Polizei

Sollen Bundesligisten für Polizeieinsätze bei Risikospielen bezahlen?

Heute möchte ich mich hier einer grundsätzlichen Fragestellung widmen, deren Bezug  zum HSV (und zum FC St. Pauli) jedoch auf der Hand liegt. Der Bremer Senat hat bekanntlich beschlossen, dass man zukünftig die Mehrkosten für Polizeieinsätze bei s.g. Risikospielen den jeweils austragenden Vereinen, bzw. der DFL, in Rechnung stellen wolle.

Alte Forderung üblicher Verdächtiger

Es sind inzwischen mehr als zwanzig Jahren vergangen, da wurde meines Wissens erstmalig in Deutschland die Forderung erhoben, die Profifußballvereine sollten die Einsatzkosten für die Polizei ganz oder teilweise bezahlen. Die, die dies fordern [Anm.: meist waren es politische Hinterbänkler, Finanz- oder Innenminister, oder die GdP], beriefen und berufen sich auf das Verursacherprinzip, welches hier angeblich zur Anwendung zu bringen sei.  Dennoch versickerte die Debatte bisher – aus guten Gründen! – stets folgenlos. Nun also der Vorstoß des Bremer Senats.

Die Antwort der DFL ließ nicht lange auf sich warten. Man werde entsprechende Regressforderungen des Senats im Wesentlichen an Werder Bremen weiterreichen, so war zu vernehmen. Zudem sollen wohl ab sofort und bis auf Weiteres keine Länderspiele mehr in Bremen ausgetragen werden. Zudem wird man davon ausgehen müssen, dass die DFL (und/oder Werder Bremen) einen entsprechenden Kostenbescheid des Senats unverzüglich juristisch anfechten werden. Denn aus Sicht der Kritiker ist die vorgesehene Bremer Regelung sehr wahrscheinlich verfassungswidrig.

Zuständigkeiten (im und außerhalb des Stadions)

Um in dieser Debatte zu einer eigenen Meinung zu finden,  gilt es zunächst, sich grundsätzliche Fragen bewusst zu machen.

Innerhalb des Stadions übt der gastgebende Verein das Hausrecht aus. Er kann bei Verstößen gegen die Stadionordnung, bzw. bei Verstößen gegen die AGBs beim Kartenerwerb, ein Stadionverbot aussprechen. Zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Stadion beschäftigen die Vereine der obersten deutschen Spielklassen seit Jahrzehnten private Sicherheitsunternehmen. Deren Ordner verfügen jedoch nur über das (eingeschränkte) s.g. Jedermannsrecht gem. § 127, Abs. 1 StPO. Sie dürfen einen Stadionbesucher, den sie z.B. auf frischer Tat ertappen, vorläufig zwar festnehmen, die Feststellung der Personalien des Verdächtigten obliegt jedoch der Polizei (§ 163b StPO).

Außerhalb des Stadions, also bei An- und Abreise der Zuschauer über öffentliche Wege, ist der gastgebende Verein (oder sein Ordnungsdienst)  nicht mehr zuständig. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ist hier grundsätzlich allein Sache der Polizei. Und das ist gut so. Denn in unserer Gesellschaft besitzt allein der Staat das Gewaltmonopol, nicht Privatpersonen, einschlägige private Unternehmungen oder irgendein Verein. Die Länder haben eigene Gesetze zur Regelung polizeilicher Befugnisse erlassen. In Hamburg etwa regelt all dies das Gesetz zum Schutz der Sicherheit und Ordnung (SOG).

Wenn  die Polizei also außerhalb des Stadions tätig wird, dann weil allein sie dazu befugt ist. Mit anderen Worten: sie erfüllt hier einen Teil ihrer originären Arbeit. Auch dafür bezahlt der Bürger schließlich seine Steuern. Und es tut nichts zur Sache, ob der einzelne Steuerzahler z.B.  findet, dass zu viel Geld für derartige Einsätze der Polizei speziell im Zusammenhang mit dem Fußball ausgegeben wird, bzw. der Meinung ist, dass die entsprechenden Gelder besser anderweitig investiert worden wären. Zur Mittelverwendung darf man selbstverständlich in einer freiheitlichen Gesellschaft eine eigene Meinung besitzen, über die Verwendung der Steuergelder befindet bekanntlich jedoch nicht der einzelne Bürger, sondern die Politik.

Sicherheitsdienste, Infrastruktur und Fanbetreuung

Doch kehren wir zur Situation innerhalb der Stadien zurück. Wie bereits angesprochen, beschäftigen die Vereine eigene Ordnungsdienste. Mittelbar erfolgt deren Bezahlung durch entsprechende Aufschläge bei der Preisgestaltung für die Eintrittskarten. Darüberhinaus haben die Vereine in den letzten Jahrzehnten erhebliche Summen in die Infrastruktur und damit auch in die Sicherheit ihrer Zuschauer investiert. Das begann mit dem Bau der Zäune vor den Tribünen in der Hochzeit der Hools in den achtziger Jahren, setzte sich fort mit deren Rückbau nach der Tragödie im Brüsseler Heysel-Stadion und wurde fortgeführt durch den Neubau ganzer Stadien im Zuge der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland. Auch die Einführung personalisierter Eintrittskarten, für die entsprechende Lesegeräte an den Eingängen der Stadien erst installiert werden mussten, ist hier zu nennen. Darüberhinaus beschäftigen die Vereine eigene Fan-Betreuer, die im regelmäßigen Dialog mit der eigenen Klientel stehen und die Fans auch auf Auswärtsfahrten begleiten. Vermutlich wäre in dem einen oder anderen Fall ein finanziell (und inhaltlich) stärkeres Engagement der Vereine durchaus wünschenswert. Dass hier aber hoch profitable Vereine entsprechende Kosten für die Sicherheit auf dem Rücken der Steuerzahler generell einfach sozialisieren, ohne selbst nachweisbares zu leisten, dies halte ich daher mit Verlaub für eine Legende interessierter Kreise. Vergessen wird nicht zuletzt, dass die Profivereine unmittelbar erhebliche Steuern an die Kommunen abführen. Darüberhinaus profitieren die Kommunen zusätzlich  mittelbar durch den Spielbetrieb. Etwa im Bereich der Gastronomie und der Touristik. Den Mehraufwendungen bei der Polizei für s.g. Risikospiele, die nun einmal Teil eines regulären Spielplans sind, stehen diverse geldwerte Leistungen und Investitionen der Vereine gegenüber.

Mögliche Probleme und Konsequenzen der Anwendung des Verursacherprinzips.

Sport ohne Rivalität ist undenkbar. Gerade Fußballspiele beziehen einen Teil ihres Reizes aus lokalen Vergleichen, den Derbys. Dass es im Umfeld derartiger Begegnungen auch zu gewalttätigen Ausschreitungen kommen kann, ist grundsätzlich nicht zu verhindern. Man muss das ggf. scharf kritisieren, man darf in der Prävention nicht nachlassen – wer wollte dies bestreiten?! Aber ein Fußball gänzlich ohne Sicherheitsrisiken ist wie die Idee einer Welt ohne jede Kriminalität – utopistisch.

Darüberhinaus ist grundsätzlich auch eine Grenze des Zumutbaren für Veranstalter zu beachten, bei deren Veranstaltungen der öffentliche Raum mitgenutzt wird. Nehmen wir bspw. an, ein Verein vereinbarte ein Freundschaftsspiel gegen eine Mannschaft aus Israel, um ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen. Aufgrund der derzeitigen politischen Lage müsste man dann hier wohl leider von einem Risikospiel sprechen. Sollte dieser Verein, da er doch ein Risikospiel veranstaltet, etwa die Einsatzkosten der Polizei tragen? Obwohl Deutschland Israel aus Gründen historischer Verantwortung freundschaftlich verbunden ist? Oder nehmen wir einen Verein, der sich ausdrücklich dem Kampf gegen Rassismus und Homophobie verschrieben hat und unter diesem Motto ein Spiel austrägt. Auch hier müsste man aus  der Perspektive der Sicherheitskräfte mit Störungen rechnen. Den damit dann zu erwartenden, zusätzlichen Aufwand der Polizei soll dieser Verein bezahlen? Das kann nicht gewollt sein, auch nicht von den Befürwortern der Bremer Regelung. Wenn aber das Kriterium Risiko nicht grundsätzlich greifen kann und darf, dann stellt sich die nächste Frage: Für welche Art von Risikospielen sollen die Vereine denn haften? Wer definiert eigentlich, was für den Veranstalter ggf. kostenpflichtig wird und was nicht?

Hohe Gehälter und Millionengewinne

Nun wird in dieser Debatte gerne herausgestellt, dass die deutschen Profifußballvereine erhebliche Gewinne generieren würden. Eine Kostenbeteiligung sei daher zumutbar, heißt es. Da in diesem Land der Gleichheitsgrundsatz gilt, müsste m.E. das Verursacherprinzip grundsätzlich für alle Vereine gelten. Oder soll zukünftig das Finanzamt die Frage entscheiden, ob Verein X derart profitabel ist, dass er sich an den Kosten für Einsätze der Polizei – die als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft außerhalb des Stadions allein hoheitlich befugt ist!-  zu beteiligen hat, Verein Y aber den entsprechend zu definierenden Grenzbetrag nicht erreicht? Auch die Profitabilität kann m.E. hier nicht als überzeugendes Kriterium dienen. Oder soll am Ende ein finanziell darbender Veranstalter besser gestellt sein als jemand, der profitabel arbeitet?

Was bei dieser Debatte ebenfalls übersehen wird: gewalttätige Ausschreitungen unter rivalisierenden Gruppen haben sich doch gerade aufgrund des repressiven Drucks des Sicherheitsapparates in den Stadien der ersten beiden Ligen zunehmend in unterklassige Ligen verlagert. Will man also einem Fußballverein, der in der dritten, vierten oder gar fünften Spielklasse ansässig ist, auch entsprechende Mehrkosten aufbürden, obwohl diese Vereine eben fern ab der Millioneneinnahmen ums Überleben kämpfen? Oder bekommen diese Vereine die polizeiliche Leistung, die, noch einmal sei es betont, zum Kernbereich ihres Zweckes Aufgabenspektrums gehört, kostenfrei?

Populismus interessierter Kreise

Es verwundert mich nicht, dass ausgerechnet der Bremer Senat jetzt diesen Vorstoß wagt. Ist das kleinste Bundesland doch notorisch klamm bei Kasse. Die zugegebenermaßen strukturellen Probleme des Landes können jedoch nicht als Begründung dafür dienen, um auf Kosten des größten ortsansässigen Profivereins vom Jahrzehnte währenden Versagen Bremer Wirtschafts- und Finanzpolitik abzulenken.

Der Fußball ist in einer sich fortschreitend partikularisierenden Gesellschaft, das war erst jüngst im kollektiven Jubel über den Weltmeistertitel für die deutsche Mannschaft erneut zu besichtigen,  eine der wenigen verbleibenden, alle gesellschaftlichen Schichten erreichenden und vereinigenden identitätsstiftenden Narrationen. Dass sich die Bremer Landespolitik ausgerechnet in diesem Bereich nun Leistungen vom „Verursacher“ erstatten lassen will, die unter Berücksichtung des Gewaltmonopols des Staates zu den Kernaufgaben eben dieses Staates zu zählen sind, ist auch nicht mit jenem Fall zu vergleichen, in dem bspw. eine Privatperson bei Nachweis von grober Fahrlässigkeit zur Kostenerstattung z.B. bei Rettungskräften verpflichtet wird. Denn z.B. bei leichtfertig verursachten Fehlalarmen oder einer Haustier-Rettung (durch die Feuerwehr) ist kein übergreifendes Interesse der Allgemeinheit erkennbar. Was die Veranstaltung von sportlichen oder kulturellen Großereignissen angeht, so wird man dies aber bejahen müssen.

Kritik an DFB, DFL und Vereinen

Mindestens nachvollziehen kann ich die Kritik [s.h. auch hier: http://www.begleitschreiben.net/warum-nicht/], dass in Sachen Engagement der Profivereine und ihrer übergeordneten Institutionen wie DFB und DFL manches mitunter den Anschein von Lippenbekenntnissen erweckt. Vieles wäre mit Recht zu kritisieren, so z.B. auch die Tatsache, dass man als normaler Stadionbesucher schneller als so mancher zu glauben bereit ist auf der Liste derjenigen landen kann, die als angeblich Gewaltbereite langanhaltende Stadionverbote erhalten. Auch das dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Nur dürfte dies den Propagandisten der Bremer Regelung nicht schmecken, da es wohl eher als zusätzliches Indiz dafür zu werten wäre, dass die Vereine z.T. überschießend (und damit rechtlich ebenfalls zweifelhaft) präventiv tätig sind.

Gesellschaftliche Probleme, und dazu gehören auch Antisemitismus, Rassismus, Homophobie und Gewaltbereitschaft in und außerhalb der Stadien, lassen sich nur gemeinsam gesellschaftlich bekämpfen. Ungeachtet der Frage, ob das Engagement der (Sport-)Vereine und Verbände als ausreichend zu betrachten ist, oder weiter verstärkt werden müsste, leisten diese einen gewichtigen gesellschaftlichen Beitrag. Diese Probleme sind, ob es dem Bremer Senat nun gefällt oder nicht, weder von Einzelnen noch von (in Bremen) ausgewählten Veranstaltern zu lösen. Auch nicht mit den Mitteln von Stadionverboten, Strafrecht oder gar Finanzrecht.

Es bleibt dabei: Exakt für die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben durch den Staat und seine Organe zahlen sowohl der einzelne Stadionbesucher als auch Unternehmungen und Vereine bereits Steuern. Der Staat darf sich weder daraus zurückziehen, noch darf er sich unter Anwendung zweifelhafter Kriterien die damit zwangsläufig verbundenen Kosten selektiv erstatten lassen.

Ich gehe davon aus, dass die vorgesehene Bremer Regelung im Fall der wohl zu erwartenden juristischen Auseinandersetzung keinen Bestand haben wird. Tatsächlich wirft sie mehr Fragen auf, als sie m.E. zu beantworten in der Lage ist.

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Eine Niederlage, die Anlass zu leiser Hoffnung gibt: HSV – FC Bayern München 1:4 (0:1)

Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt – was wie ein vorweggenommenes Fazit klingt, galt schon vor dem Spiel. Hatte ich nach der Verletzung Zouas u.a. mit Maggio als vorderster Spitze gerechnet, so überraschte HSV-Trainer Slomka mit der Aufstellung gleich mehrfach:

Adler – Diekmeier (60. John), Westermann (76. Tah), Mancienne, Jiracek – Rincon, Tesche, Badelj, Calhanoglu – van der Vaart (67. Demirbay) – Ilicevic

Tesche ersetzte den gelbgesperrten Arslan; Rincon spielte statt Calhanoglu vor Diekmeier auf der rechten Außenbahn; Calhanoglu nahm stattdessen die Ilicevic-Rolle auf der anderen Seite, der linken Außenbahn ein, und Ilicevic ersetzte Zoua als vorderste Spitze. Nach den zuletzt gezeigten Leistungen erschien der Verzicht auf Maggio grundsätzlich als nachvollziehbar. Die daraus resultierenden Umstellungen waren angesichts der zuletzt gezeigten Leistungen folgerichtig. Für den Verzicht auf Jansen habe ich jedoch keine explizite Begründung gefunden. Nachdem ich hier aber bereits mehrfach festgestellt hatte, dass Marcels Spiel sehr stark von seiner körperlichen Verfassung abhängig ist, empfand ich auch diese Maßnahme Slomkas als absolut plausibel. Ein lediglich spielfähiger, aber nicht topfitter Jansen, das zeigte erst jüngst erneut das Spiel gegen die Wolfsburger, ist keine Verstärkung für die Mannschaft. Jiracek hingegen, auch wenn er kein gelernter Außenverteidiger ist, ist stets „bissig“ am Mann und somit ein passabler Ersatz.

Spielbericht: Wer auch dieses Mal mit einem frühen Rückstand für die Gastgeber gerechnet hatte, sah sich eines Besseren belehrt. Der HSV kam gut in die Partie und stand zunächst defensiv sicher. Endlich, endlich agierte man als ein geschlossenes Team. Nicht nur, dass die Abstände zwischen den einzelnen Spielern stimmten, auch die Mannschaftsteile blieben meist eng beieinander. Wahlweise presste man geschlossen offensiv (Oh, Wunder!), oder zog sich gemeinsam hinter den Ball und vor den eigenen Strafraum zurück. Vorne störten die lauffreudigen Ilicevic und van der Vaart immer wieder erfolgreich das Aufbauspiel des Gegners, ohne allein von den guten Wünschen ihrer Mannschaftskameraden begleitet zu werden. Im Ergebnis fanden die Bayern zunächst kaum Räume, um tatsächlich torgefährlich zu werden.

Gerade Ilicevic wirkte überaus engagiert. In der ersten Halbzeit suchte er aus jeder (un)denkbaren Lage den Torabschluss. Gelegentlich wirkte das etwas übermotiviert, aber wer will es ihm gegen einen Gegner verdenken, gegen den man gewöhnlich wenig Chancen erhält?! In der ersten Spielhälfte bot die Mannschaft m.E. die beste Teamleistung seit vielen Wochen. Das konnte sich wirklich sehen lassen. Immer wieder konnte das Spielgerät durch personelle Überzahl in Ballnähe oder gute Antizipation der Passwege des Gegners erobert und eigene Angriffsversuche gestartet werden. All dies war, ist und bleibt vor allem die logische Folge einer mannschaftlichen Geschlossenheit, der viel zitierten Kompaktheit (Wer in diesem Zusammenhang allein auf angeblich fehlenden Einsatzwillen einzelner Spieler abhebt, der sollte besser Hallen-Halma kommentieren.). Wenn man der Hamburger Mannnschaft für die erste Spielhälfte einen Vorwurf machen kann, dann ist es die Tatsache, dass die Mannschaft nach erfolgreicher Balleroberung offensiv wenig klare Möglichkeiten herausspielte. Aber hier ist dann eben auch zu berücksichtigen, welcher Gegner auf dem Feld stand.

So dauerte es mehr als eine halbe Stunde, bis die Bayern die hamburger Defensive erfolgreich überwinden konnten. In der 32. Minute konnten Götze und Robben trotz personeller Überzahl der Hamburger im Strafraum der Gastgeber Doppelpass spielen. Am Ende stand Götze frei vor Adler und schob an ihm vorbei aus fünf Metern in lange Eck. Das früher erwartete 0:1 für den neuen Deutschen Meister. Ärgerlich daran fand ich allein die Entstehung (Überzahl). Das war zu einfach und hätte vermieden werden können.  Immerhin dauerte es bis zur  40. Minute, bis es erneut im Strafraum der Hamburger brannte: Eine Freistoß-Flanke der Bayern von halblinks segelte quer durch den Sechzehner der Gastgeber an den rechten Pfosten. Robben legte per Kopf parallel zur Torlinie quer auf die andere Seite, wo Müller den Ball dann denkbar knapp neben den linken Pfosten am Tor vorbei setzte.

In der 42. Minute dann die beste Möglichkeit des HSVs zum Ausgleich. Tesche(?) bediente van der Vaart am Strafraum der Münchner. Van der Vaart dreht sich um seinen Gegenspieler und zog aus der Drehung mit seinem starken linken Fuß ab. Leider kam der Ball zu zentral auf das Tor. So konnte Neuer gerade noch den Arm hochreißen und diesen fulminanten Schuss über die Querlatte lenken. Eine Minute später bediente Calhanoglu Ilicevic. Ilicevic stand halblinks an der Grenze zum Strafraum und visierte das lange, obere Eck des Gästetores an. Leider verfehlte auch dieser Schuss letztlich das Ziel. Dennoch, nur 0:1 zur Pause –  das war fast mehr, als ich vor dem Spiel zu hoffen gewagt hätte.

In der Halbzeitpause (und kurz nach Wiederanpfiff zur zweiten Spielhälfte) kam es auf der Nordtribüne zu unschönen Szenen. Offenbar hatte einige Wirrköpfe ein oder zwei Banner mit der Aufschrift „A.C.A.B.“ aufgehängt. Diese Kürzel steht bekanntlich für die pauschal beleidigende Behauptung, „all cops are bastards „. Der Einsatzleiter der Polizei kam in einer für mich absolut nicht nachvollziehbaren Abwägung der Verhältnismäßigkeit zu dem Ergebnis, dass er seine Männer mit der Sicherstellung der Banner beauftragen müsse. So versuchten also mehrere Trupps in die beiden Blöcke einzumarschieren. Und es kam, was kommen musste. Ein vollbesetztes Stadion, bei dessen überwiegendem Teil der Zuschauer die Nerven ohnehin angesichts des Rückstandes und der Tabellensituation zum zerreißen gepannt gewesen sein dürften, und dann der Versuch, zweifellos idiotische, beleidigende Banner ausgerechnet von der Nordtribüne, der Heimstatt der Ultras zu entfernen. Es kam also zu einer absolut vorhersehbaren Eskalation. Die betroffenen Blöcke wehrten sich gegen das Eindringen der Polizei. Die Ordnungskräfte wiederum versuchten mit Zwangsmaßnahmen, zu denen auch der ausgiebige Einsatz von Pfefferspray gehörte, den Einsatzbefehl des Einsatzleiters umzusetzen. Das Resultat der Geschichte: unnötiger Krawall und dutzende Verletzte auf beiden Seiten, darunter auch vollkommen unbeteiligte Zuschauer. Man muss sich diese Rechtsgüterabwägung durch die Einsatzleitung mal auf der Zunge zergehen lassen: Wenn Gefahr für den Leib droht, z.B. durch das unsägliche Abbrennen von Pyrotechnik, passiert oft genug nichts oder zu wenig. Wenn man sich aber beleidigt fühlt, dann schickt man unverzüglich Hundertschaften ins Gefecht. Ich frage mich, wem ich hier weniger Verstand bescheinigen soll: Den Schwachköpfen, die derartige Banner im Stadion aufhängen, aber außerhalb des Stadions „privat“ nach der Polizei plärren, wenn es ihnen gerade passt? Oder der Einsatzleitung der Polizei, die, um eine Beleidigung durch ein Paar Hirnlose zu unterbinden, billigend in Kauf nimmt, dass dutzende wenn nicht gar hunderte vollkommen unbeteiligte Zuschauer zu Schaden kommen? Rechtsgüterabwägung und Verhältnismäßigkeit gehen in meinen Augen jedenfalls anders.

Zurück zum Spiel: In der 55. Spielminute bekam der FCB einen Eckstoß auf ihrer rechten Angriffseite zugesprochen. Die Hamburger zogen sich alle in Erwartung einer Flanke tief in den eigenen Strafraum rund um den eigenen Fünfmeter-Raum zurück.  Am rechten Eck des Sechzehners stand Götze mutterseelenallein und hatte nach der Ballanahme alle Zeit der Welt. Ein Anfängerfehler der HSV-Defensive, wie man ihn normalerweise nur im unterklassigen Jugendfußball sieht. Als Tesche endlich herausrückte,  war es im Prinzip schon zu spät. Götzes Schuss wurde von Müller entscheidend abgefälscht – das 0:2. Wahnsinn! Da verteidigt der HSV endlich, endlich als Team und schaufelt sich die Gegentore im Grunde selbst hinein. Als Betrachter stelle ich mir die Frage, wie Bundesligaspieler(!) derart „verteidigen“ können. Fühlt sich in einer solchen Situation keiner verantwortlich, oder gibt es keinen, der den Hinweis auf den freien Mann und das  Kommando gibt? Möglicherweise ist dies ein weiteres Indiz für eine suboptimale Struktur in dieser Hamburger Mannschaft. Aber das ist lediglich eine Spekulation meinerseits.

Slomka reagierte und brachte zunächst John für Diekmeier (60.). Rincon rückte nun zurück auf die Rechtsverteidiger-Position. Zu loben ist,  dass sich die Mannschaft des Hamburger Sportvereins trotz des Zwei-Tore-Rückstandes weder aufgab, noch grundsätzlich in die alten Fehler (fehlende Kompaktheit) verfiel. In der 67. Minute schoss der erneut starke Calhanoglu aus 16 Metern auf das Tor der Bayern. Neuer rette mit Mühe. In der 67. brachte Slomka dann Demirbay für Hamburgs Kapitän van der Vaart. „Raffa“, der bis dahin (meist zusammen mit Ilicevic) unermüdlich versucht hattte, den Spielaufbaus der Bayern zu stören, schien mit seinen Kräften (Verletzungshistorie) zunehmend  am Ende.
Die Bayern überließen nun den Gastgebern untypischerweise ein wenig das Spiel. In der 72. Spielminute zeigten sie dann, dass sie unverändert auch kontern können. Robben lief den Hamburgern auf und davon. Seinen Schuss konnte Adler zwar noch mit Mühe parieren, doch der Abpraller kam zum aufgerückten Müller. Der passte zu Götze, der erneut völlig frei halbrechts im Strafraum stand. 0:3 – so einfach kann das gehen.

Nur zwei Minute später dann die Antwort der Hamburger: Der junge Demirbay lief über die rechte Hamburger Außenbahn und ließ erfolgreich hintereinander drei Bayern aussteigen. Sein Seitenwechsel fand Calhanoglu. Dieser zog von der linken Außenbahn am Sechzehner nach innen und schoss für Neuer unhaltbar ins lange Eck. „Nur“ noch 1:3 für den Favoriten (72.) Ein aus meiner Sicht gleich in mehrfacher Hinsicht ganz wichtiger Treffer. Zum einen legte er die Grundlage dafür,  dass sich so die Niederlage in Grenzen hielt, was mit Blick auf die Tabelle und dort die Tordifferenz von Bedeutung ist, zum anderen dürfte er damit den Frust des Hamburger Publikums ein wenig in Grenzen gehalten haben…

Nur drei Minuten später lief der gerade eingewechselte Pizarro Mancienne davon und schoss auf das Hamburger Tor. Adler konnte den Schuss mit äußerster Mühe gerade noch parieren, aber der Ball sprang nach vorne hoch weg – kein Vorwurf an dieser Stelle. Pizarro schaltete blitzschnell und netzte per Fallrückzieher aus ca. 8 Metern. Mit dem 1:4 (75.) war dann allen vielleicht gerade aufkeimenden Hoffnungen der Hamburger auf ein Unentschieden der Zahn gezogen. Zu diesem Zeitpunkt, eine Viertelstunde vor Schluss, befürchtete ich kurzfristig, dass dieses Spiel vielleicht doch noch in einem Debakel für den HSV enden könnte, was ich mit Blick auf die über weite Strecken gute Mannschaftsleistung des Hamburger Sportvereins als sehr schade empfunden hätte. Möglichkeiten dazu waren vorhanden:  In der 80. Minute hätte es m.E. Elfmeter für den FC Bayern geben können, nachdem Jiracek links außen, aber klar innerhalb des eigenen Strafraums, Bayern-Kapitän Lahm zu Fall brachte. Gab es aber nicht, zum Glück für den HSV. Und nur drei Minuten später (83.) düpierte der formidable Götze Badelj in Nähe der Eckfahne und Torauslinie, rechts vom Hamburger Tor aus gesehen,  mit einem Beinschuss. Die Bayern ließen für einen Moment ihr circensisches Können aufblitzen und kombinierten munter innerhalb des Hamburger Strafraums. Doch wieder hatte der HSV Glück. Ihr Abschluss rauschte am Ende folgenlos über das Tor ihrer Gastgeber.

Den Schlusspunkt setzten dann Demirbay und Boateng. Der Hamburger war im Sechzehner der Gäste zu Fall gekommen. Es entwickelte sich ein Wortgefecht zwischen Kerem und Jerôme, an dessen Ende beide Kontrahenten Stirn an Stirn voreinander standen und vermutlich Nettigkeiten austauschten. Boateng ließ sich zu einer Schlagbewegung (Ohrfeige) hinreißen. Das Resultat: gelbe Karte für Demirbay und glatt Rot für Boateng (86.). Ab diesem Zeitpunkt waren die nun in Unterzahl spielenden Bayern verständlicherweise vorrangig um Ergebnissicherung bemüht. Bemerkenswerte Höhepunkte waren daher nicht mehr zu notieren.

Schiedsrichter: Fritz (Korb). Mit einer dem Spielfluss dienenden, großzügigen Regelauslegung. Der nicht gegebene Elfmeter für den FCB ist diskutabel.

Fazit: Im Fernduell der abstiegsgefährdeten Mannschaften darf sich der HSV getrost als Gewinner des Spieltages fühlen. Es ist zum verrücktwerden! Hätte der HSV als Mannschaft in dieser Saison häufiger derart kompakt gespielt, man hätte diverse Punkte mehr auf dem Konto.
Wenn dem HSV doch noch der Klassenverbleib gelingen sollte, dann nur deswegen, weil die Mitkonkurrenten, Braunschweig und Nürnberg, ebenfalls ihre Chancen verpassten. Besonders bitter bestraft wurden die Braunschweiger, die erst in der Schlussphase ihrer Partie gegen den FCA (beim Stand von 0:0!) eine eigene, große Torchance zu dem dann wahrscheinlichen Sieg vergaben, und die dann in der 90+5. Minute (!) durch das 0:1 für den FCA sogar noch als Verlierer vom Feld gingen.
Wider Erwarten hat der HSV also vor der letzen regulären Partie der Saison sein Schicksal in den eigenen Händen. Tritt er als Mannschaft so auf, wie vor allem in der ersten Spielhälfte, so könnte er durchaus auch auswärts gegen die „05er“ punkten. Das wird sicher kein leichter Gang, da Mainz mit 50 Punkten auf Platz sieben nur einen Punkt vor dem FCA steht und sicher diesen Platz, der bekanntlich zur Teilnahme an der EuroLeague berechtigt, mit Macht verteidigen will. Aber vor allem bei den tapferen Braunschweigern muss man damit rechnen, dass sie gegen die nicht mmer sattelfeste Hoffenheimer Defensive evtl. eine Überraschung schaffen könnten. Gelingt dem HSV jedoch in Mainz wenigstens ein Unentschieden, so dürfte selbst ein Sieg der Braunschweiger für den Dino folgenlos bleiben. Ansonsten bliebe alles wie es ist. Verlieren alle drei abstiegsgefährdeten Mannschaften, so hätte der HSV  – trotz erbärmlich schwacher Saisonausbeute von 27 Punkten! – das erste Etappenziel erreicht. Für mich ist und bleibt entscheidend, auch mit Blick auf etwaige Relegationsspiele, ob die Mannschaft die mannnschaftliche Geschlossenheit endlich nachhaltig auf den Platz bringen kann. Gelingt dies, so könnte der Abstieg doch noch vermieden werden. Gelingt dies nicht, so hat man auch nichts anders verdient.
Mein Eindruck ist, dass Tesche, auch wenn er beim 0:2  eindeutig mitbeteiligt war, klarere Bälle spielt als Arslan. Ginge es allein nach mir, so würde ich im Hinblick auf das entscheidende Spiel gegen Mainz, abhängig vom Fitnesszustand Jansens, höchstens einen Wechsel auf der Linksverteidiger-Position in Erwägung ziehen. Aber natürlich könnte Slomka auch durch Verletzungen anderer Spieler zu weiteren Umstellungen gezwungen sein.

DAS RESTPROGRAMM

16. Hamburger Sportverein (27 Pkt; -23):
1. FSV Mainz 05 (A)

17. 1.FC Nürnberg (26 Pkt; -30)
FC Schalke 04 (A)

18. Eintracht Braunschweig (25 Pkt; -29):
1899 Hoffenheim (A)