SVS

Nur der HSV, trotz alledem!

Die gestrige 1:5 Niederlage gegen den SV Sandhausen war eine ganz bittere Pille, die auch ich erst verdauen muss. Heute Morgen las ich beim Durchstöbern von Twitter, die Tanja (@fschmidt77) sei so sauer, dass sie sogar gebloggt hat (www.Raute22c.de). Dies brachte mich auf die Idee, mein selbstverordnetes Schweigen auf diesem Blog ebenfalls ausnahmsweise zu brechen.

Ich weiß nicht, was mich mehr getroffen hat. Die Art und Weise, wie der HSV zum gefühlt x-ten Mal ein Entscheidungsspiel verloren hat, oder die verbalen Entgleisungen sogar von Fans, die ich ansonsten als besonnen und vernünftig erlebe. Bitter.

Wie immer nach solchen Niederlagen feiert der Pauschalvorwurf der mangelhaften Einstellung fröhliche Urständ. Es fehle der Wille, es sei kein Wollen erkennbar, war schon während der 1. Halbzeit zu lesen. Wohl dem, der mit einer derart monokausalen Begründung meint, ein komplexes Geschehen tatsächlich erklären zu können. Warum Fans immer wieder zu diesem oberflächlichen Vorwurf greifen um Niederlagen zu verarbeiten, dazu habe ich bereits in einem älteren Beitrag gebloggt. Und vieles, was ich dort zum Thema schrieb, erscheint mir unverändert aktuell: https://viertermann.com/2019/11/30/auswartskrise-und-einstellungsmangel-vom-sinn-und-unsinn-von-erklarungen/

Doch nun zur aktuellen Niederlage gegen den SVS.
Hecking hatte seine Mannschaft zum zweiten Mal in Folge zu Beginn des Spiels mit einem 3-5-2 ins Spiel geschickt. Ewerton als zentraler IV in einer Dreierkette sollte zusätzliche Lufthoheit bringen, den zuletzt hakenden Spielaufbau aus der Verteidigung beleben und seinen beiden Nebenleuten jene Sicherheit vermitteln, die vor allem van Drongelen in den letzten Wochen leider arg vermissen ließ. Und ich fand, dass tatsächlich die Passrotation und -schärfe innerhalb der Defensive in den ersten 10 Minuten der Partie erkennbar verbessert aussah. Der Ball lief zunächst gepflegt durch die eigenen Reihen. Je tiefer die Ballstaffetten dann jedoch ins Mittelfeld vorgetragen wurden, um so umständlicher und unpräziser wurde gespielt. Das ganze glich dort eher einem Trainingsspiel. Freilaufen, passen, freilaufen, passen – ohne je wirklich torgefährlich zu werden. Im Gegenteil! Es schlichen sich zunehmend Fehler ins Passspiel, die den lauernden Sandhausenern das schnelle Umschalten erlaubten. Dabei bleibe ich aber bei meiner gestrigen Behauptung, dass auch in dieser insgesamt schwachen ersten Halbzeit es nicht am fehlenden Willen der Spieler gelegen hat. Also woran lag es dann? Die Antwort darauf ist vielschichtiger als ein simples „die wollten nicht wirklich“. Also hier mein Versuch einer Antwort:

Die Dechiffrierung der Mannschaft

Bereits im Winter habe ich in einem längeren Podcast in der HSVKloenstuv darauf hingewiesen, dass spätestens ab dem 12. Spieltag das Spielsystem des HSV durch die Konkurrenz hinreichend durchschaut worden ist. Und ich sagte dort ausdrücklich voraus, dass alle Gegner in der Rückrunde sich der Mittel bedienen würden, die sich bis dato als erfolgversprechend aus ihrer Sicht herauskristallisiert hatten. Und hier ist an erster Stelle die mannorientierte Deckung der Schlüsselspieler zu nennen, sowie deren robuste Bekämpfung. Vereinfacht gesagt: Man nehme Fein als Sechser aus dem Spiel, stelle die Passwege zu Hunt und Dudziak zu und schaffe durch hohe eigene Laufbereitschaft personelle Überzahl vor allem auf dem mit Leibold und Kittel meist besetzten, gefährlicheren linken HSV-Angriffsflügel (Dazu gesellte sich nach der Corona-Pause als neues Element nur die Deckung von Pohjanpalo als einzig wirklich torgefährlichem Stürmer). Dies gepaart mit regelmäßig gezieltem Druck auf beide Innenverteidiger blockierte regelmäßig nicht nur den Spielfluss einer ansonsten überlegenen HSV-Mannschaft sondern sorgt zusätzlich dafür, dass deren Gesamtgebilde immer wackeliger und unsicherer wurde.

Auf das gestrige Spiel bezogen hätte also der wütende Einstellungskritiker durchaus erkennen können, dass sich auch der SVS im Grunde an diese taktische Marschrichtung hielt. Fein stand immer ein Gegner auf den Füßen, und auch Dudziak oder Hunt wurden teilweise bis in die Hälfte des HSV von ihren Gegenspielern verfolgt, so sie sich denn fallen ließen, um dort als Anspielstation für die zunehmend ratloser und ideenloser agierenden Innenverteidiger zu dienen. Wurden die Mittelfeldpieler in dieser Situation angespielt, ergaben sich daraus prinzipiell nur zwei Möglichkeiten: Entweder ließen sie den Ball sofort wieder zurückprallen, dann wurde gar kein Raumgewinn erzielt, oder sie mussten sich unter Gegnerdruck erst mit Ball Richtung Sandhausener Tor drehen, was nicht nur Tempo aus fast jeder Aktion nahm sondern auch die permanente Gefahr des Ballverlustes barg. Je weiter dieser „Zerrüttungsprozess“ der HSV-Spielanlage durch die Sandhausener fortschritt desto häufiger sah man lange Bälle aus der Innenverteidigung um das blockierte Mittelfeld zu überbrücken (, denen dann aber regelmäßig die notwendige Präzision fehlte, was postwendend zu Gegenangriffen führte).

Die Formtiefs

Auch wenn die Mannschaft des HSV körperlich zweifelsohne da aufgrund der Laufleistungsdaten nachweisbar unter Hecking jederzeit fit war, so haben in der Rückrunde einige Spieler nicht mehr die Form gehabt, die sie noch in der Hinrunde hatten. An erster Stelle ist hier Adrian Fein zu nennen, dem die Anpassung seines Spiels an die robuste Manndeckung durch einen Bewacher in der kompletten Rückrunde nicht gelungen ist;

Auch bei Leibold, der unbestreitbar einer der besten Transfers des letzten Sommers ist, schlichen sich zuletzt zunehmend vermeidbare Fehler ins Spiel, die zu Ballverlusten und Gegenangriffen führten. Auch gestern war er m.E. deutlich von seiner Hinrundenform entfernt;

Jatta wirkte nach seinem Fasten im Ramadan fast als hätte man ihm den Stecker gezogen. Seine Antritte sah man zuletzt selten, was aber auch der Tatsache geschuldet ist, dass er aus den bereits oben genannten Gründen kaum je seine Stärke im Laufspiel ausspielen konnte (Gleiches gilt zum Teil für Vagnoman, der als RV in den letzten Spielen oft erst dann angespielt wurde, wenn er schon fast zugestellt war, sodass er seine Stärken nicht mehr entfalten konnte).

Und das sind beileibe nicht alle Spieler, auf die ich hier eingehen könnte. Nur stichwortartig sei hier ergänzend angeführt, dass es mich wenig überrascht, wenn Spieler mit langer Verletzungshistorie (Ewerton, Gyamerah, Kittel, Vagnoman) nicht konstant in Topform performen. Auch das ist keine Frage des Willens oder Wollens, wenn man sich ein wenig auskennt.

Mentales

Ausnahmsweise möchte ich an dieser Stelle kurz Julian Pollerbeck loben, der auf mich nach seiner Rückkehr ins Tor mental stabil wirkte, seine Vorzüge gegenüber Heuer-Fernandes in der Spieleröffnung unterstrich und der vor allem bei hohen Bällen jederzeit einen absolut sicheren Eindruck hinterließ. Auch Hunt wäre hier m.E. zu loben, der keineswegs wie manche ätzen, „nur zwei gute Spiele“ abgeliefert hat. Bei 0:2 zur Ausführung eines Elfmeters in einer derartigen Situation anzutreten und ihn dann derart zu verwandeln, dafür braucht es mentale Stärke, Verantwortungsgefühl und die Bereitschaft voranzugehen. Insgesamt aber habe ich den Eindruck, dass unter anderem auch der Mangel an Handlungsgeschwindigkeit und -sicherheit bei einigen Spielern des noch aktuellen Kaders zu wünschen übrig ließ. Womit ich bei Qualitätsmängeln wäre, die z.T. auch im mentalen Bereich zu verorten sind.

Qualitätsmängel

Wenn ich eben Handlungsgeschwindigkeit und -sicherheit kritisierte, dann gilt das vor allem für Rick van Drongelen. Er (aber auch Letschert) benötigt viel zu lange, um vertikale Passoptionen zu erkennen und selbst wenn er sie erkennt, dann fehlt den Pässen die Präzision und Schärfe. Dazu agiert er bei seinen Vorstößen mit Ball wie Westermann 2.0. Der Ballverlust ist praktisch eingepreist oder aber, das ist die häufigere Variante, seine Vorstöße verpuffen im großen Nichts und führen bestenfalls zum Rückpass auf seinen jeweiligen Partner in der Innenverteidigung. Dazu gesellen sich immer wieder eklatante Stellungsfehler. Auch gestern wieder hätte er den Führungstreffer für Sandhausen verhindern können, wenn er vor und nicht hinter dem Mann gewesen wäre. Dazu kommt sein für einen ausgebildeten Innenverteidiger eher schwaches Kopfballspiel. Sowohl offensiv als auch defensiv. Natürlich ist mir klar, dass er immer noch ein junger Spieler ist, andererseits gebe ich zu bedenken, dass er inzwischen auf ein halben Jahr 1. Bundesliga und zwei komplette Spielzeiten in der zweiten Liga zurückblickt, ohnedass eine wirkliche Entwicklung erkennbar ist. Auch bei einem Harnik muss ich mich fragen, ob die Qualität noch ausreicht, wenn man in die 1. Liga aufsteigen wollte, der Spieler aber klarste Torchancen wie auch gestern wieder auslässt. An dieser Stelle möchte ich kurz darauf hinweisen, dass jedem Wettkampf in der Regel ein Momentum innewohnt, das mal auf die eine mal auf die andere Seite kippt (kippen kann). Wenn eine Mannschaft also nicht in Führung geht, weil bspw. die Chancen nicht genutzt werden, dann baut dies gewöhnlich irgendwann den Gegner auf, denn es gibt ihm Sicherheit. Auch das ist ein kleiner Teil eines Erklärungsansatzes, der über die simplifizierende Behauptung eines angeblich fehlenden Wollens hinausreicht. Insgesamt wird man sich sowohl in Sachen Lufthoheit in der Innenverteidung als auch in der Frage des Spielaufbaus Gedanken machen müssen. Es fehlt meines Erachtens auch eine robuste und strategisch-defensiv denkende Alternative zum Spielertypus eines Adrian Feins.

Auch das man sich nach einer verunglückten Kopfballablage in der gegnerischen Hälfte auskontern lässt, ist für mich ein Indiz für individualtaktisches Fehlverhalten, nicht für fehlende Leistungsbereitschaft. Im Gegenteil bin ich der Meinung, dass man nach der z.T. verletzungsbedingten Systemumstellung nach der Pause erkennen konnte, dass die Mannschaft auch bei einem 0:2 durchaus „wollte“. Der mentale Genickbruch erfolgte mit dem vom gerade erst eingewechselten jungen Vagnoman unglücklich verursachten Elfmeter für Sandhausen, der dann zum 1:3 führte. Das war aber bereits in der 84. Spielminute! Ich lese aus der ab diesem Zeitpunkt erkennbaren Resignation einen indirekten Beleg dafür, wie tatsächlich mental angeschlagen das Team durch die Misserfolgserlebnisse der vergangenen Wochen schon vor dem Spiel gewesen ist. Mentale Angeschlagenheit verhindert aber Spitzenleistung. Wer etwas anderes behauptet, oder sich gar zu der Behauptung versteigt, Spitzenleistung sei nur eine Frage des Wollens, der dokumtiert allein seine größtmögliche Ahnungslosigkeit von Sport- und Wettkampfpsychologie.

Damit sind übrigens keineswegs auch nur annähernd alle Gesichtspunkte erörtert, die Ansatzpunkte liefern, um das gestrige Geschehen in Zusammenhängen und differenziert zu betrachten und verständlich zu machen. Wer denoch meint, er müsse mit dem Verein brechen oder etwa zum Verzicht auf den Kauf einer Dauerkarte rät, mag dies machen, meine Welt ist das nicht und wird es nicht werden.

Ich bin einfach sehr traurig, weil mein Herzensverein ein weiteres Mal eine Chance verpasst hat. Die Detailanalyse der Gründe überlasse ich den Verantwortlichen, denn die sind allemal kompetenter (und vor allem näher dran!) als ich oder gar jene Kritiker, deren größte nachweisbare sportlichen Erfolge das Erklimmen von Sitzmöbeln sind. Obgleich ich sehr wohl die Unzufriedenheit verstehe, die manchen zu seinen Aussagen veranlasst. Der HSV bleibt ligaunabhängig ein reiner Weltverein, wie uns die @GroteRuetze auf Twitter regelmäßig ins Gedächtnis ruft. Und deswegen gilt für mich: Nur der HSV! – trotz alledem.

ps.1: Gute Besserung, Rick!

ps.2: Glückwunsch an Ambrosius zu seinem Einsatz. Eine Fliege macht zwar noch lange keinen Sommer, aber das sah schon sehr gut aus. Weiter so!

ps.3: Glückwunsch an den FC Heidenheim für eine tolle Saison, ganz egal wie die Relegation auch ausgehen mag.

Hinweis: ich musste die letzten Absätze nach der Erstveröffentlichung aus dem Gedächtnis neu schreiben, da beim nachträglichen Beheben eines Formatierungsfehlers das Ende des Textes verloren ging.

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Es ist die Hölle mit Dir, SKY! – Anmerkungen anlässlich der Partie HSV – SV Sandhausen

Am gestrigen Abend schlug der Hamburger SV den SV Sandhausen zum Auftakt der Rückrunde beider Mannschaften vor heimischen Publikum mit 2:1 (1:0). Der Sieg des HSV war mehr als verdient, denn das knappe Ergebnis spiegelt nicht den über weite Strecken einseitigen Spielverlauf.

Damit wäre die Pflicht des Chronisten bereits erfüllt, hätte nicht zum wiederholten Male der Spielkommentator bei SKY die mit Abstand schlechteste Leistung aller Beteiligten geboten. Ich werde den Namen des offensichtlich Überforderten mit Absicht nicht nennen, denn es geht mir nicht um seine Person. Sein Name stünde nur stellvertretend für eine grundsätzliche, ärgerliche Beobachtung.

Dass SKY aus Kostengründen inzwischen zu vielen Spielen keine Kommentatoren mehr in die Stadien schickt, diese stattdessen selbst vor Bildschirmen im Nirgendwo sitzend die Spiele kommentieren, ist an anderer Stelle bereits erschöpfend kritisiert worden. Dass von ihrem einstigen Versprechen, „Alle Spiele, alle Tore!“, nach dem Verlust der Rechte auch keine Rede mehr sein kann – längst bekannt [Anm. des Verfassers: von Werbefreiheit ganz zu schweigen].

Neu ist aber, dass mindestens in der Zweiten Bundesliga inzwischen regelmäßig Kommentatoren zum Einsatz kommen, die mit erstaunlichen Regelinterpretationen aufwarten („Wenn der Schiedsrichter auf Vorteil erkannt hat, dann darf er nicht nachträglich die gelbe Karte zeigen. So lautet nun einmal die Regel!“ [Anm. des Verfassers: diese Regel suche ich bis heute. Vielleicht kann mir jemand behilflich sein?]) oder die kaum das Geschehen auf dem Rasen durch fachliche Anmerkungen und Hintergrundwissen einordnen. Taktische Beobachtungen, Erwägungen zum Für und Wider einer Herangehensweise der Mannschaften, Detailbeobachtungen, die gewöhnlich nur dem/der Fachkundigen auffallen? Fast nicht mehr bei SKY. Den „Mehrwert“ des Kommentars für den Zuschauer bilden dort überwiegend beckmesserische Fehlersuche (nach Ansicht von zig Wiederholungen in Super-Zeitlupe und unter Einsatz von Kalibrierungslinien verkünden sie den Schiedsrichtern und Zuschauern angeblich „klare Fehlentscheidungen“ [Anm. des Verfassers: das ist, als würde ich mich nach bestandenem Examen eines Wissens rühmen, welches ich nur dank des massiven Einsatzes von Spickzetteln vorgegaukelt habe]. Oder man emotionalisiert künstlich das Geschehen auf dem Platz, indem man wahlweise die Stimmlage ins hysterische hebt „Sen-sa-tio-nell!“ (bspw. bei einer für einen professionellen Torhüter ganz normalen Parade), oder behauptet, es sei ein schlechtes Spiel, weil „die Tore fehlen“. Ist logisch: Keine Fehler, keine Tore, kein Spektakel ergeben ein schlechtes Spiel. Oder etwa nicht?

Es gehört zum banalsten Sport-Wissen, dass ein eindeutig Unterlegener durch einen „Lucky Puch“ einen Wettkampf auch in letzter Minute doch noch gewinnen kann, es sei denn, der Überlegene entscheidet die Auseinandersetzung vorzeitig zu seinen Gunsten. Und im Zeitalter von allerlei Statistiken und SPIX-Werten, die Erklärungen oft mehr behaupten als sie tatsächlich liefern, darf und muss man gerade darauf ausdrücklich hinweisen. Dem Faktor „Zufall“ kommt unverändert eine gewichtige Rolle zu! Aber der Kommentator gestern behauptete, der Ausgleich sei Folge „von 15 aktiveren Minuten“ der Sandhausener und kritisierte sogleich den HSV. Das macht sich immer gut. Dumm nur, dass er sich praktisch selbst widerlegte, denn der Elfmeter war eben der bis dahin erste und einzige Torschuss der Gäste. Und man wird nun einmal selbst bei einer klar unterlegenen Mannschaft erwarten dürfen, können, sogar müssen, dass sie in 90 Minuten doch auch wenigstens gelegentlich in die Gefahrenzone des Gegners vordringt. Wenn das dann zu einem Torerfolg langt – Glück gehabt. Man könnte lapidar hinzufügen: Dann ist die Taktik eben aufgegangen.

Eine nüchterne Eindordnung wäre also möglich gewesen, aber offenbar nicht für den Kommentator. Er lobte sich stattdessen lieber überschwänglich selbst: „Hab-ich-es- Ihnen- nicht-gesagt?!“, jauchzte er sogleich. Ja, haben Sie, mein Herr! Erlauben sie mir aber den Hinweis: Das hätte selbst meine tote Oma vorhersagen können und gewusst, dass ein Spiel bei einem Zwischenstand von 1:0 noch nicht entschieden ist. Und die, mein Oma, hatte absolut keine Ahnung vom Fußball. Ich bin also angemessen beeindruckt, wenn Sie verzeihen wollen.

Nur konsequent, dass dieser Kommentator auch wusste, dass der Doppeltorschütze Lasogga „den Hattrick will und nicht nachgibt“. Bei einer zum Zeitpunkt dieser ergreifenden Erkenntnis verbleibenden Restspielzeit von rund 20 Minuten. Da schau her!

Ich zitiere an dieser Stelle meine wütende Reaktion auf Twitter:

Lasogga gibt nicht nach, er will den Hattrick“ Jeder Offensive würde gern ein Tor schießen oder mehrere, Du Vogel! Was hast Du gedacht? Dass er Feierabend macht?

Emotionalisierung, Fehlersuche, mangelhaftes Regel- und Taktikwissen, Eigenlob – all dies bietet SKY inzwischen im Überfluss. Dabei hätte gerade dieses gestrige Spiel Chancen en masse geboten, um dem interessierten Zuschauer mit klugen Hintergrundwissen oder Beobachtungen fachkundig durch das Spiel zu begleiten.

Nur als Auszug: Man hätte

  • es nicht bei der Feststellung belassen müssen, dass der HSV zur Halbzeit 80% Ballbesitz hatte, da prozentualer Ballbesitz für sich allein genommen wenig aussagt;
  • dem Zuschauer bei dieser Gelegenheit eben dies am Beispiel von Mannschaften, die sich den Ball in der Abwehr hin und her schieben ohne dem Ziel eines jeden Fußballspiels, dem gegnerischen Tor, auch nur ansatzweise näherzukommen, erkären können, oder den Vergleich zu Mannschaften ziehen können, die zwar tief in der gegnerischen Hälfte den Ball rund um den Strafraum zirkulieren lassen, aber dennoch keine Lösungen finden, um aus ihrer Überlegenheit Chancen zu kreieren;
  • man hätte den HSV unter Berücksichtung des oben ausgeführten loben können, dass er eben nicht nur hohen Ballbesitz und eine sehr gute Passquote erreichte, sondern sich eine Vielzahl von Chancen herausspielen konnte;
  • man hätte Beobachtungen zu den taktischen Systemen beider Teams und ihrer Umsetzung machen können anstatt es bei dem lapidaren Hinweis anlässlich des ersten Spielerwechsels zu belassen, die Gäste würden angesichts des Rückstandes nun doch mutiger. [Anm. des Verfassers: wie überraschend!].;
  • man hätte, wenn wir schon bei Taktik sind, z.B. feststellen können, dass der SVS fast vollständig auf ein Mittel verzichtete, das andere Gegner des HSV in der Hinrunde z.T. erfolgreich genutzt haben: bereits das Aufbauspiel des HSV durch offensives Pressing zu stören. Man hätte den Zuschauer darauf hinweisen können, dass die tapfer kämpfenden Sandhausener nicht nur klar individuell und als Mannschaft unterlegen waren, sondern dass es ihnen trotz ihrer extrem defensiven Ausrichtung tief in der eigenen Hälfte kaum gelang, die Abwehrlücken zu schließen, dass sie fast durchweg keinen Zugriff auf das Spielgerät bekamen und es ihnen auch nicht gelang, durch schnelles Umschaltspiel wenigstens für Entlastung und schon gar nicht für Torgefahr zu sorgen. Denn tatsächlich war der Strafstoß in der 65. Spielminute ja ihr erster Torschuss.
  • Man hätte als Kommentator über alternative taktische Wege laut nachdenken können, was allerdings voraussetzt, dass man tatsächlich versteht, was da auf dem Platz geschieht.
  • Man hätte Gideon Jung auf Seiten des HSV, der nach einem halben Jahr Verletzungspause und fehlender Wettkampfpraxis sein erstes Spiel spielte, dem dies nicht anzumerken war und der erkennbar das Aufbauspiel des HSV stabilisierte, herausstellen und loben können;
  • man hätte Spieler für gute Laufwege, erfolgreiche Antizipation, erfolgreiche Abwehraktionen hüben wie drüben loben können [Anm. des Verfassers: englische Kommentatoren beherrschen dies und sind sich dafür nicht zu schade!]
  • man hätte dem Doppeltorschützen Lasogga kritisch attestieren müssen, dass er eigentlich ein Tor mehr hätte erzielen müssen. Man hätte bemerken können, dass es ihm in mindestens einer Situation erkennbar an Handlungsschnelligkeit mangelte, was seine Leistung überhaupt nicht schmälert aber zu einer auf personellen Hype verzichtenden Bewertung gehört;
  • man hätte stärker auf das sehenswerte Duell zwischen dem jungen Jatta und dem erfahrenen Diekmeier eingehen können, das der Youngster für mich als eindeutiger Punktsieger beendete.

Diese Aufzählung des Möglichen ist keineswegs abschließend. Es ist sind nur Beispiele, doch ich möchte den geneigten Leser hier nicht weiter mit weiteren vergebenen Chancen langweilen. Festzustellen bleibt: Dem HSV kann man im Bezug auf das gestrige Spiel einzig vorwerfen, dass er seine Chancen nicht frühzeitiger und besser verwertet hat. Bei SKY muss ich inzwischen nach fast jedem Spiel im Bezug auf den Kommentator feststellen: Selbst klarste Chancen werden regelmäßig versemmelt. Versenkt wird dort nur eins: Das einstige eigene Niveau.