T. Müller

Historische Niederlage mit vielfältigen Ursachen: FC Bayern München – HSV 8:0 (3:0)

„Es ist längst ein Klassenunterschied.“ (Kommentar M. Reif auf SKY, 52. Spielminute)

Man stelle sich vor: Ein normaler VW-Golf tritt gegen einen aufgerüsteten Porsche zu einem Rennen über die Meile an. Nach 900 Metern hat der Porsche wie zu erwarten einen deutlichen Vorsprung. Da dämmert es auch dem kommentierenden Rennbeobachter, dass ein Klassenunterschied bei diesem Wettkampf vorliegt. Donnerwetter, Herr Reif, was für eine Expertise! Ich bin angemessen beeindruckt.

Tatsächlich entwickelt sich die Bundesliga in die höchst bedenkliche Richtung eines einseitigen Wettbewerbs. Angesichts der eklatant ungleichen Voraussetzungen der Vereine, erscheint bis auf Weiteres jedes Jahr der Titel fest nach München vergeben. Derzeit ist im Prinzip ausschließlich fraglich, ob der FC Bayern bereits im März oder „erst“ im April vorzeitig Deutscher Meister wird. Und wieviele Punkte Vorsprung die Mannschaft bis dahin auf die grundsätzlich chancenlose Konkurrenz herausgespielt hat. Wer da ernsthaft von „Bayern-Verfolgern“ redet, der ignoriert die Realität. Daran ändert auch nichts, dass es dem VfL Wolfsburg tatsächlich zum Rückrundenauftakt gelang, den Dominatoren der Liga ausnahmsweise eine Niederlage zuzufügen. Derartiges passt allerdings all jenen nur zu gut ins Geschäft, die von dieser Konstellation profitieren (FCB), die das Produkt Bundesliga vermarkten (DFL), oder die ihre exorbitanten Investitionen (Übertragungsrechte) durch entsprechend schönfärberische Berichterstattung refinanzieren müssen (SKY). All jene haben ein Interesse daran, dass dem Zuschauer inzwischen eine Illusion verkauft wird.

Um nicht missverstanden zu werden: Der FC Bayern München hat sich seinen Wettbewerbsvorteil durch jahrzehntelange, hervorragende Arbeit ebenso verdient, wie der Hamburger SV seinen inzwischen mehr als deutlichen sportlichen und  finanziellen Rückstand durch überwiegend desaströse Fehlentscheidungen, Missmanagement und sportliche Inkompetenz selbst zu verantworten hat. Aber was will man eigentlich erwarten, wenn eine der absolut besten Mannschaften des Planeten gegen einen Mitbewerber antritt, dem in der gesamten Vorsaison lächerliche 27 Zähler gelangen? Selbst wenn dem HSV am Ende dieser Saison mit 37 Punkten ein eindeutig besseres Saisonresultat gelingen sollte, dann bedeutet dies für die Hamburger immer noch Abstiegskampf, nichts anderes.

Natürlich, der Sport schreibt immer wieder die tollsten Geschichten. Sensationelle Erfolge eines krassen Aussenseiters sind nie gänzlich auszuschließen. Dies ist schließlich Teil seiner Faszination. Dennoch sollte die Einschätzung realistisch bleiben. Über die Jahrzehnte hat der FCB nicht nur fachlich sinnvoll und kontinuierlich hervorragend gearbeitet, sondern inzwischen im Vergleich u.a. zum HSV vermutlich einen Betrag in seine Mannschaft mehr investieren können, der im Milliardenbereich liegen dürfte. In Euro. Es ist daher auch nicht das medial kolportierte s.g. „Bayern-Gen“, aus dem der Wettbewerbsvorsprung resultiert, sondern die auf fast allen Ebenen (Personalauswahl, Training, Scouting, medizinische Betreuung und Finanzen) bessere Arbeit des FCB, die von einer ehrgeizigen Anspruchshaltung der Münchner dann zusätzlich zu einer selbstbewussten „mia-san-mia-Mentalität“ im Wettkampf führt. Doch genug der Vorrede.

HSV-Trainer Joe Zinnbauer überraschte mit der folgenden Aufstellung: Drobny – Götz, Djourou, Westermann, Marcos (57. Ostrzolek) – Stieber, van der Vaart (57. Jiracek), Diaz, Jansen – Rudnevs, Olic (24. N. Müller)

Diskutabel erscheint hier zunächst, dass Westermann für den zuletzt tadellos spielenden Rajkovic neben Djourou in die Innenverteidigung zurückkehrte. Nachträglich wurde dies mit leichten Geschwindigkeitsvorteilen Westermanns begründet. Da Zinnbauer hier über exakte Daten und Eindrücke aus dem täglichen Training verfügt, will und kann ich hier keinen Fehler erkennen. Schon gar keinen spielentscheidenden. Allerdings hätte ich auf diesen Wechsel verzichtet.

Götz als RV ist aufgrund der Verletzung Diekmeiers logisch; für Marcos als LV gegen Robben, einen der besten Außen der Welt, hätte ich den erfahreneren Ostrzolek gewählt.

Durch die Besetzung des zentral-defensiven Mittelfelds durch Diaz und van der Vaart wollte Zinnbauer mutmaßlich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Einerseits wurde Erfahrung auf den Platz gebracht, andererseits sollten beide wohl durch ihre Pass-Stärke zielgerichtete Konter einleiten. Ich hielt dies schon vor dem Spiel angesichts des realen Klassenunterschieds (s.o.) für sehr, sehr mutig. Oder anders ausgedrückt für zu riskant. Ich schrieb bereits in vorangegangenen Artikeln, dass m.E. bei dieser Lösung die Mischung zwischen Spielstärke, Dynamik und defensiver Zweikampfstärke suboptimal bleibt. Jiracek oder sogar Kacar für van der Vaart wäre m.M.n. die bessere Wahl gegen die Dominatoren gewesen.

Eine Umstellung auswärts gegen die Bayern auf zwei Stürmer ist mutig und in meinen Augen die konsequente Fortsetzung des von Zinnbauer gewählten Ansatzes: zielgerichtete Pässe aus der Zentrale auf zwei denkbare Abnehmer – das ist variabler und damit schwerer auszurechnen. Hätte theoretisch funktionieren können.

Spielfilm: Abweichend zu meinen bisherigen Spielberichten möchte ich darauf verzichten, die Entstehungsgeschichte jedes einzelnen Tores hier darzustellen. Stattdessen nun einige Beobachtungen zu Spielverlauf und Taktik.

Die Bayern waren wie zu erwarten sofort dominant. Der HSV versuchte sich spielerisch aus der Defensive zu befreien und verzichtete weitestgehend auf das destruktive Gebolze der beiden vorangegangenen Spiele (SCP, H96). In einem überwiegend flachen 4-4-2 versuchte man die Breite des Feldes gegen die Münchner abzudecken, von denen allgemein bekannt sein dürfte, dass sie unerhört schnell den Ball zirkulieren lassen können, was regelmäßig bei ihnen zu schnellen Seitenverlagerungen führt. Zunächst standen beide Hamburger Viererketten  auch eng genug beieinander, jedoch sah man früh, dass dem Duo Diaz/van der Vaart eben jene Dynamik fehlt, die man benötigt, um tatsächlich Zugriff auf das Herz des Münchner Spiels im zentral-defensiven Mittelfeld zu bekommen. Van der Vaart kippte bei dem eher seltenen Gelegenheiten zum kontrolllierten Spielaufbau der Hamburger aus der Abwehr in der bekannten Manier ab, es fehlt ihm jedoch an defensiver Zweikampfstärke und an läuferischer Dynamik, sodass dem HSV eben das überhaupt nicht gelang, was den Wolfsburgern als bisher einziger Mannschaft gelungen ist: Schweinsteiger (und damals Xabi Alonso) auf den Füßen zu stehen. Das wirkte sich aus Sicht des HSV fatal aus, da Guardiola vor Schweinsteiger den äußerst beweglichen Götze und den Raumdeuter Thomas Müller positioniert hatte. Van der Vaart läuft viel, aber meist in einem Tempo. Ihm fehlte gegen diesen Gegner das nötige Sprintvermögen.

Der Elfmeter zum 1:0 ist Folge der von der DFL vorgegebenen Regelauslegung zum Handspiel und daher korrekt, wenn auch aus Sicht des jungen Marcos unglücklich. Kein Vorwurf an den Spieler meinerseits an dieser Stelle. Das schnell folgende 2:0 und damit im Grunde bereits die Vorentscheidung war eine von gleich mehreren Fehlentscheidungen, die Schiedsrichter Weiner und sein Gespann fast ohne jede Ausnahme zugunsten der ohnehin übermächtigen Münchner traf. Ausnahme blieb nur der Verzicht auf die gelb-rote Karte gegen van der Vaart, die sich dieser durch ein idiotisches, da völlig unnötiges Foul an Thomas Müller im Mittelfeld (40.), eigentlich mehr als redlich verdient gehabt hätte. Raffa mag ja lobenswert Verantwortung bei Elfmetern übernehmen und in der Kabine flammende Reden halten, aber es ist keineswegs das erste Mal, dass er als Kapitän seinen Trainer durch unbedachte Aktionen im Grunde schon zur Halbzeit dazu nötigt, ihn vom Feld zu nehmen. Auch wenn Knäbel und Zinnbauer ihn öffentlich aus nachvollziehbaren Gründen aus der Schusslinie nehmen – zu einem wirklichen Führungsspieler gehört in meinen Augen mehr. Viel mehr. Womit ich bei einem generellen Defizit in den Kadern des HSV der letzten Jahre wäre. Kaum echte Führungsspieler (Drobny ist im Tor zu weit weg), zu viele Spieler mit notorisch großer Klappe (vor dem Spiel), die dann im realen Spiel zu oft abtauchen. Jansen ist auch so ein Kandidat. Und das schreibe ich, obwohl ich ihn grundsätzlich mag und sehr wohl zu schätzen weiß, was er leisten kann und auch oft genug geleistet hat. Wie er den unerfahren Marcos gegen Ende der ersten Halbzeit und zu Beginn der zweiten Spielhälfte, vor allem beim 4:0 allein in einem eins gegen eins gegen Robben und damit im Regen stehen lassen konnte, – gegen Robben! – bleibt mir ein Rätsel. Fast hätte ich geschrieben, das war eine echte Schweinerei. Dass der HSV nun einen Muskelfaserriss bei Jansen vermeldet, kann diese, gemessen an seinen eigenen Ansprüchen,  mangelhafte Leistung nicht rechtfertigen. Mindestens bis zum fälschlich nicht anerkannten 1:6 in der 63. Spielminute, dem ein langer Sprint Jansens nebst Flanke auf Rudnevs vorausging, war er eben offensichtlich nicht verletzt. Ausschließlich sein späteres Verhalten auf dem Platz lässt sich nachträglich so erklären und entschuldigen. Van der Vaart, Jansen – beide sind dennoch nicht allein schuld, aber auch sie haben zum Desaster von München beigetragen.

Zinnbauer musste Olic leider verletzungsbedingt früh aus dem Spiel nehmen und verdichtete das Mittelfeld zu einem 4-2-3-1, was angesichts des nicht vorhandenen Zugriffs eben dort (s.o.) sinnvoll erschien. Viel zu spät jedoch, nämlich erst beim Spielstand von immerhin 6:0!, kam der Wechsel von Jiracek für van der Vaart und Ostrzolek für Marcos, der gegen einen Robben in Galaform und ohne konsequente Unterstützung durch Jansen absolut überfordert war. Auch hier kein grundsätzlicher  Vorwurf an Marcos. In Hamburg schreit man seit Jahren nach eigenen Talenten, aber wenn die dann auf dem Platz stehen, dann sollen die am besten wie gestandene Profis agieren? Lächerlich. Wer Talente entwickeln will, der muss Geduld haben. Der muss mit Leistungsschwankungen und mitunter auch gröberen Fehlern eben dieser Talente leben. Von den wirklich rar gesäten absoluten Ausnahmetalenten weltweit abgesehen, ist alles andere Unfug. Im Übrigen fand ich, dass durch Jiracek und Ostrzolek etwas mehr Ruhe ins Spiel des HSV kam, was allerdings zusätzlich auch durch nachlassende Münchner begünstigt wurde. Dass beide Spieler bei diesem bereits ernüchternden Spielstand keine Bäume mehr ausreißen konnten, dürften die meisten Leser nachvollziehen können.

Insgesamt verteidigte der resignierende HSV insbesondere in der Schlussphase zu passiv, sodass die letzten Treffer der Bayern mit besserem Einsatzwillen vermeidbar wirkten. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass die Variabilität, die technische und taktische Perfektion des Branchenprimus an solchen Tagen ein nahezu zirzensisches Niveau erreicht, das ganz andere Mannschaften als den HSV der Gegenwart ebenfalls an die Wand spielen kann.

Fazit: Der HSV unterliegt auch in der Höhe verdient. Zinnbauer hat, nachträglich betrachtet, durch seine Aufstellung (zu) viel riskiert. Auch die Auswechslung von van der Vaart hätte m.E. bereits in der Halbzeitpause beim Stand von 3:0 und nicht erst beim 6:0 erfolgen müssen. Aber auch für Zinnbauer gilt, dass man ihm Fehler zugestehen muss. Er wird ganz sicher seine Lehren aus diesem Spiel ziehen. Daher halte ich rein gar nichts von jenen Stimmen, die einem erneuten – wie oft eigentlich noch?!! – Trainerwechsel nunmehr das Wort reden.

Zur Entstehungsgeschichte dieser historischen Rekordniederlage für die Hamburger gehören auch die für den Spielverlauf erheblichen Fehlentscheidungen des Schiedsrichters und die Verletzungsausfälle beim HSV. Vor allem Behrami wurde in diesem Spiel schmerzlichst vermisst. Weitere Gründe für dieses Debakel sind in dem über Jahre unsachgemäß zusammengestellten Kader (zwei Jahre fehlender Sportdirektor…), und der finanziellen Lage, die zum beschleunigten Einbau der Talente geradezu nötigt, zu suchen.

Tore: 1:0 T. Müller (21.); 2:0 Götze (23.); Robben (36.); 4:0 Robben (47.); 5:0 T. Müller (55.); 6:0 Lewandowski (56.); 7:0  Ribéry (69.); 8:0 (Götze)

Schiedsrichter: Weiner (Giesen). Hatte mit seinem Team einen gebrauchten Tag erwischt. Die Entscheidung auf strafbares Handspiel gegen Marcos und Strafstoß ist regeltechnisch vertretbar. Dennoch meine ich, dass die in Deutschland praktizierte Regelauslegung zum Handspiel fragwürdig ist und regelmäßig zu absurden Konsequenzen führt. Marcos vergrößert zwar seine Körperfläche, dies geschieht jedoch aus einer Laufbewegung, bei der die Arme naturgemäß mitschwingen. Außerdem erfolgt der Schuss aus kurzer Distanz (2m). Von einer absichtlichen(!) Handbewegung kann hier meines Erachtens daher keine Rede sein. Es kann nicht sein, dass Abwehrspieler mit hinter dem Rücken verschränkten Armen zum Ball laufen (müssen), weil sie ansonsten Gefahr laufen, einen Elfmeter zu verursachen.

Lewandowski stand beim Schuss von T. Müller vor dem vorentscheidenden 2:0 zwar im Prinzip passiv im Abseits, verdeckte jedoch Drobny durch seine Positionierung die Sicht, was m.M.n. einen strafbaren, aktiven Eingriff ins Spielgeschehen darstellt.

Der Treffer von Rudnevs (63.) hätte Anerkennung finden müssen, da Rudnevs beim Abspiel von Jansen eindeutig nicht im  Abseits stand.

Nachtrag: Las gerade den Blog der geschätzten MrsCgn, die sich Gedanken zum Kommunikationsverhalten des HSV macht. Ungeachtet der Frage, ob ich ihr in jedem einzelnen Punkt zustimme, finde ich den Artikel https://mrscgn.wordpress.com/ lesens- und bedenkenswert.

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Eine zu erwartende Niederlage des HSV, die zu neuen und alten Erkenntnissen führt.

Das musste ja so kommen. Kaum zeigt die Mannschaft des HSV in Berlin unter Zinnbauer zum ersten Mal eine tatsächlich schwache Leistung, schon wird vieles, was gestern noch mehrheitlich positiv notiert wurde, in Frage gestellt.

Zur sportlichen Lage und seinen Einflussmöglichkeiten als Trainer befragt, rechnete Zinnbauer neulich auf einer PK vor, dass er grundsätzlich in jeder Trainingswoche an zwei Tagen kaum inhaltlich didaktisch mit seiner Mannschaft arbeiten kann, da dann regenerative (Auslaufen) oder motivationale (Abschlusstraining) Aspekte im Vordergrund stünden. Dazu gesellte sich die Länderspielpause mit der zwangsläufigen Abwesenheit von Stammpersonal (Djourou, Behrami), oder eben eine englische Woche wie diese, in der es im Pokal gegen die Bayern ging. Wenn man dazu noch berücksichtigt, dass der Großteil der Mannschaft die Saisonvorbereitung noch unter seinem Vorgänger, Mirko Slomka, absolvierte und zudem beachtet, dass wichtige Spieler erst nach Saisonbeginn (Holtby) oder aber verletzt verpflichtet wurden (Müller), bzw. wochenlang verletzt ausfielen (Lasogga, van der Vaart), dann erklären sich für mich zum Teil die bisher schwankenden Leistungen der Mannschaft.

Wer aus einem einzigen, unbestreitbar schwachen Spiel des HSV gegen Hertha ableiten will, dies sei eben typisch für die Selbstzufriedenheit der HSV-Profis, der verirrt sich in meinen Augen im metaphysischen Humbug. Zinnbauer steht tatsächlich vor der Aufgabe, eine Vielzahl neuer Spieler  im laufenden Betrieb in eine Mannschaft zu integrieren, der die desaströse vorherige Saison unverändert in Köpfen und Gliedern steckt.

Zu einem Problem für Zinnbauer entwickelt sich aus meiner Sicht van der Vaart. Einerseits, da bin ich ganz beim Trainer, kann ein fitter van der Vaart immer noch ganz wichtig für diese Mannschaft sein. Andererseits, dies fiel mir nicht erst beim Gastspiel in Berlin auf, wirkt die Mannschaft mit ihm derzeit deutlich weniger kompakt und griffig in den Zweikämpfen. Lasogga und er laufen zwar die gegnerischen Torhüter oder Innenverteidiger an, jedoch wirkt es, als wolle man sich allein auf die Lenkung des gegnerischen Spielaufbaus beschränken. Ein kollektives, entschlossenes Gegenpressing, wie es der HSV ohne van der Vaart beispielsweise auswärts beim überraschenden Sieg gegen den BvB bereits zeigte, findet dann kaum noch statt. Wenn man aber offensiv-dominant zu spielen versucht, wenn man so hoch aufrückt, wie es der HSV gegen Hoffenheim und auch gegen die Hertha praktizierte, dann muss man m.E. entweder konsequent geschlossen bei Ballverlust ins Gegenpressing gehen, oder man muss läuferisch in der Lage sein, mehrheitlich schnell genug hinter den Ball zu kommen. Beides scheint mir mit einem van der Vaart in der zuletzt gezeigten Verfassung nicht zu funktionieren.

Um nicht missverstanden zu werden: es geht mir hier nicht darum, van der Vaart als Sündenbock auszugucken, denn der war bekanntlich verletzt. Es geht mir vielmehr um die Frage, wie mit dieser Personalie zu verfahren ist, solange van der Vaart nur dem Namen nach als eine Verstärkung erscheint. Um darauf eine klare Antwort zu liefern: ich, der ich das zum Glück nicht entscheiden muss!, würde ihn derzeit nicht mehr von Anfang an bringen. Ich würde es lieber sehen, wenn Zinnbauer ihn über Kurzeinsätze an die Mannschaft wieder heranführen würde.

Aus meiner Sicht war die Aufgabenstellung für das gestrige Pokalspiel gegen den Rivalen aus dem Süden klar: sich mit Anstand aus der Affäre ziehen, um nicht mit der Hypothek einer desaströsen Niederlage vor eigenem Publikum in die nächsten, gewiss nicht einfachen Wochen gehen zu können. Denn erst die nächsten Wochen werden aus meiner Sicht unzweifelhaft zeigen, ob es sich bei dem Auftritt gegen die Hertha um einen negativen Ausrutscher handelte, bzw. ob notfalls im Winter personell nachgerüstet werden muss.

Der Wettbewerb um den DFB-Pokal bezieht seinen Reiz auch aus dem Aufeinandertreffen von Favoriten und Außenseitern. Da bekanntlich ein einziges Spiel entscheidet, kommt es dabei immer wieder zu Überraschungen. Dennoch hoffte ich vor dem Spiel, dass Zinnbauer dem angeschlagenen Behrami eine Pause gönnen würde, auch wenn sich dadurch das ohnehin ungleiche Kräfteverhältnis unzweifelhaft noch weiter zugunsten der Bayern verschieben sollte. Der Schweizer erscheint mir schon jetzt derart unverzichtbar, dass ich ungern das Risiko eines längeren Ausfalls für die Liga in Kauf genommen hätte.  Am Ende bleibt die Bundesliga das Kerngeschäft.

Zinnbauer verzichtete tatsächlich gänzlich auf Behrami und vertraute zu Spielbeginn der folgenden Aufstellung:
Drobny – Götz, Djourou (69. van der Vaart), Westermann, Ostrzolek – Arslan (61. Kacar), Jiracek (18. Steinmann), N.Müller, Holtby, Stieber – Lasogga

Das Spiel:  Gelegentlich habe ich beim Betrachten der Spiele des HSV das Gefühl, ich sei im falschen Film. Wenn der Gegner nicht die Tore schießt, dann sorgt man selbst durch krasse individuelle Fehler dafür, dass man in Rückstand gerät. Die ohnehin auf dem Papier geschwächte Hamburger Elf (ohne Behrami und mit dem unerfahrenen Götz für Diekmeier) begann das Spiel sowohl läuferisch als auch kämpferisch durchaus engagiert, doch leider wurde die ohnehin kleine Chance auf ein Weiterkommen bereits in der 7. Spielminute praktisch zerstört. Die Bayern spielten einen Ball entlang der rechten Außenlinie. Westermann trabte zunächst gemächlich dem Ball Richtung Eckfahne hinterher, bis er plötzlich bemerkte, dass Thomas Müller ebenfalls dem Spielgerät hinterhersetzte. Unerwartet von Müller unter Druck gesetzt, wollte Westermann zu Drobny passen, traf aber den Ball derart schlecht, dass er zur unfreiwilligen Vorlage für Müller mutierte. Müller passte zu Lewandowski, dessen ersten Torschuss Djourou noch mit letztem Einsatz auf der Linie klären konnte. Gegen den Nachschuss des polnischen Ausnahmestürmers war dann aber keine Rettungstat mehr möglich. Derart früh 0:1 hinten gegen die Bayern mit einer Mannschaft, deren größtes Schwäche bislang in der mangelnden Durchschlagskraft im Offensivspiel zu sehen ist – es ist zum Haare raufen!

In der 18. Minute musste Zinnbauer dann auch noch den durchaus erfahrenen, jedoch kurz zuvor verletzten Behrami-Ersatz, Jiracek, vom Feld nehmen (Gute Besserung!), den ich gerne einmal länger im defensiven Mittelfeld gesehen hätte. Bemerkenswerterweise wählte Zinnbauer als Ersatz des Ersatzes nicht die vermeintlich sicherere Option Kacar, sondern warf mit Steinmann einen weiteren Nachwuchsspieler ins eiskalte Wasser gegen den Branchenprimus. Um dies vorwegzunehmen: Steinmann lieferte wie Götz eine respektable Leistung. Beide benötigen jedoch verständlicherweise weitere Wettkampferfahrung, um sich an das ungleich höhere Niveau anzupassen. Da auch in Bestbesetzung alles andere als ein Ausscheiden gegen die Bayern eine faustdicke Überraschung gewesen wäre, fand ich es gut, dass sich Zinnbauer für diese mutige Lösung entschied. Training bleibt Training, egal wie wettkampfnah es gestaltet wird. Insofern glaube ich, dass beide Spieler gestern wichtige Erfahrungen sammeln konnten, die sich hoffentlich bei ihrer weiteren Entwicklung auszahlen werden.

In der 21. Minute passte Lewandowski vermeintlich direkt auf Thomas Müller, der dann keine Mühe hatte, den Ball im Tor des HSV unterzubringen. Zum Glück für die Hamburger funktionierte hier die Zusammenarbeit im Schiedsrichtergespann. Denn der Ball war, was im ersten Moment durchaus schwer zu erkennen war, zuvor noch einmal durch Alaba berührt worden, was dann zur Abseitsstellung Müllers führte. Der Treffer fand daher richtigerweise keine Anerkennung.

Die Bayern dominierten wie erwartet das Spiel. Der HSV bot  jedoch m.E. ohne van der Vaart (s.o.) läuferisch, kämpferisch und taktisch eine grundsätzlich ordentliche Leistung, die Mehmet Scholl später in der Halbzeitanalyse der ARD zurecht lobte. Dies belegt auch die Tatsache, dass Drobny erst in der 43. Minute die nächste Großchance vereiteln musste, einen Schuss von Lahm aus kürzester Distanz.

Leider war die ansonsten großartig spielenden Nummer eins im Tor des HSV nur eine Minute später nicht ganz schuldlos am vorentscheidenden 0:2. Der flatternde Fernschuss Alabas aus 25 Metern erschien mir nicht gänzlich unhaltbar (44.).

In den ersten Minuten nach der Halbzeitpause entwickelte sich ein ähnliches Spiel. Die Bayern waren weiter eindeutig spielbestimmend, der HSV ließ aber weniger zu, als ich befürchtet hatte. Dass für den HSV nach vorne wenig ging, fand ich angesichts der Ausgangskonstellation nicht überraschend. So dauerte es bis zur 55. Minute, in welcher Ribery einmal mehr von der linken Außenbahn in Höhe Strafraumgrenze nach innen zog. Sein Torschuss wurde unglücklicherweise von Djourou abgefälscht, sodass Drobny keine Abwehrchance blieb. Mit dem 0:3 war das Spiel endgültig entschieden.

Bayern-Trainer Guardiola nutzte nun den Spielstand, um Leistungsträger zu schonen, bzw. Spielern wie Hjöbjerg und Rode noch zu einigen Einsatzminuten zu verhelfen. Auch Zinnbauer wechselte mit Blick auf die in der Liga wartenden, schweren Aufgaben. So kam Kacar zunächst für Arslan als zweiter Sechser neben Steinmann. Später rückte Kacar in die Innenverteidigung neben Westermann, denn Zinnbauer brachte van der Vaart ins Spiel, was zur Folge hatte, dass Holtby von der zentral offensiven Position  nach hinten, neben Steinmann rückte.

Die Wechsel waren meiner Meinung nach aus Sicht beider Trainer vollkommen nachvollziehbar. Eine grundlegende Wende war nicht mehr zu erwarten. Zinnbauer konnte sich so einen Eindruck von Kacar unter Wettkampfbedingungen auf gleich zwei Positionen verschaffen. Und zu van der Vaart habe ich ja bereits weiter oben Stellung genommen.

Warum man auf den Niederländer keineswegs vollkommen verzichten kann, zeigte er kurz vor Schluss der Partie. In der 86. Minute erlief er zunächst einen Ball rechts  im Strafraum der Bayern, den er dann wunderbar genau und gefühlvoll an den langen Pfosten lupfte, wo Lasogga dann nur noch zum 1:3 einnicken musste.

Nicht verschweigen will ich, dass sich den Gästen aus Bayern nach dem 0:3 zahlreiche Großchancen boten (58. T. Müller; 73. Ribery; 88. Ribery ; 91. T. Müller), die Drobny großartig vereitelte.

Schiedsrichter: Fritz (Korb). Sehr gute Kommunikation innerhalb des Gespanns, die in der 21. Minute erst die korrekte Entscheidung auf abseits beim vermeintlichen 0:2 durch Müller ermöglichte.

Fazit: Der HSV unterliegt dem FC Bayern mit 1:3 (0:2). Der Endstand ist nach dem Spielverlauf zwar als ein schmeichelhaftes Resultat für den HSV zu bewerten, dies finde ich jedoch nicht beunruhigend. Der FCB kann und darf derzeit nicht der Maßstab für den HSV sein.

Erfreulich finde ich die Reaktion der Mannschaft auf die größtenteils schwache Leistung gegen Hertha. Dass man sich dem übermächtigen Gegner keineswegs kampflos ergeben wollte, war durchaus zu erkennen.

Aus meiner Sicht hat Zinnbauer alles richtig gemacht. Im Hinblick auf die kommenden, ungleich wichtiger erscheinenden Liga-Spiele dürfte Behrami zurückkehren. Ob auf der linken offensiven Außenbahn Stieber oder Jansen aufläuft, dies dürfte nicht nur von Trainingseindrücken, sondern auch von der Frage der jeweiligen Gegenspieler abhängen. Auch die Rückkehr Diekmeiers ist zu erwarten und wird von mir als Verstärkung bewertet. Das ist aber nicht als Vorwurf gegen Götz gemeint. Beide Talente, Götz und Steinmann, haben sich für weitere Bewährungsproben empfehlen können, aber man sollte sie m.E. weiterhin behutsam aufbauen.

Sorgen bereitet unverändert die mangelnde Durchschlagskraft im Offensivspiel. Warum Rudnevs derzeit gar keine Rolle mehr spielt, vermag ich aus der Distanz nicht zu beurteilen. Ich würde mich nicht wundern, wenn die sportliche Leitung in der Wintertransferperiode nachzubessern versucht. Vergessen sollten wir jedoch nicht, dass zur Rückrunde hoffentlich mit Maxi Beister ein weiterer, schneller und beweglicher Offensivspieler zurückkehrt, der seine Torgefährlichkeit bereits nachgewiesen hat.