Jarolim

Tempo!

Die zentralen Thesen meines letzten Blogs basierten unter anderem auf der Behauptung, dass sich das Fußballspiel im Laufe der letzten Jahrzehnte erheblich beschleunigt habe. Heute möchte ich diesen Gedanken im Hinblick auf vergangene und zukünftige Entwicklungen des Sports und mit Bezug auf den HSV etwas näher beleuchten.

Festzustellen ist zunächst, dass sich die athletischen (konditionellen) und taktischen Fähigkeiten der Spieler über die Jahre nachweisbar verbessert haben. Liefen die Spieler bei der WM 1954 während eines Spiels noch durchschnittlich 4 Kilometer, laufen heute die in diesem Bereich besten der Bundesliga über 13 Kilometer je Spiel.

Dies ist gleich mehreren Faktoren geschuldet:

  1. Die Spieler in den großen Ligen sind heute allesamt Vollprofis, die nicht mehr haupt- oder nebenberuflich einer anderen Tätigkeit nachgehen. Heute ist keiner mehr als Handlungsreisender in Sachen Fußball-Equipment wie seinerzeit Uwe Seeler unterwegs und muss sein Training ggf. selbst organisieren;
  2. In Deutschland trainieren durch die Einführung der dritten Liga deutlich mehr Spieler unter Vollprofi-Bedingungen;
  3. wissenschaftlich fundierte, verbesserte trainingsmethodische Ansätze und  intensive  sportmedizinische Begleitung. Basierte früher Training vielfach auf Erfahrungswissen, so existieren heute geregelte Ausbildungsgänge;
  4. verstärkter Wissenstranfer durch zunehmende Globalisierung/Vernetzung. Stellvertretend seien hier nur die Förderprogramme genannt, mit denen u.a. der DFB deutsche Trainer in andere Länder entsendet.

In Summe führte dies dazu, dass heute deutlich mehr Mannschaften konditionell und taktisch in der Lage sind, einen individuell überlegenen Gegner erfolgreich zu neutralisieren. (Beispiele: Chelseas Sieg im CL-Finale  „da hoam“ gegen den FCB 2011/12;  WM-Spiel 2014 D-ALG).

Geschwindigkeit als Quotient von Strecke durch Zeit.

Eine der Taktiken, um im Fußball zügig zum Torerfolg zu kommen, ist das schnelle Umschaltspiel (Kontern). Dieses ist nun gewiss keine neue Erfindung. Denn in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts etablierte und perfektionierte der argentinische Trainer Herrera bei Inter Mailand den berühmt-berüchtigten Catennacio und gewann mit seiner Mannschaft zweimal den Europapokal der Landesmeister. Diese heute als minimalistisch und destruktiv geschmähte Spielanlage fußte ihrerseits auf taktischen Überlegungen, die bereits in den dreißiger Jahren (also noch deutlich früher) angestellt wurden. Einigermaßen neu  für die Bundesliga in den letzten  Jahren war jedoch die von Slomka bei Hannover 96 daraus abgeleitete systematische Forderung, dass seine damalige Mannschaft spätestens 10 Sekunden nach Balleroberung zum Torabschluss kommen sollte. Diese Forderung basierte wiederum auf der statistischen Erkenntnis, dass die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolg signifikant steigt, sofern der Torschuss innerhalb dieser Zeitspanne erfolgt. Daraus ergeben sich zahlreiche Implikationen. Denn eine Ballzirkulation über (theoretisch) unendlich viele Akteure ist damit im Prinzip ausgeschlossen. Zugleich benötigt eine derart angelegte Spielweise pass-/spielstarke Defensivspieler (inklusive Torhüter!), die zielsicher und über wenige Umschaltstationen den Ball zu sprintstarken Offensivspielern befördern können.

Eine andere Möglichkeit, Tempo in das Spiel zu bringen, den Gegner defensiv in Unordnung zu überraschen und damit die Wahrscheinlichkeit eines eigenen Torerfolges zu erhöhen, etablierte  Jürgen Klopp ab 2008 beim BvB. Wie bereits im letzten Blog erwähnt, verlagerte Klopp die Aufgabe der Balleroberung ins mittlere, bzw. vordere Drittel des Spielfeldes durch sofortiges, konsequent-aggressives Gegenpressing im Falle des Ballverlustes. Gewollter Nebeneffekt: Da der Ball idealerweise näher am gegnerischen Tor erobert wurde,  musste anschließend nicht so viel Strecke überwunden werden, damit man in eine aussichtsreiche Schussposition kam. Weniger zu überbrückende Strecke bedeutet gleichzeitig: weniger Zeit für den Gegner, um sich defensiv stabil zu organisieren, was wiederum die Wahrscheinlichkeit eines Torerfolges erhöht.

Eine dritte Variante der Tempoverschärfung lässt sich gegenwärtig beim FC Bayern München unter Pep Guardiola studieren. Aufbauend auf dem Ballbesitz-Fußball eines seiner Vorgänger (van Gaal), lassen Guardiolas Spieler den Ball schneller zirkulieren als die allermeisten Konkurrenten. Diese Spielanlage  folgt der alten Fußballweisheit, dass kein Spieler schneller sei als der Ball.

Die hohe Zirkulation gelingt beim FCB zum einen dank individuell-technischer Klasse, zum anderen über ein hohes Maß an taktischer Variabilität. Wohl keine andere Mannschaft der Bundesliga kann derzeit so flexibel und zielgerichtet innerhalb des laufenden Spiels die taktischen Formationen ändern. Dies gelingt auch deswegen, weil viele Spieler des Münchner Kaders ohne nennenswerte Qualitätseinbußen gleich mehrere taktische Positionen situativ bekleiden können. Beispielhaft sei hier David Alaba genannt, der in der Abwehr als linker Verteidiger in einer Dreierkette, als linker offensiver Außenverteidiger einer „klassischen“ Viererkette und als Ribery-Ersatz auf der linken offensiven Außenbahn funktioniert. Zudem hat der smarte Österreicher in seiner  Nationalelf längst nachgewiesen, dass er auch erfolgreich im defensiven und zentralen Mittelfeld spielen kann. Damit steht Alaba idealtypisch für einen polyvalenten Spieler im Sinne Favres.

Polyvalente, auf  technisch und taktisch höchstem Niveau agierende Spieler ermöglichen nicht nur eine fluide, zielgerichtete Anpassung des eigenen Spiels an den jeweiligen Gegner und Spielverlauf, sondern ersparen situativ die Rückkehr eines Spielers auf seine (eine) Idealposition. Mit anderen Worten: es kann schnell und ohne unnötigen Zeitverlust (Geschwindigkeit) auf  die momentanen Erfordernisse reagiert werden. Diesen Gedanken zu Ende gedacht, benötigt der Fußball der Zukunft überwiegend flexible, auf unterschiedlichen Positionen einsetzbare Spieler, die idealerweise beidfüßig sind, damit sie situativ möglichst alle denkbaren Winkel zielgerichtet bespielen können.

Van der Vaart und das fußballfolkloristische Gerede vom Zehner

Wenn die These stimmt, dass stetig steigende Geschwindigkeit und Flexibilität für den modernen Fußball kennzeichnend sind, dass sich alle Spieler einer Mannschaft jederzeit sowohl im Offensiv- als auch im Defensivspiel beteiligen müssen, dann kann nicht verwundern, dass der dominante Spielmacher klassischer Prägung, der s.g. Zehner, wie ihn einst in Deutschland Overath oder Netzer in den Siebzigern interpretierten, ausgestorben ist. Der letzte dieser Art hat m.E. in Gestalt von Diego im Sommer 2011 den VfL Wolfsburg und damit die Liga verlassen. Den Luxus, das eigene Spiel von der Tagesform eines einzigen Spielers abhängig zu machen, dafür sogar eigenst einen Spieler abzustellen, der ggf. die Drecksarbeit für den Regisseur erledigt (bspw.: „Hacki“ Wimmer für Netzer), kann sich keiner mehr erlauben.

Heute hat ein zentral-offensiver Mittelfeldspieler vielfältigste, funktionale Aufgaben im Gesamtsystem der Mannschaft zu erfüllen. Kreative Pausen, das war gestern.

Eindeutig bedeutender und vom Boulevard meist ignoriert ist jedoch die Rolle der defensiven Mittelfeldspieler, der Sechser geworden. Im Idealfall beschränken sie sich nicht auf das Unterbinden gegnerischer Angriffe, sondern geben Takt und Rhythmus vor. Dabei sind strategische Fähigkeiten ebenso gefragt, wie körperliche Attribute. Zwei groß gewachsene, kopfballstarke Sechser erhöhen nicht nur im Mittelfeldgeplänkel die Chance auf den Ballgewinn, sondern können situativ erfolgreich die Innenverteidigung gerade bei hohen Bällen (Standards) sinnvoll verstärken.

Wenn Ruud van Nistelroy unlängst behauptete, van der Vaart habe an Leistungsstärke nichts eingebüßt, dann mag das sogar zutreffen. Nur sind die Anforderungen in der Bundesliga in Sachen Handlungsschnelligkeit und im läuferischen Bereich speziell in den letzten Jahren erheblich gestiegen. Ralf Rangnick stellte jüngst im SPIEGEL-Interview dazu fest:

Seit acht Jahren ist Fußball fast eine andere Sportart, was die Lauf- und Sprintwerte angeht und die Geschwindigkeit des Umschaltspiels. (http://www.spiegel.de/sport/fussball/ralf-rangnick-sportdirektor-von-rb-leipzig-und-salzburg-im-interview-a-1010346.html)

Die konstante Verknappung von Zeit und Raum und der damit einhergehende zunehmende Handlungsdruck für die Akteure auf dem Feld sind Merkmale dieser Entwicklung.

Um den Gedanken van Nistelroys aufzunehmen – wer von seiner alten Leistungsstärke nichts verloren hat, der kann bei deutlich gestiegenen Anforderungen daher dennoch ungenügen. Zumal zu erwarten ist, dass die Entwicklung insbesondere im läuferischen Bereich keineswegs als gänzlich abgeschlossen zu betrachten ist. Ich erwarte, dass sich die Anzahl hoch intensiver Läufe (Sprints) noch weiter steigert.

In diesem Zusammenhang lohnt ein Blick auf die qualitativen Unterschiede in den Laufleistungen von van der Vaart und Spielern wie Holtby oder Nicolai Müller. Unbestreitbar ist, dass van der Vaart, was die reine Laufleistung in Kilometern je Spiel angeht, unverändert wettbewerbsfähig wirkt. Interessant wird es aber, wenn man seine Anzahl an Sprints je Spiel mit denen seines designierten Nachfolgers, Lewis Holtby, vergleicht. Holtby liefert hier ziemlich konstant zweistellige Werte, bei van der Vaart lassen sich unschwer Spiele finden, in den er nur zwei, drei Mal sprintete. In neunzig Minuten. Das bestärkt mich in meiner Wahrnehmung, dass die Mannschaft ohne den medial hochgejazzten Niederländer lauffreudiger, schneller und homogener wirkt.

Die Argumentation Knäbels, van der Vaart sei derzeit der einzige zentrale Mittelfeldspieler des HSV, der so etwas wie Torgefahr ausstrahle, ist zunächst nachvollziehbar. Dennoch muss hinterfragt werden, wie viel davon perspektivisch noch übrig bliebe, sollte man ihn über den Sommer hinaus weiter beschäftigen. Dass aus dem Mittelfeld zu wenig Torgefahr resultiert, ist eines der längst leider tradierten Grundprobleme, an denen das Spiel des HSV keineswegs erst durch die damalige Besetzung der Zentrale mit Tolgay Arslan und Badelj krankt. Immerhin hat man jahrelang dort mit Jarolim einen Stammspieler gehabt, der weder für Kreativität, eine schnelle Spielverlagerung oder einen nennenswerten Torabschluss bekannt gewesen ist.

Der Fußball, und dies dürfte morgen noch mehr als heute gelten, erlaubt aber m.E. nicht mehr, dass man auf einer oder zwei Positionen eklatante Defizite zulässt. Dafür ist er zu anspruchsvoll und zu komplex geworden. Und dafür hat sich der Wettbwerb durch das Auftauchen neuer, ernstzunehmender Konkurrenten, stellvertretend sei hier nur RB Leipzig angeführt, zu sehr verschärft.

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Heute Heilsbringer beim HSV, gestern als angeblich bundesligauntauglich aussortiert…

Das ging ja wieder schnell: Gestern Rajkovic, heute Mancienne (und morgen Tesche?) – aussortiert, verfemt und als angeblich bundesligauntauglich längst abgeschrieben, sind sie plötzlich unverzichtbar. Vom kommenden (Super-)Star zum Aussetzigen und retour. Dazu gesellen sich u.a. Rudnevs, Skjelbred und Berg – in Hamburg durchgefallen, fanden sie allem Anschein nach andernorts ihr Glück. Man könnte es sich einfach machen und mit der Behauptung, so sei eben Fußball, manchmal passe es und manchmal eben nicht, den Artikel sogleich beenden. Ich glaube dennoch, dass es lohnen könnte, sich mit einigen grundsätzlichen Fragen zu beschäftigen.

Betrachten wir zunächst die s.g. Chelsea-Boys (Mancienne, Rajkovic, Bruma, Töre). Ich behaupte, dass diese in Hamburg zunächst unter zwei Nachteilen zu leiden hatten:

1. Sie waren jung, kamen aus einer fremden Liga, hatten dort teilweise überwiegend im Nachwuchs gespielt, d.h. wenig PL-Erfahrung auf höchstem Niveau gesammelt und kannten den speziellen Stil der (Ersten) Bundesliga nicht;

2. Als angebliche Belege für fehlgeschlagene Arnesens Tranfers wurden sie in Hamburg von interessierter Seite dazu benutzt, um die Demission des damaligen Sportdirektors zu betreiben, bzw. nachträglich zu rechtfertigen.

Göhan Töre wurde nach nur einer Saison noch unter Frank Arnesen mit Gewinn an Rubin Kasan  abgegeben und ist derzeit bei Besiktas Istanbul unter Vertrag. Der hochveranlagte Bruma wechselte vor dieser Saison in die Ehrendivisie zum PSV Eindhoven zurück. Bleiben also noch Michael Mancienne und der leider unlängst schwer verletzte Rajkovic. Ist man in Hamburg nunmehr gewillt, beiden Spielern Bundesligatauglichkeit zu bescheinigen, so kann man kaum umhin kommen, in diesem Zusammenhang Arnesen eine Trefferquote von drei aus ursprünglich vieren zu attestieren. Nicht schlecht, wenn man in Rechnung stellt, dass jeder Transfer gewisse Unwägbarkeiten beinhaltet und man gerade bei jungen Spielern stets damit rechnen muss, dass nicht jedes Nachwuchstalent auch im Seniorenbereich die Erwartungen einlöst. Eigentlich sollte man das beim HSV längst wissen. Copado, Wuttke und Schatzschneider, um nur einige Fälle zu nennen, lassen grüßen.

Aus meinem ersten Punkt wäre abzuleiten gewesen, dass man von Seiten des Vereins Geduld und grundsätzliches Verständnis hätte aufbringen müssen. Aber Rajkovic wurde, nachdem er sich eine Rangelei beim Training mit dem Südkoreaner Son geliefert hatte, als alleiniger Sündenbock ausgeguckt, während Werbeträger Son, der „Transmissionsriemen“ [Anm: Insider-Scherz] des HSV zum asiatischen Markt…, unverständlicherweise straffrei ausging. Damit soll das Vergehen Rajkovic keineswegs nachträglich entschuldigt werden, jedoch mit Nachdruck nochmals auf eine in der Sache nicht nachvollziehbare Ungleichbehandlung hingewiesen werden. Es folgte, was zwar nicht zwingend aber aus Sicht des Spielers doch durchaus verständlich war: Rajkovic ging in einem törichten Interview seinen damaligen Trainer Fink frontal an, womit er endgültig sein Schicksal in Hamburg besigelt zu haben schien. Slobodan, der Prügler des Sunnboys und Medienlieblings Son, ohnehin gehandicapt als Transfer des angeblich unfähigen Arnesen und dann noch den Vorgesetzten öffentlich angehen – zwischenzeitlich gewann man aufgrund der Berichterstattung den Eindruck, ein talentfreier,  charakterloser Schwerstkrimineller stünde am Pranger. Da half dem Spieler auch nicht, dass er nach einiger Zeit sein Fehlverhalten einsah, sich öffentlich entschuldigte und nachdrücklich Besserung gelobte. Der Verein, als Arbeitgeber moralisch in einer Fürsorgepflicht und aus Eigennutz ansich mit dem Interesse, Marktwerte der Spieler zu erhalten, bzw. wenn möglich deutlich zu steigern, erklärte Rajkovic mit einer ganze Reihe anderer, gleichfalls aussortierter Spieler zur Persona non grata.

Mancienne, der den urprünglich höher eingeschätzten Bruma als Innenverteidiger ausgestochen hatte und bis zu einer schweren Verletzung Bänderverletzung im Sprunggelenk, die ihn zu rund zwei Monaten Pause zwang, ordentlich gespielt hatte, fand sich nach seiner Rückkehr überraschenderweise ebenfalls im Kreis derjenigen wieder, die der Verein in Person des neuen Sportdirektors Kreuzer mit Macht vom Hof jagen wollte. Es verging praktisch keine Woche, ohne dass Kreuzer via Boulevard trompetete, dass es für keinen der Aussortierten jemals mehr ein Zurück ins HSV-Trikot geben würde. Fairerweise sei zu Kreuzers Gunsten allerdings angeführt, dass die finanzielle Lage des Vereins zu der Vorgabe des Vorstandes führte, den Personaletat deutlich zu senken. Eine Vorgabe, die er bisher übrigens klar verfehlt haben dürfte, obwohl ihm, im Gegensatz zu Arnesen, angeblich ein Millionenbetrag zur Verfügung gestellt wurde, der abwanderungswilligen Spielern den Ausstieg aus ihren Verträgen schmackhaft machen sollte.

Rudnevs, trotz ätzender Fehlurteile des Boulevards, mit 12 Toren in seiner ersten Saison durchaus als Stürmer in Hamburg erfolgreich, wurde dem Vernehmen nach zu lächerlichen Konditionen an 96 abgeben, wo er prompt das Vertrauen erneut mit Toren zurückzahlte; Berg, einer seiner Vorgänger, in Hamburg nie wirklich angekommen und akzeptiert, wechselte nach Griechenland zu Panathinaikos Athen und steht in der laufenden Saison bei 13 Toren und 7 Vorlagen. Und schließlich Skjelbred, ein weiterer Beleg für die angebliche Unfähigkeit Arnesens: Er ist inzwischen bei Hertha BSC unumstritten und außerordentlich beliebt. Er darf dort aber aus der Zentrale, wo eindeutig seine Stärken liegen, das Spiel lenken, anstatt als Notnagel nur sporadisch auf den Halbpositionen oder der für ihn noch ungeeigneteren Außenbahn zu verhungern.

Auf der Gegenseite zu den zuvor Genannten stehen Namen wie Rost, Mathijsen, Jarolim aber auch Trochowski. Spieler, die einmal in Hamburg etabliert und mit den üblichen Claqueuren des Boulevards verbandelt, unter Artenschutz standen. Um nicht falsch verstanden zu werden: alle diese Spieler haben unbestreitbare Qualitäten und Verdienste. Ihre jahrelange Unumstrittenheit ist zunächst daher vollkommen verständlich. Dennoch, so meine ich, hätte man viel früher beim HSV realisieren müssen, dass sich der Fußball mindestens in der Budesliga speziell in den letzten Jahren stark verändert hat. Kennzeichnend scheint mir hier die stetige Beschleunigung der Spielgeschwindigkeit, das inzwischen oft zitierte vertikale Spiel, Häufigkeit und Bedeutung des (Offensiv-)Pressings und damit auch die wachsende Bedeutung der Rolle von Torhütern und Verteidigern in Sachen Spielaufbau. Ich behaupte also: Hätte der HSV kontinuierlich einen qualifizierten Sportdirektor beschäftigt, statt sich den prinzipiell unverzeihlichen Fehler zu erlauben, diese Position im Grunde zwei Jahre unbesetzt zu lassen, dann wären zwei Grundfehler unwahrscheinlicher geworden: Man hätte durch das überlange Festhalten an etablierten Platzhirschen nicht den Anschluss auch an das Spiel ansich verloren, und man hätte geduldiger und verständiger den Neuaufbau der Mannschaft betreiben können. Das hätte helfen können, Geld zu sparen. Vor allem wäre aber mancher heftiger Kollateralschaden, auch menschlich, vermeidbar gewesen.

Beim HSV addieren sich, so sehe ich es jedenfalls, Fehler und Versäumnisse. Für den sportlichen wie finanziellen Niedergang des Dinos ist nicht einer allein (auch kein Kreuzer), sondern sind viele verantwortlich  (Ich klammere das sattsam bekannte Ärgernis namens AR hier aus Zeitgründen bewusst aus): ich beginne mit einem Vorstandsvorsitzenden Jarchow, der, offenbar unfähig die sportliche Entwicklung der Mannschaft angemessen zu bewerten, bis in den Spätherbst an seinem zu Saisonbeginn fabulierten sechsten Platz als zu erreichendes sportliches Ziel festhält und damit schon gleich zu Beginn die Zündschnur für die Entlassung Finks legte. Denn den erheblichen öffentlichen Druck, der dann kurz darauf eilfertig als Begründung für die Trennung von Fink herhalten musste, den hat Jarchow durch seine irrlichternden Fehleinschätzungen („auf Augenhöhe mit Schalke“) maßgeblich selbst befördert. Es geht weiter über die Auswirkungen eines jahrelangen konzeptionellen Planungs- und Entwicklungsstaus (Fehlender Sportdirektor) und die vereinspolitischen Intrigen gegen Arnesen. Es folgte die Bestellung eines neuen Sportdirektors, der mindestens zu Beginn seiner Tätigkeit in Hamburg vollkommen überfordert wirkte und der Einsparungsvorgaben offenbar fast um jeden Preis exekutieren sollte. Und es wird flankiert von der gewohnt unsachkundigen, fast allein auf reißerische Sensationsmache ausgelegten Berichterstattung, die selbstverständlich die öffentliche Meinungsbildung und damit auch die Erwartungshaltung des Publikums beeinflusst und von der sich der Verein beinahe traditionell treiben lässt. Und natürlich nicht zu vergessen ist, dass eine Vielzahl von unterschiedlichen Trainern mit unterschiedlichsten Personalwünschen und Systemvorstellungen eine klare Spielanlage bis ins Groteske, fast vollkommen Unkenntliche verwässert hatten.

Aus den neuesten Wendungen, aus den angesprochenen veränderten Leistungsbildern sollte der Verein, sollten aber auch seine Anhänger u.a. lernen, dass Spieler und Trainer ein geeignetes Umfeld brauchen. Dazu gehört in meinen Augen grundsätzlich ein leistungsförderndes, statt leistungshemmendes Arbeitsklima. Dazu gehört, dass man eine zum Personal passende Spielidee entwickelt, bzw.  geeignete Spieler für die eigene Spielidee verpflichtet. Stürmer wie Rudnevs und Berg etwas hätte man mit Anspielen in die Gasse oder in einem auf Konter basierenden Stil durchaus gebrauchen können. Ein Skjelbred ist nicht am Mysterium Hamburg oder mangelhaftem Talent sondern daran „gescheitert“, dass man ihn falsch eingesetzt hat. Und Rajkovic, Mancienne, Zoua aber auch aktuell van der Vaart gemahnen, die Dinge im Zusammenhang zu sehen, nicht vorschnell zu personalisieren und/oder zu urteilen. Wer den Neuaufbau will, wer notorisch nach Talenten fragt, der muss auch bereit sein, die nötige Geduld zu investieren. Der muss verstehen, dass Talent Voraussetzung ist, aber keine Garantie (für den Durchbruch) bietet. Der muss die damit also einhergehende Unwägbarkeiten mit ins Kalkül ziehen.

Wenn wir diese Saison noch etwas Gutes abgewinnen können wollen, dann müssen die Beteiligten, allen voran Jarchow und Kreuzer, endlich die überfälligen Lehren für die Zukunft ziehen. Mit einem glaubwürdig kommunizierten sportlichen Konzept ließe sich m.E. sehr wohl die Bereitschaft des Publikums fördern, einen Weg über mehrere Jahre gemeinsam mit dem Verein zu gehen und eigene Ansprüche auf ein gesundes Maß zurückzuschrauben. Gleichzeitig gewänne der Verein etwas, was bekanntlich in der Liga äußerst knapp bemessen scheint und im Umgang mit Talenten dennoch unverzichtbar bleibt: Zeit.