Der HSV unterliegt RB Leipzig im DFB-Pokalhalbfinale und scheidet vor heimischen Publikum in der Vorschlussrunde aus. Damit waren die Hamburger im diesjährigen Wettbewerb erfolgreicher als in den vergangenen Jahren, aber der Traum vom Finaleinzug, er ist leider geplatzt.
Ich möchte abweichend von meinen üblichen Spielberichten keine Taktikanalyse schreiben, sondern einige Thesen zur Diskussion stellen, die sich meines Erachtens aus dem Spiel ergeben.
Der HSV hat sich sehr achtbar gegen klar überlegene Leipziger aus der Affäre gezogen. Hätte man zu Beginn bereits klarer als nur mit einem Tor zurückliegen können, so gelang es nach dem 1:1 durch Jatta zumindest rund zwanzig Minuten annähernd auf Augenhöhe mit dem Gegner zu spielen. Leider verpasst es Narey in dieser Phase gleich zwei Mal, den Führungstreffer zu markieren. Ob dies am Spielausgang tatsächlich etwas geändert hätte, bleibt angesichts des dennoch erkennbaren deutlichen Klassenunterschieds zwischen beiden Teams dennoch sehr fraglich.
Es war einmal mehr Hamburgs heimlicher Spielmacher Douglas Santos, der mit seiner Leistung neben dem unermüdlichen Torschützen Jatta aus der Mannschaft herausstach. Dass der HSV zumindest in der ersten Halbzeit gleich mehrfach offensiv gute spielerische Lösungen fand, lag an seiner im Vergleich zu den vergangenen Spielen höheren und zentraleren Positionierung. Neben Aaron Hunt ist es im Wesenlichen Santos, der über die nötige Kreativität und spielerische Klasse verfügt. Jung, Mangala, Holtby, Janjicic – keiner erreicht das Niveau des Brasilianers. Für die nächste Spielzeit hat der HSV bekanntlich bereits Kinsombi aus Kiel verpflichtet. Ob dieser allein das spielerische Niveau im Mittelfeld verbessern wird, bleibt bei dem zu erwartenden Abgang von Douglas Santos derzeit mehr als fraglich.
Bei Vagnoman, Janjicic und mindestens in der Anfangsphase der Partie auch bei Rick van Drongelen spürte man förmlich die große Nervosität angesichts des starken Gegners. Sollte der Aufstieg in die Bundesliga gelingen, werden sie sich steigern müssen.
Der als angeblicher Leichtathlet geschmäte Jatta entwickelt sich immer mehr zum Leistungsträger. Narey erreicht nicht dessen Wirkungsgrad. Für die kommende Saison wurden mit Dudziak und Gyamerah zwei gelernte Rechtsverteidiger verpflichtet. Da Sakai den HSV wohl Richtung Japan verlassen wird, wird die rechte Außenbahn personell wohl anders besetzt werden. Denkbar wäre ein Wechsel von Jatta nach rechts, da Jairo Samperio nach langer Verletzung zurückkehrt. Ob Letzterer aber tatsächlich als Verstärkung zu betrachten sein wird, bleibt nach der langen Ausfallzeit fraglich.
Auch das gestrige Spiel belegte erneut, warum ein Abgang Lasoggas zum Saisonende sogar wünschenswert wäre. Mindestens in der 1. Bundesliga würde der HSV auf größtenteils spielerisch wie individuell überlegene Gegner treffen, die ein schnelles Umschaltspiel fast schon zwingend erforderlich machen. Eine dominante Spielanlage dort mit diesem Kader gegen Teams der oberen Tabellenhälfte ist illusionistisch. Kolportierte 1,5 Mio Gehalt sind für einen potenziellen Ergänzungsspieler, der im Wesentlichen nur dann zum Einsatz kommen dürfte, wenn die s.g. Brechstange ausgepackt werden muss, zu viel. Von dem medialen Getöse, das man sich regelmäßig bei dessen Nichtberücksichtigung für die Startelf einfängt, gänzlich abgesehen.
Das gestrige Spiel zeigte aber auch, dass sich für den HSV Räume ergeben, wenn sich der Gegner eben nicht nur auf Spielzerstörung fokussiert, sondern seinerseits das Spiel machen will. Angesichts der zahlreichen personellen Veränderungen nach der Saison sind Zweifel hinsichtlich einer eventuellen Wettbewerbsfähigkeit des HSV in der Bundesliga zwar mehr als verständlich, aber nicht nur das Beispiel Düsseldorf belegt, dass ein zu Saisonbeginn vermeintlich bereits feststehender Absteiger dennoch überraschen kann.
Hannes Wolf überraschte einmal mehr mit seiner Startformation gegen Erzgebirge Aue. Mit der Rückkehr zum fluiden 4-2-3-1/ 4-1-4-1 als taktische Grundformation konnte man rechnen, aber es waren einige Personalentscheidungen, die so nicht unbedingt zu erwarten waren. Papadopoulos und Jung nicht einmal im Kader, dafür Lacroix und Wintzheimer in der Startelf. Dass Özcan begann, damit konnte man trotz der Genesung von Hunt durchaus rechnen, denn angesichts dessen Verletzungshistorie wäre wohl ein Einsatz des Kapitäns über 90 Minuten zu früh gekommen. Da auch Holtby nach abgesessener Sperre wieder zur Verfügung stand, standen mit Lasogga, Hunt, dem ebenfalls wieder einsatzbereiten Hwang und eben Lewis Holtby nach längerer Zeit endlich wieder zahlreiche namhafte Alternativen auf der Bank zur Verfügung. Besonders gespannt war ich, wie sich Wintzheimer als Sturmspitze bei seinem Startelfdebüt präsentieren würde.
Der Trainer der Auer, Meyer, sagte vor dem Spiel, dass auch er durch aggressives Anlaufen der Hamburger Defensive das Spiel des HSV stören lassen wollte. Er ließ daher seine Mannschaft in einem 4-4-2 mit zwei laufstarken Spitzen, Zulechner und Krüger, beginnen. Allerdings war dann von einem hohem Anlaufen durch Aue wenig zu sehen. Vielmehr zogen sich die Gäste bei Ballbesitz Hamburgs bis in die eigene Hälfte zurück und verdichteten dort geschickt die Räume.
Je tiefer sich die Auer zurückfallen ließen desto höher verschoben die Hamburger. Narey, Mangala, Özcan und Jatta bildeten eine vordere Viererkette, dahinter sicherte Janjicic defensiv das Zentrum. Von den beiden eingerückten Außenverteidigern war es in der ersten Halbzeit vor allem Douglas Santos, der aus dem linken Halbraum regelmäßig bis ins Zentrum vorstieß und das Hamburger Spiel aus diesem Diagonalraum ankurbelte.
Die Gäste aus Aue verteidigten stark mannorientiert. Sie konnten immer wieder die designierten Hamburger Kreativspieler, Douglas Santos, Mangala und Özcan entscheidend stören. Da sie zeitgleich jeweils den ballnahen offensiven Außen des HSV ebenfalls zustellten, versandeten viele Angriffsbemühungen der Gastgeber in ihrer engmaschigen, vielbeinigen Abwehr und zwangen den HSV zum beständigen Neuaufbau seiner Angriffe. Beide Flügelstürmer, Jatta und Narey, fanden über die gesamte Spieldauer kaum je die Räume, in die sie gewöhnlich mit schnellen Läufen gefährlich vorzustoßen versuchen. Und kam doch einmal eine Flanke in den Strafraum, so war diese für die Innenverteidigung der Gäste gegen den beweglichen aber eben nicht sehr großen Wintzheimer problemlos zu verteidigen. Optisch erreichte der HSV somit zwar ein klares Übergewicht, tatsächlich jedoch fehlte es ihm an konkreten Torchancen. Vermisst habe ich auch überraschende, diagonale Läufe in die Tiefe und einmal mehr schnelle Flügelwechsel. Wintzheimer hielt meist diszipliniert die Sturmmitte, insgesamt mangelte es m.E. jedoch zudem an einem fluiden eingespielten positionellen Wechselspiel vor allem mit Özcan und dem sehr offensiven Mangala. Hier mag eine Rolle spielen, dass Witzheimer erst seinen zweiten Einsatz und sein erstes Spiel von Anfang an bestritt. Außer einem Fernschuss der Hamburger, der klar das Tor verfehlte (31. van Drongelen), und einem Kopfball des Auers Fandrich, den Pollerbeck mühelos parieren konnte (32.) blieb die erste Halbzeit daher ohne nennenswerte Höhepunkte. Bis Pollersbeck in der 43. Minute nach einem Eckball für die Erzgebirgler ein kapitaler individueller Fehler unterlief. Er kam bei dem hoch in den Hamburger Strafraum hereingeschlagenen Eckstoß aus dem Tor, sprang aber mehr in den Gegenspieler als hoch zum Ball, den er deswegen auch verfehlte. Am langen Pfosten erreichte der Ball daher Zulechner, der aus kurzer Distanz zur überraschenden Halbzeitführung der Gäste vollstrecken konnte (43.).
Die zweite Halbzeit begann der HSV zunächst in derselben personellen Besetzung. Die Gäste zogen sich noch weiter zurück, sodass sich gelegentlich bis auf Pollersbeck alle Spieler, also auch beide Hamburger Innenverteidiger, in ihrer Spielhälfte aufhielten.
In der 53. Minute hatte Narey endlich einmal Raum und Zeit auf der rechten Außenbahn. Seine gute Flanke flog quer durch den Strafraum und wurde von Mangala am langen Pfosten stehend dann artistisch zurückgelegt, sodass Wintzheimer in der Mitte mühelos zum 1:1 einschießen konnte. Kritisch anzumerken ist, dass es eine der wenigen guten Aktionen von Narey blieb, der sich ansonsten kaum gegen die aufmerksame Auer Außenverteidigung durchsetzen konnte. Wie schon öfter beobachtet, übertrieben vor allem er und auch Mangala es mit Einzelaktionen. Beide verpassten es öfter, sich rechtzeitig vom Ball zu trennen.
In der 64. Minute nahm Hannes Wolf den weitestgehend blass gebliebenen Özcan aus dem Spiel und brachte den wiedergenesenen Hwang. Der HSV spielte ab diesem Moment ebenfalls in einem 4-4-2 mit dem Koreaner als zweiter Spitze neben Wintzheimer. Kurze Zeit später kam dann mit Lasogga ein kopfballstarker Stürmer für Jatta (68.). Dessen Planstelle auf der linken Außenbahn übernahm kurzzeitig Wintzheimer, während Hwang meist zweite Spitze nun neben Lasogga blieb. Diese Wechselspiele blieben jedoch weitestgehend ohne Wirkung. Hamburg drückte, allein es fehlten dem HSV weiterhin die zündenden Ideen. Daher war es fast zwingend, dass Wolf in der 76. Minute Aaron Hunt ins Spiel brachte. Narey wechselte nun auf die linke Seite. Nicht ganz nachvollziehen konnte ich jedoch, warum Hunt die damit frei gewordene Position auf der rechten Außenbahn bespielte. Hier hätte ich mir auch andere Varianten, Narey weiterhin rechts, Hwang links (oder umgekehrt) und Hunt als hängende Spitze halbrechts vorstellen können. Ob dies allerdings zu einem anderen Spielausgang geführt hätte, bleibt natürlich spekulativ.
In der 85. Minute wäre der HSV beinahe dennoch zum Siegtreffer gekommen, doch Hunts sehenswerter Freistoß traf nur den Querbalken. Eine letzte Torchance verpasste Lasogga in der Nachspielzeit, als er das Zuspiel im Strafraum offenbar etwas überrascht nicht optimal verarbeiten konnte. So blieb es am Ende bei der aus Hamburger Sicht enttäuschenden Punkteteilung.
Fazit: Der HSV verpasst einmal mehr den so wichtigen „Dreier“ und darf sich bei der ebenfalls schwächelnden Konkurrenz bedanken, dass er unverändert auf einem direkten Aufstiegsplatz steht. Dieses Unentschieden fühlt sich wie eine Niederlage an. Man sah, dass die Mannschaft „wollte“, allein es fehlten ihr im entscheidenden Moment die Mittel, oder sie scheiterte im letzten Moment auch am eigenen Unvermögen. Eine Vielzahl von kleineren und größeren Faktoren verhindern derzeit den Erfolg. Wintzheimer ist ein gänzlich anderer Stürmertyp als Lasogga, auf den das Spiel der Mannschaft in den letzten Monaten ausgerichtet war. Daher darf es nicht verwundern, wenn die Feinabstimmung hier nicht vorhanden war.
Das Ausspielen diszipliniert defensiv stehender Gegner fällt auch vielen anderen, klar besseren Mannschaften schwer. Dennoch hätte der HSV das Spiel gewonnen, wäre dem gewöhlich sicheren Pollersbeck nicht ausnahmsweise ein schwerer Torwartfehler unterlaufen.
Aue tat im Gefühl der eigenen individuellen Unterlegenheit fast nichts für das Spiel und profitierte am Ende dennoch von Pollersbecks Patzer. Das ist neutral bewertet völlig legitim und aufgrund ihrer disziplinierten Abwehrarbeit auch nicht unverdient.
Im Schneckenrennen um den Aufstieg ist aus Hamburger Sicht die Rückkehr von Hunt ermutigend. Mit Wintzheimer steht zumindest eine laufstarke, bewegliche Alternative im Sturm zur Verfügung, mit der ggf. auch schnelles Umschaltspiel durch die Mitte funktionieren sollte. Wenn er allein aufgeboten wird, muss er gänzlich anders in Szene gesetzt werden als eine Pierre Michel Lasogga. Es fehlt der Mannschaft in den entscheidenden Augenblicken unverändert an Handlungsschnelligkeit und ohne Aaron Hunt auch an Übersicht.
Der HSV spielt nicht zum ersten Mal optisch dominant und in den Ansätzen gut, aber der Aufwand steht im krassen Missverhältnis zum bescheidenen Ertrag. Es fehlen die für den Gegner überraschenden Tempoverschärfungen, es fehlt an Läufen in die Tiefe und an präzisen Schnittstellenpässen. Wo Übersicht gefragt wäre, verrennt man sich zu oft in sinnlosen Einzelaktionen, die dann zu vermeidbaren Ballverlusten führen. Am Ende ist es auch eine Frage der Qualität und Reife. Der jungen Mannschaft des HSV mangelt es in dieser Verfassung an beidem.
Schiedsrichter: Dr. Jöllenbeck (Freiburg). Souveräne, unaufgeregte Spielleitung ohne grobe Fehler.
Einzelkritik:
Pollersbeck: Das 0:1 geht klar auf seine Kappe. Eiserne Regel: Wenn der Torwart aus dem Tor kommt, muss er den Ball haben. Ansonsten fast beschäftigungslos.
Sakai: Eins seiner besseren Spiele. Vor allem in der zweiten Halbzeit Antreiber und Ballverteiler. Defensiv allerdings auch kaum gefordert.
Lacroix: Souverän.
van Drongelen: Stieß zum Teil bis weit in die gegnerische Hälfte vor. Gut.
Douglas Santos: Erste Halbzeit ganz stark. Verteilte da klug die Bälle und versuchte Vieles. Zweite Halbzeit unauffälliger, da konsequenter von Aue gestört.
Janjicic: Spielte im Vergleich mit Mangala den klassischen, defensiveren Sechser. Das machte er ordentlich ohne jedoch zu glänzen.
Mangala: Sehr fleißig. Spielte eher im Achterraum mit Zug nach vorne, d.h. als zentraler Mittelfeldspieler halb links. Versuchte Vieles, verpasst es manchmal im Übereifer, sich rechtzeitig vom Ball zu trennen.
Narey: Da die Auer die Räume in der eigenen Hälfte starkt verengten, fehlte ihm oft der Platz, den er für sein Spiel braucht. Schöne Flanke vor dem Ausgleich (als er ausnahmsweise Raum und Zeit hatte). Wollte zu oft mit dem Kopf durch die Wand (s.h. Mangala) und trennte sich zu oft zu spät vom Ball.
Özcan: Blieb unauffällig, da von Aue meist gut zugedeckt.
Jatta: Spielte glücklos und wirkte etwas überspielt. Auch ihm kam die defensive Spielanlage des Gegners nicht zugute.
Wintzheimer: Wirkte sehr beweglich. Zweiter Einsatz, zweites Tor. Konnte mit dem Ausgleichstreffer weiter Werbung in eigener Sache betreiben.
Hunt: Wirkte auf mich auf der rechten Außenbahn deplatziert. Beinahe wäre ihm dennoch mit dem sehenswerten Freistoß an den Querbalken der Siegtreffer gelungen. Gut, dass er endlich wieder dabei ist.
Hwang: Blieb mit seinen Dribblings regelmäßig hängen. Zog zu oft nach innen statt die rechte Außenbahn besetzt zu halten. Glück- und wirkungslos.
Lasogga: Konnte sich mangels Gelegenheiten kaum auszeichnen.