Ein Fußballspiel zwischen Deutschland und Algerien ist für mich schon etwas sehr Spezielles. Es muss wohl 1980 (oder ’81) gewesen sein, ganz genau kann ich mich nicht mehr erinnern, da kam ich zu dem Schluss, dass ich dringend meine Kenntnisse der französischen Sprache aufpolieren sollte. Da traf es sich gut, dass zwei Klassenkameraden schon längere Zeit eine Reise nach Algerien planten. Die beiden wollten mit einem Interrailticket von Hamburg über Spanien durch Marokko fahren, dort die Grenze zu Algerien passieren und dann für schmales Geld (das Interrailticket galt nicht mehr in Algerien) weiter bis nach Algier reisen. Das war jedenfalls ihr Plan. Da ich mich erst auf den letzten Drücker ihrer Reisegruppe angeschlossen hatte, entschied ich mich für den direkten Weg: Von Hamburg nach Marseille mit der Bahn. Dort wollte ich dann die Fähre besteigen, die mich direkt und ohne Umwege in den Hafen von Algier befördern sollte. Das war mein Plan.
So trafen wir uns am Abreisetag am Hamburger Hauptbahnhof. Ihr Zug in Richtung Spanien stand bereits auf dem Nebengleis, während ich meinen nach Marseille bestieg. Ich erspare Euch hier weitere Details. Das Ende vom Lied: ich traf wie geplant pünktlich im Hafen der algerischen Hauptstadt ein und wurde dort von einem algerischen Bekannten in Empfang genommen. Meine beide Freunde aber, die kamen nur bis zur Grenze zwischen Marokko und Algerien. Diese aber war gerade einmal wieder geschlossen, da es Spannungen zwischen beiden Ländern gab (West-Sahara). Also mussten sie wieder Marokko durchqueren und zurück nach Spanien übersetzen. Dort machten sie sich dann auf die Suche nach einer Fährverbindung direkt nach Algerien. In meiner Erinnerung kamen sie mit mehr als 10 Tagen Verspätung endlich auch in Algier an. Mit anderen Worten: der gemeinsame Urlaub fiel praktisch ins Wasser. Nur gut, dass unsere algerischen Kontakte so überaus gastfreundlich waren. Die meisten lebten in Studentenunterkünften der Universität Algier und studierten Medizin. Und obwohl der Zutritt für Ausländer zu diesen studentischen Wohnheimen offiziell verboten war, schmuggelten sie mich Tag für Tag an den Eingangskontrollen vorbei. So kam es, dass ich am frühen Abend oft in einer Studentenmannschaft auf dem Universitätsgelände Fußball spielte. Um es hier kurz zu halten: Ich werde die Freundlichkeit der Menschen dort nie vergessen. Daher habe ich die späteren Berichte über die politischen Unruhen dort immer mit besonderer Anteilnahme verfolgt. 1982 kam es dann zu einem offiziellen Fußballspiel zwischen Deutschland und Algerien, das Algerien bekanntlich gewann. Es folgte der Nichtangriffspakt von Gijón, dem dann Algerien zum Opfer fiel. War die WM `78 einfach enttäuschend, so fühlte ich mich `82 in mehrfacher Hinsicht beschämt. Umso mehr hat mich das bisher erfolgreiche Auftreten der Algerier bei dieser WM gefreut.
Vor dieser Partie wurden in Fußball-Deutschland zwei Fragen diskutiert:
1. Ist der als Linksverteidiger spielende Höwedes der „Schwachpunkt“ (Magath)?
2. Soll Khedira oder Schweinsteiger neben Lahm den zweiten Sechser spielen, oder sollen gar beide gemeinsam dort spielen und Lahm den Rechtsverteidiger geben?
Meine Meinung zur Außenverteidigerproblematik habe ich ja hier bereits unlängst geschrieben. Was die Besetzung der Sechser-Position(en) angeht, so halte ich dies neben taktischen Gesichtspunkten, die zu berücksichtigten sind, für eine Frage der Fitness, zu der ich mir aus der Ferne kein abschließendes Urteil anmaßen möchte.
Vor dem Spiel meldete sich kurzfristig Innenverteidiger Mats Hummels krank, sodass Löw die folgende Aufstellung auf das Feld schickte: Neuer – Mustafi (70.Khedira), Boateng, Mertesacker, Höwedes – Lahm, Schweinsteiger (109. Kramer), Özil, Kroos, Götze (46. Schürrle) – Müller
Spielverlauf: Die Deutsche Elf begann nominell im gewohnten 4-2-3-1 mit Schweinsteiger als zweitem Sechser neben Lahm und Müller als Falscher Neun. Tatsächlich aber erinnerte das Spiel der Deutschen an den HSV unter Thorsten Fink. Die Abwehrkette stand extrem hoch. Selbst die Innenverteidiger, Mertesacker und Boateng, standen zeitweilig beide in der Hälfte der Algerier. Bei eigenem Ballbesitz verschoben sich die Außenverteidiger, Mustafi und Höwedes, tief in die gegnerische Hälfte. Die Innenverteidigung stand relativ weit auseinander und wurde zeitweilig durch den abkippenden Sechser, Lahm, der zu Beginn die Hauptlast des Spielaufbaus trug, zu einer Dreierkette erweitert. Schweinsteiger spielte als zweiter Sechser deutlich offensiver und sollte offenbar auf der zentralen Achse die Bindung zwischen Defensive und Offensive herstellen. Er besetzte, meist im Wechselspiel mit Kroos, das zentrale Mittelfeld, beide tauchen aber auch immer wieder auf den Flügeln auf. Im Gefühl eigener technischer und individual-taktischer Überlegenheit versuchte man so, die Algerier in der eigenen Hälfte einzuschnüren. Durch die extrem nach vorne verschobenen Außenverteidiger und den mehr als Achter oder gar Zehner agierenden Schweinsteiger wurden punktuell die Räume personell überladen. Löw schien damit zwei Fliegen mit einer Klatsche schlagen zu wollen: Zum einen wollte man die Algerier auf engstem Raum ausspielen, zum anderen die Chancen erhöhen, dass man das Spielgerät bei Ballverlust durch sofortiges Pressing zurückerobert.
Gerade in der ersten Spielhälfte bevölkerten oft 21 Mann die Spielhälfte Algeriens. Dadurch wurden die Räume für die Deutsche Mannschaft zwangsläufig extrem eng. Vermutlich war dies auch der Grund, warum Löw zu Beginn dem kleinen, wendigen und technisch beschlagenen Götze den Vorzug gab.
Die Algerier ihrerseits begannen in einem klassischen 4-4-2 mit zwei zunächst tief und eng beieinander stehenden Viererketten. Oft schien es, als ließen sie den Gegner fast passiv gewähren, denn sie beschränkten sich zunächst auf das Schließen von Lücken und Blockieren von (möglichen) Passwegen. Bei Ballbesitz der Deutschen verteidigten sie meist sehr mannorientiert und versuchten so, die spielstärkeren deutschen Spieler möglichst nicht zur Entfaltung kommen zu lassen. Immer wieder schoss ein Algerier aus seiner Kette heraus und attackierte seinen „logischen“ Gegenspieler, was gerade in der ersten Spielhälfte zu einer Vielzahl von Ballverlusten der Deutschen Mannschaft führte. Dabei wurden die Algerier durch Ungenauigkeiten im Passspiel ihres Gegners unterstützt. Einmal im Ballbesitz war Algerien erkennbar bemüht, schnell umzuschalten und tauchte überfallartig in der Deutschen Hälfte auf.
Je länger das Spiel lief, desto häufiger entstanden so brenzlige Situationen aus deutscher Sicht. Nur gut, dass Deutschland mit Manuel Neuer den weltbesten „Ausputzer“ bei diesem Turnier stellt. Immer wieder musste Neuer weit aus seinem Tor und Strafraum heraus, um in höchster Not gegen einen durchgebrochenen algerischen Angreifer zu klären. Dabei stockte mir regelmäßig der Atem, denn der deutsche Torhüter wandelte dabei beständig auf einem denkbar schmalen Grat. Einen Sekundenbruchteil zu spät, und er wäre wohl mit Rot vom Platz geflogen. Doch Neuer blieb zum Glück absolut fehlerlos und zeigte über die gesamte Spielzeit eine fabelhafte Leistung. In diesem Zusammenhang wurde m.E. ein Manko der von Löw bisher favorisierten Besetzung der defensiven Viererkette durch gleich vier ausgebildete Innenverteidiger offensichtlich. Die nach vorne verschobenen Höwedes und Mustafi sind es schlicht nicht gewohnt, auf engstem Raum offensiv zu agieren, was zu einigen Ballverlusten auf den personell überladenen Flügeln führte. Zudem wirkten sie in der Rückwärtsbewegung gegen die agilen Algerier des öfteren läuferisch schlicht überfordert, sodass Neuer tatsächlich mehrere Male zur letzten Defensiv-Option wurde, um einen Gegentreffer nach Konter zu verhindern. Merke: wer weit nach vorne verschiebt, hat auch weite Wege zurück…
Die erste Halbzeit gehörte aus meiner Sicht den Algeriern. Mit fortschreitender Spielzeit erschien die Deutsche Elf zunehmend ratlos. Den Algeriern gelang es, Götze, Özil und Kroos weitestgehend aus dem Spiel zu nehmen. Vor allem Özil schienen die mannorientierten Attacken des Gegners zuzusetzen und zunehmend die Lust am Spiel zu rauben. Wenn für die Löw-Truppe offensiv etwas ging, dann meist durch Schüsse aus der zweiten Reihe (Kroos). Das lag auch daran, dass sich das deutsche Offensivpersonal zu wenig bewegte und des öfteren eingereiht im Deckungsschatten der defensiv orientierten Viererketten Algeriens verharrte, während die Halbräume davor zunehmend verwaisten. Auch etwas, was man als leidgeprüfter HSV-Anhänger „bestens“ kennt. Stichwort: ungenügende Staffelung.
Zur Halbzeit, ich gestehe dies freimütig, konnte ich mir eine gewisse Schadenfreude nicht verkneifen, wurde doch vor dem Spiel mit der typisch deutschen Zurückhaltung lediglich über die Höhe eines Sieges spekuliert. Aber, um keine Missverständnisse entstehen zu lassen, natürlich hoffte ich dennoch, dass Deutschland am Ende als Sieger vom Feld gehen würde.
Löw reagierte in der Halbzeitpause und brachte Schürrle für Götze, was sich im weiteren Verlauf als richtig erweisen sollte. Die Deutsche Elf kam nach Wiederanpfiff zunehmend besser in das Spiel. Dafür gab es m.E. zwei Gründe:
1.) gelang es den Algeriern nun nicht mehr so gut, die Abstände zwischen ihren beiden Viererketten eng zu halten, wodurch sich zwangsläufig mehr Raum für ein Kombinationsspiel des deutschen Offensivpersonals bot;
2.) agierte Schürrle im Hinblick auf einen Torabschluss wesentlich zielstrebiger als Götze. Zum einen war er erkennbar darum bemüht, selbst zum Torabschluss zu kommen. Zum anderen besetzte er als zweite Spitze (neben Müller) die gefährliche Zone. Durch Schürrles Zug zum Tor konnte der Raumdeuter Müller auch vermehrt in die Halbräume ausweichen, ohne dass die Spitze dann unbesetzt blieb.
Es häuften sich also in der zweiten Spielhälfte die Chancen für die Deutsche Elf. Ein Tor sollte ihr jedoch zunächst nicht gelingen.
In der 69. Spielminute verletzte sich der junge Mustafi bei einem Befreiungsschlag ohne gegnerische Einwirkung schwer. Dem Vernehmen nach erlitt er einen Muskelbündelriss im linken Oberschenkel und wird für den Rest des Turniers ausfallen (Gute Besserung!). Löw war also zu einer weiteren Umstellung gezwungen und brachte für den Verletzten Khedira in das Spiel. Die Antwort auf die Frage, Khedira oder Schweinsteiger?, wurde also ab diesem Zeitpunkt mit „beide“ beantwortet, denn Lahm ersetzte Mustafi nun als Rechtsverteidiger.
Bei Khedira wechselten im weiteren Verlauf Licht und Schatten. Einigen guten Vorlagen (80.; 82.) standen auch einige vermeidbare Ballverluste gegenüber, die zu höchst gefährlichen Gegenstößen der Algerier führten. Da Schweinsteiger gegen Ende der regulären Spielzeit zunehmend von Krämpfen geplagt wurde, kann ich durchaus nachvollziehen, warum Löw Lahm bisher als einen der beiden Sechser fest eingeplant hat, während er mit Rücksicht auf die mangelnde Fitness und Spielpraxis von Schweinsteiger und Khedira auf der zweiten Sechser-Position bisher ein Jobsharing betrieb.
Jedenfalls verstärkte sich in Folge der Umstellungen der Druck der Deutschen Nationalmannschaft auf den Gegner aus Algerien deutlich. Zwischen der 80. und der 90. Spielminute hatte sie einige Chancen, um das Spiel in der regulären Spielzeit zu ihren Gunsten zu entscheiden. Doch der zu Beginn unsicher wirkende M’Bolhi im Gehäuse der Nordafrikaner steigerte sich erheblich und vereitelte auch die besten Torchancen. Es blieb daher auch nach Ablauf der regulären Spielzeit beim torlosen Unentschieden.
Die Verlängerung von zweimal 15 Minuten hatte kaum begonnen, da gelang dann doch der ersehnte Führungstreffer für Deutschland. Müller setzte sich auf der linken Seite des gegnerischen Strafraums durch und passte scharf quer nach innen. Schürrle war einen Tick schneller am Ball als alle anderen und lenkte den Ball mit der Hacke an M’Bolhi vorbei ins Netz. Das 1:0 für Deutschland in der 92. Minute.
Die tapfer kämpfenden Algerier waren nun natürlich gezwungen, ihre eigenen Angriffsbemühungen zu intensivieren, was bekanntlich regelmäßig zu Lasten der Defensive geht.
In der 96. Minute hätte Özil, der allein auf das Tor der Algerier zulief, vorentscheidend die Führung für Deutschland ausbauen können, doch er wirkte zu zögerlich und vertändelte diese großartige Gelegenheit. Dies hätte sich fünf Minuten später beinahe gerächt, doch Mostefa vergab eine große Ausgleichschance für seine Mannschaft (101.; nach Fehler von Khedira).
Kur vor Ende der Verlängerung gelang dann Özil doch noch das beruhigende 2:0, nachdem zuvor ein Schuss von Schürrle durch Algeriens Defensive nur geblockt werden konnte (119).
Kurz vor Abpfiff gelang dann Algerien der 2:1- Anschlusstreffer durch Djabou, nachdem sich die Deutsche Defensive einmal mehr ungeordnet zeigte. Wenig später beendete Schiedsrichter Ricci die Begegnung.
Schiedsrichter: Sandro Ricci (Brasilien). Einige kleinere Fehlentscheidungen (u.a. falsche Abseitsentscheidung; kein Gelb nach taktischem Foul), aber die von einigen befürchtete Kartenflut gegen die Deutsche Mannschaft durch den Brasilianer blieb aus.
Fazit: Die Deutsche Auswahl musste Schwerstarbeit verrichten, um gegen beherzt kämpfende Algerier das Viertelfinale zu erreichen (Glückwunsch!). Der Deutsche Sieg geht aufgrund einer klaren Leistungssteigerung ab der 46. Spielminute und aufgrund Quantität und Qualität der Torchancen in Ordnung.
Algeriens Mannschaft hat wie zuvor Chile oder Costa Rica gezeigt, dass jeder Hochmut der „Großen“ fehl am Platze ist. Auch durch die Tatsache, dass ihnen der Anschlusstreffer gelang, kommt dies zum Ausdruck. Die Mannschaft kann erhobenen Hauptes nach Hause fahren. Respekt!
Die Deutsche Nationalmannschaft wird sich im Viertelfinale gegen Frankreich spielerisch steigern müssen, will sie auch diese Partie siegreich überstehen und in das Halbfinale einziehen.
Wäre diese Begegnung aus Deutscher Sicht verloren gegangen, so hätte sich m.M.n. Löw den Vorwurf gefallen lassen müssen, angesichts der gewählten offensiven Taktik mit seiner rein aus gelernten Innenverteidigern bestehenden Abwehrformation falsch gelegen zu haben. Zwei Fragen seien erlaubt:
1.) Wenn die klimatischen Bedingungen als ein wesentlicher Grund für den Verzicht auf gelernte Außenverteidiger angeführt wurden, so konnte dies für Porto Alegre keinesfalls gelten. Die Temperaturen vor Ort waren für eine Deutsche Mannschaft weder außergewöhnlich noch ungewohnt. Mit welcher Begründung blieb man also bei der bekannten Formation?
2.) Wann, wenn nicht in einem derartigen Spiel gegen erwartungsgemäß schnell umschaltende Algerier, will man Leuten wie dem schnellen Durm oder Großkreutz Spielpraxis gewähren? Angesichts von möglichen Sperren und Verletzungen in der Stammformation hat man hier m.E. die Gelegenheit verpasst.
Konditionell, wenn man von Khedira und Schweinsteiger absieht, scheint die Deutsche Mannschaft bestens gerüstet. Für die Begegnung gegen Frankreich dürfte Hummels wieder zur Verfügung stehen, sodass Boateng wieder auf die rechte defensive Außenbahn zurückkehren könnte. Boateng erschien jedoch in der Partie gegen Algerien der einzige zu sein, der läuferisch gegen schnelle Angreifer ohne Probleme mithalten konnte. Insgesamt bleibe ich in Sachen Abwehrformation skeptisch.
Interessanter Bericht. Ein paar Anmerkungen:
Im TV wurde die taktische Aufstellung mit 4-3-3 angegeben, aber für mich sah es eher wie ein 3(die beiden IV plus der 6er, mal Lahm, mal Schweinsteiger)-2(die beiden AV)-4(MF mit Götze, Kross und Özil plus Schweinsteiger/Lahm)-1(Müller) aus. Und ja, das erinnerte leider fatal an den HSV unter Fink. Warum leider? Nun: Dafür brauchst Du extrem ballsichere Leute im MF und laufstarke AV. Soweit der Plan. Doch genau das hat gestern aus irgendwelchen Gründen nicht geklappt. Die Bälle sprangen unglaublich weit vom Fuß, es war ein ungewohntes Fehlpass-Festival. Wir zählten hier in der 1. HZ mal mit, nach wie vielen Ballkontakten der Ball verlustig ging – über vier kamen wir höchst selten. Dazu kam dann die geringe Laufbereitschaft (so sah es für mich zumindest aus). Mir fiel auf, dass die Algerier in HZ 1 ballsicherer als die Deutschen wirkten, abgeklärter und mit einem klaren Plan. Dass sie die Deutschen nicht abschossen, lag zum einen an Neuer, aber eben auch an ihren individuellen (kleinen) Unzulänglichkeiten. Ich behaupte: Gegen Mannschaften wie Frankreich funktioniert so etwas nicht.
In der 2. HZ wurde es m.E. nur wenig besser, wenn man von dem Schwung, der von Schürrle ausging absieht. Noch immer sprangen die Bälle weg, noch immer spielte die Abwehr alles andere als kompakt. Mustafi (die Verletzung tut auch mir sehr leid) wirkte hoffnungslos überfordert, er wurde auch immer seltener angespielt, meine ich. Hier hätte mich interessiert, was Löw der Mannschaft in der HZ mitgegeben hat und wie er das Ergebnis bewertet.
Womit wir bei meinem eigentlichen Aufreger wären, dem Interview von Mertesacker, das für die Zuschauer sicher von großem Unterhaltungswert war. Mich bewegt dabei aber folgendes:
Wenn ich als Spieler durch diese Mixed Zone muss, weiß ich um die häufig sinnbefreiten Fragen, die da kommen. Unverständnis zu äußern, dass sie dann tatsächlich auch gestellt werden, finde ich seltsam. Natürlich waren die Fragen diskussionswürdig, aber dennoch sollte das m.E. nicht heißen, Nachfragen nach einem Sieg ganz grundsätzlich in Zweifel zu ziehen.
In diesen Tagen wird viel an der Art und Weise der Berichterstattung kritisiert, und zwar zu Recht. Das öff.-rechtliche Fernsehen sollte nicht zur Pressestelle des DFB mutieren, die Reporter sollten sich nicht kumpelig anbiedern, das ist unsäglich unprofessionell. Heute las ich von einer „Arroganz der Berichterstatter“, da deren Fragen „darauf basieren, dass Algerien eigentlich nur ‚Kanonenfutter‘ sei“. Mich ärgert neben dieser Attitüde aber ganz genauso, dass den Berichterstattern offensichtlich keine Mehrwert generierenden Fragen mehr einzufallen scheinen. Wenn man Trainer/Spieler mit ihren selbst formulierten Ansprüchen/Erwartungen konfrontiert, kann sich der Zuschauer/Hörer/Leser selbst ein Urteil bilden. Ich brauche keinen Reporter, der dämlich fragt, ob die Abwehr titeltauglich sei, und damit seine Sicht der Dinge gleich mitverpackt. Denn die, da bin ich ziemlich sicher, interessiert uns Zuschauer herzlich wenig.
was die Systemfrage angeht, so schrieb ich, sie habe „nominell“ so begonnen. Damit meinte ich, dass Schweinsteiger/Khedira gewöhnlich (oder auf dem Papier) als 6er spielen. Aus dem weiteren Text geht m.E. jedoch eindeutig hervor, dass Lahm im MIT am defensivsten gespielt hat. Ich finde daher, dass man das System auch als eine Art 4-1-4-1 sehen könnte, da dadurch sowohl die herausgehobene, defensive Rolle Lahms als auch die offensive Falsche Neun benannt würden. 4-3-3, das habe ich auch gelesen, passt m.E. nicht. Egal wie man das Gesehene aber auch benennt – es handelt sich doch eh um eine ideal-theoretische Bezeichnung, die sich im Spiel fortlaufend ändert. Bei eigenem Ballbesitz mit zwei IVs und abkippendem 6er hinten (3) und nach vorn ins Mittelfeld verschobenen AVs sieht die Sache ohnehin wieder ganz anders aus, oder?
Was Mertesackers Reaktion angeht, so sollten wir mal die Kirche im Dorf lassen. Ja, natürlich muss er wissen, dass bestimmte
(dämliche)Fragen kommen. Aber er ist eben auch nur ein Mensch. Als solcher kam er abgekämpft vom Platz, und dann ist ihm eben hier mal die Hutschnur geplatzt. Davon geht doch die Welt nicht unter! – weder für ihn, noch für den Fragesteller. Als Zuschauer fand ich diese „echte“ Reaktion ganz erfrischend. Wir stöhnen doch alle über die ewig gleichen, glatt gebügelten, nichts sagenden Statements. Hier hat es eben mal „gemenschelt“. Das, finde ich, sollte man einfach hinnehmen können.Bezogen auf die Reaktion von Mertesacker möchte ich lediglich daraf ninweisen, dass es nicht nur auf den Wortlaut der Frage ankommt, sondern auch auf die Art der Fragestellung. Hinzu kommt die Dusseligkeit der Fragesteller, die kurz nach Ende eines kräfteraubenden Spiels wissen wollen, was die Mannschaft denn falsch, was richtig gemacht hat und wie man die Fehler abstellen will. Ein ernsthafter Befragter sollte viel öfter so reagieren wie Mertesacker.
Die Aussage, dass wir so gegen Frankreich nicht gewinnen werden kann ich nicht nachvollziehen. Wer die Franzosen gesehen hat weiß, dass Frankreich so nicht gegen Deutschland gewinnen wird.
Ergo werden sich beide Mannschaften was einfallen lassen.
Höwedes bleibt für mich eine Schwachstelle. Ich kann nicht beurteilen, wie die beiden möglichen Einwechselspieler sich im Training darstellen, was mir eigentlich schon fast gleichgültig ist, denn schlechter kann es kaum werden.
Die weit von den Füßen oder anderen Körperteilen springenden Bälle sind mir auch aufgefallen.
Was ich ebenso schlimm finde, ist dieses ewige zurück spielen. Da rennt ein Spieler – mit Ball – weit über die Mittellinie, dreht sich dann um und spielt den Ball zurück. Der angespielte Spieler spielt entweder ebenfalls zurück oder bestenfalls quer. Das passiert nicht nur, weil die Mannschaftskameraden sich nicht bewegen, es passiert auch, wenn sie frei sind und sogar sich bemerkbar machen.
Vielleicht sollte man mal erinnern, dass man ein Spiel nur gewinnen kann wenn man Tore schießt und zwar mindestens eines mehr als der Gegner.
Nur in Kürze ein paar Gedanken zu diesem Spiel und den Bewertungen:
Außenverteidiger: d’accord; wenn nicht jetzt – einmal mit K. Großkreutz u. E. Durm versuchen – wann dann? Hat Löw doch nur – wie er sich gestern versprach (?) – 14,15, die er einsetzen kann oder den gesamten Kader, wie es vor der WM hieß? So gaben die beiden Außenverteidiger nur Breite im Spiel, konnten vorn trotzdem keine (erwähnenswerten) Flanken anbringen, verhedderten sich immer wiederin den Engen und hatten des öfteren ihre Mühe, rechtzeitig nach hinten zu kommen. Gegen die Leidenschaft Algeriens hätte uns m.E. die Leidenschaft eines Großkreutz mehr geholfen als ein taktisches Konzept, das auch noch (1. Halbzeit) schlecht umgesetzt wird.
Lahms nachdrücklicher Wunsch, nur auf der 6 zu spielen, ist absolut nachvollziehbar, zeugt aber nicht von Demut und Mannschaftsdienlichkeit, die ich auch von einem absoluten Top-Spieler einfordere. Stimme aber zu, daß mit dem jetzigen Kader wohl kaum anders geplant werden kann, als mit Lahm auf der 6, weil Schweinsteiger und Khedira nicht fit genug für ein ganzes Turnier sind.
Algerien hat es in der 1. Halbzeit richtig gut und clever gemacht, noch besser als von mir erwartet. [Wäre nicht Deutschland der Gegner gewesen, ich hätte für sie die Daumen gedrückt, wie auch in den Spielen davor].Trotzdem war ich über die vielen Ballverluste und Stoppfehler sowie die mangelnde Bewegungsbereitschaft der deutschen Mannschaft erschreckt. Hätte mir da schon ein besseres „in-game-coaching“ von Löw gewünscht (nur sich laut- und gebärdenstark zu ärgern, reicht nicht).
Lob an Löw aber für seine Einwechslung von Schürrle zur 2. Halbzeit. Bessere Balance von verspielten und vertikalen Offensivkräften; half speziell Müller, wieder mehr Räume – und auch Anspielstationen – zu finden. Ich könnte Özil und Götze stundenlang bei ihrem Spiel zuschauen, aber nicht in einem solchen Turnier, wenn der Gegner um sein „Leben“ kämpft; dann paßt es einfach nicht.
Neuer: Grandios! Ritt auf der Rasierklinge, stimmt, aber so wird er zum würdigen Nachfolger der „Titanen“ Meier und Kahn. Und, wohlgemerkt, das ist Konzept bei der deutschen Aufstellung, nicht etwa ein Libero aus Not. Verstehe nicht, warum nicht Neuer „man of the match“ wurde; für mich war er es und kein anderer.
Mertesacker fand ich einerseits erfrischend authentisch – und die Fragen undifferenziert und oberflächlich (z.B. hätte man deutlich zwischen 1. und 2. Halbzeit unterscheiden müssen). Andererseits stimme ich MrsCgn zu, daß man auch ohne direkten Angriff einem Reporter durch den Inhalt seiner Antwort klar machen kann, wie dämlich seine Frage war. Zeigt aber auch, daß Merte seine Rolle als Kapitän (beim FC Arsenal) angenommen hat, denn er wollte m.E. auch von vornherein die ganze deutsche Mannschaft vor der sich andeutenden Bewertung des Spiels durch die Medien schützen.
Enorm der Unterschied in der Wahrnehmung: Während der deutsche Boulevard zwischen Ärger, Scham (ob des verstolperten Freistoßes) und Hohn hin und her schwankt, spricht die ausländische Presse von einem „epischen Spektakel“ (As, Spanien) oder einem der schönsten Achtelfinale der WM (Le Parisien, Frankreich). Für mich war auf jeden Fall alles drin, was so ein Spiel weit länger in Erinnerung bleiben läßt als manches andere.
Eine Frage muss ich hier noch stellen und hoffe auf Antwort.
Warum hat Löw Schürle nach rechts und Özil nach links gestellt?
Özil spielt am Liebsten in der Mitte oder rechts und Schürle über links.
Ist das eines der unerklärlichen Gedankengänge des manchmal etwas eigenwilligen Bundestrainers?
Das ist eine interessante Frage, die am Ende natürlich nur Löw beantworten kann. Ich will mich dennoch an einer Antwort versuchen, die aber spekulativ bleibt.
Schauen wir uns das bei Schürrles Einwechselung auf dem Platz befindliche Personal und ihre Schussbeine an:
Özil (L!), Kroos (B), Müller (R) und Schürrle (R!).
Auf der Position der Falschen Neun hat sich neben Götze (B), der für ihn ja ausgewechselt wurde, vor allem Müller empfohlen. Der beidfüßige Kroos scheint bei Löw als Ballverteiler und auch aufgrund seiner Distanzschüsse im Zentrum dahinter gesetzt zu sein. Einen Özil dauerhaft im Zentrum spielen zu lassen würde bei dieser Besetzung Kroos nach außen drücken, was ihn einen großen Teil seiner Stärken berauben würde. Das kann also von Löw nicht gewünscht gewesen sein, denn Distanzschüsse gegen einen tief stehenden Gegner sind eine unverzichtbare Möglichkeit zum Torerfolg.
Bliebe also nur die Option, Schürrle über links und Özil über rechts kommen zu lassen. Beide würden dann aber über die jeweils „falsche“ Seite kommen. Gewöhnlich führt das dazu, dass diese Spieler (Bei einem Robben sehr auffällig) auf Höhe des Strafraums nach innen ziehen, damit sie mit dem starken Fuß selbst zum Abschluss kommen (können). Das geht aber zu Lasten der Breite im Angriffsspiel. Die Breite war aber, Detzer`72 ließ dies in seinem Kommentar (s.o.) schon im Bezug auf die AVs anklingen, ganz offensichtlich gewünscht. Wenn ich mich für eine derart offensive Taktik entschieden habe, wie Löw für dieses Spiel, dann wird der bespielbare Raum in der gegnerischen Hälfte ohnehin sehr eng. Es macht also wenig Sinn, wenn ich dann das Wenige an Raum noch zusätzlich beschneide, weil beide Flügelspieler dazu tendieren, frühzeitig nach innen zu ziehen.
Ein weiterer Grund könnte in der Tatsache zu suchen sein, dass im Vorfeld der Partie im Angriffsspiel der Algerier grundsätzlich eine leichte Präferenz für ihre linke (also unsere rechte) Seite auszumachen war. Wenn ich nun als D-Trainer genau auf dieser Seite einen Spieler mit Zug zum Tor bringe, dann binde ich zusätzlich auch das offensive Personal des Gegners teilweise in der Defensive.
So würde ich es jedenfalls sehen. Aber vielleicht hat jemand anderes eine bessere Erklärung?
Deine Erläuterungen sind fundiert und könnten daher auch stimmen.
Dennoch, Schürle spielte bisher oft links und eine seiner Stärken ist von links nach innen zu ziehen und abzuschließen. Praktisch ähnlich Robben, halt nur von der anderen Seite.
Özil ist m.E. kein „Torjäger“. Er verteilt die Bälle im Gegensatz zu Kroos auf kurze Distanz, also mehr aus der ersten Reihe. Da müsste es doch eigentlich die Mitte, hinter Müller/Klose sein.
Ich habe den Eindruck, Löw nimmt einigen Spielern, durch seine Aufstellung und Taktik, ihre Stärken.
Löw hat sich für einen bestimmten Stil entschieden. Den kann man (s.h. AV-Problematik) mit z.T. guten Argumenten kritisch sehen, sollte ihn aber respektieren. Zu behaupten (machst Du nicht, ich weiß!, liest man aber andernorts), das sei ja alles „falsch“ und er hätte „keine Ahnung“, halte ich für vermessen.
Wenn Du Özil gerne in der Mitte sehen möchtest, was ich grundsätzlich nachvollziehen kann, dann musst Du beantworten, wo Kroos, der vermutlich beste Distanzschütze, spielen soll. Entweder nimmst Du den dann raus (für Götze?), oder Du schickst ihn (statt Özil) auf den Flügel. Letzteres wäre ebenfalls suboptimal. Der andere (neben Kroos), der auch gerne und gut aus der Distanz abschließt, Podolski, fiel für dieses Spiel ja zusätzlich aus. Ich denke, Löw muss als Trainer hier Kompromisse eingehen, zumal mit Reuss der vielleicht flexibelste deutsche Angreifer (beidfüßig) bekanntlich komplett ausfällt. Außerdem ist es ja so, dass die offensiven Leute durchaus nicht stur auf ihrer Position kleben sondern rochieren. Den Özil zentral oder Schürrle auf links gibt es ja auch. Aber eben nur gelegentlich.
Was bei dieser Diskussion noch vollkommen unberücksichtigt bleibt, sind mikrotaktische Überlegungen, etwa welcher eigene Spieler passt optimal zu den wahrscheinlichen Gegenspielern des Gegners…
Obwohl tatsächlich nur spekuliert werden kann, was sich Löw gedacht hat, stimme ich Trapper zu und sehe noch weitere Deatail-Aspekte, Özil und Schürrle gegen deren jeweiliger Lieblingsposition „fußgerecht“ aufzustellen. Nicht nur wirkte er damit dem Drang der beiden entgegen, nach innen zu ziehen und damit den 10er-Raum von Algerien noch enger zu machen. Dieser Raum sollte primär Kroos und Müller, aber auch Schweinsteiger und – nach seiner Einwechslung – Khedira für Vorstöße und Fernschüsse zur Verfügung stehen.
Darüber hinaus sollte dem Spiel so zusätzlich im letzten Drittel mehr Breite gegeben, die Außenverteidiger von Algerien nach außen gezogen und so noch mehr Raum im 10er geschaffen werden. [Dies kann man zwar auch mit offensiven Außenverteidigern erreichen, aber eben nicht mit den bei Deutschland eingesetzten.] Und schließlich war damit wohl auch der Wunsch verbunden, daß Schürrle und Özil auch einmal bis zur Grundlinie durchlaufen, um von dort den Ball zu flanken oder nach hinten in den 16er abzulegen, um mehr Varianten für Angriffe zu haben. [ Mustafi hatte ja gezeigt, daß er zwar hin und wieder in diesen Raum hinter der Abwehr vordringen konnte, aber seine Flanke(n) war(en) dann nicht wirklich verwertbar.] Daß es letztlich dann Müller war, der mit solch einem Vorstoß das 1:0 einleitete, und Schürrle statt Müller auf den 1. Pfosten einlief, zeigt nur, wie flexibel die offensiven Spieler ungeachtet ihrer „Grundposition“ blieben. Aber es war m.E. ein Spielzug, wie ihn Löw sich mit der Aufstellung in der 2. Halbzeit gewünscht hat.
Stimme Dir zu. Genau dieses „in den Rücken der gegnerischen Abwehr kommen“, auch darum dürfte es (vermutlich) gegangen sein. Der „falschfüßige“ Spieler muss zudem zum Flanken u.U. erst den Ball auf den „richtigen“ Fuß legen, wodurch Tempo/Zeit verloren geht. Außerdem drehen die Flanken, wenn sie nicht gerade mit dem Außenrist geschlagen werden, in der Mehrzahl zum Tor (anstatt vom Tor weg). Auch das kann man wollen, oder auch nicht.
Zu Deinem letzten Absatz möchte ich nur eine kleine Anmerkung machen.
Wer sollte sich eigentlich wem anpassen? Der Schwächere dem Stärkeren oder umgekehrt?
Sollte Deine Antwort die eines Juristen sein (Es kommt darauf an.), hätte ich Verständnis.
Ich denke allerdings auch, dass Löw die Spiele verloren, in denen er sich relativ weitgehend auf den Gegner eingestellt hat.
Ich denke, darum geht es mir, dass Du als Trainer eine Vielzahl von verschiedenen(!) Gesichtspunkten zu berücksichtigen hast. Dabei sind auch regelmäßig Kompromisse gefordert. Und dann musst Du (oder Löw) für dich abwägen, wo Du die Schwerpunkte setzen möchtest, was Dir wesentlich und wichtig erscheint. Dass alles immer 1:1 und optimal aufgeht, also jeder Spieler auf seiner Ideal- oder Wunschposition zum Einsatz kommen kann, das halte ich eher für die Ausnahme als die Regel.
Nicht zu vergessen: drei Problembereiche, die Löw schon (mehr oder minder) zu Kompromissen zwingen, hatten wir hier schon herausgearbeitet:
1. klimatische Bedingungen;
2. nachlassende Einsatzfähigkeit von Klose;
3. die beiden namhaften, aber nicht topfitten 6er, Schweinsteiger und Khedira.
Nachsatz: wer sich wem anpassen sollte, halte ich für die falsche Fragestellung. Ich denke, dass man als Trainer immer bemüht ist, einen möglichst optimalen Mix auf den Platz zu bekommen. Und da sind Überlegungen wie: passt Spieler X zu Gegenspieler Y? ein Teil der Fragen, die man sich stellt. Vollständige Anpassung im Sinne einer Unterwerfung war damit nicht gemeint.
Ich möchte auf diesen Artikel der ZEIT hinweisen: http://www.zeit.de/sport/2014-07/neuer-loew-lahm-wm-2014
Lesenswert!
Stimmt, lesenswert. Danke für den Link. Der Beitrag hilft mir manches besser zu verstehen.
Hm. Die Fragen, die der Autor dort aufwirft, werden dem Bundestrainer aber eben nicht gestellt! Natürlich lässt sich alles irgendwie begründen, doch die Sache ist die: Löw hat eine bestimmte Vorstellung davon, wie gespielt werden soll. Das hat erst mal niemand zu kritisieren. Mich interessiert, wie er das umgesetzt sieht, und wenn die Antwort lautet, dass das noch nicht so ist, wie er es gerne hätte (wovon man ausgehen kann, er deutete das in Interviews ja an), wüsste ich eigentlich gerne, wie er dem Optimum näher kommen möchte. Oder anders gefragt: Wenn Löw während des Spiels merkt, dass manches nicht so läuft, wie ausgegeben/trainiert/besprochen, welche Ideen gibt es, hier gegenzusteuern?
Vielleicht ist diese Erwartung ja auch falsch, oder ich erkenne das einfach nicht (will ich gerne eingestehen). Aber ich kann mir einfach nicht erklären, wie so großartigen Fußballern solche Fehler unterlaufen können, wie wir sie gegen Algerien zuhauf gesehen haben. Leichte Ballverluste, technische Ballannahme-Fehler. Man hat richtig merken können, wie es die Spieler selbst verunsichert (ich habe gerade so einen Blick von Mertesacker vor Augen). Und ich kann auch nicht verstehen, wie wenig laufbereit sich die deutschen Spieler in der 1. HZ gegeben haben. Du hast es ja weiter oben im Text beschrieben, lieber Trapper. Was läuft schief, wenn einem hochtalentierten Götze so gar nichts gelingen mag?
Ich bin pessimistisch, was das Spiel morgen angeht. Ehrlich.
richtig, die Fragen werden ihm nicht gestellt. Hauptsächlich mangels Kompetenz, meine ich.
Der Boulevard befeuert mit Hilfe der „Experten“ lieber das, was das einfache Volk zu erkennen glaubt.
Welche Ideen es konkret gibt, das würde er wohl auch nicht beantworten. Zum einen mit Rücksicht auf die Gegner, zum anderen weil es zu sehr ins Detail ginge.
Morgen ist ein anderes Spiel. Gespannt bin ich, wie die Franzosen agieren. Ob sie z.B. die stark mannorientierte Verteidigung aufnehmen. Denn die schien Özil und Co gar nicht zu schmecken…
Eine Abbitte … an Löw und die N11
Ich habe mir angewöhnt, (fast) alle deutschen Turnierspiele mind. 2 x zu sehen. Mir ist aufgefallen, daß mir beim ersten Sehen – dem Miterleben – durch eben dieses „Erleben“ viele Dinge entgehen. Oft sehe ich nur das Ergebnis (Tor, Foul, Ballverlust, was immer), kann mich in dem Moment aber schon nicht mehr an den genauen Hergang des Spielzuges erinnern. Fehler der eigenen Mannschaft werden von meiner – in diesem Moment „angst“besetzten – Wahrnehmung überaus vergrößert und instinktiv mit Prognosen, was wohl beim nächsten Fehler dieser Art passieren KÖNNTE, geradezu überladen. Gleiches geschieht mit den wahrgenommenen Stärken des Gegners. Natürlich fehlt beim 2. Gucken die genußvolle Emotionalität, aber da mir das Thema wichtig ist, steht der Wunsch nach wirklichem Begreifen und Erfassen der Fakten im Vordergrund. Und gestern habe ich mir nun das „Algerienspiel“ ein 2. Mal zu Gemüte geführt …
Sie haben es doch getan, dachte ich etwa in der 30. Min. der 1. Halbzeit, die deutschen Spieler, sie haben allen Beteuerungen zum Trotz den Gegner – und vor allem dessen geradezu überwältigende Leidenschaftlichkeit – schlicht unterschätzt. Für sie war es das 4. Spiel von (erhofften/geplanten) 7 Spielen, nicht mehr und nicht weniger. Für Algerien aber war es DAS Finale (wie allerdings auch jedes weitere für Algerien DAS Finale gewesen wäre). Und genauso gingen sie auch in dieses Spiel …
In den ersten 10 Min. wurde den deutschen Spielern dieser Unterschied bewußt, aber sie hatten so spontan kein Gegenmittel. Sie reagierten verunsichert, spürten m.E., daß sie innerlich (noch) nicht bereit waren, den Kampf auf diesem emotionalen Level anzunehmen, glaubten vielleicht (noch), das Spiel allein mit ihrer technischen Überlegenheit beherrschen zu können. Immer weniger Mitspieler wollten in dieser Phase aktiv den Ball haben, hatten sie doch schon gespürt, wie unangenehm es war, wenn bei praktisch jeder Ballannahme gleich 2 Algerier in die Beine grätschten. Dies war die Phase zwischen der 10. und ca. 30. Min. der 1. Halbzeit, in der all die Stoppfehler, Fehlpässe und fehlenden Anspielstationen zu beobachten waren, die sich wohl kollektiv ins Gedächtnis des heimischen Publikums gebrannt haben, so zumindest in meins.
Kurz vor der 30. Min. gab der Kommentator bekannt, daß Löw Khedira, Klose und Draxler zum Aufwärmen geschickt hat. DAS (1. Abbitte an Löw) war eben doch „in-game-coaching“ von Löw, mit dem er seinen Spielern auf dem Platz signalisierte, sie müßten ja nicht spielen, wenn sie nicht wollten, es würden andere nur zu gern mit ihnen tauschen. Okay, es mag auch nur zeitlicher Zufall gewesen sein, aber das Spiel auf dem Platz wurde von Minute zu Minute immer besser, organisierter. Die ersten souveränen Ballzirkulationen waren zu sehen, gegen Ende der 1. Halbzeit sogar die ersten durchdachten Offensivaktionen. M. E. haben die Spieler (erst) in dieser Schlußphase der 1. Halbzeit das Spiel angenommen, das ihnen von Algerien durch deren unbändigen Siegeswillen aufgezwungen wurde.
Die 2. Halbzeit begann dann so, wie man sich das Spiel einer technisch überlegenen Mannschaft gegen eine leidenschaftlich „überlegene“ Mannschaft eigentlich vorgestellt hatte. Deutschland hatte seine Souveränität im Mittelfeld wiedergewonnen und ließ die Algerier immer öfter schlicht ins Leere laufen, ließ den Ball zirkulieren, ohne allerdings allzu viele Chancen zu kreieren. Aber auch die Vorstöße der Algerier wurden immer rarer, und nicht nur, weil die Algerier zu diesem Zeitpunkt bereits müde gewesen wären sondern vor allem, weil die deutschen Spieler ihre zeitweise verlorene Souveränität wiedergewonnen hatten. Die Hereinnahme von Schürrle führte darüber hinaus tatsächlich zu einer höheren Vertikalität. Seine ganze dynamische, athletische Spielweise paßte auch viel besser zu der Algeriens als die von Götze, der an diesem Tag überdies ohne Fortune agierte. Wären sie vom Glück begünstigt gewesen wie z.B. die Niederländer, hätten sie m.E. das Spiel schon in der regulären Spielzeit für sich entscheiden können. Aber zwei Dinge standen dem entgegen …
Zum einen hatte Rais, der algerische Torwart, einen, wie man so schön sagt, Sahnetag erwischt und wuchs über sich hinaus. Und zum anderen mußte Mustafi bei den Deutschen verletzt raus. Wer jetzt zu erinnern meint, daß mit der darauf folgenden Einwechslung Khediras und dem Rochieren von Lahm auf seine angestammte Außenverteidigerposition die Deutschen endlich so gespielt hätten, wie das von vornherein gewünscht/gefordert/erhofft worden war, der übersieht, was Oliver Fritsch in dem zuvor „gelinkten“ Zeit-Artikel völlig richtig herausgearbeitet hat. Das zentrale Mittelfeld (2. Abbitte an Löw) verlor ein Gutteil seiner Ordnung! Die Dynamik Khediras „pushte“ zwar in der Tat das Offensivspiel, brachte zugleich aber auch die Algerier wieder besser ins Spiel, weil sie auf einmal wieder Lücken fanden, die sie zuvor mit Lahm auf der 6 nicht mehr gefunden hatten.
Für den Zuschauer wurde es ein viel interessanteres Spiel, weil es eben auch offener auf beiden Seiten war. Genau das ist aber in aller Regel für einen Trainer nicht gewünscht, weil der Ausgang ebenfalls „offener“, unberechenbarer wird. [ Ich erinnere noch gut, daß ich beim 1. Gucken nur die letzten 5 Min. der 2. Halbzeit „Angst“ hatte, weil mir klar war, wenn Algerien jetzt ein Tor schießt, dann war’s das.] Als Trainer, vor allem wenn man den Turniersieg als Ziel aus- und vorgegeben (bekommen) hat, muß man m.E. solche Spielsituationen „hassen“, eben weil sie genau zu dem beschriebenen Ergebnis führen können, daß man (viel) zu früh aus dem Turnier ausscheidet.
Ich habe gestern gelernt, daß Löw sehr wohl einen Plan und vor allem sehr gute Gründe dafür hat, warum er bei der gegebenen Situation (kein Gündogan, keine Benders, Schweinsteiger und Khedira nicht in Top-Form) unbedingt an Lahm auf der 6 festhält. Und ich möchte ihm mit Oliver Fritsch zurufen: „Laß Dich nicht beirren …“
Und schließlich eine Abbitte an die Spieler: Wenn schon „ganz Deutschland“, wie die Reaktionen in den Medien und den privaten Diskussionsrunden zeigen, Algerien als „bloße Durchgangsstation“ schlicht unterschätzt hat, dann ist es auch ihnen zuzugestehen, Opfer einer ähnlichen Mentalität geworden zu sein. Sie aber haben diesen Fehler bereits während des Spiels nicht nur eingesehen, sondern zum Glück für uns alle auch korrigiert und deswegen schließlich gewonnen.
So bin ich auch – dies in Richtung von MrsCgn – überzeugt davon, daß wir morgen eine deutsche Mannschaft mit einem völlig anderen Auftreten und entsprechend einem ganz anderen Spielwitz erleben werden, als zu Beginn der Partie gegen Algerien. Eine Garantie auf den Sieg gibt es – zum Glück! – sowieso nicht, denn es wird ein Spiel auf Augenhöhe … und doch bin ich OPTIMISTISCH!
Das, was Du für die erste Hälfte festgestellt hast, entspricht auch ganz meiner Wahrnehmung.
Ich glaube, man war sich im Vorfeld der Partie sehr wohl bewusst, dass die Algerier „um ihr Leben kämpfen“ würden, glaubte jedoch, dass es die eigene technisch-taktische Überlegenheit schon richten würde. Dann begann das Spiel und entwickelte seine eigene Dynamik. Bis man sich dann wirklich ganz auf die leidenschaftliche Spielweise des Gegners eingestellt hatte, war die erste Spielhälfte fast vorbei.
@Detzer’72
Da haben wir es. Es ist ja jetzt angesagt, auf alle zu schimpfen, die von der deutschen Mannschaft etwas mehr erwartet hatten: auf die Zuschauer, die ja sowieso mehrheitlich keine Ahnung hätten, auf die Medien, die arrogant daherkommen und den Gegner in Grund und Boden gespielt sehen wollten, auf die vermeintlichen Experten, die ja doch nur Müll laberten .. am Ende des Tages stellen wir aber fest: Die Mannschaft hat den Gegner unterschätzt. Obwohl sie vorher immer etwas anderes behauptet hat. Exakt da setzt meine Kritik an. Ich kann den Zuschauern/Beobachtern doch nicht vorwerfen, was ich selbst nicht so viel anders sehe. Die ersten 30 min sind in der Tat anders nicht zu erklären. Heißt: In den Köpfen steckt eben dieses „mir san mir“ (noch nie standen so viele Bayern in der Startelf eines WM-Spiels der Deutschen) drin.
Wenn da von Demut die Rede ist, die uns allen natürlich immer gut zu Gesicht steht, dann gilt das auch für die Herren Fußballspieler. Ich will hoffen, dass die Franzosen der Gegner sind, den die Mannschaft jetzt braucht, einer, bei dem keine Gefahr besteht, ihn zu unterschätzen, einer, auf den sie richtig Bock hat, ihn nach Hause zu schicken.
Bleibe immer noch pessimistisch.
Mit „unterschätzen“ meine ich bei den Spielern – anders als bei der breiten Öffentlichkeit – nicht etwa ein bewußtes Negieren der möglichen Stärke des Gegners. Ich bin sogar sicher, daß nicht nur Löw sondern sie sich auch selbst gebetsmühlenartig vorgebetet haben, daß Algerien nicht zu unterschätzen ist, daß sie leidenschaftlich spielen werden, daß man Respekt haben muß, etc. Aber es ist eben ein Unterschied, ob man sich das rational bewußt macht oder auch fühlt. M.E. fehlte einfach zu Beginn das Adrenalin, das bei einem Gegner wie z.B. Brasilien automatisch freigesetzt wird, wenn das Spiel beginnt, weil unterbewußt eben doch immer mitschwang, es ist „nur“ Algerien. Ich glaube, man kann sich nicht einfach „künstlich“ auf ein gewünschtes oder erforderliches Erregungsniveau bringen, das man für absolute Topleistungen benötigt.
Was meinst Du mit „pessimistisch“ – im Hinblick auf den Ausgang des Spiels oder das Auftreten der deutschen Mannschaft? Ersteres ist ja völlig legitim, zweiteres hatte ich versucht, durch meine Darlegungen zu dem Spiel zu widerlegen.
Exakt. Aus eigener Wettkampferfahrung kann ich ein Lied davon singen. Leider. Das Erregungsniveau erreicht man gewöhnlich nur gegen Top-Gegner. Das hat mit überheblicher Geringschätzung der anderen, „normalen“ Gegner nichts zu tun.
Ich bin sicher: Frankreich und Viertelfinale – das ist für die Elf auch unter diesen Gesichtspunkten etwas anderes. Gegen Algerien konnte man nichts wirklich gewinnen, fast nur verlieren, weil ein Weiterkommen als Pflicht angesehen wurde, und zumindest die Öffentlichkeit zuvor nur über die Höhe des Sieges spekuliert hat. Ein Spiel gegen Frankreich ist fußballhistorisch einfach von anderem Kaliber. Sowohl für die Fans als auch für die Spieler.