Enttäuschung, und die üblichen Verdächtigen rund um den HSV üben sich in dem, was sie ohnehin am besten zu können scheinen: Sündenböcke finden. Je nach Gusto ist Trainer Zinnbauer an der Niederlage schuld, da er angeblich völlig falsch gewechselt hat, der Sportdirektor, weil er in der Winterpause keine „Granaten“ an Land gezogen hat, Dietmar Beiersdorfer, weil er die Verantwortung für das große Ganze trägt, oder man wünscht diversen Spielern mit sofortiger Wirkung den Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand.

Ich gebe zu, auch ich habe mich auf das Spiel gegen den  FC gefreut, allerdings wich meine Vorfreude zunehmender Skepsis als ich Prognosen las und hörte, in denen nur über die Höhe eines Sieges spekuliert wurde. Ein knapper 1:0-Erfolg gegen eine der besten Auswärtsmannschaften der Liga hätte mir gereicht. Selbst bei einem einfachen Punktgewinn wäre ich je nach Spielverlauf angesichts der komplizierten personellen Ausgangslage zufrieden gewesen.

Lasogga, Nicolai Müller, Beister, Rudnevs und nun noch Olic – auf dem Papier lesen sich die Namen des Hamburger Offensivpersonals gewiss nicht schlecht. In der grauen Realität jedoch hat Lasogga bekanntlich die Rückrundenvorbereitung mit der Mannschaft wieder einmal verletzungsbedingt komplett verpasst. Müller war ebenfalls angeschlagen, Beister muss sich nach einjähriger Pause erst wieder an die normale Wettkampfhärte herantasten, und Rudnevs passt als Konterstürmer nicht so recht ins Konzept einer offensiv-dominanten Spielanlage.

In der grauen Realität sind zudem die Defizite des Offensivpersonals beim HSV lediglich ein Teil des Problems. Genauer: Ein Problem unter vielen anderen. Der in der Hinrunde noch mit Anpassungsproblemen kämpfende Holtby schien im Trainingslager auf gutem Wege, die erhoffte unumstrittene Verstärkung im zentralen Mittelfeld zu werden, wird aber nun einen großen Teil der Rückrunde aufgrund seines Schlüsselbeinbruches nicht zur Verfügung stehen. Die bisher einzig klare Verstärkung der Mannschaft im Vergleich zur vorangegangenen Saison, Valon Behrami, fällt ebenfalls noch wochenlang aus. Und selbst in der zuletzt gut funktionierenden Innenverteidigung musste nach dem Ausfall Clébers umgestellt werden. Mit Rajkovic kam hier erstmalig wieder ein Spieler nach langer Zeit zu einem Pflichtspiel-Einsatz, den von Beister nur unterscheidet, dass er schon etwas weiter ist, auf dem Weg zurück zu seiner Topform. Dass er sein altes Leistungsvermögen noch nicht erreicht hat, dies wurde vor allem im weiteren Verlauf der gestrigen Partie (zweite Halbzeit) schonungslos aufgedeckt.

Joe Zinnbauer war somit vor der Partie nicht zu beneiden, denn die Mannschaft des HSV stellte sich aufgrund der Personallage fast von alleine auf:

Drobny – Götz, Djourou, Rajkovic, Jansen – Westermann – N. Müller (59. Stieber), van der Vaart, Jiracek (72. Lasogga), Gouaida (76. Beister) – Olic

Auffällig ist an dieser Aufstellung zunächst nur, dass Jansen Ostrzolek verdrängt hat. Dass Zinnbauer in dem wichtigen Auftaktspiel dem erfahren Jansen und nicht Ostrzolek-Backup Marcos den Vorzug gab, darf hingegen nicht überraschen. Schließlich musste er schon verletzungsbedingt auch auf Diekmeier verzichten und den talentierten, aber unerfahrenen Götz als Rechtsverteidiger einsetzen. Dass Zinnbauer Lasogga zunächst auf der Bank ließ, halte ich nach der Verpflichtung des topfitten Olic aus den bereits genannten Gründen für selbsterklärend.

Diskutabel obgleich nachvollziehbar bleibt für mich Zinnbauers Entscheidung, Heiko Westermann als Behrami-Ersatz und alleinige „Sechs“ in einem 4-1-4-1 aufzubieten. Durch Westermann gewinnt die Mannschaft zweifellos an Körpergröße im zentral-defensiven Mittelfeld und erhält damit zusätzliche Optionen vor allem im defensiven und offensiven Luftzweikampf, wie sich auch gestern zeigte. Auch besticht „HW4“ stets durch unerschütterlichen Einsatzwillen und ist ein gestandener, erfahrener Bundesligaspieler. Aber Westermann ist und bleibt ein Spieler, bei dem ich sogar im Training (noch unter Slomka) bei einer Pass-Übung mit „Pappkameraden“, also ohne jeden Druck eines Gegenspielers!, immer wieder bemerkenswerte technische Aussetzer beobachten konnte. Auch fehlt es ihm m.E. ein wenig an Dynamik, an Beweglichkeit auf engem Raum, an der Fähigkeit, durch ein gelungenes Dribbling Raum und damit Zeit zu erobern. Westermann, dies war meiner Meinung nach in vergangenen Spielen zur Genüge zu besichtigen, hat seine bestens Spiele immer dann abgeliefert, wenn er sich auf seine Kernkompetenzen als Innenverteidiger beschränken konnte. Und Westermann sah immer dann schlecht aus, wenn er sich, auch weil sich gewisse Kollegen immer wieder feige versteckten!, in Spielfeldzonen locken ließ, in denen sich seine regelmäßig auftretenden Probleme mit der Ballkontrolle fatal auswirkten (- ich werde darauf weiter unten noch einmal zurückkommen).

Spielbeobachtung: Der HSV begann die Partie engagiert. Allerdings verzichtete man nach dem Ausfall des sprintstarken Holtby und ohne Behrami auf ein konsequentes Offensivpressing. Stattdessen zog sich die Heimmannschaft bei gegnerischem Ballbesitz größtenteils bis auf 20 Meter vor die Mittellinie zurück.  Durch das Anlaufen des Gegners sollten dessen Angriffszüge vor allem auf die gewünschte Weise geleitet werden, zugleich stand man dadurch defensiv kompakt(er).

Olic war  in der ersten Halbzeit sehr auffällig und machte deutlich, dass er tatsächlich eine Verstärkung ist. Er wich regelmäßig auf die Flügel aus, half dort punktuell personelle Überzahl zu erzeugen, sodass das Angriffsspiel der Hamburger  hauptsächlich über die Flügel zunächst tatsächlich flüssiger und damit gefährlicher als in der Hinrunde wirkte. Bereits in der siebten Spielminute wäre ihm nach schöner Flanke von Nicolai Müller um ein  Haar sein erster Treffer für den HSV gelungen, als er fünf Meter zentral vor dem Kölner Tor stehend zum Kopfball ansetzte. Leider wurde der Flankenball gerade noch vom Kölner Maroh erwischt, sodass Olic letztlich ins Leere sprang. Aber auch wenn Olic bis zum Ende kein Torerfolg gelingen konnte, so halte ich fest, dass er deutlich gefährlicher wirkte als Lasogga zuletzt.

Nur zwei Minuten später schlug van der Vaart eine Freistoß-Flanke aus dem rechten Halbfeld in den Strafraum der Gäste, wo sich die bereits angesprochene Kopfballstärke Westermanns beinahe ausgezahlt hätte. Doch der gute Horn im Tor der Gäste konnte Westermanns Kopfball spektakulär entschärfen (9.).

Van der Vaart ließ sich vor allem während der ersten dreißig Minuten des Spiels des Öfteren in die Tiefe fallen, um entweder den Spielaufbau selbst zu übernehmen oder als Verbindungsspieler zu fungieren. Leider dürfte es sich inzwischen ligaweit herumgesprochen haben, dass es eben van der Vaart ist, auf dem in Hamburg in diesem Zusammenhang fast alle Hoffnungen ruhen. Konsequenterweise wurde der Niederländer daher sofort von den Kölnern attackiert. Diesem permanenten Gegnerdruck konnte er sich zu Beginn des Spiels einige Male durch seine technischen Fähigkeiten entziehen, im weiteren Verlauf der Partie gelang ihm dies jedoch zunehmend weniger. Problematisch in diesem Zusammenhang wirkten sich hier nicht nur die mangelnde Entlastung aufgrund der fehlenden Kreativität Westermanns aus, sondern auch die Tatsache, dass Jiracek fast durchweg hoch stehend agierte. Es fehlte in meinen Augen an einem fluiden Wechselspiel zwischen den beiden zentralen Spielern der offensiven Viererkette in dieser Hinsicht, was dem Gegner die Vorhersagbarkeit der Hamburger Spielzüge erleichterte.

Der FC kam nach ca. zwanzig Minuten immer besser ins Spiel und hätte in der 24. Minute nach einem kapitalen Stellungsfehler Djourous durch den quirligen Ujah in Führung gehen müssen. Djourou sprang unter einer Flanke hindurch, Ujah kam zentral vor Drobny frei zum Schuss, jedoch konnte Hamburgs Torhüter einen Rückstand für seine Farben per Fußabwehr gerade noch vermeiden.

Insgesamt entwickelte sich in der ersten Hälfte ein ausgeglichenes, temporeiches Spiel mit einigen Torchancen für beide Seiten. Auf Seiten des HSV waren jedoch u.a. auch bereits Abstimmungsprobleme in der neu formierten Innenverteidigung erkennbar, sodass ich schon zur Pause mit einer Punkteteilung zwar nicht glücklich, jedoch zähneknirschend zufrieden gewesen wäre.

Der Trend der ersten Halbzeit setzte sich auch in der zweiten Spielhälfte fort. Zwar gelang es dem HSV zunächst noch das Spiel weitestgehend offen zu gestalten, doch die Kölner wurden immer mutiger und damit auch gefährlicher. Van der Vaart ließ sich nun kaum noch in die Tiefe fallen, was die Probleme der Hamburger im Spielaufbau stetig verschärfte. Der FC neutralisierte nun nicht nur allein van der Vaart, sondern attackierte bereits beide Innenverteidiger und vor allem auch den relativ unerfahrenen Götz beim Spielaufbau. Das Ergebnis war stetig zunehmender Verlust an Spielkultur beim HSV. Der Ball wurde Mal um Mal zu Drobny zurück gespielt, da auch die Abstände zur Offensive zu groß wurden, was die Hamburger Defensiven vor dem riskanten langen Pass regelmäßig zurückschrecken ließ. Mit anderen Worten: das während der ersten zwanzig Minuten der ersten Hälfte zaghaft aufkeimende Pflänzchen Spielkultur wurde zunehmend durch den unter diesen Umständen erzwungenen  „langen Hafer“ von Drobny ersetzt. In dem Maße, in dem der HSV das Fußballspielen mit Betonung auf spielen einstellte, in dem Maße wirkte das Spiel der Gäste eindeutig klarer, strukturierter, gereifter und gefährlicher. Die Hamburger ihrerseits wirkten auf mich in Sachen Lauf- und Passwege z.T. überhastet und konfus.

In der 53. Minute konnte Drobny gerade noch eine Doppelchance der Kölner bravourös vereiteln. Spätestens jetzt hätte ich wohl auf ein 4-2-3-1 mit Doppel-6 umgestellt. Aber als Beobachter habe ich auch leicht reden, denn ich muss das Ergebnis nicht verantworten.

Zinnbauer wechselte in der 59. Minute und brachte Stieber für Müller, der aufgrund seines Trainingsrückstandes verständlicherweise noch nicht ganz konditionell topfit wirkte. Stieber besetzte nun die linke offensive Außenbahn. Gouaida wechselte somit die Seite und ersetzte Müller rechts.

Nur drei Minuten später kam, was einem inzwischen als leidgeprüftem HSV-Anhänger sattsam bekannt vorkommt: Westermann wurde vom auffälligen Peszko attackiert und erlaubte sich einen fatal schlechten Pass zu Rajkovic. Der Kölner Risse erlief den Ball und war auf und davon. Es passt zum HSV, dass es Risse gelang, den ansonsten mehrfach gut haltenden Drobny aus spitzem Winkel zu tunneln. Die Führung für den FC zum 0:1 (62.) – man sah sie förmlich kommen.

Zinnbauer, in dem Bemühen, den Rückstand zu egalisieren, wechselte offensiv und brachte mit Lasogga eine zweite Spitze für Jiracek, also für einen tendenziell defensiveren Mittelfeldspieler. Dadurch wurden jedoch die Probleme der Hausherrn in Sachen klar strukturiert vorgetragener Angriffe weiter verschärft. Mit dem nächsten Wechsel, Beister für Gouaida (76.), wurde endgültig auf die berühmte Brechstange gesetzt. Lange Bälle aus der eigenen Hälfte und hoffen, dass einem der drei Stürmer der Ausgleich gelingen möge. Prompt liefen die Hamburger in einen weiteren Konter der Gäste. Erneut war es Risse, dem nur zwei Minuten später fast eine Kopie des Führungstreffers gelang. Spätestens hier war klar zu sehen, dass Rajkovic, den ich ansonsten nicht schlecht gesehen habe, läuferisch keine Chance hatte, den enteilten Risse zu stellen. Dieses Mal schob dieser den Ball von der rechten Angriffsseite an Drobny vorbei ins lange Eck zum 0:2 (78.). Damit war das Spiel praktisch entschieden. Die Hamburger blieben trotz dreier Stürmer im Grunde harmlos, die Kölner hätten sogar noch das 0:3 erzielen können, wenn nicht gar müssen (90.).

Fazit: Der ersatzgeschwächte HSV zeigte zunächst gute Ansätze, verlor am Ende jedoch mehr als verdient. Einmal mehr wurde deutlich, dass die mangelhafte Torausbeute nur zum Teil den (bisherigen) Stürmern des Kaders anzulasten ist. Ohne Behrami wirkt auch die Defensive unsicherer. Van der Vaart als einziger, erklärter Kreativspieler ist zu wenig, da für jeden Gegner zu leicht zu neutralisieren. Insofern war es zwingend notwendig, dass der Club vor Schließung des Winter-Transferfensters im zentralen Mittelfeld nachbessert. Es bleibt nur zu hoffen, dass mit dem Chilenen Diaz das Element der Spielkultur entscheidend gestärkt wird, obgleich man sicher auch von ihm keine sofortigen Wunder erwarten darf.
Die Hamburger haben den Rückrundenauftakt also eindeutig verpatzt und stehen nun bereits in den nächsten beiden Spielen gehörig unter Erfolgsdruck. Panik oder irgendeine Form von Aktionismus hielte ich für unangemessen und völlig kontraproduktiv. Gleichwohl muss man schnellstmöglich die richtigen Lehren aus dieser Partie ziehen. Meines Erachtens kann dies zum jetzigen Zeitpunkt nur bedeuten: HW4 für Rajkovic zurück in die Innenverteidigung, und  Jiracek und Diaz gemeinsam ins defensive Mittelfeld. Aber das ist am Ende nur meine unmaßgebliche Meinung.

Schiedsrichter: Stark (Ergolding). Ohne Probleme. Die gelbe Karte für van der Vaart halte ich für vertretbar. Allerdings hätte sich der Niederländer auch nicht beschweren dürfen, wenn er für seinen unnötigen Tritt von einem anderen Schiedsrichter vom Platz gestellt worden wäre.

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Et kütt, wie et kütt – vor dem Spiel des Hamburger Sportvereins beim 1. FC Köln

Wenn es einen anderen Erstligaverein außerhalb Hamburgs gibt, mit dem ich (ein wenig) sympathisiere, dann ist der 1. FC Köln. Das liegt daran, dass ein großer Teil meiner Familie viele Jahre in Aachen wohnte. Es hätte daher zwar näher gelegen, sich für die Alemannia zu interessieren, aber Aachen, das war für mich als hamburger Jung immer die kleine, fußläufige Stadt meiner Schulferien, eben Provinz. Zudem krebste die Alemannia zu jener Zeit, von einer unvergessenen Saison einmal abgesehen, stets in den Niederungen der Zweit- oder Drittklassigkeit. Und ich als Heranwachsender interessierte mich damals noch ausschließlich für die erste Bundesliga. Der FC – das versprach damals noch „großen“ Fußball. Overath und Flohe, Schuster, Schumacher, Littbarski und Okudera gehörten zum Kreis der Helden meiner Kindheit. Und dann gab es damals ja noch den Trainer, den legendären Hennes Weisweiler, von dem u.a eines meiner Lieblingszitate (aus seiner Zeit zuvor bei Gladbach) überliefert ist: „Abseits ist, wenn das lange Arschloch [Anm.: gemeint war G. Netzer] wieder einmal zu spät abgespielt hat!“.

Der 1. FC Köln war, darin ist er dem Hamburger Sportverein nicht unähnlich, einmal eine echte Hausnummer in der Bundesliga. Dann begann, auch darin ist der FC dem HSV nicht unähnlich, der selbstverschuldete Niedergang. Kölscher Klüngel und eine gewisse Sorglos-Mentalität („Et hät noch immer jot jejange!“), falsche Trainer (u.a. Heddergott) – spätestens mit dem Abgang Littbarskis nach Japan war (für mich) der Lack ab. Der FC mutierte zunehmend zu einem Chaosverein. Zwar fand man beim ersten Gastspiel von Christoph Daum (85/86 – 90) in die Spitzengruppe der Bundesliga zurück, aber daraus erwuchs nichts Nachhaltiges. Im Gegenteil! Der Verein blieb in seinem Selbstverständnis, so sah es jedenfalls für mich als Außenstehender aus, in der einst erfolgreichen Zeit verhaftet und hielt sich unbeirrt, die sportliche und wirtschaftliche Realität ignorierend, zu höherem berufen. HSV und 1. FC Köln, das sind für mich zwei Vereine, deren tatsächliche sportliche Erfolge lang, lang zurückliegen. Und die ungeachtet dessen dennoch Jahr für Jahr zu Saisonbeginn jeweils höchste sportliche Ziele ausriefen. Wurden diese dann, was im Grunde zu erwarten gewesen wäre, verfehlt, fehlte es notorisch an Geduld und vor allem an Sachverstand in den Gremien des Vereins, um einen schrittweisen, systematischen und vor allem nachhaltigen Aufbau zu beginnen. So musste der FC am Ende der Saison 1997/98 letztlich erstmals in der Vereinsgeschichte den bitteren Gang in die Zweitklassigkeit antreten. Zwar gelang dem Verein zwei Jahre später unter Trainer Ewald Lienen die Rückkehr in das Oberhaus, doch auch dies änderte nichts daran, dass es unverändert an Realismus und Sachverstand mangelte. 2002 stieg man erneut ab. Als man in Köln nach längerer Zeit mit Podolski endlich wieder einen Ausnahmespieler in den eigenen Reihen hatte, gelang es dem Verein dennoch nicht, um Podolski eine in der ersten Liga konkurrenzfähige Mannschaft aufzubauen. Erneut stieg der FC am Ende der Saison 2005/06 in die zweite Liga ab. Ein einst erfolgreicher Traditionsverein, der 1. FC Köln, verkam zu einer von mehreren „Fahrstuhlmannschaften“. Aus meiner Sicht war daher der FC stets warnendes Gegenbeispiel für den Irrglauben derjenigen, die in einem Abstieg in die Zweitklassigkeit am Ende der letzten Spielzeit eine „Chance“ für den HSV zu entdecken glaubten.

Was ist neu?

Wenn nicht alles trügt, dann haben beide Vereine, der HSV aber auch der 1. FC Köln, zu mehr Realismus gefunden. In Köln scheint man mit Stöger endlich ein Trainer gefunden zu haben, der akzeptiert wird. Mit dem in Hamburg während eines lächerlich öffentlichen Sportchef-Castings durchgefallenen Jörg Schmadtke hat man zudem einen kompetenten Sportdirektor gefunden, dem man (ähnlich wie Beiersdorfer in Hamburg) nachsagt, dass er lieber noch einmal nachdenkt, bevor er den Mund öffnet. Erstmalig, so scheint es, verzichten beide Vereine auf boulevardwirksame, vollmundige Ansagen.  In Köln wäre man wohl bereits mit Platz 15 zufrieden, in Hamburg gilt das gesicherte Mittelfeld als Saisonziel. Vom Erreichen des internationalen Geschäfts, ansonsten vom jeweils örtlichen Boulevard nur zu gerne ausgerufen, redet erfreulicherweise keiner.

Der 1. FC Köln hat gleich neun neue Spieler verpflichtet, jedoch im Kern die Mannschaft zusammengehalten, welcher der Aufstieg in die Erstklassigkeit gelang. Besonders gespannt bin ich auf das neue Sturmduo, den Japaner Osako und den Nigerianer Ujah. Beide scheinen technisch beschlagen, agil und wendig zu sein. Und vor allem habe ich den Eindruck, dass sie gut miteinander harmonieren. Letzteres wird auch notwendig sein, da Helmes mit einem Knorpelschaden auf unbestimmte Zeit ausfallen wird.

Daneben scheint es, als hätte man mit dem ehemaligen Augsburger, Kevin Vogt (22), an dem angeblich auch der HSV interessiert gewesen sein soll, auch schon ein denkbarer Nachfolger für Matze Lehmann (31) für das defensive Mittelfeld gefunden.

Der Hamburger Sportverein wird wohl mit dem jungen Brasilianer Cléber kurzfristig vor dem Spiel einen weiteren Innenverteidiger unter Vertrag nehmen, den Beiersdorfer in der gestrigen PK mit Blick auf seine Spielweise mit Kahlid Boulahrouz verglich. Cléber wäre, wenn ich richtig gezählt habe, der elfte Neuzugang der Hamburger, wobei zu beachten ist, dass die zuvor ausgeliehenen Skjelbred, Kacar und Lasogga sowohl den Verein als auch dessen Umfeld bereits kennen. Andere, bspw. Brunst-Zöllner, Jung und Steinmann dürften zunächst kaum Chancen auf einen Platz in der Startelf besitzen. Zwei echte Neuzugänge, Linksaußen Zoltán Stieber und Rechtsaußen Nicolai Müller, fallen für das Auftaktspiel aus.

Wie werden sie spielen?

Schwer abzuschätzen. Beim 1. FC Köln rechne ich mit einem 4-2-3-1/4-4-1-1, welches die Mannschaft in der vorangegangenen Zweitligasaison erfolgreich gespielt hat. Osako könnte hier wie schon im DFB-Pokal als zentraler Mann der offensiven Dreierkette, bzw. als hängende Spitze neben Ujah fungieren.

Beim Hamburger Sportverein ist mit einer ähnlichen Systematik zu rechnen. Ich glaube, dass Slomka auf einen Startelf-Einsatz von Cléber noch verzichten wird, da der Spieler nur eine Trainingseinheit zusammen mit seinen neuen Kollegen absolvieren konnte. Zudem wird man aus leidvoller Erfahrung mit anderen Spielerverpflichtungen aus Brasilien beim HSV abwarten wollen, wie sich der Spieler in dem für ihn gänzlich neuen Umfeld zurechtfindet.

Ilicevic musste gestern mit dem Mannschaftstraining aussetzen, Müller ist noch verletzt, daher könnte der HSV in der folgenden Aufstellung beginnen:

Adler – Diekmeier, Djourou, Westermann, Ostrzolek – Behrami, Badelj (alternativ: Arslan), Rudnevs, van der Vaart, Jansen – Lasogga.

Wie geht es aus?

Wenn ich das wüsste, wäre ich wohl Millionär. Köln hatte weniger Mühe im Pokal als der HSV, spielte aber auch gegen einen Viertligisten (FT Braunschweig). Im Vergleich beider Gegner wird man den FC Energie Cottbus eindeutig höher einschätzen müssen.

Für beide Vereine geht es darum, möglichst sofort erfolgreich aus den Startlöchern zu kommen. Das dürfte zwar grundsätzlich auf alle Mannschaften zu treffen, erscheint aber in beiden Fällen von besonderer Bedeutung. Für die Kölner, weil man als Aufsteiger mit dem HSV eine Mannschaft zu Hause empfängt, die, nimmt man die letzte Saison als Maßstab, durchaus schlagbar erscheint; für den HSV, weil man im Pokal der Mannschaft durchaus noch die vielen Misserfolge der vergangenen Horror-Saison anmerkte. Hier geht es also darum, möglichst schnell wieder zu Selbstvertrauen und einer gewissen Selbstverständlichkeit (im Spiel) zu finden. Eine Niederlage gleich zu Beginn und dann ausgerechnet gegen einen Aufsteiger – man muss kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass der hamburger Boulevard bei weiteren Niederlagen sehr schnell die Karte „Tuchel“ wieder hervorzaubern wird.

Ich rechne nicht damit, dass der HSV viele Tore gegen die gute Defensive des FC erzielen kann. Gleichzeitig fehlt mir noch das Vertrauen in  die defensive Stabilität des hamburger Teams. Zu erwarten ist daher m.E. ein Spiel, bei dem beide Seiten zunächst darum bemüht sein werden, ja nicht schnell in Rückstand zu geraten.

Meines Erachtens besitzt der Hamburger Sportverein auf dem Papier den eindeutig besseren Kader. Man darf aber eben nicht vergessen, dass vor allem der Beister-Ersatz/-Konkurrent Müller gar nicht zur Verfügung steht. Zudem tritt die Mannschaft auswärts an, wo ihr bekanntlich seit längerer Zeit kein (herausgespielter) Sieg mehr gelingen konnte. Ich rechne mit einem 1:1 Unentschieden, hoffe jedoch auf einen 1-2 Erfolg für den HSV.

Ungeachtet des Spielausgangs hoffe ich sehr, dass man bei beiden Vereinen die bitteren Lektionen der Vergangenheit endlich gelernt hat und in jedem Fall die Ruhe bewahrt. Beide Mannschaften werden sich erst finden müssen, sodass selbst nach mehreren Siegen oder Niederlagen in Serie zu Saisonbeginn weder höhere Ziele noch Panikmache angebracht erscheinen.

Und sonst?

Beim HSV diskutiert man nach der Verpflichtung Clébers eine Ausleihe von Tah für eine Saison. Ich halte derartige Überlegungen durchaus für angebracht und sinnvoll, da unbedingt sichergestellt sein sollte, dass Tah jetzt weitere Spielpraxis sammelt. Nur so kann er sich entwickeln. Bemerkenswert finde ich, mit welcher Schärfe hier andernorts diese bislang nur angedachte Ausleihe kommentiert wird. Schließlich hat niemand, absolut niemand die Absicht geäußert, dieses große Talent zu verkaufen. Ich werte derartige Kommentare u.a. als Ausdruck des tief verwurzelten Misstrauens in die Kompetenz der sportlichen Führung im Umfeld. Dieses fehlende Vertrauen ist einerseits bis zu einem gewissen Maß nachvollziehbar, übersieht aber andererseits, dass mit Beiersdorfer und Peters endlich ausgewiesene Fachleute für den HSV arbeiten, sodass mir ein gewisses Vertrauen in deren Expertise durchaus angebracht erscheint.